"Golovkin macht Canelo das Leben zur Hölle"

Dominik Geißler
15. September 201720:22
Golovkin und Canelo treffen in der Nacht zum Sonntag aufeinandergetty
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Canelo Alvarez trifft in der Nacht zum 17. September (ab 4.45 Uhr live auf DAZN) im Mega-Fight auf Gennady "GGG" Golovkin. Was sind die Stärken der beiden Boxer? Wo liegen ihre Schwächen? Was sind die Schlüssel zum Sieg? Und: Wer entscheidet das Duell für sich? DAZN traf den einstigen Weltmeister der WBA und WBO Jürgen Brähmer, Boxtrainer Michael Timm und den ehemaligen WBC-Champion Sebastian Zbik. Mit SPOX-Redakteur Dominik Geißler diskutiert das Trio über den bevorstehenden Kampf.

Was spricht für Golovkin?

Jürgen Brähmer: Gennady und ich haben drei Jahre lang gemeinsam bei Universum (Universum war ein bis 2011 existierender Boxstall in Hamburg; Anm. d. Red) trainiert. Auch wenn ihm der große Durchbruch in Deutschland nicht gelungen ist, konnte man schon damals sehen, welches Potenzial in ihm steckt. Er bringt eine enorme Physis mit, ist konditionell auf einem ganz hohen Niveau und hat eine ungemein präzise Schlaghärte. Das ist das, was ihn in dieser Gewichtsklasse so gefährlich macht. Er boxt in jeden Angriff mit rein und trifft meistens gut.

Sebastian Zbik: Wie Jürgen bereits gesagt hat, war Golovkins Können schon zu Universum-Zeiten groß. Dass er damals außerhalb der Boxszene nicht zu den ganz großen Namen in Deutschland gehörte, lag daran, dass er immer nur in der Halle beim Training zu sehen war. Interviews, Medienarbeit, Vermarktung - das interessierte "GGG" alles nicht. Außerdem hatte er mit Felix Sturm und mir zwei deutsche Boxer in seiner Gewichtsklasse, die für den TV-Markt hierzulande einfach interessanter waren. An seiner Kampfqualität ändert das aber natürlich nichts. Er war und ist ein harter Arbeiter, der sich immer perfekt vorbereitet und den Gegner genau studiert. Er scheut keinen Schlagabtausch und geht immer ein gewisses Risiko.

Michael Timm: Golovkin hat sich nie als komplett gesehen und andere Boxer beim Training beobachtet, um zu lernen. Er hat immer gewusst, dass er an einigen Ecken noch feilen muss und die Tricks der anderen visuell geklaut. Er arbeitet unheimlich genau, versucht seine Schwächen abzustellen und seine Stärken weiter auszubauen. Dazu gehört allen voran seine Robustheit, die er sich mit Extraschichten im Training aufgebaut hat.

Dominik Geißler: Was man auf keinen Fall vergessen darf, ist Golovkins Footwork. Er bewegt sich auf seinen Beinen unheimlich agil und macht dem Gegner so das Leben schwer. Man muss nur überlegen, wie selten er in der Vergangenheit wirklich getroffen wurde. Und wenn, dann hat er die Fäuste gut weggesteckt. In der Offensive glänzt er mit seiner Ringpräsenz. Dabei ist die Härte seiner Schläge gar nicht mal so entscheidend, sondern die Konstanz, mit der er seine Treffer setzt. Das kann man nur mit ganz wenigen im Boxzirkus vergleichen.

Wie kann Alvarez Golovkin schlagen?

Sebastian Zbik: Gennadys Vorteil, dass er immer attackiert, ist zugleich auch sein größter Nachteil. Er geht manchmal etwas zu leichtsinnig an die Sache heran und hat dadurch gerade in seinem letzten Kampf schon schwere Treffer kassiert. Er geht immer in den Mann rein, um seine Schläge zu platzieren, was zwar prinzipiell gut ist, doch vergisst er hin und wieder, dass der Gegner auch zurückhaut. Das macht es gegen Canelo so spannend, weil der gute Reflexe hat und den entsprechenden Schlag besitzt, um etwas dagegenzusetzen. Außerdem hat "GGG" mittlerweile auch schon 35 Jahre auf dem Buckel und ich glaube, dass er dem langsam Tribut zollen muss. Die zwölf Runden wird er nicht mehr so durchgehen können wie vor sieben, acht Jahren. Das ist die Chance für Alvarez, der noch mehr Eisen im Feuer hat.

