Max Kepler von den Minnesota Twins ist derzeit der einzige Deutsche in der Major League Baseball und spielt mit seinem Team in dieser Saison um die Playoffs. Bei SPOX spricht der 24-Jährige über seine Jugend, die Anfänge in den Staaten und die Faszination des in Deutschland noch recht unbekannten Sports Baseball. Zudem verrät er seine Pläne für den Winter.
SPOX: Herr Kepler, mit vollem Namen heißen Sie eigentlich Maximilian Kepler-Rozycki ...
Max Kepler: Richtig.
SPOX: Aber auf dem Trikot steht nur Kepler. War der Hintergedanke, dass die Amerikaner das noch schlechter aussprechen als ich, oder warum benutzen Sie nur den Nachnamen Ihrer Mutter?
Kepler: Ja, genau deswegen: Der polnische Name ist eben schwer auszusprechen. Zusammen wäre es auch ein sehr langer Name auf dem Rücken. Aber es gibt jetzt einen Tag im August, an dem wir einen anderen Namen tragen dürfen, zum Beispiel einen Spitznamen oder so. Da werde ich dann den Namen meines Vaters tragen.
SPOX: Nur mal zur Erklärung: Ihre Mutter, Kathy Kepler, ist Texanerin, Ihr Vater hat polnische Wurzeln. Beide waren in Berlin an der Deutschen Oper angestellt. Und der Sohn wird dann - klar - Baseballprofi. Wie haben Ihre Eltern es damals aufgenommen, als bei Ihnen die Idee aufkam, Baseball zu spielen - und das vielleicht sogar ein bisschen professioneller?
Kepler: Ich bin in Berlin auf eine amerikanische Schule, die John F. Kennedy Schule, gegangen und dort fing ich mit dem Baseball an. In meiner Freizeit habe ich viel Sport getrieben, auch Fußball und Tennis, und als ich mich schließlich für einen Sport entscheiden musste, meinte meine Mum: "Wieso wählst du nicht einfach Baseball aus und gehst nach Amerika, da hast du auch ein bisschen Familie. So kannst du dir etwas Neues anschauen, ein neues Land." Deswegen habe ich mich für Baseball entschieden. Mein Vater war auf jeden Fall für Fußball, aber er freut sich jetzt, dass ich es im Baseball geschafft habe.
SPOX: Haben Ihnen Ihre Wurzeln und die Angehörigen in den USA den Schritt über den großen Teich leichter gemacht?
Kepler: Ja, die USA waren mir dann nicht so fremd, denn jeden Sommer sind wir in den Ferien nach Amerika gereist und haben dort Zeit mit der Familie verbracht. Ich hatte ein paar Camps mitgemacht und schon ein bisschen Baseball gespielt. Deswegen hatte ich Lust auf die Herausforderung und schon eine Vorstellung davon, was das Land zu bieten hat.
gettySPOX: Wenn man nun zum Beispiel einen Zuschauer in Deutschland nimmt - wir übertragen ja die MLB auf DAZN regelmäßig - und Sie müssten ihm oder ihr erklären, was das Geile am Baseball ist: Was würden Sie sagen?
Kepler: Die meisten, die sich den Sport anschauen, halten ihn für sehr langweilig, weil da halt einfach Leute im Feld rumstehen und auf den Ball warten. Aber das Schwierige dabei ist, dass man in diesen im Schnitt drei Stunden Fokus braucht, und zwar 100 Prozent Fokus - denn jede Sekunde könnte ein Ball in deine Richtung kommen. Baseball ist eine Sportart, die nicht jeder ausleben kann. Fußball kann jeder trainieren, würde ich sagen. Aber wenn du für Baseball nicht geschaffen bist, dann ist es nicht dein Sport, weil es unheimlich schwer ist. Baseball hat auch viel mit Misserfolg zu tun: Es gibt viele Strikeouts oder geschlagene Bälle, die zum Out führen. Dafür muss man mental sehr stark sein. Als Profi im Fußball oder Basketball hast du eine relativ hohe Erfolgsquote, und es ist ein Teamsport.
SPOX: Aber Baseball doch auch.
