Axel Schulz im Interview: "Der Mauerfall hat mir den Geburtstag versaut"

Felix Götz
09. November 201810:56
Axel Schulz ist einer der besten deutschen Boxer aller Zeiten.getty
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Axel Schulz ist einer der bekanntesten deutschen Boxer. Der frühere Schwergewichtler kämpfte jeweils drei Mal um die Welt- und die Europameisterschaft und wies am Ende seiner Profikarriere eine Bilanz von 26 Siegen, fünf Niederlagen, einem Remis und einem Fight ohne Wertung auf.

Anlässlich seines 50. Geburtstages am 9. November blickt Schulz im Interview mit SPOX auf seine aufregende Laufbahn zurück. Er spricht über seine Anfänge in der DDR, eine durch den Mauerfall versaute Party und seine legendären Duelle mit George Foreman, Francois Botha und Wladimir Klitschko.

SPOX: Herr Schulz, herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag. Bereitet Ihnen die Fünf vorne eigentlich schlaflose Nächte?

Axel Schulz: Gar nicht. Ich fühle mich genauso wie immer und ich werde meinen Geburtstag auch nicht wesentlich anders als andere Tage gestalten. Ich stehe gegen 6 Uhr auf, trinke wortlos Kaffee - und los geht's. Ich kenne es vom Sport her so: Wenn man feiert, muss man zuvor etwas geleistet haben. Ich habe nichts dafür getan, dass ich 50 geworden bin. Man müsste eher meiner Mutter danken, die leider schon verstorben ist - und das auch noch an einem 9. November. Auch das ist ein Grund, warum ich meinen Geburtstag grundsätzlich nicht feiern möchte. Meine Frau war ein bisschen zickig, als ich Ihr verklickert habe, dass wir auch zu meinem 50. keine Party schmeißen. (lacht) Wir gehen schön zusammen mit unseren beiden Töchtern essen, mehr nicht.

SPOX: Ist Ihr Geburtstag aufgrund des Todes Ihrer Mutter also eher ein Tag, an dem Sie sich mit der Endlichkeit beschäftigen?

Schulz: Die Endlichkeit ist für mich unabhängig von meinem Geburtstag mindestens schon seit 15 Jahren ein Thema. Manche meiner Freunde sind schon tot, die Einschläge kommen immer näher.

SPOX: Spielt dabei der Tod von Graciano Rocchigiani ebenfalls eine Rolle?

Schulz: Definitiv. Ich habe Gracianos Tod noch nicht verarbeitet, das dauert noch eine ganze Weile. Ich bin auch nicht zu seiner Beerdigung gefahren, weil ich es einfach nicht konnte. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er nicht mehr da ist. Wenn die Zeit reif ist, werde ich alleine an sein Grab gehen und mich verabschieden. Ich habe mit Friedhöfen allerdings meine Probleme. Ich war bei der Beerdigung meiner Mama, die an Krebs gestorben ist, und seither nie wieder an ihrem Grab. Es geht einfach nicht. Meine Mama ist wie Graciano mit 54 Jahren gestorben. Ich finde das ungerecht, das sind keine fertig gelebten Leben.

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Axel Schulz über seine Anfänge in der DDR

SPOX: Es ist völlig unmöglich, nun einen akzeptablen Übergang hinzubekommen. Wir wollten eigentlich über Ihre Karriere sprechen.

Schulz: Vollkommen richtig, lassen Sie uns über andere Dinge reden. Was wollen Sie denn eigentlich wissen?

SPOX: Beispielsweise, wie Sie als 11-Jähriger zum Boxen gekommen sind?

Schulz: Ursprünglich wollte ich Fußballer werden und war mit sechs oder sieben Jahren auch in einem Verein. Es hat mir aber keinen Spaß gemacht, hinter einem Ball her zu rennen. Also ging ich zum Schwimmen. Doch das fand ich genauso doof wie anschließend meine Versuche in der Leichtathletik. Irgendwann nahm mich ein Freund mit zum Boxtraining. Er haute mir auf die Nase und ich dachte nur: 'Wow. Das möchte ich auch können.' Von da an habe ich immer mehr trainiert. Irgendwann war ich soweit, dass ich endlich Revanche nehmen und meinem Kumpel auf die Nase hauen konnte. (lacht)

SPOX: Auch Erfolge in Form von gewonnenen Meisterschaften haben sich schnell eingestellt. Inwiefern hat Ihnen das Sportsystem in der DDR dabei geholfen?

