Timo Boll trottete mit einem schwarzen Rollkoffer im Schlepptau aus der leeren Halle, die nächste olympische Einzel-Enttäuschung hatte ihn unerwartet und daher tief getroffen. "Tischtennis ist meine große Liebe - natürlich bin ich frustriert. Ich dachte, dass ich ganz gut drauf bin", sagte der 40-Jährige. Wenige Minuten zuvor war in Tokio sein Traum von der ersten Einzel-Medaille bei Olympischen Spielen erneut geplatzt.
Zum vierten Mal in Folge scheiterte Boll schon im Achtelfinale. Seine Liebe zu den fünf Ringen, sie bleibt im Einzel seit seinem Debüt 2000 in Sydney auf rätselhafte Art unerwidert. "Ich habe heute immer aufs falsche Pferd gesetzt. Nichts hat funktioniert", sagte der Europameister nach dem deutlichen 1:4 gegen den Südkoreaner Jeoung Young Sik mit leiser Stimme.
Für das Kontrastprogramm im deutschen Lager sorgten der London-Dritte Dimitrij Ovtcharov und Abwehrstrategin Han Ying. Ovtcharov ist in seinem dritten Olympia-Viertelfinale nacheinander einer von nur noch zwei Europäern. Han sorgte durch ein 4:1 gegen die Weltranglistenneunte Feng Fianwei (Singapur) für eine Überraschung und steht ebenfalls unter den besten Acht.
Olympia - Boll: "Es ist noch lange hin bis Paris"
Bolls Olympia-Bilanz bleibt dagegen übersichtlich - zumindest gemessen an seiner furiosen Karriere. Bei sechs Sommerspielen sprang nur ein einziges Viertelfinale heraus, 2004 in Athen. "Man muss aber auch anerkennen: Die Gegner, gegen die ich gerade bei Olympia verloren habe, haben immer gut gespielt", sagte Boll. Auch in der Niederlage blieb er eben ganz Gentleman.
Und jetzt? Wird Boll 2024 einen siebten Anlauf wagen? Das weiß der frühere Weltranglistenerste selbst nicht. "Es ist noch lange hin bis Paris. Und gerade in meinem Alter wird jedes Jahr länger und länger. Ich schaue einfach von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat", sagte er. Und schob dann doch noch hinterher: "Wenn ich 2024 immer noch in der Form bin, um zum Team zu gehören - warum nicht?"
Jenes Team soll Boll nun auch in Tokio aufrichten. Am Sonntag beginnt der Mannschaftswettbewerb, in dem Deutschland zuletzt einmal Silber (2008) und zweimal Bronze (2012, 2016) holte. Auch in diesem Jahr soll eine Medaille her. "Es war bei Olympia ja meistens so, dass ich eine Enttäuschung wegstecken musste, und danach lief es dann ganz gut im Team", sagte Boll. Eine Wiederholung ist durchaus erwünscht.
Für Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf ist Bolls Karriere ohnehin schon "perfekt", auch ohne Einzel-Medaille. "Er hat ja auch schon Medaillen bei allen großen Turnieren, das können nicht viele sagen. Eine Medaille im Einzel würde sein Leben nicht mehr verändern", hatte Roßkopf schon vor Tokio dem SID gesagt.
Aber noch gibt es ja ein Ziel. Ob er sich für den Teamwettkampf überhaupt motivieren könne, wurde Boll noch gefragt. "Aber sicher. Genau deshalb stehe ich hier noch mit 40", sagte er. Tischtennis bleibt eben seine große Liebe. Das olympische Einzel eher weniger.