Kepler: Ja, aber im Baseball stehst du trotzdem oft alleine da. Und wenn du nicht durchziehst, wenn du keinen Erfolg hast, dann kannst du dich hinter niemandem verstecken. Deswegen ist es für mich ein sehr cooler Sport - auch wenn es sich jetzt nicht so anhört. Es ist unheimlich schwer. Aber wenn du es schaffst, wenn du die mentale Stärke hast - und daran arbeite ich immer noch jeden Tag - dann ist es für mich der geilste Sport der Welt.
SPOX: Haben Sie trotzdem mal drüber nachgedacht, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie dem Wunsch Ihres Papas gefolgt wären und sich für Fußball entschieden hätten? Oder für Tennis, Sie waren ja auch ein sehr talentierter Tennisspieler.
Kepler: Ich wäre wahrscheinlich noch in Deutschland, wenn ich im Fußball oder im Tennis weitergemacht hätte. In welcher Mannschaft oder auf welcher Position ich spielen würde, das weiß ich nicht. Aber ich vermute, dass es mir in jedem Sport großen Spaß gemacht hätte.
SPOX: Sie sind 2009 in die USA gegangen. Es war ein langer Weg, bis Sie endgültig in der MLB angekommen sind.
Kepler: Es hat sieben Jahre in den Minor Leagues gebraucht, also in den unteren Ligen.
SPOX: Wie ist das abgelaufen?
Kepler: Ich habe viel Geduld gebraucht. 2009 war ich noch nicht mit der Highschool fertig und habe deswegen gleichzeitig Baseball gespielt und die Schule fertig gemacht, was kein anderer Mitspieler gemacht hat. Ich hatte viele Online-Klassen direkt nach dem Training oder nach einem Spiel. Das war eine schwere Zeit, ein halbes Jahr hatte ich keine Freizeit. Dann wurde ich endlich mit der Schule fertig und konnte mich 2010 und 2011 auf Baseball konzentrieren.
SPOX: Hatten Sie in dieser Zeit nie die Hoffnung verloren? Gab es Zweifel, dass Sie es vielleicht doch nicht schaffen, sich Ihren großen Traum von der MLB zu erfüllen?
Kepler: Wie gesagt, sieben Jahre waren eine lange Zeit in den Minor Leagues. Einige Spieler schaffen es in weniger als drei Jahren, deswegen hatte ich ein paar Probleme mit der Geduld, aber zum Glück habe ich nicht aufgegeben.
SPOX: In den Minor Leagues muss man ja auch über größere Dörfer reisen und in der Pampa spielen. Hat man irgendwann die Nase voll von dieser Tingelei?
Kepler: Ja, schon. Am Anfang war mir das alles ziemlich egal, weil ich jung war. Aber mit der Zeit, als ich 22 Jahre alt wurde, dachte ich mir: Okay, ich muss jetzt ein richtiges Leben anfangen können und nicht jedes Jahr über diese kleinen Dörfer reisen und für unser niedriges Gehalt Baseball spielen. Aber meine ganze Familie hat mich ermutigt, voll durchzuziehen und die restlichen zwei Jahre meines Vertrags alles zu geben. Wenn es nicht klappt, gehe ich eben aufs College und fange ein anderes Leben an. Zum Glück habe ich es durchgezogen.
SPOX: Umso krasser war die Entwicklung, als Sie in der Liga angekommen sind. Können Sie sich noch an Ihren ersten Hit erinnern?
Kepler: Ja, das war Ende 2015 gegen Johnny Cueto von den Kansas City Royals. Ich wurde im September aus der Minor League zu den Twins hochgerufen, spielte in den ersten Wochen aber kaum. Aber am letzten Tag der Saison durfte ich ein ganzes Spiel durchspielen und habe meinen ersten Hit bekommen.
SPOX: Haben Sie den Ball als Erinnerungsstück behalten?
Kepler: Ich habe ihn meiner Mutter gegeben.
SPOX: Ihr erster Homerun überhaupt war 2016 gleich ein richtig dickes Brett, gegen die Boston Red Sox zum Sieg. Ihre Mitspieler haben Sie sofort umringt, mit Ihnen gefeiert und Sie mit Wasser überschüttet. Woran erinnern Sie sich?
