Kevin Durants Traumfrau, Durchfall bei Baron Davis und Insider-Infos von Suns-Coach Alvin Gentry: In der NBA greift das Twitter-Fieber um sich. Etliche Superstars machen mit, Mavs-Boss Cuban lässt es sich sogar 25.000 Dollar kosten. Aber was ist dieses Twitter?
Das kann nicht der echte Shaquille O'Neal sein. Nie und nimmer. "Du weißt schon, dass 'The Real Shaq' wahrscheinlich ein 1,60 Meter kleiner, 14-jähriger weißer Junge ist, der nach Aufmerksamkeit lechzt, oder?", fragte Jesse Bearden vor einigen Wochen seinen Kumpel Sean Neden.
Neden beharrte aber darauf, dass wirklich der Superstar der Phoenix Suns hinter dem Namen "The Real Shaq" steckt und folgende Twitter-Mitteilung, einen sogenannten Tweet, ins Internet stellte: "Ich bin im 5 & Diner in Phoenix." (Eine Erklärung zu Twitter: siehe Infokasten links)
"Das ist wirklich Shaq", sagte Neden. "Dann fahren wir los und beenden endlich diesen Real-Shaq-Müll", entgegnete Bearden. Nach 20 Minuten erreichten sie das erwähnte Diner-Restaurant - und tatsächlich: An einem Ecktisch saß der wahrhaftige Shaq.
Shaq: Wir sind aus Twitteronia
"Du sprichst ihn an", sagte Bearden. "Nein, du gehst hin", sagte ein nicht minder nervöser Neden. Zehn Minuten angespannter Flüsterei später vibrierte plötzlich Nedens Handy mit einem neuen Tweet von "The Real Shaq": "Ich fühle Twitterer in meiner Nähe. Wenn es stimmt, sagt was."
"Sollen wir Shaq jetzt ansprechen?", fragte Bearden. "Ich weiß es nicht, sollen wir?", fragte Neden. "Ja, ihr sollt", antwortete auf einmal eine dunkle Stimme aus dem Hintergrund. Shaq rief über zwei Tische zu den beiden Softwareentwicklern herüber - und lud sie spontan zu einem Plausch ein.
"An alle Twitterer: Sagt einfach Hi, wenn ihr mich seht. Wir sind nicht wie die anderen, wir sind aus Twitteronia. Wir haben eine besondere Verbindung", lautete O'Neals Tweet wenige Minuten nach dem Treffen, das aus Bearden und Neden kleine Internet-Berühmtheiten und Shaq zur Ikone der Twitter-Community machte.
Privates von Coelho und Kutcher
Dass NBA-Stars über Blogs oder einen eigenen Youtube-Kanal den Kontakt mit ihren Fans suchen, ist keine Seltenheit mehr. Doch die Episode im "5 & Diner" steht sinnbildlich für eine neue Qualität im Austausch beider Welten.
"Twitter ist ein großartiger Weg für Prominente, um mit ihrer Fan-Basis zu kommunizieren.", zitiert NBA-Spieler Mark Madsen, selbst ein fleißiger Twitterer, in seinem Blog einen Marketing-Experten. "Es ist fast so, als ob jeder die Möglichkeit bekommt, in ein Raumschiff zu steigen und neue Planeten kennenzulernen."
Was zur Folge hat, dass mittlerweile nicht mehr ausschließlich die Technik-Avantgarde twittert. Ob nun US-Präsident Barack Obama, Künstlerin Yoko Ono, TV-Koch Jamie Oliver oder Radsport-Superstar Lance Armstrong: Vertreter fast aller öffentlich relevanter Berufsgruppen greifen in einer überraschend hohen Frequenz auf Twitter zurück und teilen mit ihren Fans erstaunlich viele private oder triviale Informationen aus ihrem Alltag.
Schriftsteller Paulo Coelho etwa twitterte zuletzt, dass er seinen Schrittzähler loswerden wolle, weil er sich wegen ihm beim Laufen zu sehr unter Druck setzen würde. Schauspieler Ashton Kutcher veröffentlichte über Twitter ein recht intimes Bikini-Foto von Gattin Demi Moore.
