"Ich war besser als Andrew"

Martin Klotz
04. April 201509:50
Nick Wiggins wagte im Sommer den Sprung in die BBLgetty
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Er ist der große Bruder von Top-Pick Andrew Wiggins - und doch ist er der Kleine. Seit dieser Saison spielt Nick Wiggins in der BBL für die Walter Tigers Tübingen, während Andrew in der NBA durchstartet. Im Exklusiv-Interview mit SPOX spricht der 23-Jährige über das Verhältnis zu seinem Bruder, die Rekord-Saison am College, seine Rolle im Team der Tigers und seinen ungewöhnlichen Körperschmuck.

SPOX: Nick, blicken wir zunächst zurück auf den Draft-Abend 2014: Welches Gefühl überwog bei Ihnen: Enttäuschung, weil Sie nicht gedraftet wurden oder die Freude darüber, dass Ihr Bruder Andrew an Position eins ausgewählt wurde?

Nick Wiggins: Natürlich war beides in meinem Kopf, aber Enttäuschung ist eigentlich nicht das richtige Wort. Jeder geht einen unterschiedlichen Weg und der Erfolg von Andrew ist für mich eine unheimlich positive Motivation, meinen Weg zu gehen. Ich bin auch nicht neidisch auf ihn, auch wenn ich für viele nur noch der ältere Bruder von Andrew Wiggins bin. Er hat es sich verdient, das bekommt man nicht geschenkt. Ich habe immer noch den Traum, in der NBA zu spielen und dafür muss ich weiter hart an mir arbeiten.

SPOX: Wer von Ihnen war als Kind der bessere Spieler?

Wiggins: Ich würde sagen, das war ich. Da ich ein paar Jahre älter war, hatte ich natürlich einen Vorteil, als wir noch zu Hause zusammengespielt haben. Ich war größer, kräftiger und hatte natürlich ein bisschen mehr Erfahrung, die mir geholfen hat. Wir haben oft Eins-gegen-Eins gespielt und hatten eine starke Bruder-Rivalität auf dem Court. Die haben wir heute übrigens auch noch, aber wir schaffen es natürlich nicht mehr häufig, gegeneinander zu spielen. Er ist in der NBA, ich in der BBL.

SPOX: Haben Sie beide trotz der Entfernung noch ein enges Verhältnis zueinander?

Wiggins: Definitiv, ein sehr enges sogar. Andrew ist einer meiner besten Freunde und hing auch früher viel mit mir und meinen Kumpels ab. Ich stehe ständig mit ihm in Kontakt, wobei das aufgrund der Zeitverschiebung manchmal schon ein wenig schwierig ist. Als großer Bruder konnte ich ihm natürlich auch ein paar Ratschläge geben, beispielsweise wie er sich im Umgang mit den Medien verhalten soll. Aber er ist schon ziemlich erwachsen und hat das meiste schon gut drauf.

SPOX: Wie ging Andrew mit all den Gerüchten um einen Trade nach Minnesota um, nachdem er von den Cavs gedraftet worden war?

Wiggins: Das war für ihn gar kein großes Thema. Er wollte einfach für ein Team spielen, das ihn wirklich haben wollte. Er wusste, dass er es nicht zu entscheiden hatte, wo er spielen würde. Allerdings hat es ihn frustriert, dass er nicht sofort loslegen konnte. Er wollte endlich umziehen und mit dem Training beginnen.

SPOX: Nun aber zu Ihnen und Ihren Anfängen. Wie sind Sie zum Basketball gekommen?

Wiggins: Ich wollte in die Fußstapfen meines Vaters, Mitchell Wiggins, treten. Er hat einige Jahre in der NBA gespielt und war auch in Europa aktiv. Ich wollte natürlich besser werden als er. (lacht) Dazu kam, dass ich mit Basketball quasi aufgewachsen bin und den Sport einfach schon als Kind geliebt habe.

SPOX: Sie haben dann an zwei verschiedenen Highschools, zwei Junior Colleges und schließlich der Wichita State University gespielt. Wer hat Sie in dieser Zeit am meisten beeinflusst?

Wiggins: Gregg Marshall. Er war Headcoach in meiner Collegezeit bei Wichita State. Von ihm habe ich gelernt, was es heißt zu gewinnen und auch, wie man es schafft zu gewinnen. Und zwar nicht als Einzelperson, sondern als Team. Die zwei Jahre dort waren wirklich lehrreich, aber auch erfolgreich. Letzte Saison haben wir 35 Spiele in Serie gewonnen und damit einen NCAA-Rekord aufgestellt. Das hat mir gezeigt, was man alles erreichen kann, wenn das ganze Team an einem Strang zieht.

SPOX: Können Sie uns einen Einblick in den Alltag an einem Sports-College geben? Welchen Stellenwert hat das Studium im Vergleich zum Basketball wirklich?

