Dimitrij Ovtcharovs Hoffnung auf die zweite olympische Einzel-Medaille lebt. Zu verdanken hat er das einer furiosen Aufholjagd.
Dimitrij Ovtcharov hob den Blick zur Hallendecke und schloss erleichtert die Augen: Der Sprung ins olympische Halbfinale war perfekt, seine nächste Medaille im Einzel weiterhin möglich - der frühere Weltranglistenerste lebt in Tokio damit Timo Bolls unerfüllten Traum. Mit Power-Tischtennis und Nervenstärke riss der London-Dritte bei seinem 4:2-Viertelfinalsieg gegen den Weltranglistensiebten Hugo Calderano (Brasilien) ein fast schon verloren geglaubtes Spiel noch aus dem Feuer. Dank einer furiosen Aufholjagd spielt er als letzter Europäer um einen Podestplatz.
Mit 0:2 Sätzen und 4:8 lag der ehemalige Weltcupsieger schon zurück und schien wie tags zuvor schon Europameister Boll bereits vor den Medaillenrunden zu scheitern. "Bei mir ist erst gar nichts zusammengelaufen, ich habe schlecht gespielt. Ich habe mir nur immer wieder gesagt, 'Dima, bleib dran und such deine Chance'. Als sein Vorsprung immer kleiner wurde und er eine Auszeit nahm, habe ich gemerkt, dass er wackelt", beschrieb Ovtcharov die entscheidende Phase.
Trotz des Happy Ends für den 32-Jährigen mochte Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf seine Unzufriedenheit mit Ovtcharovs Vorstellung in der Anfangsphase nicht verhehlen. "Es hat gereicht, aber das ist ein Olympia-Viertelfinale gewesen, da muss man besser spielen. Dima war überhaupt nicht anwesend und hat erst gar keine Antworten gefunden", monierte der ehemalige Doppel-Weltmeister.
Olympia: Auf Ovtcharov wartet der "Dominator"
Erst danach erkannte Roßkopf seinen Schützling wieder: "Das ist seine Stärke: Zurückkommen, mental dran bleiben, über Kampf zurück ins Spiel finden und dann am Schluss auch noch spielerisch glänzen", meinte der 52-Jährige mit Blick auf die zunehmende Präzision von Ovtcharovs Schlägen in den mitunter mitreißenden Vorhandrallyes gegen den Panamerika-Champion und früheren Bundesliga-Spieler.
Im Halbfinale (Donnerstag/9.00 Uhr im LIVETICKER) fordert der 32-Jährige niemand geringeren als Chinas Weltmeister und Rio-Sieger Ma Long heraus. "Ich habe dieses Spiel gegen ihn schon lange im Kopf. Ich habe wohl schon oft gegen ihn verloren, aber ich freue mich." Womöglich gerät das Duell jedoch zu einem fragwürdigen Vergnügen: In allen 18 offiziellen Begegnungen mit dem "Dominator" aus dem Reich der Mitte ging Ovtcharov als Verlierer aus der Box.
Das Vorschlussrunden-Duell ist für den zweimaligen Europameister allerdings auch nur die erste von zwei Gelegenheiten auf eine Wiederholung seines Coups von London. Im Falle einer weiteren Niederlage gegen Ma würde sich dem Weltranglistenachten im Spiel um Bronze gegen den chinesischen Weltranglistenersten Fan Zhendong oder den Taiwanesen Lin Yun-Ju eine weitere Chance auf seine insgesamt fünfte Olympia-Medaille bieten.
Völlig chancenlos hatte sich zuvor Han Ying (Düsseldorf/Tarnobrzeg) als letzte Spielerin des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) im Viertelfinale verabschiedet. Beim 0:4 gegen die chinesische Weltranglistendritte Sun Yinsha stand die Abwehrstrategin auf verlorenem Posten. Der DTTB muss damit weiter auf seine erste Olympia-Medaille im Damen-Einzel warten.