Dominik Geißler: Das Alter ist tatsächlich die größte Unbekannte bei Golovkin. Natürlich nicht die Zahl als solche, sondern wie fit er mit seinen 35 Lenzen noch ist. Gegen Daniel Jacobs sah das Ganze schon etwas unrunder aus und gerade weil Gennady von seiner Beinarbeit lebt, könnte hier der Knackpunkt liegen. Für Canelo spricht außerdem die größere Erfahrung. Er ist zwar geschlagene acht Jahre jünger, hat aber trotzdem 14 Profikämpfe mehr vorzuweisen - und die gingen dann auch noch öfter über die volle Distanz. Mit seiner perfekten Technik und seiner Kombinationsfähigkeit ist er darüber hinaus immer für gute Konterschläge gut.

Jürgen Brähmer: Meiner Meinung nach nimmt Golovkin zu viele Schläge mit. Wenn er einen Treffer auf den Körper kriegt, nimmt er sofort einen Gang raus und wird dadurch verwundbar. Da muss man sehen, wie Alvarez das ausnutzt. Ich gehe davon aus, dass er Gennady voll auf den Körper attackieren wird. Und klar, Golovkin ist physisch stärker und attackiert mit mehr Druck, aber Canelo ist der schnellere und explosivere Boxer. Für einen Sieg braucht er starke Kombinationen und eine gute Deckung in der Defensive, um nicht den harten Schlägen seines Gegners zum Opfer zu fallen. Dass er das Zeug dafür hat, haben seine letzten Kämpfe eindrucksvoll bewiesen - mit welcher Leichtigkeit er beispielsweise Amir Khan ausgeknockt hat, war schon bärenstark.

Michael Timm: Golovkin kassiert manchmal den einen oder anderen Treffer vom Gegner zu viel. Wie er die Dinger allerdings wegsteckt, ist schon erstaunlich. Da fliegt kein Kopf, sondern alles bleibt stabil. Der Gegner hat seine Hand noch nicht mal richtig zurückgefahren, da kommt schon der Konterschlag von Gennady. Da muss man wirklich aufpassen: Wenn man eine Bombe gegen Golovkin loslässt, schlägt es sofort danach bei einem selbst ein. Eine wirkliche Schwäche sehe ich bei ihm daher fast nicht. Die einzige Chance, die Canelo hat, ist seine Schnelligkeit.

Wer entscheidet das Duell für sich?

Michael Timm: Alvarez kommt aus dem Halb-Weltergewicht ins Mittelgewicht, körperlich kann er also nicht dagegenhalten. Da muss er übers Tempo gehen. Will der Mexikaner eine Chance haben, muss er den aggressiven Kampfstil seines Gegners unterbinden. Sobald er selbst auf Attacke geht, muss er aufpassen, dass er nicht gnadenlos ausgekontert wird. Canelo muss immer auf der Hut sein, darf sich niemals ausruhen - und das zwölf Runden lang. Golovkin wird ihm nämlich das Leben zwölf Runden lang zur Hölle machen. Für mich ist der Kasache deswegen auch der große Favorit. Er ist kreuzgefährlich und bestimmt das Mittelgewicht seit Jahren. Er hat sich, egal welcher Name ihm gegenüberstand, nie aufhalten lassen. Mit diesem Selbstbewusstsein und seiner Physis wird Gennady den Kampf gewinnen.

Jürgen Brähmer: Ich sehe Canelo in diesem Mega-Fight nicht chancenlos. Und ich kann mich da nur wiederholen: Seine Explosivität ist beeindruckend. Allerdings kommt Golovkin manchmal überfallartig in einen Kampf rein und schlägt direkt in den Angriff, er nimmt quasi das Tempo seines Gegners mit. Alvarez wird schon gucken, was ihm da für eine trockene Härte in den Schlägen entgegenkommt. Ich persönlich hoffe, dass Gennady Alvarez gut erwischt und das Ding für sich entscheidet.

