Tennisprofi Masur über das Leben als Nummer 256: "Nach jeder Niederlage Hass-Nachrichten im Postfach"

Florian Regelmann
03. April 201921:20
Daniel Masur liegt aktuell auf Rang 262 der Tennis-Weltrangliste.Antke Förster
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Daniel Masur ist aktuell die Nummer 256 der Tennis-Weltrangliste. Vor ihm steht der Kroate Nino Serdarusic, direkt hinter ihm folgt der Ungar Attila Balazs. Wir befinden uns im Tennis-Niemandsland. Wie lebt es sich als Tennisprofi, der sich im Schatten der Stars nach oben kämpfen will? SPOX hat mit Masur über einen Traumjob mit Schattenseiten gesprochen.

Der 24-Jährige spricht im Interview offen über die Definition von Erfolg, Hass-Nachrichten und sein schlimmstes Turnier. Außerdem erklärt Masur, was er im Tennis sofort ändern würde.

Herr Masur, wie lebt es sich als Nummer 256 der Weltrangliste?

Daniel Masur: Es ist brutal hart. Bitte nicht falsch verstehen. Tennisprofi zu sein, ist mein Traumjob. Niemand hat mich gezwungen, diesen Weg zu gehen und wenn es mir keinen Spaß machen würde, würde ich etwas anderes machen. Deshalb ist es kein Beklagen, sondern einfach eine ehrliche Zustandsbeschreibung. Ich bin 24 Jahre alt, selbstständig und muss wie viele andere am Anfang der beruflichen Laufbahn unglaublich viel investieren. An einem normalen Tag gehe ich um 8 Uhr aus dem Haus und komme um 19.30 Uhr zurück. Ich investiere extrem viel, aber am Ende des Tages steht relativ wenig Ertrag auf der Habenseite. In der Ranglistenregion, in der ich mich aktuell bewege, ist es so, dass sich das System gerade so trägt. Tennis ist ein Nullsummenspiel für mich. Ich kann meinen Trainer, meine Reisen und meine Unterkünfte bezahlen und wenn es gut läuft, ist manchmal noch ein schöner Urlaub drin. Es ist witzig, weil viele gar nicht wissen, dass ich meinen Trainer bezahlen muss. Du kannst nicht umsonst trainieren? Das höre ich ganz oft. Ich liebe, was ich tue, aber von einem Leben im Saus und Braus und den Millionen, die in der Weltspitze verdient werden, bin ich meilenweit entfernt.

Wie weit?

Masur: Das ist eine gute Frage. Ich habe natürlich Erwartungen und Hoffnungen. Ich sehe, dass die Leute, die 150 Plätze vor mir stehen, kein Level spielen, das ich niemals erreichen kann. Es ist ein sehr harter Weg, aber es gibt keine unüberwindbare Kluft. Es ist alles sehr eng beieinander. Es ist möglich, schnell nach oben zu schießen, das wäre top, aber wenn es bei mir länger dauert, ist das eben mein Weg und auch vollkommen in Ordnung. Ich sehe für mich noch die Perspektive, deshalb habe ich auch keinen Grund, an etwas anderes zu denken.

Wobei Sie sich durchaus auch mit anderen Sachen außer Tennis beschäftigen.

Masur: Richtig. Ich habe ein Fernstudium angefangen und beschäftige mich mit Finanz-Management. Ich habe bei Turnieren so viel Zeit und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich in zehn Jahren nicht jede Netflix-Serie mitsprechen können will, sondern mit der Zeit auch etwas für mich machen will. Es tut mir gut und es ist optimal kombinierbar, auch weil ich bei diesen Dingen sehr diszipliniert bin. Ich will mich breiter aufstellen und da ich mich schon früh mit meinen eigenen Finanzen auseinandersetzen musste, habe ich angefangen, darüber Büchen zu lesen, auch über das Thema Persönlichkeitsentwicklung, und bin auf den Studiengang gekommen.

Daniel Masur stand 2018 auf dem Centre Court von Hamburg.Antke Förster

Daniel Masur: "Da ist der Platzwart gleichzeitig der Physio"

Sie haben beispielsweise in München schon Luft auf der ATP Tour geschnuppert. Wie würden Sie die krassen Unterschiede beschreiben zu den unteren Ebenen, auf denen Sie meistens spielen oder gespielt haben?

