In regelmäßigen Abständen stellt SPOX NBA-Legenden vor. Ikonen wie Bill Russell oder Hakeem Olajuwon. In Vergessenheit geratene Superstars wie Bernard King oder den Iceman. Spieler, die auch heute noch in aller Munde sind, wie Charles Barkley oder Allen Iverson.
Es gibt nicht viele Spieler, die schon im Laufe ihrer Karriere eine solche Würdigung verdient hätten. Einer davon ist Kobe Bean Bryant. Fünf Championships. MVP. 81 Punkte. Einundachtzig Punkte! Einen Platz im NBA-Pantheon hat er sicher, in einer Reihe mit Laker-Größen wie Kareem oder Magic.
Die Geschichte der "Black Mamba" ist noch nicht fertig geschrieben, deshalb kommt ein Rückblick eigentlich zu früh. Gleichwohl ist es nur recht und billig, an seinem 36. Geburtstag kurz innezuhalten. Bevor "Vino" seinen letzten NBA-Abschnitt beginnt.
"Quatsch mich besser nicht an. Wer am Baum rüttelt, auf den fällt ein Leopard"
Eigentlich ein Zitat von 2008 - Bryant schenkte J.R. Smith nach dessen Trash-Talk-Versuch 49 Punkte und 10 Assists ein, den Spruch gab es kostenlos obendrauf -, aber es beschreibt perfekt die Attitüde, die der in Italien geborene Sohn von Joe "Jellybean" Bryant 1996 in die NBA brachte. Als erster Guard überhaupt schaffte er den Sprung von der High School direkt in die stärkste Liga der Welt. Zum Zeitpunkt des Drafts war er gerade einmal 17 Jahre alt, seine Eltern mussten seinen ersten Vertrag unterschreiben.
Und der führte ihn nicht etwa zu den Charlotte Hornets, die den 13. Pick im Draft hatten, nein. Es musste das Beste sein. Lila und Gold, die Franchise mit der vielleicht größten Strahlkraft überhaupt. So wurde er - wohl auch unter dem sanften Druck seines Agenten - nach LA getradet. Dort arbeitete sich der schmächtige 18-Jährige Stück für Stück hoch in die NBA-Elite: 7,6 Punkte pro Spiel in Jahr eins, aber zwei Jahre später waren es schon 19,9. Jüngster Slam-Dunk-Champion ever. Jüngster All-Star-Starter ever.
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Alles klappte bei weitem nicht: In den Playoffs 1997 leistete er sich gegen die Utah Jazz in Runde eins in der Crunch Time gleich drei Airballs in Spiel 5, die Lakers schieden aus. Der Leopard war noch etwas wacklig auf den Beinen, aber schon jetzt gab es Lob von höchster Stelle. "Kobe war der einzige, der den Schneid hatte, diese Würfe überhaupt zu nehmen", betonte Shaquille O'Neal. Angst auf dem Court? Für Bryant nie eine Option.
"Ich konzentriere mich auf ein Ziel, nur auf dieses eine: Ich will so viele Titel gewinnen wie irgend möglich"
An der Seite von Shaq dominierte Kobe ab 1999 die Liga, auch wenn er immer ein bisschen im breiten Schatten des Center-Kolosses stand. Sie mochten sich zwar nie, konnten aber hervorragend harmonieren: Crossover Kobe, ab in die Zone, butterweich aufgelegt für den Alley-Oop-Slam. Eine solche Inside-Out-Combo hatte sonst kein Team zu bieten.
2000 bis 2002 folgte der Threepeat. Gerade in den Playoffs legte der One-Two-Punch von Head Coach Phil Jackson eine Dominanz hin, die es so bisher selten gegeben hatte - wenn überhaupt. Man muss sich mal vorstellen: Im Alter von 23 hatte Kobe bereits drei Ringe an den Fingern, als jüngster Spieler überhaupt, versteht sich. Und das nicht als Mitläufer: 2000/01 etwa legte er 28,5 Punkte auf, dazu 5 Assists und fast 6 Rebounds.
