Der 500-Millionen-Dollar-Mann?

Marcus Blumberg
20. März 201712:39
Bryce Harper ist einer der größten Stars im Baseballgetty
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Bryce Harper ist der Superstar der Washington Nationals und eines der Gesichter der Major League Baseball. Der MVP des Vorjahres spielt auch 2016 wieder eine starke Saison und beschwört damit Vergleiche zu einer Legende herauf. SPOX beleuchtet den Outfielder und wagt einen Blick voraus - schließlich steht bald ein neuer Vertrag an.

14. April 2016, Season Opener der Washington Nationals bei den Atlanta Braves. Im ersten Inning schaltet Braves-Pitcher Julio Teheran die ersten zwei Hitter der Hauptstädter souverän aus. Dann kommt - begleitet von gellenden Buhrufen des ganzen Stadions und mit einer geschätzt halben Tonne Gel im Haar - Bryce Harper an die Platte. Man könnte sagen er ist bei den direkten Konkurrenten nur bedingt beliebt. Doch das stört ihn nicht. Im Gegenteil: Er hämmert seinen ersten Homerun der Saison über den Zaun. Die Nats gewinnen am Ende 4:3.

Es war ein gelungener Saisonstart für den amtierenden MVP der National League. Harper ist unzweifelhaft das neue Gesicht der National League und gehört in jede Diskussion, in der es um den besten Spieler der Big Leagues geht. Der wohl einzige andere Kandidat, ist Mike Trout von den Los Angeles Angels, doch der spielt in der American League. Und hier sprechen wir nicht nur von diesem Jahr. In zehn oder 15 Jahren wird man vielleicht zurückblicken und ein Urteil darüber fällen können, wer denn nun der beste Spieler dieser Ära war: Trout oder Harper?

Rekord am Muttertag

Doch was macht Harper aus? Sicherlich seine immense Power. In diesem Jahr steht er dank einer Tonne Walks zwar erst bei 14 Homeruns, liegt damit aber ligaweit nahe der Top Ten. Doch viel faszinierender sind sein Auge und seine Geduld an der Platte. Gegnerische Pitcher wissen, was er kann und wie gefährlich der Right Fielder ist, folglich wird er selten wirklich attackiert - Pitcher werfen ihm kaum Strikes.

Chicago Cubs: Schampus für die Bärenjungen?

Extrem deutlich wurde dies am Muttertag: Washington trat im Wrigley Field gegen die bockstarken Chicago Cubs an und stand insgesamt sieben Mal an der Platte. Sechs Mal gelang ihm ein Walk - er sah also vier Balls und keine drei Strikes -, zudem traf ihn Pitcher Trevor Cahill mit einem Pitch. Unterm Strich war er also sieben Mal auf Base, obwohl er nicht ein einziges offizielles At-Bat verzeichnete. Das hatte es in der nunmehr 140-jährigen Geschichte der MLB noch nie gegeben.

Fuck You!

Die Cubs gewannen am Ende aber doch das Spiel. Nur einen Tag später sollte Harper erneut im Mittelpunkt stehen: Gegen die Detroit Tigers wurde er im neunten Inning von Umpire Brian Knight des Feldes verwiesen, weil er sich lautstark über eine Strikeout-Entscheidung gegen seinen Teamkollegen Danny Espinosa aufgeregt hatte. Wenig später gelang Clint Robinson aber dann doch der Hit zum Sieg. Die Nationals stürmten das Feld zum Feiern, doch Harper nahm sich die Zeit, dem Umpire noch eine Botschaft mit auf den Weg zu geben: "Fuck You!"

Das brachte ihm eine Sperre von einem Spiel ein. Und es erinnerte alle daran, dass der Superstar eben auch ein komplizierter Charakter sein kann. Einer, in dem es durchaus brodelt. So kurz nach dem Muttertag hatte er danach aber nur einen Gedanken: "Die einzige Person, bei der ich enttäuscht bin, dass sie es gesehen hat, ist meine Mutter. Ich schrieb ihr nach dem Spiel 'Sorry'. Ich glaube das sind Dinge, die einfach passieren. Man lebt und man lernt dazu. Mehr kann ich nicht tun.

