Es waren Bilder, die sich in die Köpfe der Fußballfans einbrannten wie die Fotos von Stefan Effenbergs Tigerkopf oder dem Salto-hüpfenden Miroslav Klose zu den besten Zeiten des SV Werder Bremen: Drei junge Kicker des FSV Mainz 05 zelebrierten an der Eckfahne nach einem Torerfolg wie eine virtuelle Rockband.
Als damals beliebteste Boyband Deutschlands verzauberte die dreiköpfige Kapelle um Lewis Holtby, Ádám Szalai und André Schürrle die Bundesliga. Holtby gab - die Wasserflasche als imaginäres Mikrofon in beiden Händen - den Sänger, Schürrle versuchte sich an der Luftgitarre und Szalai, meist bewaffnet mit beiden Fußballschuhen in der Hand, als Schlagzeuger.
Auch ein passender Name war für das Trio schnell gefunden. Auf die Frage von Sportstudio-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein, ob man denn nun "eher Take That oder doch die Rolling Stones" sei, gab Holtby an, dass er sich mit dem zuvor schon durch die Medien kursierenden Namen "Bruchweg Boys" - angelehnt an die US-amerikanische Gruppe Backstreet Boys - am besten anfreunden könne. Die wohl bis heute bekannteste Mainzer Boyband war geboren.
Und obwohl, wie bei besagtem Auftritt im Aktuellen Sportstudio zugegeben wurde, keiner der drei irgendein musikalisches Talent besaß, noch überhaupt ein Instrument beherrschte, so lieferte die Mainzer Kapelle unter der Regie von Thomas Tuchel damals reihenweise Topleistungen ab, die einen Gegner nach dem anderen in die Knie zwangen.
Louis van Gaal adelt Mainzer Bruchweg Boys: "Können Meister werden"
Mit sieben Siegen aus den ersten sieben Spielen stellten die 05er im angeblich so schweren zweiten Jahr nach dem Aufstieg den damaligen Startrekord in Deutschlands Oberhaus ein. Vom eigenen Erfolg war man offenbar selbst ein wenig überrascht, schließlich musste Manager Christian Heidel nach praktisch jedem Sieg die Frage nach neuen Zielen und Perspektiven beantworten: "Was sollen wir denn planen? Sollen wir uns jetzt ein Flugzeug kaufen oder was?"
Den unerwarteten Höhepunkt der Mainzer Erfolgsserie markierte ein 2:1-Sieg in München gegen den scheinbar übermächtigen FC Bayern am sechsten Spieltag. Gejubelt wurde wieder an der Eckfahne - besonders ausschweifend nach Szalais fulminanten Drehschuss in der Schlussphase, welcher den entscheidenden Treffer markierte und den Ungarn zum Matchwinner machte. "Solche Tore klappen nur, wenn man klar ist im Kopf", erzählte der Schütze und meinte nach dem Hammer-Schuss: "Soviel Kraft habe ich da gar nicht mehr gehabt."
Die am Boden zerstörten Bayern versuchten im Anschluss, die Pleite zu relativieren und die "Zwerge" aus Mainz zu Riesen zu erklären. "Ich traue ihnen viel zu, sie können Meister werden", sagte Trainer Louis van Gaal. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge tadelte: "Laufbereitschaft, Aggressivität, Leidenschaft - das haben wir vermissen lassen. Wir müssen jetzt zusehen, dass wir die Kurve kriegen. Zehn Punkte auf Dortmund sind schon ganz schön viel. Wir sind absolut nicht zufrieden."
Bruchweg Boys brechen nach nur einem Jahr auseinander
Ein Happy Ending gab es für das Mainzer Trio letztlich trotz der vielen Jubelorgien nicht. Wie bei vielen guten Bands folgte der Einbruch. Drei Spiele lang kein Tor, kein Jubel und die letztendliche Auflösung der Band. Zumindest vorerst. Als Tuchels Mannschaft am 33. Spieltag durch einen 3:1-Sieg auf Schalke den Einzug in die Europa League perfekt machte, funktionierte Holtby die Eckfahne wieder zur Gitarre um: "Geht raus, feiert und reißt die ganze Stadt auseinander!".
Das europäische Märchen im Jahr darauf fand dann allerdings ohne das Trio statt. Holtby kehrte nach seinem einjährigen Leihgeschäft zum FC Schalke 04 zurück, Schürrle schloss sich Bayer 04 Leverkusen an. Szalai blieb noch zwei weitere Jahre in Mainz, zu einem Revival der Bruchweg Boys sollte es in anderer Besetzung aber nicht mehr kommen.
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