Noah Rubin ist nur die Nummer 195 der Welt. Ein Nobody auf der Tennistour, trotz großer Erfolge zu Junioren-Zeiten. Der 23-Jährige ist aber auch einer der spannendsten Tennisprofis. Im Interview mit SPOX spricht der US-Amerikaner vor dem Start der US Open (ab Montag live im Eurosport-Channel auf DAZN) über seine Behind-the-Racquet-Serie, in der er Spielern die Möglichkeit zum Seelenstriptease gibt. Mit bemerkenswertem Erfolg.
Außerdem erklärt Rubin, warum er am System der Tour fast zerbrochen wäre, wie er einst in Marbella die dunkelste Stunde seiner Karriere erlebte und warum Tennis an vielen Orten stirbt. Rubin stellt bei SPOX sein Modell für eine Revolution im Tennissport vor.
Noah, Sie stehen in der Weltranglisteaktuell auf Rang 195 und sind in Deutschland sichernur den absoluten Freaks einBegriff. In IhreneigenenWorten: Werist Noah Rubin?
Noah Rubin: Noah Rubin ist ein sehr kleiner, aber dafür auch schneller Tennisspieler, der in jungen Jahren mehr Erfolg hatte, als die meisten Menschen erwartet hätten. Das größte Highlight war natürlich mein Sieg in der Junioren-Konkurrenz von Wimbledon. Aber auch danach durfte ich am College große Erfolge feiern und war irgendwann bereit dafür, den Schritt zum Profi zu gehen. Bei den Australian Open 2017 bekam ich es in der zweiten Runde mit Roger Federer zu tun. Mit einem der größten Spieler aller Zeiten, vielleicht sogar dem größten überhaupt, gemeinsam auf dem Platz zu stehen und gegen ihn anzutreten, hat mir damals unglaublich viel gebracht. Ich habe gesehen, dass ich phasenweise mithalten kann, das hat mir Selbstvertrauen gegeben. Ich habe aber auch gesehen, wie unfassbar viel mir fehlt, im mentalen und im körperlichen Bereich.
InWimbledonhättees indiesem Jahr wiederzueinem Duell mitFederer kommenkönnen, wenn Sie die erste Runde gewonnen hätten.
Rubin: Ich schlafe immer noch schlecht, weil ich das nicht geschafft habe. Ich bin jetzt die 195 der Welt, meine beste Ranking-Position war bis dato 125. Nachdem es anfangs nur nach oben gegangen war, habe ich dann herausgefunden, wie brutal hart die Tour ist. Es ist definitiv nicht zufriedenstellend, wie meine Karriere bis jetzt verlaufen ist, aber ehrlich gesagt bin ich auch nur eines der vielen Beispiele für Jungs, die zwischen Platz 80 und 250 in der Welt stehen. Wenn du dort stehst, ist das Tennisleben eine Achterbahnfahrt. Du spielst ein Turnier hervorragend, beim nächsten spielst du aber dann wieder totale Grütze. Es ist eine Lebensschule, aber es ist hart. Ich bin erst 23 Jahre alt, aber ich habe in den vergangenen Monaten mit großen Motivationsproblemen zu kämpfen gehabt, weil ich immer mehr gemerkt habe, dass die Tour kein Ort der Glückseligkeit ist. Die Tour macht dich nicht glücklich. Ich war wirklich nicht gut drauf, bis ich mich entschieden habe, die Platzierung im Ranking mal beiseite zu schieben. Das Resultat war, dass ich mich zum ersten Mal überhaupt in Wimbledon durch die Quali gespielt habe.
gettyRubin: "Diese Interviews sind stinklangweilig"
Sie habeneinesehrbeeindruckende "Behind the Racquet"-Serie gestartet, in der Sie andereSpieleroffenüberIhreProblemeerzählenlassen. Sogar die New York Times hat Ihnen einenArtikelgewidmet. Was waren die Gründedafür, diese Serie zustarten?
Rubin: Es gab zwei Gründe. Zum einen ist einer meiner engsten Freunde auf mich zugekommen. Er verfolgt Tennis, spielt aber nicht selbst. Er meinte zu mir, dass er es nicht mehr ertragen kann, immer und immer wieder die gleichen Interviews zu hören. Niemand will hören, was Spieler über ihre Vor- oder Rückhand zu erzählen haben, diese Interviews sind stinklangweilig. Er hat Recht. Ich glaube ohnehin, dass Tennis ein bisschen seine Anziehungskraft verliert und die Verbindung zwischen Spielern und Fans verloren geht, wenn wir nichts dagegen machen. Das will niemand hören, ich bin aber fest davon überzeugt, dass es so ist. Und der zweite Grund war, dass ich ein Tabuthema aufbrechen und Spielern eine Plattform geben wollte, um offen wie nie über ihre seelische Gesundheit zu sprechen. Dass wir alle mehr über die Spieler und die Menschen dahinter erfahren. Das Feedback von Spielern und Fans war unglaublich positiv.