Masur: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Bei einem ATP-Turnier bekommst du für jedes Training sechs neue Bälle. Bei einem unterklassigen ITF-Event gibt es nur gebrauchte Bälle fürs Training. Das hört sich jetzt vielleicht nicht so schlimm an, aber wenn du als Profi mit Bällen spielen musst, auf denen die Schrift nicht mehr zu sehen ist, ist es nicht ganz optimal. Da werden auch mal die Plätze den ganzen Tag nicht abgezogen, weil Spieler keine Manieren haben. Da ist der Platzwart gleichzeitig der Physio und haut dir als Allheilmittel einfach eine Wärmesalbe auf die Stelle, wo es wehtut. Manchmal kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Natürlich kann man sagen, dass du als Nummer 900 keine Ansprüche zu stellen hast und da jeder durch muss, das stimmt auch, aber trotzdem ist es hart.

Wie viel verdiene ich da?

Masur: Wenn ich auf 900 stehe und für ein Halbfinale 300 Euro Preisgeld bekomme, mache ich mindestens tausend Euro minus in der Woche und habe zuhause noch meine laufenden Kosten. Da muss ich schon Unterstützung der Eltern haben oder Ähnliches, damit das überhaupt geht. Sobald du wie ich jetzt auf der Challenge Tour angekommen bist, wird es sofort um 200 Prozent besser und viel professioneller. Da hat fast jeder seinen eigenen Trainer dabei. Es gilt einfach, schnell nach oben zu kommen, sonst macht es einen auf Dauer mürbe.

Was trifft man auf der unteren Ebene für Jungs?

Masur: Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber man trifft teilweise schon Spieler, die alles andere als professionell sind. Es gibt die Jungs wie Stefanos Tsitsipas, die straight ihren Weg gehen, und dann gibt es Jungs, die auf diesen Events herumdümpeln. Die nicht richtig trainieren, die keinen Wert auf Stretching legen, die auch mal Matches abschenken. Wenn du von solchen Leuten umgeben bist, musst du sehr klar im Kopf sein und genau wissen, was du willst, sonst kannst du dich runterziehen lassen. Es ist ja auch bekannt, dass Wettmanipulation vor allem auf der unteren Ebene an Turnieren ein Thema ist.

Sind Sie jemals damit in Berührung gekommen?

Masur: Ich bin zum Glück niemals selbst angesprochen worden. Allerdings wurde ich ein paar Mal nach Spielern gefragt, die in Verdacht geraten sind, weil ich diese Jungs auf dem einen oder anderen Turnier auch mal gesehen hatte. Aber wenn ich jemanden einmal im Jahr sehe, ist es relativ wahrscheinlich, dass mir da jetzt nicht unbedingt etwas auffällt. Was ich persönlich erlebe, sind wüste Beschimpfungen in den sozialen Netzwerken nach Niederlagen. Ich bekomme üble Nachrichten. Das ist echt brutal. Nach jeder Niederlage kann ich mir sicher sein, dass ich drei oder vier Hass-Nachrichten im Postfach habe. Und du kannst nichts dagegen machen. Klar, ich kann sie blocken, aber dann kommen beim nächsten Mal fünf andere.

Daniel Masur: "Du wirst als Match-Fixer beschimpft"

Was ist der Inhalt dieser Nachrichten?

Masur: Ich wünsche dir den Tod. Ich hoffe, deine ganze Familie verreckt an Krebs. Hör' auf mit Tennis ist noch das harmloseste. Es ist bodenlos. Du wirst als Match-Fixer beschimpft, weil du vielleicht bei 5:4 zum Match serviert hast und es ja völlig klar ist, dass es geschoben sein muss, wenn du es dann nicht gewinnst. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Die Nachrichten sind so dumm, dass ich mir nichts daraus mache, mich beschäftigt viel mehr, wie es dazu kommen kann, dass Menschen so etwas schreiben. Was muss passieren, damit man jemandem so eine Nachricht schickt? Es ist mir unbegreiflich.

Was war denn das schlimmste Turnier, das Sie mal gespielt haben?

Masur: Das war ein Challenger in Suzhou in China. Das gibt es jetzt zum Glück auch nicht mehr. (lacht) Asien ist ohnehin nicht ganz so einfach, wenn du nichts verstehst und lesen kannst. Auf jeden Fall waren wir da wirklich mitten im Nirgendwo. Das Hotel war zwar super, aber es war trotzdem grausam. Es hat drei Tage lang geregnet und war an Trostlosigkeit nicht zu überbieten. Es gab Spieler, die durchgedreht sind und nicht mehr richtig spielen konnten, die waren durch. Wenn du aus dem Hotel gekommen bist, hast du im Nirgendwo leere Hochhäuser gesehen, es war wie eine Geisterstadt. Da denkst du dir schon mal: Was genau mache ich hier eigentlich? Ich habe dann in der ersten Runde gegen Yen-Hsun Lu verloren und war froh, als ich da schnell wieder weg war. Das hat keinen Spaß gemacht.

