Bei den Olympischen Spielen in Tokio krönt sich ein Italiener zum schnellsten Mann der Welt, ein Fast-Schwabe zum besten Golfer - und ein Deutscher zum besten Tennisspieler. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem eins: die Familie. Olympia kompakt.
"Da muss man sich wahrscheinlich dann grundsätzlich fragen, das ist ja sportartübergreifend zu beobachten in Deutschland: Wie ist der Stellenwert des Sports? Das gilt meiner Ansicht nach nicht nur für die Schwimmer. Gut, es gibt Mannschaftssportarten - Hockey, Dressur, so Klassiker - wo die Deutschen bei Olympischen Spielen zuschlagen, aber wenn es trainingsintensiv wird und wenn das viele Nationen weltweit auf höchstem Niveau betreiben, wenn es Stipendien gibt wie in den USA, wenn es ein kluges Sportsystem gibt wie in Australien, wo Sportler auch eine Menge wert sind, wo Olympioniken fast Heldenstatus haben. Oder die asiatischen Länder, wo es lebenslange Renten gibt, teilweise schon für Universiade-Medaillen. Da ist man, das muss man sich dann auch ehrlich eingestehen, im deutschen Sport weit, weit davon entfernt.
Es geht auch darum, den Sportlern Perspektiven aufzuzeigen: Warum soll ich mich denn als Zehn-, Zwölf, 14-, 16-Jähriger durch diese Trainingseinheiten schinden und quälen? Klar, man muss Spaß haben. Aber was ist die Perspektive, was habe ich davon später? [...] Da, muss man dann auch ganz ehrlich sagen, tun andere Länder für ihre Leute mehr. Wenn man es möchte. Man kann ja auch sagen: Gut, ist uns nicht wichtig. Dann muss man auch nicht jammern, dann müssen die Reporter auch nicht jedes Mal da sitzen und sagen: Es ist wieder keiner dabei."
Gesagt von ZDF-Kommentator Tom Bartels. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die wichtigsten Entscheidungen des Tages (Vorschau auf Tag 11)
Sportart | Entscheidungen |
Schwimmen | Dressel gewinnt über 50 Meter Freistil Gold |
Schwimmen | Bronze! Wellbrock stark über 1500 Meter Freistil |
Golf | Gold an US-Star - irres Finish um Bronze |
Segeln | Buhl schrammt knapp an Medaille im Laser vorbei |
Tennis | Alexander Zverev schreibt deutsche Tennis-Geschichte |
Turnen | Stufenbarren: Seitz verpasst Medaille ganz knapp |
Leichtathletik | Weltrekord im Dreisprung durch Rojas |
Leichtathletik | Novum: Zweimal Gold im Hochsprung |
Leichtathletik | Sensationell! Italiener wird Bolt-Nachfolger |
Was sonst noch wichtig war:
Leichtathletik: "Familie" ist zurzeit nicht nur im neunten Teil einer ganz bestimmten Kino-Franchise angesagt. Auch im Kampf um den Titel "schnellster Mann der Welt" spielte die Familie eine entscheidende Rolle. So hätten die USA heute eigentlich ihre Durststrecke über die 100 Meter endlich beenden können, zumal der große Rivale Jamaika nicht einmal im Endlauf vertreten war. Stattdessen freut sich jetzt Italien - ist ja nicht so, als hätten die mit dem ESC und der EM dieses Jahr noch nicht genug gewonnen. Sieger Lamont Marcell Jacobs ist in El Paso geboren und hätte für die USA starten können, aber die Mutter ist Italienerin. So ging es in jungen Jahren zurück auf den Stiefel - und dort wird jetzt auch Olympiagold gefeiert. Mit wem? "Ich möchte meiner Familie danken, die mich immer unterstützt hat. Meinen Kindern Anthony und Jeremy und meiner Mutter, die seit meiner Kindheit mein größter Fan ist." Salute Mi Familia!