Aber die Geschichtenzeichnenteilweiseeinsehrdunkles Bild.
Rubin: Absolut, aber das ist die Wahrheit. Wir sprechen alle nicht genug über diese Themen. Ich bin eng mit Tennys Sandgren und Darian King befreundet, wir kennen uns seit Ewigkeiten. Und dann haben sie mir Geschichten erzählt, die ich trotzdem nicht kannte. Ich wusste nicht, dass Darians Mutter gestorben war, obwohl wir doch eigentlich eine enge Beziehung hatten. Das war so traurig. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft, dass wir selbst mit engen Freunden nicht über diese Sachen sprechen. Diese Erfahrungen haben mich unglaublich motiviert, weiterzumachen und eine Art Botschafter dafür zu werden, dass wir uns öffnen und über unsere psychischen Probleme sprechen. Viele Spieler saßen mir gegenüber und haben geweint. Sie haben mich danach in den Arm genommen und einfach nur danke gesagt, dass sie ihre Geschichte erzählen durften. Diese Momente werde ich nie vergessen. Deshalb werde ich dranbleiben, wir müssen diese Stille durchbrechen. Wir müssen füreinander da sein.
gettyRubin: "Das System war dabei, mich zu brechen"
Ist die Tough-Guy-Mentalitätnachwievor so ausgeprägt?
Rubin: Sie machen sich keine Vorstellung, wie sehr so viele Spieler immer noch Angst davor haben, Schwächen zu zeigen und nach außen irgendwie tough wirken wollen. Aber es ist vollkommener Unsinn. Kein Spieler denkt sich bei 4:4 im dritten Satz: "Oh, der Typ hat ja letztens ganz schön offen über seine Gefühle gesprochen, er ist jetzt bestimmt schwach in diesem Moment."
Für Sie persönlichgesprochen, was warendennIhredunkelstenMomente in IhrerKarrierebislang?
Rubin: Ein Moment war im vergangenen Jahr, als ich sieben Matches in Folge verlor. Ich habe die Quali eines Challengers in Marbella gespielt. Das Match begann um 22 Uhr, es war arschkalt und ich habe in drei Sätzen verloren. 2:6, 6:3, 2:6. Ich sehe mich noch ganz alleine auf der Bank sitzen. Mein Coach war schon ins Hotel gegangen. Die Lichter waren aus. Und ich saß da, habe geweint und dachte mir: "Ich kann es nicht fassen. Ich kann es nicht fassen, dass ich hier in der Quali verloren habe. Vor drei Monaten habe ich noch ein Challenger gewonnen, ich reiße mir den Hintern auf und ich bin nicht in der Lage, ein verdammtes Match zu gewinnen. Nicht eins!" Es war ein Moment, in dem ich realisieren musste, dass Tennis einem gar nichts schuldet. Du kannst so hart arbeiten wie du willst, du kannst trotzdem jedes Match verlieren. Du musst beharrlich dranbleiben und da sein, wenn deine Chance kommt. Ich bin danach ein Level nach unten auf Future-Ebene gegangen, um mich aus dem Loch zu befreien und habe später im Jahr wieder ein Challenger gewonnen. Am Ende hat es mich weitergebracht, aber der Moment war brutal.
Und die zweite Situation?
Rubin: Das war vor einigen Monaten, als viele meiner Freunde schon mein Karriereende vorausgesagt haben. Ich wusste nicht, ob ich den Sport, den ich so liebe, noch weiter ausüben will. Ich habe mich bei Spielern, die in der Weltrangliste um Platz 80 stehen, erkundigt, ob es denn besser wird, wenn man mal so weit vorne steht. Ihre Antwort war aber wenig überzeugend. Ja, du spielst ein paar größere Matches, aber finanziell wird es nicht viel besser, wenn du einen eigenen Coach und Physiotherapeuten hast. Dann verdienst du nicht so viel Geld. Und der Druck hört ja auch nie auf. Ich war in einem ziemlich tiefen Loch. Wie gesagt, ich liebe diesen Sport, aber das System war dabei, mich zu brechen. Meine Freundin hat gewitzelt, ob denn alle Spieler so fertig seien? Sie dachte, das wäre nur ich. (lacht) Nein, es ist nur so, dass jetzt viele offener darüber sprechen. Es kann einem Angst machen, wie der Zustand ist. Ich hoffe sehr, dass die Leute an der Spitze verstehen, dass wir Tennis verändern müssen. Für die Spieler und für die Fans. Es muss etwas passieren.