Kepler: Das war ein geiler Tag, heiß, blauer Himmel. Ich glaube, es war das letzte Spiel in der Serie gegen die Red Sox, sie hatten die Spiele davor gewonnen und wir waren müde. Ich war dann im zehnten Inning dran, es waren zwei Outs und zwei Runner auf Base. Ich dachte mir: Gib einfach einen lockeren Schwung drauf und bring den Ball ins Outfield. Die Red Sox hatten einen zusätzlichen fünften Spieler ins Infield gebracht, damit ich bei einem Ground Ball so gut wie sicher aus bin. Deswegen dachte ich, dass ich mit einem lockeren Schwung ins Outfield auf jeden Fall den Run nach Hause bringe.
SPOX: Reicht denn ein "lockerer Schwung" für einen solchen Homerun?
Kepler: Der Pitcher hatte 98 bis 100 Meilen pro Stunde geworfen. Bei uns heißt es: Wenn man einen solchen lockeren Schwung auf einen so harten Fastball bringt, dann fliegt der Ball auf jeden Fall raus. Und genau das ist passiert.
SPOX: Dieses Duell mit dem Pitcher hat ja - für uns in Deutschland ist das alles ein bisschen schwieriger zu verstehen - schon sehr viel mit Psychologie zu tun. Wie bereitet man sich auf ein solches Duell vor?
Kepler: Wir studieren jeden einzelnen Pitcher auf Video: Welche Pitches werfen sie am liebsten gegen Linkshänder, Rechtshänder, Power Hitter oder Kontakt-Hitter? Wohin werfen sie bei zwei Strikes? Also sehr spezifische Statistiken. Aber wenn ich dann dran bin, denke ich gar nicht mehr, sondern schalte meinen Kopf aus und reagiere nur noch auf den Ball.
SPOX: Also alles Bauchgefühl? Wenn Sie am Schlag stehen, denken Sie nicht an einen bestimmten Pitch, sondern Ihr Instinkt übernimmt?
Kepler: Wenn man am Schlag steht, hat man keine Zeit zu denken. Wenn man anfängt zu überlegen, ist es schon vorbei. Man hat vielleicht eine Millisekunde um zu reagieren, und die braucht man um den Schläger zu feuern.
SPOX: Wie ist das eigentlich mit der Hierarchie im Baseball, wenn es nicht so gut läuft? Gibt es dann Führungsspieler, die auch mal lauter werden, oder ist das eine reine Coaching-Sache und Spieler melden sich gar nicht zu Wort?
Kepler: Nein, wir haben einige Veteranen, die schon lange in der Liga sind. Joe Mauer zum Beispiel, oder Team-Captain Brian Dozier. Sie füllen die Führungsrolle aus, wenn es mal nicht läuft.
SPOX: Wie ist es bei Ihnen persönlich? Haben Sie das Gefühl, dass es bei Ihnen zu Saisonbeginn besser lief?
Kepler: Ich weiß gar nicht mehr, wie es am Anfang gelaufen ist. (lacht) Ich bin vom Typ her jemand, der sich in den Sport vertieft und vergisst, was gestern passiert ist. Ich fokussiere mich komplett auf meine Arbeit und das nächste Spiel, denn alles andere kann ich nicht kontrollieren. Was unsere Bilanz angeht: Ja, wir hatten einen richtig guten Start, aber die Saison ist lang, wir haben nicht einmal die Hälfte hinter uns. Entscheidend ist die mentale Stärke und der Spaß an der Sache. Und die Fitness: Wenn du nicht richtig fit bist, zieht es dich runter, egal in welchem Sport.
SPOX: Wie sieht es mit Statistiken aus? Die stehen im Baseball extrem im Fokus. Verfolgen Sie persönlich zum Beispiel Ihren Schlagdurchschnitt, oder lässt man das gar nicht an sich herankommen?