Als man 2004 in den Finals als vermeintliches Superteam gegen die Detroit Pistons sang- und klanglos einging, war eine Ära zu Ende: Jackson ging, Shaq wurde gegangen. Die Lakers waren nun Kobes Team. Und er war bereit: "2003 war mein Spiel komplett", erinnert er sich. "Werfen, Defense, Dribblings, Fastbreak, Mitteldistanz, alles war da. Es ging nur noch ums Fine-Tuning." Und als er sein Spiel zu 100 Prozent justiert hatte, wurde es historisch.
"Ich bin auf der Jagd nach Perfektion"
Die Nummer 8 der Los Angeles Lakers ist ein hervorragender Verteidiger, ein guter Passer, ein Modellathlet. Aber wenn man ihn fragt, dann bezeichnet er sich vor allem als eins: als Scorer. Und da ist er wahrlich kein Kind von Traurigkeit. Im Februar 2003 macht er 40,6 Punkte pro Spiel. Am 20. Dezember 2005 kommt er gegen die Dallas Mavericks auf 62 Punkte - in den ersten drei Vierteln. Damit hat er mehr Zähler auf dem Konto als das gegnerische Team (61). Natürlich überschlagen sich die Medien und Fans. Und fragen sich, was wohl möglich gewesen wäre.
Die Antwort gibt Kobe fast genau einen Monat später, in jenem Heimspiel gegen die Toronto Raptors, von dem die damals Anwesenden noch ihren Enkeln erzählen werden. 28 von 46 aus dem Feld, 18 von 20 Freiwürfen. Die Raptors, die ihn - aus welchem Grund auch immer - nicht doppeln, sind zu Beginn sogar das stärkere Team, werden dann aber auseinandergenommen. "Wir haben während des Spiels daran gedacht, ihm etwas anzutun", erinnert sich Jalen Rose - und zwar nur halb im Scherz.
55 Punkte in der zweiten Halbzeit, 81 Punkte insgesamt stehen am Ende auf dem Boxscore-Zettel. Unheimlich. Unglaublich. Unfassbar. "So etwas habe ich noch nie gesehen", staunt Phil Jackson, immerhin langjähriger Coach von MJ. Für viele Experten eine größere Leistung als die 100 Punkte von WIlt Chamberlain. Gibt es dafür eine Erklärung? "Das war das erste und einzige Mal, dass meine Großmutter bei einem Spiel dabei war", sagt Bryant fünf Jahre später. Oh, und er habe vor dem Spiel eine Pepperoni-Pizza gegessen. Wenn's weiter nichts ist!
"Ich will nicht der nächste Michael Jordan sein. Ich bin einfach Kobe Bryant"
Ach ja, die ewigen Vergleiche. Kobe ist noch nicht lange in der NBA, da werden die ersten Parallelen zu MJ festgestellt. Schließlich ist die Liga nach dem Abtritt des GOAT auf der Suche nach dessen Nachfolger. His Airness hat die Messlatte für die folgende Generation gelegt.
Die Vergleiche sind ebenso unfair wie unabdinglich. Kobe wehrt sich zwar dagegen, aber über die Jahre hinweg wird immer deutlicher, wie ähnlich sie sich sind. Und wie stark Bryant sein Spiel nach Jordan ausrichtet, ja, nicht nur sein Spiel, sondern sein Äußeres, seine Rückennummer, sein Gesichtsausdruck, seine Eigenheiten.
Aus dem Highflyer wird ein Jumpshooter mit überragender Beinarbeit, dem gleichen seidigen Fadeaway, der Cleverness, der Abgezocktheit. Und beide treibt sie der unbedingte Wille zu gewinnen. Kein Wunder, dass Jordan mit Wohlgefallen auf Kobe herabblickt: Der sei der einzige, der es verdient habe, mit ihm verglichen zu werden. Und noch 2013 erklärte er, den Laker einem LeBron James vorzuziehen.
Und was ist mit den 81 Punkten? Das sind immerhin 12 Punkte mehr als das Career High von MJ. "Wenn ich ihm gegenübergestanden hätte, wäre ich auf keinen Fall am Spielende ohne sechs Fouls dagestanden", so Jordan. "Ich weiß nicht, ob ich 81 Punkte hätte zulassen können, ohne mit sechs Fouls auszuscheiden." Es wäre wohl das ultimative Duell zwischen einer unaufhaltsamen Kraft und einem unüberwindbaren Hindernis geworden.
