Die Ziellinie überquerten sie noch in geduckter Haltung, dann rissen Stephanie Beckert, Daniela Anschütz-Thoms und Katrin Mattscherodt fast synchron die Arme in die Höhe: Das Trio ist in einem dramatischen Team-Wettbewerb ohne die völlig entkräftete "Stolperkönigin" Anni Friesinger-Postma zur Goldmedaille gerast und hat an einem denkwürdigen Finaltag der deutschen Eisschnelllauf-Mannschaft in Richmond doch noch den ersehnten ersten Olympiasieg beschert.
Im Ziel des Endlaufes hatte der "Deutschland-Express" ganze zwei Hundertstelsekunden Vorsprung auf Japan, nachdem er eingangs der Schlussrunde noch 1,14 Sekunden Rückstand gehabt hatte.
"Das war ein Auf und Ab der Gefühle", sagte Friesinger-Postma und lobte Stephanie Beckert: "Sie war unsere Lokomotive, sie hat die Mädels auf den letzten zwei Runden gezogen." In der Tat: Beckert hatte auf den letzten zwei Runden allein die Führungsarbeit übernommen.
Schon das Halbfinale gegen die USA wird einen Ehrenplatz in den deutschen Olympia-Annalen erhalten. In einer an Dramatik kaum zu überbietenden Schlussrunde stolperte Friesinger-Postma mehrfach, lief weit hinter ihren Partnerinnen hinterher und rutschte am Ende verzweifelt und völlig entkräftet bäuchlings über die Ziellinie.
Freudentränen bei Friesinger-Postma
Zunächst dachte die 16-malige Weltmeisterin, sie hätte es verbockt und hämmerte frustriert mit der Faust aufs Eis. Als sie nach etwa einer halben Minute realisierte, dass es mit zwei Zehntelsekunden Vorsprung trotzdem fürs Finale gereicht hatte, vergoss sie Freudentränen.
Im Endlauf anderthalb Stunden später ging Bundestrainer Markus Eicher kein Risiko mehr ein und schonte Friesinger-Postma. Die Rechnung ging mit Ersatzläuferin Mattscherodt auf, doch auch Friesinger-Postma erhält ihre Goldmedaille. Bronze ging an Polen, das sich im kleinen Finale gegen die USA durchsetzte.
Wiederholung von Turin
Friesinger-Postma und Anschütz-Thoms wiederholten damit ihren Team-Olympiasieg von Turin, wo sie vor vier Jahren mit Claudia Pechstein triumphiert hatten. Den beiden Golden Girls gelang damit nach enttäuschend verlaufenen Einzelstarts doch noch ein glorreiches Ende ihrer olympischen Karrieren.
Beckert holte nach zweimal Silber über die Langstrecken ihr erstes olympisches Gold und ist damit nach Doppel-Olympiasiegerin Martina Sablikova aus Tschechien die erfolgreichste Kufenflitzerin in Richmond.
Mattscherodts erster großer Sieg
Zudem krönte sich die 21-jährige Erfurterin zur jüngsten deutschen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin seit 30 Jahren. Für Mattscherodt war es der erste große Sieg ihrer Karriere.
Nach dem überzeugenden Viertelfinal-Auftritt gegen die Niederlande, als auch kleine Abstimmungsprobleme den Sieg nicht gefährdet hatten, harmonierte das Trio am Samstag im Halbfinale zunächst hervorragend - bis zur dramatischen Schlussrunde, die Friesinger-Postma schon mit einem Stolperer begann.
Ärger mit dem Bundestrainer
Mit dem Sieg bekam die Team-Geschichte, die alles andere als verheißungsvoll begonnen hatte, doch noch ihr Happy End. Eicher hatte nach den enttäuschenden Einzelrennen Friesinger-Postmas (Plätze 9 und 14) die Team-Tauglichkeit der 16-maligen Weltmeisterin massiv bezweifelt ("Mit Anni wäre das ein gewagtes Ding") und damit für erhebliche Unruhe gesorgt.
Nach dem Viertelfinale gab er zu: "Anni hat es mir heute ein bisschen gezeigt. Wenn sie wütend ist, ist sie am besten."
Friesinger-Postma nachhaltig verstimmt
Eichers Vorstoß hatte sich im Nachhinein zunächst als unnötig erwiesen. Nachdem seine ursprünglich bevorzugte Läuferin Mattscherodt ein schwaches 5000-m-Rennen hingelegt hatte und über gesundheitliche Probleme klagte, machte der Bundestrainer einen Rückzieher und schenkte wieder Friesinger-Postma das Vertrauen - die Kufen-Queen war allerdings nachhaltig verstimmt.
Dass Eicher nicht ganz Unrecht hatte, zeigte dann das Halbfinale.
Nun bekam Friesinger-Postma doch noch ihr drittes Olympiagold nach ihren Siegen 2002 in Salt Lake City (1500m) und 2006 in Turin (Team). Ihre Karriere will sie nach der Einzelstrecken-WM im kommenden Jahr in ihrer alten Heimat Inzell beenden. Anschütz-Thoms hat das Ende ihrer Laufbahn noch nicht angekündigt.