Schulz: Für mich war es ein Glück, in der DDR aufzuwachsen. Der Sport wurde gefördert und war nie eine finanzielle Frage. Meine alleinerziehende Mama musste sich also überhaupt keine Gedanken darüber machen, ob sie den Mitgliedsbeitrag bezahlen kann oder nicht. So konnte ich - wie eben angesprochen - verschiedene Sportarten kostenlos ausprobieren. Andernfalls hätte ich womöglich niemals zum Boxen gefunden. Mit 13 wurde ich schließlich erstmals DDR-Meister und in die Sportschule in Frankfurt an der Oder aufgenommen. Nach drei Jahren Schule sind von 18 Boxern zwei durchgekommen. Dirk Eigenbrodt, der später Europameister wurde, und ich. Als ich 17 war, wurde ich schließlich Junioreneuropameister in Kopenhagen.

Schulz: Seine Erfahrungen mit Ulli Wegner und Manfred Wolke

SPOX: Und zwar unter den Fittichen des legendären Trainers Ulli Wegner.

Schulz: Natürlich hat mein Stützpunkttrainer die meiste Arbeit verrichtet. Aber Ulli war sozusagen der Auswahltrainer, der mich in Dänemark betreut hat. Seine Ansprachen in der Ecke waren auch damals schon besonders. Er konnte die Dinge einfach deutlich rüberbringen.

SPOX: Wenn wir schon von Trainern sprechen, dürfen wir auf keinen Fall Manfred Wolke vergessen, dem Sie wohl am meisten zu verdanken haben.

Schulz: Richtig. Ohne Manfred Wolke hätte ich nie im Leben drei Mal um die WM und drei Mal um die EM gekämpft. Er hat mich 1988 mit 19 Jahren zum DDR-Meister der Männer im Schwergewicht gemacht. Ich wurde Zweiter bei der Männer-EM und holte Bronze bei der WM. Das waren damals in diesem jungen Alter schon besondere Erfolge.

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Axel Schulz erinnert sich an den Mauerfall

SPOX: Am 9. November 1989, Ihrem 21. Geburtstag, änderte sich vieles. Wie haben Sie den Tag erlebt, an dem die Mauer fiel?

Schulz: Der Mauerfall hat mir den Geburtstag versaut. (lacht) Ich hatte damals in Frankfurt an der Oder eine Einzimmerwohnung, in der ich eine Geburtstagsparty geplant hatte. Das Problem war nur, dass fast keiner kam. Ich wunderte mich darüber, bis ich endlich den Fernseher einschaltete. Wir sahen, dass die Mauer auf ist - da waren auch die restlichen Gäste weg. Ich bin dann erst ein paar Tage später mit dem Zug nach Berlin gefahren, um mir das Begrüßungsgeld abzuholen. (lacht)

SPOX: Haben Sie den Mauerfall anfangs als Chance für sich selbst begriffen, oder waren die Geschehnisse eher ein Schock?

Schulz: Eines vorneweg: Ich bin dankbar, dass die Mauer gefallen ist. Damals war das aber weder eine Chance noch ein Schock für mich. Für mich hat sich nämlich eigentlich gar nicht so unglaublich viel geändert. Höchstens, dass es plötzlich die Möglichkeit gab, für 6.000 DM im Monat nach Leverkusen zu wechseln.

SPOX: Sie wollten aber bei ihrem Lieblingstrainer Wolke bleiben und wie Henry Maske Profi werden.

Schulz: Genau. Ich fragte Wolke, ob er mich auch als Profi trainieren würde. Er antwortete: 'Axel, keine Ahnung ob wir da Erfolg haben. Aber wir trainieren einfach wie die Schweine und dann schauen wir mal, ob das reicht.' Heute bin ich ihm unglaublich dankbar. Ganz wichtig dabei war übrigens, dass wir beide ein Angebot von Promoter Wilfried Sauerland bekommen haben. Ich bekam damals 2.000 DM im Monat. Der Plan war, es zwei Jahre zu versuchen. Falls ich dann nicht erfolgreich gewesen wäre, wollte ich als Mechaniker arbeiten, was ich in der DDR gelernt hatte.