Golf: Familie, die zweite! Schauffele, mit dem Namen muss man eigentlich aus Nürtingen kommen, Gsälz aufs Weggle schmieren und für die Kehrwoche die Kuddrschaufl zur Hand nehmen. Stattdessen spielt der gute Xander Golf für die USA. Weil Vater Stefan eben nach Kalifornien auswanderte, nachdem seine Zehnkampf-Karriere durch einen betrunkenen Autofahrer zunichte gemacht worden war. Jetzt ist er Schwungcoach von Xander, der ihm seinen Sieg widmete. "Ich wollte für ihn gewinnen. Das bedeutet mehr als alles andere", sagte der Sohnemann, der auch einen deutschen Pass hat. Fast wären wir Olympiasieger im Golf geworden ... Das Gold für 2024 ist übrigens schon vergeben. Zitat Schauffele: "Die nächsten Spiele sind in Paris. Da habe ich auch Familie."
Tennis: Einer geht noch! Nicht für sich selbst wollte Sascha Zverev die Goldmedaille unbedingt gewinnen, sondern für ganz Deutschland. Und für die deutschen Athleten im Olympischen Dorf. Wie eine Familie seien die Sportler dort zusammengewachsen, betonte er auf seiner Interview-Tour immer wieder. Im deutschen Haus will er den Sieg jetzt auch gebührend feiern. Zuvor schickte er aber noch Grüße in die Heimat": Danke an meine Familie, meine Mannschaft, meine Fans und jeden der mich und ganz Deutschland unterstützt hat!!!", schrieb er auf Instagram. Wer hätte gedacht, dass Alexander Zverev mal in einer Reihe mit den ganz großen Namen steht, mit Marc Rosset (Gold 1992) und Nicolas Massu (2004). Und die Russen ärgern sich wohl gerade, dass er nicht für sie auf Medaillenjagd geht ...
Jubel des Tages: Mischa Zverev und Markus Theil
Das erlebt man nicht alle Tage, dass man in der Kommentatoren-Kabine sitzt, während der eigene Bruder Gold für Deutschland gewinnt. Und so konnte sich Mischa Zverev nach dem Matchball gar nicht mehr zurückhalten und wusste nicht, wohin mit seinen Emotionen. Flugs wurde die Plexiglas-Scheibe zwischen ihm und Eurosport-Kommentator Markus Theil überwunden, Mischa musste in diesem Moment einfach mal jemanden drücken. Ein richtig schöner Moment (gehen wir mal davon aus, dass beide geimpft sind)!
Despot des Tages: Viktor Lukaschenko
Man muss sich ja irgendwie zeigen, im internationalen Wettkampf der Autokraten und Superschurken. Dachte sich wohl - und wollte seine Athletin Krystsina Tsimanouskaya schnurstracks aus Tokio zurück nach Belarus entführen lassen. Der Grund: Tsimanouskaya hatte auf Instagram, kritisiert, dass Teamkolleginnen nicht oft genug auf Doping getestet worden waren und deshalb nicht bei den Spielen antreten konnten. Klingt ein bisschen nach Kritik an der Regierung, also sollte die 24-Jährige wegen "ihres emotionalen Zustands" gegen ihren Willen direkt in den nächsten Flieger gesetzt werden. Dort schaltete sie zusammen mit der Belarusian Sports Solidarity Foundation (BSSF) die japanische Polizei ein. Tsimanouskaya ist erst einmal sicher, nach Belarus zurückkehren will sie nicht. Stattdessen will sie in Deutschland oder Österreich Asyl beantragen.
Bescheidenheit des Tages: Caeleb Dressel
Bei den Amis vermutet man ja meistens die klassische "Wo ich bin, ist vorn!"-Mentalität, mit Zurückhaltung haben sie es oft nicht so. Hätte man bei Dressel auch vermuten können, der letzte Nacht seine Goldmedaillen vier und fünf bei diesen Spielen einfuhr. Stattdessen gab es leise Töne vom Meister der Kurzstrecke. "Ich glaube nicht, dass das fair gegenüber Michael ist", sagt er über Vergleiche mit Landsmann Phelps: "Er ist ein viel besserer Schwimmer als ich. Ich habe überhaupt keine Probleme, das zuzugeben." Was bei Dressel gar nicht hoch genug einzuschätzen ist: Er hat das "Moneyball"-System in seinem Sport erfolgreich angewendet. Wo lässt sich am einfachsten noch die eine oder andere Zehntel herauspressen? Beim Start. Und so gewinnt er seine Rennen schon auf den ersten 15 Metern.