Kepler: Am Ende der Saison ziehe ich Bilanz. Auch wenn es in jedem Stadion auf dem Scoreboard steht, schaue ich nicht so gerne hin, weil ich mir dann viel zu sehr einen Kopf machen würde. Mein Ziel ist es, jeden Tag in jedem At-Bat eine möglichst gute Leistung abzuliefern: Den Ball möglichst hart schlagen, viele Pitches sehen und einfach nur die Siegchance des Teams erhöhen.
SPOX: Gibt es bei Ihnen einzelne Bereiche, an denen Sie in der letzten Offseason explizit gearbeitet haben?
Kepler: Ich versuche in jeder Offseason viel an mir zu arbeiten. Ich habe ein Team, das mich in dieser Zeit betreut. Einer davon ist Pitcher, so sehe ich auch viel Live-Pitching. Im nächsten Winter will ich gegen einen Linkshänder schlagen, um speziell das Hitting gegen Leftys zu trainieren. Die sind in den Big Leagues schon ein bisschen schwerer zu spielen als in den Minor Leagues.
SPOX: Woran liegt das? Ihr Manager hat Sie ja auch das eine oder andere Mal gegen Linkshänder draußen gelassen.
Kepler: Sicherlich auch an der mentalen Komponente: Viele sagen, dass es in der MLB gegen Linkshänder schwerer ist. Dann redet man sich das ein bisschen ein - und dann ist es auch so. Wenn es bei mir mal gar nicht läuft, spielt immer der Kopf eine Rolle. Du stehst am Schlag und dir schießen die Gedanken durch den Kopf.
SPOX: Und wenn es mal richtig läuft?
Kepler: Dann fühle ich mich wohl und denke nicht viel nach, sondern reagiere auf den Ball - also alles sehr simpel. Aber das kommt und geht, so ist Baseball eben. Ich glaube, das ist bei jedem Spieler so. Die Veteranen, die schon ewig dabei sind, haben meistens diese mentale Stärke und können diesen Aspekt am besten kontrollieren.
SPOX: Bei Ihnen lief es letzte Saison gut, trotzdem waren die Twins das Team mit der schlechtesten Bilanz. Dieses Jahr sind die Twins richtig gut aus den Startlöchern gekommen, liefern sich nun aber mit den Cleveland Indians nach einer Pleitenserie einen heißen Kampf um den Playoff-Platz in der American League Central Division. Schrillen bei Ihnen die Alarmglocken?
Kepler: So läuft der Sport eben. Baseball ist ein "heißer" oder "kalter" Sport: Wenn ein Hitter den Ball nicht oft trifft, dann ist er kalt. Das kann auf die Mitspieler übergreifen und dann wird die ganze Mannschaft kalt und schlägt nicht mehr so gut, oder es zieht die Pitcher herunter. Zuletzt war die ganze Mannschaft auch ein bisschen müde. Wir hatten ein paar Doubleheader hintereinander, also zwei Spiele an einem Tag, und ich glaube, dass wir deswegen alle physisch und mental ein bisschen down sind. Es geht beim Baseball auch immer ein bisschen hin und her, das darf man nicht unterschätzen: Wir hatten jetzt mehrere Serien gegen die Indians, mal haben sie uns geschlagen und mal wir sie - wer am jeweiligen Tag fokussierter und besser drauf ist, der gewinnt.
SPOX: Lassen Sie uns zum Abschluss noch in die Zukunft blicken. Welche Ziele haben Sie sich für den Rest der Saison gesetzt, sowohl persönlich als auch als Team? Wie gehen Sie jetzt die nächsten Monate an?
Kepler: Einfach gesund und munter bleiben. Wir wollen als Mannschaft im Vergleich zur letzten Saison positiv bleiben. Gerade in puncto Teamgeist haben wir uns dieses Jahr deutlich verbessert: Wenn du mal einen schlechten Tag hast, ist sofort der Spieler neben dir da und baut dich auf. Auch wenn wir mal ein paar Spiele am Stück verlieren, sind wir noch gut drauf. Ich glaube wir sind als Mannschaft auf jeden Fall gewachsen. Wir haben viele junge Spieler, die jeden Tag dazulernen, ob wir nun gewinnen oder verlieren. So ähnlich wie bei den Timberwolves in der NBA.