Gina Lückenkemper und Co. haben die schlechteste WM der Geschichte hingelegt, am Ende wurde es sogar ein peinlicher "Salto Nullo": Nur elf Monate vor den Olympischen Spielen liegt die deutsche Leichtathletik am Boden. Ohne eine einzige Medaille fährt die Nationalmannschaft nach Hause, das hat es zuvor noch nie gegeben. Sogar die Britischen Jungferninseln waren damit bei der WM in Budapest erfolgreicher.
"Ein Trauerspiel - ohne Worte", sagte Zehnkampf-Legende Jürgen Hingsen dem SID über das deutsche Abschneiden. Speerwurf-Europameister Julian Weber vergab im WM-Finish die letzte Chance, das Fiasko noch zu verhindern. Der Mainzer wurde mit 85,79 m Vierter, damit trat tatsächlich der "Worst Case" ein, den DLV-Präsident Jürgen Kessing so gefürchtet hatte.
Webers vierter sowie vier fünfte Plätze wie bei Zehnkampf-Shootingstar Leo Neugebauer waren die besten Ergebnisse, einige DLV-Athleten mischten ordentlich mit - für das große Rampenlicht reichte es aber nicht. Ein Jahr nach den Sternstunden bei der Heim-EM in München zeigte sich so auf schmerzhafte Weise, wie weit die Weltspitze enteilt ist.
Jörg Bügner: In vielen Disziplinen "den Anschluss verloren"
In vielen Disziplinen habe man "den Anschluss verloren", räumte DLV-Sportdirektor Jörg Bügner ein. Mit dem allgemeinen Abschneiden und dem "Ist-Zustand" könne man "nicht zufrieden" sein: "Wir müssen schauen, wie wir in Zukunft die Distanz zur Weltspitze überwinden können." Diese habe sich "signifikant" weiterentwickelt.
Einen Vorwurf wollte Teamkapitänin Lückenkemper niemanden machen. "Wir haben hier im deutschen Team wirklich schon sehr, sehr gute Leistungen gesehen, die aller Ehren wert sind. Und das würde ich auf keinen Fall unter den Tisch kehren", sagte die Europameisterin. Doch diese "sehr, sehr guten Leistungen" reichen in der Welt nicht mehr aus.
Malaika Mihambo und Johannes Vetter werden vermisst
Chef-Bundestrainerin Annett Stein muss hoffen, dass etwa Stars wie die angeschlagenen Malaika Mihambo (Weitsprung) oder Johannes Vetter (Speer) für Paris 2024 wieder fit werden. Doch "Ausreden", hatte Bügner im Vorfeld betont, "gibt es nicht".
Auf Überraschungen hatten die Verantwortlichen stattdessen gehofft. Diese gab es jedoch nur im kleinen Rahmen - und wenn, dann performten andere stärker als die Deutschen. Zwar lieferte das DLV-Team in der Breite ein besseres Bild als im Vorjahr in Eugene ab. Dies reichte aber nicht, um ganz vorn mitzumischen - wie es auch europäische Teams schafften (Spanien, Schweden, Großbritannien).
"Da müssen sich einige Leute fragen, was falsch läuft. Mir fehlt es an einem überzeugenden Konzept. Wir sind stehen geblieben, die Welt dreht sich weiter", sagte Hingsen. Auch der zweite deutsche Teamkapitän Christopher Linke glaubt nicht, "dass wir aktuell zu schlecht sind. Vielleicht ist die internationale Konkurrenz einfach zu stark", sagte der Geher. Er selbst musste das bitter erfahren: Seine zwei deutschen Rekorde über 20 und 35 km verhalfen ihm nicht zu einer Medaille, sondern "nur" zu zwei fünften Plätzen.