Milorad Cavic kam bei den Olympischen Spielen 2000 und 2004 nie über das Halbfinale auf seiner Paradedisziplin - den 100 Metern Schmetterling - hinaus. 2008 sollte nun endlich der große Durchbruch kommen. Der Einzug ins Finale war bereits geschafft, der größte Erfolg seiner Karriere schon gesichert. Nun war es Zeit für die Kür eines starken Turniers.
An jenem 16. August 2008 wirft Cavic im Nationalen Schwimmzentrum von Peking alles in die Waagschale. Schon bei der einzigen Wende des Rennens scheint dem 24-Jährigen der Sensationssieg sicher.
Doch auf den letzten 50 Metern wuchtet sich der US-Amerikaner Michael Phelps mit gewaltigen Armzügen heran. Und mit dem letzten, perfekt getimten Zug schnappt Phelps dem Serben die Goldmedaille weg - mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung. Cavic kann es nicht fassen.
Der serbische Schwimmverband legte Protest gegen das Resultat ein - ohne jedoch einen Regelverstoß hervorbringen zu können. Es war eine Form von Hilflosigkeit, wie sie 2008 wohl die gesamte Schwimmwelt angesichts der drückenden Dominanz des Michael Phelps befallen hat.
Acht Starts, acht Goldmedaillen
Die chinesische Glückszahl 8 brachte Phelps in Peking Erfolg: In acht Disziplinen ging er an den Start, zwei Mal davon in der Staffel. Nach acht Wettkampftagen hingen acht Goldmedaillen um den Hals des 1,93 Meter großen Hünen, der dabei sieben neue Weltrekorde aufgestellt hat - ein Rekord für die Ewigkeit.
Neben dem Foto-Finish gegen Cavic blieb auch der Staffelsieg über die 4 x 100 Meter in Erinnerung, als US-Schlussschwimmer Jason Lezak einen uneinholbar scheinenden Rückstand gegen den Franzosen Alain Bernard noch aufholte.
Schon bei den Olympischen Spielen von Athen 2004 gewann Phelps sechs Mal Gold und zwei Mal Bronze. Mit insgesamt 14 Olympiasiegen steht er einsam an der Spitze. Noch zweimal Edelmetall und er holt den olympischen Medaillenrekord der sowjetischen Kunstturnerin Larissa Latynina ein.
Sieg über das Familientrauma
Dabei litt Phelps während seiner Kindheit in Baltimore an der US-Ostküste unter der Hyperaktivitätsstörung ADHS. In der Grundschule konnte er sich kaum konzentrieren. Zwei Jahre lang wurde Phelps mit Ritalin behandelt, um seine Konzentration aufrecht zu erhalten, ehe er das Stimulans mit elf Jahren auf eigenen Wunsch absetzte.
Um seine überschüssige Energie loszuwerden, folgte er mit sieben Jahren dem Beispiel seiner älteren Schwester Whitney und begann zu schwimmen.Whitneys Karriere verlief zunächst vielversprechend. Die Olympischen Spiele im eigenen Land 1996 sollten zu ihren werden, doch bei den US Trials 1996 verpasste sie als Favoritin über 200 Meter Schmetterling die Qualifikation für Atlanta. "Die Niederlage hinterließ eine Narbe. Sie überforderte uns. Wir waren zerstört", erinnerte sich Michael, der damals im Publikum saß.
Auch deshalb flossen in Peking die Tränen, als Phelps nach der achten Goldmedaille mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern jubelte: "Mom hat geweint. Meine Schwester hat geweint. Ich habe geweint. Alles, wovon ich geträumt habe, ist wahr geworden."
Das Ziel: Revolution des Schwimmsports
Den Grundstein dafür legte Phelps durch quälende, harte Arbeit: "Essen, Schlafen, Schwimmen - das ist alles, was ich kann", sagte er während der Olympischen Spiele zu "NBC". Tatsächlich beschreibt dies die Essenz seines üblichen Tagesablaufs: Sechs Tage die Woche trainiert Phelps jeweils fünf Stunden, nimmt strikt 12.000 Kalorien pro Tag zu sich - sechs Mal so viel wie ein normaler Erwachsener.
Doch die Plackerei zahlt sich aus: Den Schwimmsport hat Phelps in den USA wieder in den Fokus gerückt, so wie es Ian Thorpe zuvor in Australien gelang. Sein Ausrüster "Speedo" belohnte Phelps' wahnwitzige Medaillenjagd in China mit einer Prämie von einer Million Dollar, die umgehend in die "Michael Phelps Foundation" zur Unterstützung von Wasserschutzprogrammen und der Jugendarbeit im Schwimmsport ging.
Denn seine Sportart sieht der Rekordolympionike längst nicht am Limit: "Ich wollte den Schwimmsport verändern, und er hat sich in den letzten zwölf Jahren unglaublich geändert. Aber da geht noch mehr. Im Moment weiß ich nicht, was, aber ich bin sicher, dass uns etwas einfallen wird, um den Sport noch spannender zu machen. Wir können Dinge tun, die die Sportwelt nie zuvor gesehen hat", so Phelps im Sommer 2012 zu "ESPN".
Unstetes Privatleben
Doch nicht immer bewies Phelps zuletzt eine derartige Weitsicht: Im November 2004 wurde er wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet und zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im August 2009 stellte sich heraus, dass der Schwimmer Auto fuhr, ohne einen gültigen Führerschein zu besitzen.
Kurz zuvor geriet ein Foto an die Öffentlichkeit, auf dem Phelps einen Zug an einer Wasserpfeife nimmt. Zwar konnte der Konsum von Marihuana nicht nachgewiesen werden, weshalb strafrechtliche Konsequenzen ausblieben. Doch Phelps musste den öffentlichen Imageschaden, eine dreimonatige Sperre durch den US-Schwimmverband und den Verlust eines lukrativen Werbevertrages hinnehmen.
Auch Phelps selbst macht keinen Hehl daraus, dass die Zeit nach seinem ultimativen Triumph in Peking schwer war: "Die letzten vier Jahre waren hart, und von nun an wird es immer härter. Es wird Zeit, aufzuhören und andere Dinge zu tun", sagte Phelps am Rande der US Trials Anfang Juli 2012 zu "ESPN". Es war sein letzter Auftritt auf US-amerikanischen Boden als aktiver Schwimmer.
London als letzte große Bühne
Von der Weltbühne verabschiedet sich Phelps bei den Olympischen Spielen in London mit der Aussicht, den ewigen olympischen Medaillenrekord zu knacken. Doch die Zeiten seiner Ein-Mann-Herrschaft sind vorbei: Bei der WM 2009 im Rom fügte der Deutsche Paul Biedermann Phelps die erste Niederlage nach fünf Jahren zu.
Im April 2011 endete Phelps' unglaubliche neunjährige Siegesserie in seiner Lieblingsdisziplin über 200 Meter Schmetterling. Zudem lauert mit Ryan Lochte nun auch in den USA ein ernstzunehmender Konkurrent.Ein kleines Zugeständnis hat Phelps der starken Konkurrenz im Hinblick auf London 2012 schon gemacht: Er wird auf einen Start über die 200 Meter Freistil verzichten, um sich optimal auf die anderen Disziplinen vorbereiten zu können.
Die Wiederholung seines Kunststücks vom Wasserwürfel in Peking ist damit ausgeschlossen. Doch ein letztes Mal könnte Phelps die Siegträume der Konkurrenz dennoch zum Platzen bringen.