Der 24-Jährige spricht im Interview offen über die Definition von Erfolg, Hass-Nachrichten und sein schlimmstes Turnier. Außerdem erklärt Masur, was er im Tennis sofort ändern würde.
Herr Masur, wie lebt es sich als Nummer 256 der Weltrangliste?
Daniel Masur: Es ist brutal hart. Bitte nicht falsch verstehen. Tennisprofi zu sein, ist mein Traumjob. Niemand hat mich gezwungen, diesen Weg zu gehen und wenn es mir keinen Spaß machen würde, würde ich etwas anderes machen. Deshalb ist es kein Beklagen, sondern einfach eine ehrliche Zustandsbeschreibung. Ich bin 24 Jahre alt, selbstständig und muss wie viele andere am Anfang der beruflichen Laufbahn unglaublich viel investieren. An einem normalen Tag gehe ich um 8 Uhr aus dem Haus und komme um 19.30 Uhr zurück. Ich investiere extrem viel, aber am Ende des Tages steht relativ wenig Ertrag auf der Habenseite. In der Ranglistenregion, in der ich mich aktuell bewege, ist es so, dass sich das System gerade so trägt. Tennis ist ein Nullsummenspiel für mich. Ich kann meinen Trainer, meine Reisen und meine Unterkünfte bezahlen und wenn es gut läuft, ist manchmal noch ein schöner Urlaub drin. Es ist witzig, weil viele gar nicht wissen, dass ich meinen Trainer bezahlen muss. Du kannst nicht umsonst trainieren? Das höre ich ganz oft. Ich liebe, was ich tue, aber von einem Leben im Saus und Braus und den Millionen, die in der Weltspitze verdient werden, bin ich meilenweit entfernt.
Wie weit?
Masur: Das ist eine gute Frage. Ich habe natürlich Erwartungen und Hoffnungen. Ich sehe, dass die Leute, die 150 Plätze vor mir stehen, kein Level spielen, das ich niemals erreichen kann. Es ist ein sehr harter Weg, aber es gibt keine unüberwindbare Kluft. Es ist alles sehr eng beieinander. Es ist möglich, schnell nach oben zu schießen, das wäre top, aber wenn es bei mir länger dauert, ist das eben mein Weg und auch vollkommen in Ordnung. Ich sehe für mich noch die Perspektive, deshalb habe ich auch keinen Grund, an etwas anderes zu denken.
Wobei Sie sich durchaus auch mit anderen Sachen außer Tennis beschäftigen.
Masur: Richtig. Ich habe ein Fernstudium angefangen und beschäftige mich mit Finanz-Management. Ich habe bei Turnieren so viel Zeit und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich in zehn Jahren nicht jede Netflix-Serie mitsprechen können will, sondern mit der Zeit auch etwas für mich machen will. Es tut mir gut und es ist optimal kombinierbar, auch weil ich bei diesen Dingen sehr diszipliniert bin. Ich will mich breiter aufstellen und da ich mich schon früh mit meinen eigenen Finanzen auseinandersetzen musste, habe ich angefangen, darüber Büchen zu lesen, auch über das Thema Persönlichkeitsentwicklung, und bin auf den Studiengang gekommen.
Daniel Masur: "Da ist der Platzwart gleichzeitig der Physio"
Sie haben beispielsweise in München schon Luft auf der ATP Tour geschnuppert. Wie würden Sie die krassen Unterschiede beschreiben zu den unteren Ebenen, auf denen Sie meistens spielen oder gespielt haben?
Masur: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Bei einem ATP-Turnier bekommst du für jedes Training sechs neue Bälle. Bei einem unterklassigen ITF-Event gibt es nur gebrauchte Bälle fürs Training. Das hört sich jetzt vielleicht nicht so schlimm an, aber wenn du als Profi mit Bällen spielen musst, auf denen die Schrift nicht mehr zu sehen ist, ist es nicht ganz optimal. Da werden auch mal die Plätze den ganzen Tag nicht abgezogen, weil Spieler keine Manieren haben. Da ist der Platzwart gleichzeitig der Physio und haut dir als Allheilmittel einfach eine Wärmesalbe auf die Stelle, wo es wehtut. Manchmal kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Natürlich kann man sagen, dass du als Nummer 900 keine Ansprüche zu stellen hast und da jeder durch muss, das stimmt auch, aber trotzdem ist es hart.
Wie viel verdiene ich da?
Masur: Wenn ich auf 900 stehe und für ein Halbfinale 300 Euro Preisgeld bekomme, mache ich mindestens tausend Euro minus in der Woche und habe zuhause noch meine laufenden Kosten. Da muss ich schon Unterstützung der Eltern haben oder Ähnliches, damit das überhaupt geht. Sobald du wie ich jetzt auf der Challenge Tour angekommen bist, wird es sofort um 200 Prozent besser und viel professioneller. Da hat fast jeder seinen eigenen Trainer dabei. Es gilt einfach, schnell nach oben zu kommen, sonst macht es einen auf Dauer mürbe.
Was trifft man auf der unteren Ebene für Jungs?