Die breiteÖffentlichkeitdenktan daswieder mal epischeWimbledon-Finale zwischen Novak Djokovic und Roger Federer und siehtvermutlichkeinegrößerenProbleme.
Rubin: Es ist schön, dass wir dieses großartige Finale hatten und dass die Leute darüber sprechen, aber in der Gesamtbetrachtung ist ein Wimbledon-Finale, so episch es auch sein mag, so ein minimaler Bestandteil. Tennis hat so viele Probleme. Problem Nummer eins: Die Saison ist viel zu lang und die Matches sind auch viel zu lang. Wir haben eine Saison, die elf Monate dauert. Das ist brutal für uns Spieler, dein Körper fühlt sich echt wie Müll an danach, und es ist auch brutal für die Fans, die jede Woche ein Turnier verfolgen sollen. Dass die Matches zu lang sind für die großen TV-Anstalten, die nicht wissen, ob ein Match zwei oder fünf Stunden dauert, ist ja auch kein Geheimnis. Aber nicht nur das, es führt auch dazu, dass viel abgeschenkt wird. Aber nicht, weil die Spieler keinen Bock haben. Wir sind einfach müde. Deshalb schenken wir den vierten Satz auch mal her, wenn wir ein Break kassiert haben, um irgendwie für den fünften Satz bereit zu sein.
Nick Kyrgios schenktschonvieleSätze und Matches her.
Rubin: Kyrgios überschreitet sicherlich manchmal die Grenzen, aber er tut dem Sport gut. Wir brauchen diesen Charakter. Wir brauchen einen Bösewicht, so wie es früher John McEnroe war, und Kyrgios nimmt diese Rolle liebend gerne an. Er bringt auch andere Leute dazu, Tennis zu schauen.
gettyRubin: "Meine große Idee ist, dass wir vier Ligen kreieren"
In Wimbledon liefertesich Kyrgios eingroßes Match mit Rafael Nadal. Was in Wimbledon abervorallemauffiel, waren dievielen Absagen während des Turniers.
Rubin: Acht Spieler ziehen zurück, wir haben Matches, die vier Stunden dauern. So bringen wir Tennis nicht auf das nächste Level, so töten wir den Tennissport. Wir sind auf dem besten Weg dazu, was einfach nur traurig ist. Ich habe mein Leben dem Tennis gewidmet, aber wir müssen etwas verändern. Tennis ist so ein antiquierter Sport geworden. Wir müssen die Kids wieder begeistern, Festivals organisieren, interaktiver werden. Das schaffen wir so aber nicht. Ich habe Matches bei Grand Slams gespielt, da haben 40 Leute zugeschaut. Es gibt Bilder von Damen-Matches bei Grand Slams, da zähle ich zehn Zuschauer. Ich habe mal in Genf gegen Marcos Baghdatis gespielt, auch da waren vielleicht 40 Zuschauer da. Es ist ja gut, wenn die Grand Slams mehr Geld verdienen als je zuvor, aber das sind nur vier Turniere im Jahr. Wir dürfen deshalb nicht die Augen vor den Problemen verschließen. An vielen Orten kommt niemand mehr zum Zuschauen, an vielen Orten stirbt Tennis aus. Ich hoffe, wir können den Sport zum Wohle der Fans und der Spieler verändern. Die Nummer 150 der Welt muss davon leben können, es ist absolut notwendig.
Was würden Sie konkretverändern?
Rubin: Ich habe ein Modell entwickelt für eine Saison, die neun Monate dauern würde - mit einer dreimonatigen Offseason. Meine große Idee ist, dass wir vier Ligen kreieren. Nordamerika, Südamerika, Europa und Asien/Australien.
Rubin: "Die meisten Leute haben keine Ahnung, wer die kleinen Turniere gewonnen hat"
Ligen? Im Profi-Tennis?
Rubin: Ja, vier Ligen, in denen es dann verschiedene Divisionen gibt. Ich will eine Team-Atmosphäre schaffen auf der Tour. In diesen Team-Wettbewerben kannst du aber natürlich Punkte für die Weltrangliste sammeln und dich für die Grand Slams und die Masters-Turniere qualifizieren. Ich würde alle Grand Slams und sieben oder acht der Masters-Events behalten und drumherum diesen neuen Team-Wettbewerb erfinden. Sie denken sicher, ich sei verrückt und dass das niemals funktionieren kann.
Nein, aber ich bin Traditionalist. Das wäre die größteVeränderungallerZeiten.
