"Ja, es wird meine letzte Tour de France sein! Es war ein große Abenteuer." Schon vor Beginn der Großen Schleife hat Lance Armstrong die Katze aus dem Sack gelassen. Über seinen Twitter-Account richtete er aus, dass seine 13. Teilnahme am größten mobilen Sportevent der Welt zugleich seine letzte sein wird. Und damit auch seine letzte Chance auf den achten Triumph.
Doch wie realistisch ist es, dass der einstige "Tourminator" noch einmal den ganz großen Wurf landet?
Scherzender Armstrong
Nach der gelungenen Generalprobe bei der Tour de Suisse hat Armstrong in der Schweizer Kantonshauptstadt sein Basislager aufgeschlagen. Vom noblen Genf aus erkundet der Amerikaner die Alpenpassagen, die bei der Großen Schleife über sein sportliches Abschneiden entscheiden werden.
Rund eine Woche vor dem Start in Rotterdam scheint Armstrong mit seiner Verfassung derart zufrieden zu sein, dass er sogar zu Scherzen aufgelegt ist: "Ich war Dritter in Luxemburg und Zweiter in der Schweiz. Da lässt sich das nächste Rennen leicht ausrechnen."
Unplanmäßige Vorbereitung
Dabei verlief sein Start in die Saison alles andere als vielversprechend. Mehrere gesundheitliche Rückschläge brachten seine Vorbereitung wiederholt ins Stocken. So musste er die Kalifornien-Rundfahrt nach einem Crash mit einer Platzwunde am Auge und einer Ellenbogenprellung nach der fünften Etappe aufgeben.
Nur 34 Renntage stehen in diesem Jahr auf seinem Konto - so wenige, wie bei keinem seiner ärgsten Kontrahenten. Erst bei seiner Rückkehr nach Europa Anfang Juni kam er so langsam ins Rollen und verbesserte seine Form stetig.Armstrong stapelt tief
Ganz anders verlief das Jahr für Alberto Contador, Armstrongs großen Gegenspieler und letztjährigen Tour-Sieger. Wie am Schnürchen, könnte man sagen. Bereits drei Rundfahrt- und sechs Saisonsiege heimste der kleine Spanier vom Team Astana ein. Bei seinen schärfsten Rivalen Andy Schleck (Saxo Bank) und Armstrong steht dagegen eine fette Null auf der Haben-Seite.
Kein Wunder also, dass Armstrong von einer Favoritenrolle bei der Tour nichts wissen will. Es werde für ihn in seinem Alter sehr hart werden, prophezeit der 38-Jährige: "Vor allem wegen der Explosivität der anderen Jungs und meiner eigenen Schwierigkeiten im Zeitfahren."
Tour unter anderen Vorzeichen
Armstrong setzt auf Understatement. Doch ist seine Tiefstapelei etwa nur ein Ablenkungsmanöver? Wenn am 3. Juli in Rotterdam die 97. Tour de France beginnt, startet Armstrong im Vergleich zum letzten Jahr unter komplett anderen Vorzeichen.
Er ist nicht mehr der Kapitän 1b im ungeliebten Astana-Team. Vom edlen Arbeiter für mehr Aufmerksamkeit im Kampf gegen den Krebs ist nicht mehr viel zu hören. Dopinggerüchte und unzählige Kontrollen der unangemeldeten Fahnder lassen ihn kalt. "Noch mal für alle: Mich stören die Kontrollen nicht. Sie sind Teil des Spiels. Testet mich jederzeit, an jedem Ort, das Ergebnis wird immer das gleiche sein: nichts zu finden", richtete er über seinen Twitter aus.
Alleinherrscher Armstrong
Armstrong geht es um das Sportliche. Er will gewinnen. Er will den achten Triumph. Ausschließlich darauf hat er seinen Fokus gelegt. Dazu hat er sein eigenes Team RadioShack gegründet, in dem es einen Alleinherrscher gibt. Ihn selbst.
