Die Olympischen Winterspiele in Sotschi stehen vor der Tür. Bevor im Februar das olympische Feuer brennt, widmet sich SPOX wieder den Olympic Moments. Teil drei handelt vom unerwarteten Erfolg des Markus Wasmeier bei Olympia 1994 in Lillehammer.
Zwei kräftige Hände packten ihn. Sie umklammerten ihn. Ein Ausweg? Nicht in Sicht. Stattdessen wurde Markus Wasmeier auch noch in die Luft geschleudert. Ehe er sich versah, landete der Deutsche bereits auf zwei unbekannten Schultern.
Sein Grinsen kehrte aber schnell zurück, als sein Blick den Unruhestifter entdeckte. Er schaute schließlich in die Augen seines Vorgängers. Alberto Tomba hatte es sich nicht nehmen lassen, den neuen Olympiasieger im Riesenslalom gebührend zu feiern, während er seinen Konkurrenten vorbei an 30.000 Fans im Zielraum trug.
Ein Erfolg, der so überraschend kam und sich zu Beginn der Olympischen Spiele 1994 in Lillehammer nicht im Ansatz abgezeichnet hatte. Kein Weltcup-Rennen hatte Wasmeier in dieser Saison für sich entscheiden können. Er spielte auf den Zetteln der Experten kaum eine Rolle.
Die Enttäuschung in der Abfahrt
Und sie sollten erst mal Recht behalten. Die Abfahrt als erstes Rennen der Spiele sollte zu einer Schmach des blonden Buben aus Bayern werden. Nur Rang 36 stand am Ende für den 31-Jährigen zu Buche. Sein Fazit: "Ich hatte oben schon das Gefühl, verspielt zu haben. Es war von oben bis unten ein richtig verhauener Lauf".
Die Medien und die Fans hatten ihr Opfer schnell gefunden und fühlten sich in ihrer geringen Erwartungshaltung bestätigt. Die Tage danach wurden für den Rennfahrer zu den schwersten seiner Karriere: "Diese Abfahrt am Tag zuvor so zu versemmeln, hat für viel Unmut in der Öffentlichkeit gesorgt. Im deutschen Haus haben meine Familie und ich nicht mal einen Platz bekommen. Ich kam mir vor wie ein Verbrecher."
Während sich die Kritiker bestätigt fühlten, zog Wasmeier für sich die richtigen Schlüsse aus dem verkorksten Abfahrtsrennen und der Kritik an seiner mangelnden Leistung: "Ich habe mir gesagt: 'Euch zeig ichs'". Seinen großen Worten ließ er Taten folgen.
Eine Linie zum Glück
Vier Tage später sollte im Super-G die Stunde des Mannes vom Schliersee schlagen. In der Speed-Disziplin gelang Wasmeier ein beeindruckendes Comeback. Schon bei der Besichtigung der Strecke hatte sich der Riesenslalom-Weltmeister von 1985 einen besonderen Plan überlegt, der letztendlich zum Sieg führen sollte.
"Es war ein sehr steiler Start, dann ging's runter durch zwei Tore, bevor ein eher flacherer Teil kommt. Dort gab es eine Kuppe. Bei der Besichtigung habe ich mich gewundert, warum die anderen da alle eine Kurve sehen. Ich habe eine gerade Linie gesehen und meinen Trainer gefragt: 'Meinst du nicht, dass man das geradeaus fahren kann?'". Der Coach ließ Wasmeier gewähren. Es sollte die richtige Entscheidung sein.
Als einziger der teilnehmenden Athleten wählte Wasmeier die direkte Linie und konnte sich einen ordentlichen Vorsprung herausfahren. Einen, den er auch bitter nötig hatte, denn der Deutsche baute im unteren Streckenteil einen groben Schnitzer ein, der ihn viel Zeit kostete.
"Wie der Methusalem"
Im Ziel angekommen konnte sich Wasmeier knapp vor den Amerikaner Tommy Moe setzen, der bereits im Ziel als neuer Sieger gefeiert wurde und die singenden Fans mit seinem Skistock dirigierte. Doch zu früh gefreut: Mit einem lauten Jubelschrei kommentierte Wasmeier den Blick auf die Ergebnistafel, auf der die große Eins erschien. Gerade mal acht Hundertstelsekunden machten am Ende den Unterschied aus.
"Ich habe gewusst, wenn ich einmal ohne Fehler runterkomme, kann ich ein Rennen gewinnen und ich wusste natürlich, dass das meine letzte Chance überhaupt ist. Mit 31 Jahren war man damals schon so etwas wie der Methusalem."
Zittern musste Wasmeier im Zielraum trotzdem, standen doch noch einige Athleten am Start. "Einige Fahrer sind ja im oberen Teil auch noch ziemlich schnell gewesen und so wurde es doch mit die grausamsten Minuten, die ich erleben musste. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit".
Nichts mehr zu verlieren
Doch kein weiterer Fahrer konnte sich vor den Deutschen setzen, auch der starke Norweger Kjetil Andre Aamodt musste sich Wasis Zeit geschlagen geben und reihte sich auf Platz drei ein. So konnte Wasmeier seinen Vater, der im Zielraum auf ihn wartete und mit den Worten: "Ja, sag mal: Spinnst du?" empfing, jubelnd in die Arme nehmen und sein erstes Olympisches Gold feiern.
Doch es sollte noch nicht der letzte Höhepunkt sein. Durch den Triumph schien es so, als wäre die Zentnerlast auf seinen Schultern wie weggezaubert. In aller Ruhe konnte er sich auf sein nächstes Rennen vorbereiten.
Sechs Tage später, am 17. Februar, stand der Riesenslalom an. Zwar war Wasmeier 1985 in Bormio noch Weltmeister in dieser Disziplin geworden, konnte aber seitdem kein Rennen mehr für sich entscheiden und gehörte dementsprechend nicht zum Favoritenkreis.
Eine Situation, die Wasmeier entgegenkam, hatte er doch "nichts mehr zu verlieren", wie er selbst später betonte. Im ersten Lauf konnte er sich bereits überraschend auf Platz drei einreihen. Im zweiten Lauf sollte der magische Moment für den 31-Jährigen dann perfekt werden.
Die Krönung zur Krönung
Mit einem völlig befreiten zweiten Durchgang verwies Wasmeier den bis dahin führenden Österreicher Christian Mayer und den Schweizer Urs Kälin mit zwei Hundertstel Vorsprung auf die Ränge zwei und drei.
"Das ist für mich noch unbegreiflicher als der Super-G. Ich kann es noch gar nicht glauben. Das ist die Krönung zur Krönung, der absolute Höhepunkte meiner Karriere", stammelte der zweifache Olympiasieger vollkommen verdattert.
Während der Fanclub Schliersee "So ein Tag, so wunderschön wie heute" zum Besten gab, erfolgte der wohl großartigste Moment des Markus Wasmeier auf den Schultern Alberto Tombas. Von seinem Vorgänger durch den Zielraum getragen, ließ sich Wasmeier gebührend feiern und stimmte bei der anschließenden Siegerehrung im Trachtenlook das Jodeln an.
Auf dem Gipfel seines Sportlerdaseins entschied sich Wasmeier, dass er alles gewonnen hatte, was es zu gewinnen gab, und hing die Skischuhe an den Nagel. Er hatte es allen Nörglern gezeigt und trotz der schweren Kritik niemals klein beigegeben. "I never make my head in the sand", erklärte der doppelte Olympiasieger zum Abschluss.