Aber auch dafür lieben ihn die Fans. Harper ist ein Spieler, der auch die jüngere Generation anspricht. Durch sein spektakuläres Spiel, aber auch durch seine extravagante Art, die sich nicht um Konventionen schert. Nicht umsonst lautet sein Motto "Make Baseball Fun Again" - ein persönlicher Kreuzzug gegen das angestaubte Image seines Sports. In einem Zeitalter, in dem NFL und NBA mehr Schlagzeilen generieren als "Amerikas liebste Freizeitbeschäftigung" doppelt wichtig.

Alles für die Karriere

Harpers Weg zum Baseball-Superstar war schon früh ersichtlich. 2009 etwa trat er zum "Power Showcase", einer Art High-School-Homerun-Derby im Tropicana Field, der Heimat der Tampa Bay Rays, an. Und er hämmerte einen Ball über 502 Fuß Richtung Right Field - über die riesige Videowand des Ballparks. Als damals 16-Jähriger öffnete er damit einige Augen. Homeruns, die mehr als 500 Fuß zurücklegen, sind selbst in den Big Leagues eine extreme Rarität.

Die Las Vegas High School verließ er bereits nach seiner Sophomore-Saison mit einem GED (General Educational Development), was so etwas Ähnliches wie die Mittlere Reife ist. Daraufhin ging es direkt auf ein Junior College, dem College of Southern Nevada. All das tat der mittlerweile 17-Jährige, um seine Karriere weiter voranzubringen. Auf dem Junior College wurde mit Holzschlägern gespielt, nicht mehr mit Aluminium-Schlägern, die an den High-Schools Gang und Gäbe sind. Keulen aus Holz, die weniger Weite bringen, verwenden auch die Profis.

Die Umstellung fiel Harper, der damals noch als Catcher aktiv war, jedoch äußerst leicht: In nur 66 Spielen schlug er 31 Homeruns, was den alten Schulrekord von zwölf pulverisierte.

Vorbild: Mickey Mantle

2010 war es dann endlich soweit: Bryce Harper trat zum MLB-Draft an und wurde erwartungsgemäß an erster Stelle von den Washington Nationals, die damals noch richtig schlecht waren, gezogen. Die Nats hatten das "Glück", zwei Jahre hintereinander als schlechtestes Team der MLB an Position eins zu picken. Im Jahr zuvor hatte man Pitcher Stephen Strasburg an erster Stelle gewählt. Zwei Drafts nacheinander also, in denen die Nats künftige Superstars zogen.

Und das wusste auch jeder, sodass es niemanden überraschte, dass der Neuling bereits lange vor seinem MLB-Debüt eine eigene Nummer bekam - die 34. "Ich habe Mickey Mantle immer geliebt und drei und vier ergibt nun mal sieben", erklärte er auf seiner Vorstellungs-Pressekonferenz. Mantle war ein Hall-of-Fame-Outfielder bei den New York Yankees in den 50ern und 60ern, die seine Nummer 7 seitdem nicht mehr vergeben.

Rookie des Jahres

2012 war Harper bereits zum Outfielder umfunktioniert und spielte wahlweise Center Field oder in den Ecken. Die Beweggründe lagen auf der Hand: Ein Catcher kann nicht 162 Spiele hinter der Platte hocken. Ein Outfielder dagegen sollte keine Probleme haben, die volle Distanz zu gehen. Auf den Schwung des Teenagers wollte und konnte man nicht verzichten.

Harper gab sein Debüt Ende April und avancierte mit 22 Homeruns nebst weiteren beeindruckenden Zahlen prompt zum Rookie des Jahres der National League.

Verletzungen stehen im Weg

Es folgten zwei Jahre, in denen Harper immer wieder sein Potenzial aufblitzen ließ. Doch Verletzungen machten ihm gleich mehrfach Striche durch die Rechnung. Teils spielte die Muskulatur nicht mit, teils crashte er einfach in die Mauern des Outfields und holte sich dadurch Verletzungen an Rücken oder Schulter. In den Spielzeiten 2013 und 2014 verpasste er insgesamt 106 Partien.

2015 waren es dann zwar auch neun, aber die änderten nichts daran, dass er nun wirklich angekommen war. Obwohl die Nationals die Playoffs deutlich verpasst hatten, gab es für die Wähler des NL-MVPs keine zwei Meinungen: Harper wurde einstimmig gewählt. Mit 23 Jahren. Er war damit erst der siebte einstimmige MVP - und der jüngste einstimmige aller Zeiten.