"Eine Sache muss man über mich wissen: Ich habe keinerlei Filter. Ich habe kein Problem damit, jemandem zu sagen, was zur Hölle ich über ihn denke"
In den Jahren nach Shaq hat Kobe bei den Lakers - um es vorsichtig zu formulieren - vor allem Fallobst im Kader. Mit Smush Parker, Kwame Brown und Chris Mihm in der Starting Five keine Titel zu holen, das ist sicherlich keine Schande. Und bietet ihm die Gelegenheit, individuelle Bestmarken aufzustellen.
Aber er, von Streben nach Perfektion besessen, legt die gleichen Maßstäbe, die für ihn gelten, auch an seine Mitstreiter an. Das geht nicht immer gut, denn Kobe hält mit seiner Meinung nach wie gesagt nicht hinter dem Berg. In solchen Momenten kann er kalt und erbarmungslos sein. Er baut seine Teamkollegen in diesen Jahren nicht auf, sondern er wiegt sie. Wer zu leicht gefunden wird, der zieht sich den Zorn der Mamba zu.
"Ich kann es mir nicht leisten, die Leute zu besänftigen", führt er in der "Sports Illustrated" aus. "Das geht nicht. Ein Anführer ist kein geselliger Schmetterling. Sein Job ist es, das Team ins Gelobte Land zu führen." 2009 und 2010 gelingt ihm das, es sind die Ringe vier und fünf.
Wer Angst vor dem Scheitern hat, der wird scheitern"
Und nun, nach zwei verlorenen Jahren, soll der nächste Anlauf kommen. Bei allem Respekt: Das Team um Kobe herum wirkt ähnlich schwach auf der Brust wie die Ausgabe von vor zehn Jahren. Wie soll es den 36-Jährigen auffangen?
Ein neuer Coach, Jeremy Lin, Carlos Boozer. Bryant spricht davon, dass man die Puzzleteile nur richtig zusammensetzen müsse, dann sei alles möglich. Auch bei ihm? "Es gibt Dinge, die mir mein Körper nicht mehr erlaubt, das war früher anders", gibt er zu - doch dann kommt sein inneres Feuer zum Vorschein: "Wenn die Experten also sagen: 'Ach, er wird nicht mehr das, was er einmal war', dann haben sie Recht! Das werde ich nicht. Aber nur weil sich etwas weiterentwickelt, muss es noch lange nicht schlechter sein."
Mental schärfer werde er sein, effizienter. "Sehr sehr methodisch, sehr, sehr zielstrebig." Wenn es ihm sein Körper erlaubt, dann wird er nahe herankommen an den Kobe Bryant von 2012/2013, der in 78 Spielen 27,3 Punkte, 6 Assists und 5,6 Rebounds verzeichnete. Ein großes "wenn".
"Ich habe Angst [vor der Zeit nach der Karriere]. Da kommt die nächste Welle - das ist unfassbar beängstigend, macht aber gleichzeitig auch Spaß"
Es ist erlaubt, an den knirschenden Gelenken des Shooting Guards zu zweifeln, der in der NBA von den Widersachern respektiert, in China verehrt, von Laker-Fans vergöttert wird. Aber im Kopf ist er noch jung, selbst auf der Zielgeraden seiner Karriere.
Zwei Jahre läuft sein neuer Vertrag. Er ist derart hochdotiert, dass es schwer wird, um Bryant ein Team aufzustellen, das ein ernsthafter Titelkandidat ist. Gut möglich, dass es sich in eineinhalb Jahren um eine Art Abschiedstournee handeln wird. Tränen und Geschenke inklusive? "Nein, nein, nein danke", wehrt er ab. "Wer mich 18 oder 19 Jahre ausgebuht hat, der soll mich auch im 20. ausbuhen. So ist das Spiel eben."
Ausbuhen. Aber auch respektieren, mögen, bewundern, verehren. So lange, bis es irgendwann heißt: Mamba out.