Gastgeber Russland steht in der Kritik

SID
WADA-Generaldirektor David Howman (l.) war nach Bekanntgabe des neuen Dopinmittels schockiert
© getty

Nach dem Auftauchen des Dopingmittels "Full Size MGF" in Moskau gerät Olympia-Gastgeber Russland wegen seiner laschen Haltung im Anti-Doping-Kampf wieder vermehrt in die Kritik.

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Nach dem Auftauchen des Dopingmittels "Full Size MGF" in Moskau gerät Olympia-Gastgeber Russland wegen seiner laschen Haltung im Anti-Doping-Kampf wieder vermehrt in die Kritik.

Ein neues Wundermittel auf dem Markt, schon zwei positive Proben im eigenen Biathlon-Lager und eine jahrzehntelange Tradition bei der Verschleierung von Doping-Fällen: Gastgeber Russland macht kurz vor dem Start der Olympischen Winterspiele in Sotschi (7. bis 23. Februar) seinem Ruf als zahnloser Tiger im Kampf gegen Doping wieder alle Ehre.

Zweifel an Effektivität des Anti-Doping-Kampfes

Experten bezweifeln schon lange die Effektivität des Anti-Doping-Kampfes im größten Flächenland der Erde. Auch für die Winterspiele am Schwarzen Meer werden kaum Erfolge im Kampf gegen dopende Athleten erwartet.

Das IOC will den Betrügern zwar mit einer Rekordzahl an Tests (2453) zu Leibe rücken, aber nach Einschätzung vieler Fachleute hinken die aktuellen Kontrollmechanismen den neuesten Trends verbotener Substanzen gewaltig hinterher.

"Wer sich in Sotschi ertappen lässt, ist entweder ein Hasardeur, der seine allerletzte Chance ergreift, oder bescheuert", sagte der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke dem "SID". Und der Mainzer Sportmediziner Perikles Simon ergänzte: "Es wird in Sotschi nicht viele Dopingfälle geben. Ich rechne mit einem, zwei, mehr nicht."

"Full Size MGF" nicht nachweisbar

Der Rückstand der Doping-Jäger beim Erkennen neuer Substanzen wird auch im Fall des von einem Reporter-Team des WDR in Moskau aufgespürten Wachstumsfaktors "Full Size MGF" deutlich. Das synthetisch hergestellte Molekül zum Muskelaufbau ist nicht nachweisbar und könnte bei den Spielen in Sotschi bereits zum Einsatz kommen.

Entwickelt wurde die Essenz einer körpereigenen Substanz, die in den Muskelzellen entsteht, in einer Moskauer Forschungseinrichtung im staatlichen Auftrag.

Ein russischer Wissenschaftler bietet das Mittel bereits für gutes Geld an. Erneut rückt damit das Gastgeberland der Winterspiele in die Kritik, dessen Glaubwürdigkeit bereits in der vergangenen Woche durch die positiven Fälle zweier Biathleten gelitten hatte.

Verschleierung von positiven Proben?

"Ich halte das System der Sowjetunion und das seiner Nachfolge-Staaten für korrupt", sagte Franke. Der Heidelberger Wissenschaftler prangert vor allem die Verschleierung von positiven Proben in Russland an. Dazu passt, dass dem Moskauer Anti-Doping-Labor im November durch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) der Lizenzentzug angedroht worden war.

Ein gutes Beispiel für die Vertuschungskünste der Russen seien laut Franke die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Damals habe es zunächst offiziell keinen Dopingfall gegeben.

Als die Proben später zwecks Erstellung einer Doktorarbeit nach Köln geschickt wurden, traute man dort seinen Augen nicht. "Da hat man gesehen: Die Moskauer Proben waren voll mit unerlaubten Mitteln", sagte Franke.

Rekordzahl bei Kontrollen

Der Kampf zweifelhafter Wissenschaftler um neue Mittel zur Leistungsförderung dauert bereits länger als der Anti-Doping-Kampf. Die Finessen und Tricks der Athleten sind enorm. "Man erwischt doch nur die, die zu spät abgesetzt haben", sagt Wilhelm Schänzer, Leiter des Kölner Doping-Labors.

Von bestimmten Substanzen wisse man, dass damit besonders geschickt gedopt werde. Dazu gehöre Testosteron. Das müsse zeitnah kontrolliert werden, da sich das Zeitfenster für den Nachweis nur für etwa einen Tag öffnet. "Es ist ganz wichtig, dass die Kontrollen dann stattfinden, wenn die Athleten damit möglicherweise noch arbeiten", sagte Schänzer.

In Sotschi wollte das IOC den Dopern im Kreise der Spitzenathleten eigentlich den Kampf ansagen und hat deshalb eine Rekordmarke an Kontrollen für Olympische Spiele angekündigt. Es würden insgesamt 2453 Proben genommen, das entspricht einer Steigerung im Vergleich zu Vancouver 2010 um 14 Prozent. Man darf gespannt sein, wie viele Dopingsünder am Ende tatsächlich überführt werden.

NADA warnt vor "MGF"

Das neue Doping-Wundermittel "Full Size MFG" ist für die Nationale Doping Agentur NADA anscheinend ein alter Hut. "Uns ist diese Substanz bekannt. Es ist auch so, dass sie verboten ist und auch schon seit vielen Jahren auf der Verbotsliste steht", sagte NADA-Vorstand Lars Mortsiefer am Rande des Sport-Business-Kongresses SpoBis am Montag in Düsseldorf.

Der Jurist warnte wenige Tage vor Beginn der Olympischen Winterspiele am Freitag im russischen Sotschi potenzielle Doper vor der Einnahme dieses hochwirksamen Mittels: "Es ist wichtig zu wissen, dass wir die Proben, die wir nehmen, einfrieren können. Wir können dann im Nachgang, wenn valide Testverfahren da sind, die Doper überführen, die diese Substanz eingenommen haben."

Derzeit sei die NADA wegen MGF permanent mit der Welt-Doping-Agentur WADA in Kontakt. "Wir bemühen uns mit der WADA, so schnell wie möglich Nachweisverfahren für dieses Mittel zu entwickeln", sagte Mortsiefer.

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