Sitzstreik des Tages: Mourad Aliev
Wer seinem Gegner beim Boxen einen Kopfstoß verpasst, ist raus. So weit, so gut. Wer seinem Gegner aber keinen verpasst und trotzdem disqualifiziert wird, dem bleibt nur noch ein veritabler Sitzstreik. So gesehen beim französischen Superschwergewichtler. "Das ist unfair, jeder hat gesehen, dass ich gewonnen habe", schrie der, und erklärte im französischen Fernsehen, dass die Kampfrichter ihm sogar zustimmen würden: "Sie erkennen an, dass sie einen Fehler gemacht haben, aber wie es in den Regularien steht, können sie die Entscheidung nicht rückgängig machen. Das ist ein Skandal." Das ist es allerdings. Und uns fällt in diesem Zusammenhang sofort Jon "I did not move!" Drummond bei der Leichtathletik-WM 2003 ein (ab 1:33).
Sprüche des Tages
"Ich habe ein goldenes Ding um den Hals - und das ist nicht eine der 50 Ketten, die ich sonst trage." (Alexander Zverev über seinen Olympiasieg)
"Wir sind überglücklich. Die Jungs haben ein breites Grinsen im Gesicht. Wenn die keine Ohren hätten, dann würden sie im Kreis lachen." (Hockey-Bundestrainer Kais al Saadi nach dem Halbfinal-Einzug)
"Wir freuen uns einfach. Jetzt kann auch Taka-Tuka-Land kommen, es ist uns nicht wichtig." (Al Saadi über den Wunschgegner im Halbfinale)
"Ich als ehemalige Mehrkämpferin, zwischen all den großen Frauen sehe ich da vielleicht doch ein bisschen schmaler aus. Aber ich habe es mir heute bewiesen, ich habe es mir in der Quali bewiesen, dass ich verdammt nochmal hierher gehöre. Und da bin ich stolz drauf." (Kugelstoßerin Sara Gambetta nach Platz acht im Finale)
"Das ist doch für uns ein Spaßmacher jetzt. Wir werden alles geben, alles probieren und hoffentlich ein super Spiel hinhauen." (Basketball-Bundestrainer über das Duell mit Slowenien und Luka Doncic)
"Ich habe sechs Wochen aus dem Koffer gelebt. Und jetzt, wo sich die Dinge endlich bessern, kommst du zum Flughafen und stellst fest, dass derzeit kein Bier verkauft wird." (Simon Geschke nach dem Ende seiner Olympia-Quarantäne)
"Es sind Leute hier, die nicht hier sein sollten. Ich bin nicht gegen jemanden aus einem Land geschwommen, der hätte gesperrt werden müssen, aber stattdessen nur einen Klaps auf die Hand und eine andere Flagge bekommen hat. Ich persönlich war also nicht betroffen. Aber Ryan schon." (US-Schwimmerin Lilly King verteidigte Ryan Murphy nach dessen Dopingvorwürfen in Richtung Russland)
Zahlen des Tages
0.100: Punktzahl, die Elisabeth Seitz am Ende im Stufenbarren zu einer Medaille fehlte. Sie bekam für ihre Übung 14.400 Punkte, Bronze ging an die Amerikanerin Sunisa Lee (14.500).
3: Kreuzbandrisse hatte sich die brasilianische Turnerin Rebeca Andrade in den letzten Jahren zugezogen, allesamt im rechten Knie. Jetzt gewann die 22-Jährige Gold am Sprung.
7: Medaillenausbeute der Australierin Emma McKeon in Tokio: viermal Gold, dreimal Bronze.
11: Deutschlands Platzierung im Medaillenspiegel (4-4-11).
15,67: Die Weite von Yulimar Rojas' neuem Weltrekord im Dreisprung. 26 Jahre hatte zuvor der Weltrekord der Ukrainerin Inessa Kravets (15,50 Meter) Bestand gehabt.
61: Schlussrunde von Golfer Rory Sabbatini. Zehn Schläge unter Par - und damit Silber für die Slowakei.
1:14: Niederlage der Wasserballerinnen Südafrikas gegen Australien. Torverhältnis nach vier Spielen: 7:97.