Sebastian Zbik: "GGG" sollte vermeiden, sich auf die Konter von Canelo einzulassen und manchmal etwas abwartender boxen, mal eine Finte einstreuen und im Oberkörper etwas beweglicher agieren. Wenn man schnurstracks auf Alvarez zuläuft, kann das schnell in die Hose gehen. Für Alva gilt, dass er sich vor allem in den ersten Runden nicht erwischen lassen darf, da ist Golovkin am gefährlichsten. Wer am Ende gewinnt? Kaum zu sagen. Ich würde daher von einer Wette abraten. Wenn Alvarez getroffen wird, wird er es sehr schwer haben, weil die Schläge unwahrscheinlich hart und präzise sind. Allerdings kam Canelo in seiner gesamten Profikarriere erst einmal wirklich in Bedrängnis, das spricht für sich. Er besitzt eine Nehmerfähigkeit und kann den Kampf hinten heraus über die Physis gewinnen.

Dominik Geißler: Auch wenn Sebastian von einer Wette abrät, werde ich den einen oder anderen Taler auf Golovkin setzen. Dabei mache ich es ganz wie "GGG" und gehe ins Risiko: Alvarez geht in der achten Runde K.o.! Nicht umsonst hat Golovkin schließlich vor wenigen Tagen gesagt, dass es bei ihm "nie Überlebende" gebe. Freilich hat er sich gegen Jacobs verhältnismäßig schwer getan, aber wegen eines Kampfes sollte man nicht das Zweifeln beginnen. Entscheidend wird sein, dass er nicht kopflos in den Ring steigt und trotzdem mit seinem linken Jab durchgehend Power gibt, ehe er seine Rechte auspackt. Bei Canelo besteht dazu die Gefahr, dass er sich zu weit öffnet und seinen Körper für Schläge freigibt - und das ist ein gerngesehenes Ziel von Golovkin.

Was macht diesen Kampf besonders?

Jürgen Brähmer: Das wird ein spannender, temporeicher und schöner Kampf. Dass Alvarez in eine höhere Klasse wechselt und sich so einem Gegner stellt, davor muss man den Hut ziehen. Es gibt bei diesem Kampf keine Verlierer, sondern nur Gewinner - das gilt auch für die Zuschauer. In Deutschland kann man nur hoffen, dass man so etwas ebenfalls mal erleben kann, ohne dass man sagt, dass sich der Verlierer wieder ganz hinten anstellen muss. Dann hätten wir hier auch viel schönere Kämpfe.

Dominik Geißler: Das Duell ist zweifelsohne eines der besten des Jahrzehnts. Über allen thront natürlich der Kampf des Jahrhunderts mit Mayweather und Pacquiao, aber danach kommt schon dieser Kampf - in einer Riege mit Waldimir Klitschko gegen Anthony Joshua und Sergey Kovalev gegen Andre Ward. Ich habe richtig Bock!

Sebastian Zbik: Wenn man sieht, was es zur Zeit an sehr guten Boxern gibt, ist das schon ein Traumkampf. Auf so etwas warten die Leute, so ein Event verspricht viel Spektakuläres. Auch geschichtlich gehört das Duell sicher zu den großen Kämpfen.

Michael Timm: Ganz richtig. Auf so einen Fight wartet die ganze Boxwelt. Gennady ist seit vielen Jahren ungeschlagen und liefert stets eine bravouröse Vorstellung im Ring. Und wie das immer so ist, wenn jemand erfolgreich ist: Viele wollen ihn verlieren sehen. So etwas macht auch den Reiz aus. Ich freue mich drauf! Historisch kann der Kampf locker mit Namen wie Sugar Ray Leonard, Thomas Hearns und Marvelous Marvin Hagler mithalten. Ein Golovkin passt da genau rein, das ist alles ein Niveau.