Im Moment haben Sie keine gute Phase und kassieren viele Erstrundenniederlagen. Ob Sie dabei gut gespielt haben, ob der Gegner einfach überragend war, bekommt keiner wirklich mit. Die meisten sehen nur, dass Sie schon wieder früh verloren haben. Wie gehen Sie selbst mit so einer schwierigen Phase um, an dem Sie das Gefühl bekommen könnten, es geht nichts voran?

Masur: Es ist natürlich nicht immer so leicht. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es sich nicht auf mein generelles Befinden auswirkt, wenn ich verliere, verliere und wieder verliere. Das wirkt sich schon auf die Laune aus. Entscheidend ist, dass der Umgang mit Niederlagen eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt für einen Tennisspieler ist. Es beschäftigt mich überhaupt nicht, dass ich jetzt mal wieder etwas Preisgeld einspielen sollte. Solche Gedanken habe ich nicht. Aber ich hinterfrage mich ständig. Das Paradoxe ist, dass Niederlagen manchmal genauso wenig erklärbar sind wie Siege. Manchmal ist der Gegner so gut, dass du eine Stunde lang nur Bälle sammelst, das musst du dann auch mal akzeptieren und trotzdem weiter daran glauben, dass auch wieder bessere Zeiten kommen, wenn du dranbleibst und alles dafür tust. Gerade wenn sich Niederlage an Niederlage reiht, muss ich geduldig bleiben, versuchen, es rational bestmöglich einzuordnen und darf zum Beispiel nicht als Folge dessen ein Turnier nach dem anderen spielen. Ich habe erst jetzt wieder eine Trainingsphase eingelegt, weil ich merke, wie wichtig es für meine Entwicklung ist.

Sagen Sie sich, dass Sie aber beispielsweise in zwei Jahren wenigstens in den Top 150 stehen wollen, vielleicht sogar müssen?

Masur: Die Turniere auf der Challenge Tour, die ich aktuell spiele, sind Mittel zum Zweck. Es ist nicht das, was ich machen will. Das erlebe ich, wenn ich in München, Hamburg oder St. Petersburg aufschlage. Dann denke ich mir: Mein Gott, ist das geil. Wenn ich das jede Woche haben könnte, wäre das der Jackpot. Ich möchte so schnell wie möglich dorthin, aber wenn ich es in zwei Jahren noch nicht geschafft habe, kann ich mich auf den Kopf stellen, das bringt mich auch nicht weiter. Aber ich bin ehrlich und sage auch, dass ich der Meinung bin, dass ich schon vieles erreicht habe. Ich habe in München und Hamburg auf dem Centre Court gestanden, ich habe im Davis Cup für Deutschland Doppel gespielt, davon träumst du, wenn du als Kind mit dem Tennisspielen anfängst. Darauf bin auch stolz und das nimmt mir keiner mehr. Meine Ansprüche und Ziele sind ohne Zweifel höher, aber trotzdem darf man sich dessen bewusst sein, dass man etwas erreicht hat. Auch wenn das jetzt viele nicht so sehen mögen.

Weil die Erwartungshaltung mit den Erfolgen ja auch steigt.

Masur: Genau. Sascha Zverev steht auf Drei in der Welt, wird aber kritisiert, solange er noch kein Grand Slam gewonnen hat. Selbst bei Roger Federer könnte ich in der Theorie noch etwas finden und sagen, dass er nur einmal in Paris gewonnen hat. Was natürlich Unsinn ist, aber je erfolgreicher du bist, desto höher werden einfach die Erwartungen. Die wirst du nie ganz zufrieden stellen können. Wenn ich am Ende meiner Karriere in den Top 100 war, kann ich sagen, dass es doch Top 50 hätte sein müssen. Schaffe ich die Top 50, hat es nicht für die Top 25 gereicht. Es gibt nach oben keine Grenzen. Ich finde, dass wir alle auch mal stolz sein dürfen, wenn wir etwas erreicht haben. Egal ob das im Profisport, in der Schule oder im normalen Berufsleben ist. Entscheidend ist doch, wie zufrieden du selbst mit dir bist, ob du mit dir im Reinen bist. Ansonsten nützt dir das Erreichte oder irgendeine Ranglistenposition nämlich gar nichts.