Rubin: Ich weiß. Vielleicht funktioniert es auch nicht, aber ich denke, dass wir eine ganz neue Idee brauchen. Es gibt sicher viele tolle kleinere Turniere auf der Tour, aber ganz ehrlich: Die meisten Leute haben keine Ahnung, wer diese Turniere gewonnen hat. Viele Leute wissen nicht mal, wer ein Masters-Turnier gewonnen hat. Das ist die Realität. Bei meinem Modell hätten wir elf große Turniere und für den Rest des Jahres steht eine Team-Championship im Vordergrund. Du hast als Spieler dein festes Gehalt und reist mit dem Team. Es mag verrückt klingen, aber so könnten wir sicherstellen, dass die Nummer 300 Geld verdienen kann und dass die Fans hoffentlich wieder mehr Lust auf Tennis entwickeln.
Wiegenaukönnte das fürmehrVerbindung von Fans zuSpielernsorgen?
Rubin: Stellen Sie sich doch mal vor, ich spiele bei einem Grand Slam gegen Federer. Normalerweise kennt mich kein Mensch. Aber wenn ich vorher mit Roger zusammen im Team der Swiss Lasers gespielt habe, kennen sie mich plötzlich und haben dann auch beim Grand Slam eine ganz andere Connection zu mir.
Aber die Grand Slams bleiben so, wiesiesind?
Rubin: Ja, die Grand Slams würde ich im ersten Schritt so lassen. Die Grand Slams sind unsere erfolgreichsten Turniere, sie sind die einzigen Turniere, die Geld verdienen. Sie haben die Argumente auf ihrer Seite. Das heißt aber nicht, dass ich dort keine Probleme sehe. Best-of-five ist nicht die Zukunft. Zumindest nicht in dem Maße, wie es aktuell läuft. So wird Tennis nicht wachsen. Vielleicht könnten wir darüber nachdenken, ab dem Viertelfinale Best-of-five zu spielen, das könnte ich mir vorstellen. Wichtiger ist ein Commitment zur Veränderung. Vor Wimbledon habe ich wieder eine E-Mail bekommen, dass ich nicht vergessen soll, dass absolut alles in weiß sein muss. Das ist auch in Ordnung. Aber wenn wir bei anderen Dingen genauso dahinter wären wie bei der weißen Unterhose in Wimbledon, dann wäre der Tennissport in einem viel besseren Zustand.
Rubin: "Ich habe leider die Handynummer von Roger nicht"
Aber wiesollenVeränderungenvorangetriebenwerden, wennsich die Spielerselbstnichteinigsind. Stichwort: Die StreitereienimSpielerrat.
Rubin: Sie haben Recht. Es ist erschreckend, was da alles passiert ist. Ich kann alle Spieler verstehen, die zurückgetreten sind, weil sie keine Möglichkeit gesehen haben, etwas zu beeinflussen. Aber einfach wegzulaufen, wenn es schwierig wird, kann auch nicht die Lösung sein. Eines der großen Probleme ist, dass die Jungs an der Spitze nicht komplett verstehen, dass wir Spieler weiter unten in der Rangliste wirklich große Probleme haben.
Die Probleme sind weit weg von meinem Leben, wenn ich in den Top 10 stehe.
Rubin: Nur weil du 20 Millionen im Jahr verdienst, solltest du aber trotzdem nicht vergessen, dass auch du vor fünf Jahren vielleicht noch bei einem Challenger für 1000 Dollar gespielt hast. Leider wird das aber schnell vergessen. Wir brauchen mehr Spieler, die die Probleme direkt ansprechen. Ich habe leider die Handynummer von Roger nicht. (lacht) Aber Venus Williams hat sich zum Beispiel geäußert und unterstützt uns, das ist sehr hilfreich. Ich werde meine verschiedenen Plattformen weiter nutzen und für meine Überzeugungen kämpfen.
Ist das nichtallesenormviel, nochspielen Sie ja vorallem Tennis?
Rubin: Es ist sehr schwierig, die Balance zu finden. Gleichzeitig komme ich aus Long Island und trage die New Yorker Mentalität in mir. Ich mag es, wenn ich tausend Sachen parallel zu bewältigen habe. Ich glaube, dass es auch meinem Tennis hilft, weil es mir den Druck nimmt, dass ich außerhalb des Courts so viele Projekte habe. Auf dem Platz kann ich so einfach Spaß haben. Manchmal muss ich durchatmen, meine Freundin erinnert mich dann immer daran, wenn es zu viel wird. Aber ich liebe das, was ich tue. Ich will Dinge bewegen im Leben. Ich habe mir das in den Kopf gesetzt und ich werde den Tennissport verändern, versprochen.