Der Bonds-Vergleich

Nach 67 Spielen in dieser Saison hat er bereits 57 Walks auf dem Konto, zu viel Respekt haben gegnerische Pitcher. Nur Paul Goldschmidt hat ebensoviele, aber auch drei Spiele mehr absolviert. Eben diese Walk-Anzahl ist es, die Parallelen zu Homerun-King Barry Bonds deutlich macht. Gerade in den frühen Jahren des aktuellen Jahrhunderts traute sich kaum jemand, Bonds irgendwas Brauchbares zum Schlagen zu servieren. Er sah kaum einen Strike. Ähnlich ergeht es nun Harper, der die Liga letzte Saison mit 124 Bases on Balls anführte.

Wenn er dann doch mal einen Strike sieht, drosch er auf ihn ein. Vielleicht kann man das mit dem Torhüter eines Spitzenteams. Ein Manuel Neuer bekommt im Spiel vielleicht zwei, drei Bälle aufs Tor. Aber genau dann muss er da sein und Höchstform zeigen. Ähnlich tut es Harper, der die wenigen schlagbaren Pitches meist voll trifft und hart schlägt. Wenngleich er derzeit eine schwächere Phase durchmacht: Im Juni hat er erst einen Homer zu Buche stehen. Die Annahme liegt nahe, dass er etwas zu sehr presst, anstatt relaxt an der Platte zu stehen. Die wenigen Strikes die er sieht, können eben zu Frust führen.

Nationals - und dann?

Die Nationals liegen aktuell komfortabel vor den Miami Marlins und New York Mets an der Spitze der NL East. Doch sind sie auch stark genug, um angeführt vom Superstar einen langen Playoff-Run hinzulegen? Sie haben sicherlich ein gutes Team zusammengestellt, doch die Frage ist eben, ob es reicht, um die starke Konkurrenz aus New York, Chicago oder der Westküste in längeren Serien zu übertrumpfen.

Harper wird sich diese Frage auch stellen. Er steht noch zwei Jahre unter Vertrag und wird nach der Saison 2018 Free Agent und somit für alle Teams das Objekt der Begierde. Sein Agent Scott Boras ist bekannt dafür, den letzten Cent aus Verhandlungen herauszuholen - und Harper scheint ein Typ zu sein, der auch in Sachen Gehalt Rekorde sprengen will.

Den aktuellen Rekord hält Giancarlo Stanton, der letztes Jahr bei den Marlins für 13 Jahre und 325 Millionen Dollar unterschrieb. Harpers potentieller neuer Deal würde 2019 starten. Das Business Baseball boomt wie noch nie, die TV-Verträge werden immer lukrativer und Harper wird dann erst 26 Jahre alt sein - ein Superstar im besten Alter. Sollte er sich bis dahin nicht schwerer verletzt haben, könnte sogar ein Wahnsinns-Deal über mehr als zehn Jahre und nördlich der 500 Millionen Dollar drin sein.

500 Millionen?

Die Yankees etwa werden bis dahin ihre Bücher von teuren Verträgen befreit haben und dürften äußerst interessiert sein. Ebenso die Los Angeles Dodgers, die jetzt schon mehr als 300 Millionen pro Jahr in ihr Team stecken. Vergessen wir nicht die Boston Red Sox, Chicago Cubs oder natürlich die Nationals selbst.

Harper könnte der begehrteste Free Agent überhaupt werden und alle Gehaltsrekorde brechen. In einem Interview antwortete er vor kurzem auf die Frage, ob er auf einen 400-Millionen-Vertrag spekuliere: "Verkaufen Sie mich nicht unter Wert!" Und das dürfte er durchaus ernst gemeint haben.

500 Millionen scheinen wohl die Hausnummer zu sein, in der sich Teams bewegen müssen, um sich die Dienste von Bryce Harper zu sichern. 500 Millionen Dollar über 15 Jahre - dann wäre er Anfang 40, wenn der Vertrag endet. Und mindestens zehn Jahre davon dürfte er noch auf ganz hohem Niveau absolvieren. Eine halbe Milliarde Dollar ist schierer Wahnsinn - und scheint doch gar nicht mal so abwegig.

Die MLB-Saison im Überblick