Masur: Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber man trifft teilweise schon Spieler, die alles andere als professionell sind. Es gibt die Jungs wie Stefanos Tsitsipas, die straight ihren Weg gehen, und dann gibt es Jungs, die auf diesen Events herumdümpeln. Die nicht richtig trainieren, die keinen Wert auf Stretching legen, die auch mal Matches abschenken. Wenn du von solchen Leuten umgeben bist, musst du sehr klar im Kopf sein und genau wissen, was du willst, sonst kannst du dich runterziehen lassen. Es ist ja auch bekannt, dass Wettmanipulation vor allem auf der unteren Ebene an Turnieren ein Thema ist.
Sind Sie jemals damit in Berührung gekommen?
Masur: Ich bin zum Glück niemals selbst angesprochen worden. Allerdings wurde ich ein paar Mal nach Spielern gefragt, die in Verdacht geraten sind, weil ich diese Jungs auf dem einen oder anderen Turnier auch mal gesehen hatte. Aber wenn ich jemanden einmal im Jahr sehe, ist es relativ wahrscheinlich, dass mir da jetzt nicht unbedingt etwas auffällt. Was ich persönlich erlebe, sind wüste Beschimpfungen in den sozialen Netzwerken nach Niederlagen. Ich bekomme üble Nachrichten. Das ist echt brutal. Nach jeder Niederlage kann ich mir sicher sein, dass ich drei oder vier Hass-Nachrichten im Postfach habe. Und du kannst nichts dagegen machen. Klar, ich kann sie blocken, aber dann kommen beim nächsten Mal fünf andere.
Daniel Masur: "Du wirst als Match-Fixer beschimpft"
Was ist der Inhalt dieser Nachrichten?
Masur: Ich wünsche dir den Tod. Ich hoffe, deine ganze Familie verreckt an Krebs. Hör' auf mit Tennis ist noch das harmloseste. Es ist bodenlos. Du wirst als Match-Fixer beschimpft, weil du vielleicht bei 5:4 zum Match serviert hast und es ja völlig klar ist, dass es geschoben sein muss, wenn du es dann nicht gewinnst. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Die Nachrichten sind so dumm, dass ich mir nichts daraus mache, mich beschäftigt viel mehr, wie es dazu kommen kann, dass Menschen so etwas schreiben. Was muss passieren, damit man jemandem so eine Nachricht schickt? Es ist mir unbegreiflich.
Was war denn das schlimmste Turnier, das Sie mal gespielt haben?
Masur: Das war ein Challenger in Suzhou in China. Das gibt es jetzt zum Glück auch nicht mehr. (lacht) Asien ist ohnehin nicht ganz so einfach, wenn du nichts verstehst und lesen kannst. Auf jeden Fall waren wir da wirklich mitten im Nirgendwo. Das Hotel war zwar super, aber es war trotzdem grausam. Es hat drei Tage lang geregnet und war an Trostlosigkeit nicht zu überbieten. Es gab Spieler, die durchgedreht sind und nicht mehr richtig spielen konnten, die waren durch. Wenn du aus dem Hotel gekommen bist, hast du im Nirgendwo leere Hochhäuser gesehen, es war wie eine Geisterstadt. Da denkst du dir schon mal: Was genau mache ich hier eigentlich? Ich habe dann in der ersten Runde gegen Yen-Hsun Lu verloren und war froh, als ich da schnell wieder weg war. Das hat keinen Spaß gemacht.
Im Moment haben Sie keine gute Phase und kassieren viele Erstrundenniederlagen. Ob Sie dabei gut gespielt haben, ob der Gegner einfach überragend war, bekommt keiner wirklich mit. Die meisten sehen nur, dass Sie schon wieder früh verloren haben. Wie gehen Sie selbst mit so einer schwierigen Phase um, an dem Sie das Gefühl bekommen könnten, es geht nichts voran?
Masur: Es ist natürlich nicht immer so leicht. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es sich nicht auf mein generelles Befinden auswirkt, wenn ich verliere, verliere und wieder verliere. Das wirkt sich schon auf die Laune aus. Entscheidend ist, dass der Umgang mit Niederlagen eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt für einen Tennisspieler ist. Es beschäftigt mich überhaupt nicht, dass ich jetzt mal wieder etwas Preisgeld einspielen sollte. Solche Gedanken habe ich nicht. Aber ich hinterfrage mich ständig. Das Paradoxe ist, dass Niederlagen manchmal genauso wenig erklärbar sind wie Siege. Manchmal ist der Gegner so gut, dass du eine Stunde lang nur Bälle sammelst, das musst du dann auch mal akzeptieren und trotzdem weiter daran glauben, dass auch wieder bessere Zeiten kommen, wenn du dranbleibst und alles dafür tust. Gerade wenn sich Niederlage an Niederlage reiht, muss ich geduldig bleiben, versuchen, es rational bestmöglich einzuordnen und darf zum Beispiel nicht als Folge dessen ein Turnier nach dem anderen spielen. Ich habe erst jetzt wieder eine Trainingsphase eingelegt, weil ich merke, wie wichtig es für meine Entwicklung ist.