SPOX: Welche Art von Mechaniker wären Sie denn geworden?

Schulz: Das kann man so genau auch nicht sagen. Das war in der DDR eine Ausbildung als Mechaniker für alles, glaube ich. (lacht) Später hätte ich wohl auch Fernseher reparieren können.

SPOX: Können Sie heute tatsächlich irgendwelche Dinge reparieren?

Schulz: Nö, das habe ich verlernt. Meine Frau hat mir mittlerweile sogar verboten, zu Hause auch nur irgendetwas Handwerkliches zu machen. Ich darf nicht mal Löcher bohren. (lacht)

Axel Schulz über sein legendäres Duell gegen George Foreman

SPOX: Zurück zu Ihrer Karriere, die sich prächtig entwickelte und einen Ihrer absoluten Höhepunkte erreichte, als Sie am 22. April 1995 in Las Vegas gegen den legendären George Foreman antraten, der damals bereits 46 Jahre alt war und sich zuvor unter anderem heroische Schlachten mit Muhammad Ali geliefert hatte. Wie kam es zu diesem Fight?

Schulz: Wilfried Sauerland rief mich Ende 1994 an und sagte: 'Pass auf, Axel. Du könntest gegen Foreman um die Weltmeisterschaft boxen. Denk über Weihnachten doch mal darüber nach.' Ich war völlig geplättet, sagte zunächst weder zu noch ab. Über Weihnachten haben Wolke und ich Videos studiert und kamen zu dem Schluss: 'Foreman ist ein alter Sack, das müsstest du schaffen.'

SPOX: Foreman wollte den Kampf gegen Sie, weil er Sie für ungefährlich hielt.

Schulz: Das stimmt, ich war damals 12. der Weltrangliste und wurde als Fallobst ausgesucht. Es wären ganz andere Granaten in Frage gekommen, Mike Tyson oder Evander Holyfield zum Beispiel. Aber Foreman sagte, er würde gegen Schulz boxen, weil der nicht hauen kann. Ich war ja nie der große Puncher. Der Kampf wurde schließlich wie im Profiboxen üblich - das ist ja längst bekannt - mit Hilfe von Bestechung arrangiert.

SPOX: Alle Experten waren sich nach dem Kampf einig, dass Sie gewonnen hätten. Doch Foreman wurde zum Sieger nach Punkten erklärt.

Schulz: Wenn du als Außenseiter im Ausland den Weltmeister schlagen willst, dann musst du ihn einfach umhauen. Das habe ich leider nicht geschafft, obwohl ich in diesem Kampf über mich hinausgewachsen bin. Ganz ehrlich: Ich zehre von diesem Spektakel doch noch heute. Es war ein riesiges Glück, dass ich gegen Foreman boxen durfte. Einfach genial, trotz des Ausgangs sozusagen mein Durchbruch. Wegen dem Namen Foreman erregte der Kampf weltweit Aufsehen. Außerdem gab es anschließend wegen dem Urteil weltweit Proteste, dass das Boxen bestechlich sei. Foreman wurde vom Verband zu einem Rückkampf verdonnert, er lehnte diesen aber leider ab und legte seinen Gürtel nieder.

SPOX: Ist Ihnen damals erstmals richtig bewusst geworden, dass es im Boxen nicht immer mit rechten Dingen zugeht?

Schulz: Nein, damals habe ich das noch auf den Heldenstatus von Foreman geschoben. Richtig bewusst wurde es mir erst im Dezember 1995 in Stuttgart.

SPOX: Beim Kampf gegen den Südafrikaner Francois Botha, bei dem es erneut um den WM-Titel ging.

Schulz: So ist es. Wenn Don King am Ring sitzt und du weißt, er gehört der anderen Seite an, dann ist dir klar, dass du nicht gewinnen kannst. Unter uns Boxern war jedem klar: Wenn du bei Don King unter Vertrag stehst, dann gewinnst du auch.

SPOX: Botha wurde vor über 18 Millionen Fernsehzuschauern zum Sieger nach Punkten erklärt, das Publikum in Stuttgart witterte erneut ein krasses Fehlurteil und warf Gläser und weitere Gegenstände in den Ring.

Schulz: Das habe ich in dem Moment gar nicht registriert, was da alles geflogen kam. Ich war wie in einem Tunnel. Ich muss aber zugeben, dass der Kampf gegen Botha auch nicht mein bester war.