Wiggins: College-Sportler zu sein, bedeutet, dass einem beides wichtig sein muss: Studium und Basketball kann man nicht trennen. Außerdem ist man gezwungen, sich in den Kursen anzustrengen, weil man einen bestimmten Notenschnitt erreichen muss. Ich zum Beispiel habe meinen Abschluss in Kommunikationswissenschaften gemacht und die guten Ergebnisse haben mich beflügelt. Schlechte Leistungen in den Prüfungen wirken sich auch auf die Performance auf dem Court aus. Das überträgt sich auf das eigene Spiel.

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SPOX: In der Offseason hatten Sie eine weitere Chance, sich ins Blickfeld der NBA-Teams zu spielen, als Sie in der Summer League für die Sacramento Kings aufgelaufen sind. Was haben Sie dort für Erfahrungen gemacht?

Wiggins: Die Summer League war eine wichtige und großartige Zeit für mich. Mit all den Stars wie Rudy Gay und DeMarcus Counsins zu trainieren, hat mich enorm weitergebracht. Nicht nur auf dem Court, sondern auch als Mensch.

SPOX: Was haben Sie gedacht, als zwei Typen aus Deutschland nach der Summer League zu Ihnen kamen und Ihnen das Angebot machten, in Tübingen zu spielen?

Wiggins: Ich dachte, das könnte eine gute Möglichkeit für mich sein, in Europa zu spielen und mich dort weiterzuentwickeln. Es hörte sich richtig gut an, also sprach ich mit meinen Eltern und meinem Agenten darüber. Vor allem mein Vater hat meinen Entschluss unterstützt. Ich hatte zwar auch andere Angebote aus dem Ausland, aber die habe ich nie wirklich in Erwägung gezogen. Und die D-League war für mich auch keine Option.

SPOX: Mittlerweile sind Sie seit drei Monaten in Deutschland. Wie gefällt es Ihnen bislang?

Wiggins: Es ist neu, es ist anders. Ich war fast die ganze Zeit zuvor in Kanada und den USA und es ist einfach eine Umstellung. Aber Tübingen ist wirklich cool. Im Vergleich mit vielen Städten in Nordamerika ist es hier sehr sauber und was mir natürlich gefällt: Die Leute lieben Basketball.

SPOX: Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt oder haben Sie sich das Leben in Deutschland ganz anders vorgestellt?

Wiggins: Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was mich erwartet. Ich war vorher noch nie in Deutschland und wusste daher nicht viel über das Land. Nur, dass es hier gutes Essen gibt und man mit Euro bezahlt (lacht). Aber nun habe ich sogar schon ein bisschen Deutsch gelernt und kenne ein paar Wörter: Dankeschön. Wie geht's? Guten Morgen!

SPOX: Was sind für Sie die größten Unterschiede zwischen College-Basketball und dem Basketball, wie er in der BBL gespielt wird?

Wiggins: Das Spiel am College ist strukturierter und die Spieler sind körperlich einfach stärker. Dafür würde ich sagen, dass der Basketball-IQ hier in Deutschland eine größere Rolle spielt. Außerdem ist das Spiel hier etwas physischer, da die Schiedsrichter ein bisschen mehr laufen lassen. Großen Einfluss auf das Spiel hat auch die Wurfuhr: Wir haben nur 24 Sekunden für einen Angriff, am College hatten wir 35. Und elf Sekunden sind eine Ewigkeit. (lacht)

SPOX: Die ersten Saisonspiele sind absolviert - haben Sie Ihre Rolle im Team der Walter Tigers schon gefunden?

Wiggins: Ich bin noch auf der Suche. Aber das ist nicht schlimm und hat auch mit dem Saisonstart zu tun. Wir haben am Anfang viele Spiele gegen starke Teams verloren, da ist es normal, dass der Coach viel ausprobiert und verschiedene Spieler testet. Auch er sucht noch nach der passenden Rotation. Aber ich habe mich definitiv schon verbessert, seitdem ich hier in Deutschland bin.

SPOX: Hat sich der schlechte Start auch auf die Atmosphäre in der Kabine ausgewirkt?

Wiggins: Ja, und zwar positiv. Wir hatten viele Spiele knapp verloren, daher waren wir alle enorm hungrig auf den ersten Sieg. Gegen Braunschweig hat es dann ja endlich geklappt.

SPOX: Bei Instagram veröffentlichen Sie jede Menge Bilder von Ihrem Körper - mit den unzähligen Tattoos schon fast ein Kunstwerk. Haben Sie überhaupt noch den Überblick, wie viele es sind?

Wiggins: (lacht) Nein, ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Bei 14 habe ich aufgehört zu zählen, aber es werden mittlerweile wohl rund 25 sein.

SPOX: Was haben Sie für eine Bedeutung und welches ist Ihr Lieblingsmotiv?

Wiggins: Es gibt viele Tattoos, die mit meiner Familie zu tun haben und auch welche, die einen Bezug zu Gott haben. Natürlich ist es auch ein Stück weit Verarbeitung dessen, was ich bisher erlebt habe und eine Erinnerung an den Weg, den ich gegangen bin. Mein Lieblingsmotiv ist das auf der linken Schulter, auf dem man mich und meinen Vater sieht. Es symbolisiert, wie er mir den Weg zum Basketball gezeigt hat, wofür ich ihm außerordentlich dankbar bin.

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Nick Wiggins im Steckbrief