Beyonce auf eins, Halle Berry nur auf vier
Zu einem Massenphänomen hat sich Twitter bisher aber nur in der NBA entwickelt. Shaq mag der Prominenteste sein, daneben gibt es aber Dutzende weiterer Basketballer, Trainer oder Klub-Besitzer mit einem ausgeprägten Mitteilungsbedürfnis.
"Hatte einen Chai Latte und Orangensaft = 30 Minuten Toilette. Hahaha. Niemals wieder", schrieb etwa Clippers-Star Baron Davis. Thunder-Talent Kevin Durant veröffentliche seine Traumfrauen-Hitparade (1. Beyonce, 2. Keri Hilson, 3. Lauren London, 4. Halle Berry, 5. Kim Kardashian) und Mavericks-Boss Mark Cuban übte über Twitter Kritik an einem Schiedsrichter - was die NBA mit einer 25.000-Dollar-Strafe ahndete.
Suns-Coach Alvin Gentry wiederum twitterte charmant von einer Unterhaltung mit einer Fünfjährigen: "Sie hat mir den Rat gegeben, Chris Paul, Tony Parker, Kobe Bryant und Yao Ming zu verpflichten. Warum bin ich nicht selber daraufgekommen?"
Twitter-gate in Milwaukee
Während Gentry Twitter sogar dazu nutzt, über Mannschaftsinterna Auskunft zu geben, beäugen einige Trainer-Kollegen das aufkommende Medium mit Argwohn.
Vor allem Milwaukees Coach Scott Skiles gilt als Twitter-Gegner, nachdem mit Charlie Villanueva einer seiner Leistungsträger in einer Halbzeit-Pause folgenden Twitter-Eintrag verfasste und damit einen kleinen Skandal auslöste: "Ich bin in der Kabine und poste heimlich diesen Tweet. Wir spielen gegen die Celtics und zur Hälfte ist alles offen. Der Coach will mehr Härte sehen. Ich muss mich steigern."
Skiles jedoch zeigte sich trotz des folgenden Erfolgs gegen Meister Boston höchst erbost. "Alles, was den Eindruck machen könnte, dass wir nicht konzentriert und seriös unseren Job machen, ist falsch", sagte Skiles und verbot flugs das Twittern im Locker Room. Der Begriff "Twitter-gate" war geboren.
"Ich respektiere die Entscheidung, aber eigentlich ist es doch egal, ob ich in der Halbzeit ein TV-Interview gebe oder twittere. Es klingt nach Doppelmoral", klagte Villanueva.
PC-Analphabet Jerry Sloan
Ähnlich rigide geht es offenbar auch in Utah zu, wo Kyle Korver sein Twitter-Account auf sanften Druck des Klubmanagements bis zum Saisonende deaktivieren musste, "um sich nicht ablenken zu lassen".
Dabei hat sein Coach Jerry Sloan nicht einmal eine vage Vorstellung davon, was Twitter sein könnte. "Vor technischen Neuheiten war ich schon immer eingeschüchtert", sagte der 67-Jährige, der schnell kapitulierte, als ihm einige Journalisten das Twittern näherbringen wollten: "Bis zu meiner Highschool-Zeit besaß meine Familie nicht mal ein Telefon. Noch heute habe ich keinen Computer. Und wenn, wüsste ich nicht einmal, wie man so etwas anmacht."
Demnach hat Sloan vermutlich nicht einmal eine Ahnung davon, dass er selbst schon ein Teil des Twitter-Universums geworden ist. Unter www.twitter.com/jerrysloan veräppelt er wahlweise seine Spieler, Villanueva oder sich selbst.
Wie sich jedoch schnell herausstellen sollte, war der Account gefälscht.
Von wem? Womöglich von einem 1,60 Meter kleinen, 14-jährigen weißen Jungen, der nach Aufmerksamkeit lechzt.