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Axel Schulz über falsche Freunde und sein Fight gegen Michael Moorer

SPOX: Nach dem Kampf machten Sie eine schwierige Phase durch.

Schulz: Es wollte keine Sau mehr etwas von mir wissen. Kein Manager, einfach keiner. Nur wahre Freunde meldeten sich noch. Erst als herauskam, dass Botha beim Kampf gegen mich gedopt war und das Ergebnis annulliert wurde, riefen mich plötzlich die ganzen Arschlöcher wieder an. Diese Erfahrung war für mein Leben prägend und half mir dabei, zwischen Freunden und Schulterklopfern zu unterscheiden.

SPOX: Im Juni 1996 erhielten Sie gegen Michael Moorer in Dortmund die dritte WM-Chance. War das sozusagen die einzig wirklich verdiente Niederlage in Ihren drei WM-Kämpfen?

Schulz: Gegen Moorer habe ich zurecht verloren, obwohl es nur ein 2:1-Urteil war. Das war ein enges Ding, ging aber in Ordnung.

SPOX: Medien und Fans sind mit Leistungssportlern häufig unerbittlich, man läuft schnell Gefahr, als Verlierer abgestempelt zu werden. Bei Ihnen scheint es anders zu sein, Sie sind trotz der Niederlagen in den entscheidenden Momenten beliebt. Nehmen Sie das auch so wahr?

Schulz: Ja, das tue ich. Die Leute sehen meiner Meinung nach, dass man als Profisportler verletzbar, ja einfach besiegbar ist. Aber sie akzeptieren es, wenn man immer wieder aufsteht und weitermacht. Und das habe ich getan.

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Axel Schulz: Tyson hätte mir den Kopf runtergehauen

SPOX: Beispielsweise 1999, als Sie in einem Ihrer drei Fights um die Europameisterschaft gegen Wladimir Klitschko antraten. Sie waren allerdings chancenlos.

Schulz: Dabei hatte ich wirklich geglaubt, ihn besiegen zu können. Die Sache war so: Ich hatte ein Angebot, gegen Tyson zu boxen. Aber der hätte mir vermutlich den Kopf runtergehauen. Wladimir hingegen hatte kurz zuvor gegen Ross Puritty verloren, weshalb ich ihn für angeschlagen hielt. Sauerland und Wolke - allen waren gegen den Kampf. Nur ich wollte unbedingt die Entscheidung für mich haben, ob ich nochmal in die Weltspitze stoßen kann oder eben nicht. Was dann im Ring passierte: Oh, oh, oh. Wladimir hat mich bis zur achten Runde stehen lassen. Er hätte mich schon viel früher K.o. schlagen können, was dann auch nicht so schmerzvoll gewesen wäre. (lacht) Wladimir war ein grandioser Boxer und ist ein überragender Typ. Wir sind mittlerweile befreundet und telefonieren auch ab und zu.

SPOX: Ihre Karriere war damit vorerst beendet. Doch 2006 wagten Sie ein Comeback gegen Brian Minto, dem Sie unterlagen. War es ein Fehler, zurückzukehren?

Schulz: Nein. Weil ich durch den Kampf gegen Minto nicht mehr in Versuchung gekommen bin, es noch später mit einem Comeback zu versuchen. Diese Gefahr hätte ohne den Fight gegen Minto meiner Meinung nach bestanden.

SPOX: Sie wirken so, als wären Sie mit Ihrer Laufbahn komplett im Reinen.

Schulz: Das ist auch so. Ich habe mehr erreicht, als ich jemals zu träumen gewagt hätte. Ich habe das große Glück, mit dem Boxen so viel Geld verdient zu haben, um heute nur in überschaubarem Maße arbeiten zu müssen. Meiner Familie geht es ebenfalls gut. Worüber soll ich mich beklagen?

SPOX: Und Sie haben ein weiteres Hobby zum Beruf gemacht. Man kann Sie inklusive Ihrer eigenen Produkte zum Grillen engagieren.

Schulz: Genau. Deshalb möchte ich mich übrigens auch bald mit Foreman treffen. Ich würde gerne mit ihm zusammenarbeiten. Er mit seinen Grills, ich mit meinen sehr leckeren Grillsaucen - da würde sich der Kreis irgendwie schließen. (lacht)