Zusammen mit seinem langjährigen Freund und Mentor Johan Bruyneel hat Armstrong für das Erreichen seines großes Ziels eine unterwürfige Armada von fleißigen Arbeitsbienen (Brajkovic, Paulinho, Rast, Muravyev) und loyalen Wegbegleiter der vergangenen Jahre (Leipheimer, Popovych, Horner) um sich geschart.
Zudem der ewige Edelhelfer Andreas Klöden, der in nahezu jedem anderen Team der Welt Kapitän wäre und seinerzeit schon Jan Ullrich über die steilsten Alpenpässe und durch die härtesten Pyrenäen-Etappen schleuste.
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Demol: "Haben Sklaven ausgesucht"
"Keine Experimente" lautet also das Motto beim Team Armstrong. Nur einer der neun Starter ist jünger als 30 Jahre. Das Durchschnittsalter von 32,5 Jahren lässt geballte Tour-Erfahrung erahnen.
Die Teamstrategie ist so klar wie das Amen in der Kirche: Einer für alle - alle für Lance! Etwas überspitzt begründete der Sportlicher Leiter Dirk Demol die Nichtnominierung des egozentrischen Sprinters Gert Steegmans: "Wir haben ausschließlich Sklaven ausgesucht." Loyale Knechte des Radsports also, die keine eigenen Ambitionen in den Vordergrund stellen, sondern sich ausschließlich für ihren Boss aufopfern.
Diese acht Sklaven sind es, mit denen Armstrong seinen Masterplan durchbringen will. Eine Skizze zum Triumph, bei der das Team die entscheidende Rolle spielt und Armstrong eher als Profiteur, denn als unbezwingbarer Einzelgänger die oberste Stufe des Podiums in Paris erklimmen will.
Rivalen mit Teamleistung zermürben
Ein guter Ansatz, meint Columbia-Profi Tony Martin im Gespräch mit SPOX: "Armstrong hat sicher das stärkere Team im Vergleich mit Astana, was ihm taktisch einige Möglichkeiten eröffnet." Und auch der Amerikaner selbst macht keinen Hehl aus der Abhängigkeit von seinen Teamkollegen: "Wir müssen schlau fahren und alles auf die Mannschaftskarte setzen."
Das Team als Trumpfkarte. Anders als bei seinen sieben Toursiegen weiß Armstrong, dass er nicht mehr unantastbar und seine Leistungsfähigkeit im Vergleich zu seinen Rivalen nicht mehr exorbitant höher ist. Im Gegenteil. Bisweilen sieht er nur noch die Hinterräder der jungen Garde um Contador, Schleck und Kreuziger.
Strecke kommt Lance entgegen
Dass er besonders in seiner einstigen Paradedisziplin Zeitfahren weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, irritiert Armstrong allerdings wenig. Dafür hat - wenn auch unfreiwillig -die A.S.O. gesorgt, die für die Streckenplanung der Tour verantwortlich zeichnet. Ein Zeitfahren in der ersten Tourwoche sucht man im Etappenplan vergebens.
Mit nur einem langen Kampf gegen die Uhr auf der vorletzten Etappe müssen die Profis so wenige Zeitfahr-Kilometer (52) absolvieren wie seit über 30 Jahren nicht mehr.
Voigt kann Armstrong nicht einschätzen
Betrachtet man die verschiedenen Aspekte zusammen, dann scheint es so, als sei Armstrong im Begriff, ein weiteres Top-Resultat bei der Tour de France zu erzielen. Aber wird es auch zum Platz ganz oben auf dem Treppchen reichen?
"Das ist unmöglich zu sagen. Ich entscheide mich zehnmal am Tag um", sagt Jens Voigt gegenüber SPOX. "Manchmal denke ich, er ist in Topform und manchmal streiche ich ihn von der Liste der möglichen Toursieger."
Klar. Einem Lance Armstrong muss man alles zutrauen. Dennoch: Sein starkes Team kann ihm nur bis zu einem bestimmten Punkt unterstützen. Wenn es in die steilen Rampen der Alpen und der Pyrenäen geht, dann müssen seine eigenen Beine den Contadors und Schlecks folgen können. Und das scheint bei der Kletterstärke der beiden Youngster doch mehr als fraglich.