Die Rangliste ist also am Ende nicht alles?

Masur: Ich würde Position 150 nicht gegen Position 50 eintauschen, wenn ich am Ende nicht glücklich mit meinem Leben bin. Meine höchste Ranglistenposition bislang war 204. Wenn ich es nie mehr höher schaffe, wird das mein Leben nicht definieren. Ich bin mir auch ganz sicher, dass ein einfacher Straßenarbeiter ein glücklicheres Leben führen kann als ein sogenannter Top-Manager mit Millionen auf dem Konto.

Daniel Masur: "Ich würde das Grölen erlauben"

Sie haben schon erwähnt, dass das Level unglaublich dicht beieinander liegt. Können Sie das näher beschreiben?

Masur: Grundsätzlich ist es ja so, dass mittlerweile alle jeden Tag vier Stunden Bälle schlagen und den Ball treffen. Der Unterschied liegt oft im mentalen Bereich und in der Beantwortung der Frage, wer sein Potenzial ausspielen kann. Wenn es klick macht und du Selbstvertrauen bekommst, ist viel möglich. Ich bin als Nummer 250 an einem bestimmten Tag nicht so weit von der 50 entfernt. Aber es geht in beide Richtungen. Es gibt schon Momente, da denkst du: Scheiße, die können alle Tennis spielen. (lacht) Wenn ich jetzt zum ersten Mal nach eineinhalb Jahren gegen die Nummer 900 spielen würde und 20 Prozent weniger Einsatz und Bereitschaft an den Tag lege, wird es total eng. Wenn ich voll spiele, gewinne ich das Match klar, aber wenn es blöd läuft, kann ich es auch verlieren.

Es gibt aber auch Spieler, die Sie auf den Turnieren treffen und die plötzlich für Furore sorgen.

Masur: Ich sehe auf der Challenge Tour Jungs wie den jungen Serben Miomir Kecmanovic oder den jungen Kanadier Felix Auger-Aliassime. Kecmanovic war jetzt plötzlich als Lucky Loser im Viertelfinale von Indian Wells. Auger-Aliassime hat in Indian Wells Tsitsipas geschlagen, stand in Miami jetzt sogar im Halbfinale und in diesem Jahr auch schon im Finale von Rio. Dabei ist es gar nicht lange her, dass er beim Challenger in Rennes sein erstes Match gleich gegen die Nummer 500 oder so und auch erste Runde Doppel verlor und ich mir noch dachte, dass er genau die gleichen Probleme hat wie wir alle. So schnell kann es eben auch gehen.

Abschließend: Wenn Sie eine Sache im Tennis ändern könnten, was wäre das?

Masur: (lacht) Ich würde das Grölen erlauben.

Wie jetzt? Tennis soll so sein wie Darts?

Masur: In gewisser Weise ja. Beim Darts feiern die Fans eine große Party und die Spieler schaffen es trotzdem, unter Druck auf den Millimeter genau ihre Pfeile zu werfen und die Felder zu treffen. Weil sie daran gewöhnt sind. Auch beim Basketball ist es ja zum Beispiel laut. Warum soll das im Tennis nicht möglich sein? Tennisfans sollten auch grölen dürfen und kommen und gehen, wann sie wollen. Im Moment ist es so, dass es so still ist, dass du eine Stecknadel fallen hörst. Sobald eine Flasche umfällt, denkst du, es ist eine Bombe eingeschlagen. Tennis muss zeitgemäßer werden. Offener, nicht so verklemmt. Ich glaube nicht, dass eine Schulklasse, die zum Tennis geht, so viel Bock hat, zwei Stunden keinen Mucks zu machen. Sobald wir Spieler uns daran gewöhnt haben und die einzelnen Geräusche nicht mehr so wahrnehmen, würde das niemanden stressen. Ich finde auch die Idee gut, kürzere Sätze zu spielen.

Ich finde es furchtbar. Absolut grauenvoll.

Masur: Klar ist es gegen die Tradition des Tennis. Wenn ich mir die Ergebnisse bei den Next Gen Finals anschaue und sehe so was wie 4:3, 1:4, 4:2, 4:3, dann ist das komisch. Aber auf der anderen Seite muss ich mich fragen, wie viele Matches ich mir in diesem Jahr bis jetzt in voller Länge angeschaut habe? Zwei vielleicht. Und ich bin Tennisprofi. Es dauert einfach zu lang. Tradition ist wichtig, aber Tennis darf auch nicht auf seiner Tradition sitzen bleiben und muss mit der Zeit gehen.