NBA

"Wie eine Achterbahnfahrt"

Von Für SPOX in Miami: Jan-Hendrik Böhmer
Die Miami Heat haben sechs ihrer letzten zehn Spiele verloren
© getty

Nach einem soliden Start geht es für die Miami Heatderzeit steil bergab. Die Nachwehen des Abgangs von LeBron James - oder steckt mehr dahinter? SPOX hat in Miami nachgefragt.

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Es ist still im Locker Room der Miami Heat. Nur eine handvoll Journalisten wartet geduldig darauf, dass sich Chris Bosh und Dwyane Wade den Fragen stellen.

Während die Reporter auf ihren Handys spielen, kommt Shawne Williams aus der Dusche, geht unbeachtet zu seinem Spind, zieht sich an und verlässt stillschweigend den Raum. Lediglich das quitschen seiner Sneaker ist zu hören. Niemand sagt ein Wort.

Der Erfolg verblasst

Nichts mehr ist von dem Trubel zu spüren, der noch vor wenigen Monaten hier in den Katakomben der American Airlines Arena herrschte. Alles ist anders.

Gut ein Viertel der laufenden NBA-Saison ist vorbei - und die Heat müssen erstmals seit mehr als viereinhalb Jahren wieder eine negative Bilanz erklären. Nur die Bilder an den Wänden und das riesige Championship-Logo auf dem roten Teppich erinnern noch daran, dass hier vor nicht allzu langer Zeit der Champagner floss.

Vielversprechender Start

Dabei hatte zu Beginn der Spielzeit noch alles so gut ausgesehen. Fünf Siege aus sieben Spielen, so startete Miami in die Saison - und ließ mit Erfolgen über die Wizards, Raptors und Mavericks die diversen Zweifler, die nach dem Abgang von LeBron James einen Untergang des Teams vorausgesagt hatten, kurzfristig verstummen.

Bosh, den viele Fans nicht als Team-Leader einschätzten, und daher seinen 118-Millionen-Dollar-Vertrag als Fehlinvestition bezeichneten, lieferte in den ersten sieben Spielen vier Double-Doubles ab und erzielte dabei immer mehr als 20 Punkte. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass er in seiner neuen Rolle als starker Mann aufblüht.

Auch Wade spielte, als hätte es die Diskussionen um seinen Gesundheitszustand nie gegeben. Immer wieder heizte er das Team an, zog kraftvoll zum Korb und setzte seine Teamkollegen sehenswert in Szene (20 Punkte, 8 Assists im Durchschnitt). 30 Minuten und mehr stand er dabei auf dem Parkett - ohne größere Probleme. "Es ist schön, endlich wieder so aufspielen zu können", sagte er damals zu SPOX.

Selbst neue Spieler wie Luol Deng, oder der zu Beginn überraschend starke Shawne Williams, schienen sich gut in das bestehende System einzufinden.

"Stehen uns manchmal selbst im Weg"

All das scheint jetzt in weiter Ferne zu liegen. Sechs der letzten acht Spiele haben die Heat verloren, wurden bis auf Rang sieben der Eastern Conference durchgereicht. Es ist der schlechteste Saisonstart der Heat in sieben Jahren unter Coach Erik Spoelstra. Das hatten trotz des Abgangs von LeBron James nur die Wenigsten erwartet.

Das Talent, um im Osten nicht um die Playoffs bangen zu müssen, ist zweifelsohne vorhanden. Die Frage ist also: Warum verlieren die Heat? "Manchmal stehen wir uns einfach selbst im Weg", sagt Bosh zu SPOX. "Wir wissen, dass wir besser spielen können. Aber oftmals passen die einzelnen Teile noch nicht richtig zusammen."

Schwachstelle Defense

Größter Kritikpunkt aktuell: die Defense. Nur die Lakers und Timberwolves lassen derzeit eine höhere Quote aus dem Feld zu. Miamis Gegner verwandeln mehr als 50 Prozent aller Würfe aus dem Feld - das wird den Heat oft zum Verhängnis. "Wenn du deinem Gegner erlaubst, oft mehr als 55 Prozent seiner Würfe zu verwandeln, dann verlierst du mehr Spiele als du gewinnst", sagt Bosh. "Und genau das passiert uns derzeit immer wieder. Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir bessere Defense spielen."

Doch es ist nicht nur die gegnerische Wurfquote, die den Heat zu schaffen macht. Auch bei der Arbeit am Brett hapert es derzeit. Mit gut 27 Defensiv-Rebounds rangieren die Heat am Ende der NBA-Statistik. Das heißt: Selbst wenn der Gegner mal einen Wurf vergibt, erlaubt man ihm eine zweite Chance. "Das können wir nicht zulassen", so Bosh. Besonders deshalb nicht, da sich die Gegner mittlerweile darauf eingeschossen haben, die Heat Inside-out attackieren, und das Problem daher noch verstärken.

Zuletzt verpflichtete Miami sogar Center Hassan Whiteside (stattliche 2,13 Meter), um in Abwesenheit von Chris Andersen für mehr Präsenz unter dem Korb zu sorgen. Auch Center Justin Hamilton durfte sich mittlerweile über seinen ersten Auftritt in der Starting Five freuen (7 Rebounds in 20 Minuten gegen Denver). Dennoch: Schlichtweg einen weiteren Big Man in die Aufstellung zu befördern, ist keine permanente Lösung.

Neulingen fehlt das Verständnis

Das Problem in der Defense liegt nämlich tiefer. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Luol Deng, von dessen Verpflichtung man sich in Miami viel erhofft hatte. Während er diese Erwartungen in der Offensive wenigstens gelegentlich erfüllt (Phoenix, Charlotte und Dallas), so wirkt er in der Rückwärtsbewegung oft noch orientierungslos. Es ist deutlich zu erkennen, dass ihm - und vielen anderen Neulingen - das Verständnis für Spoelstras Defensiv-Konzept fehlt. Er selbst gab kürzlich zu, dass er noch zu viel über das Spiel nachdenken muss, anstatt sich auf seinen Instinkt verlassen zu können.

Und das liegt nicht etwa an Deng selbst, sondern am verhältnismäßig komplizierten Defensiv-Schema der Heat. Insidern zufolge würden viele Spieler den Gameplan von Coach Spoelstra erst nach gut zwei Jahren komplett verinnerlichen.

Während das mit einem eingespielten Team den vergangenen Jahren kein Problem war, stellt es jetzt eine große Hürde da. Nur sechs Spieler der Vorjahres-Teams sind in diesem Jahr zurück, zudem müssen die Heat immer wieder Verletzungen verkraften. Neben Andersen und Wade (Oberschenkel), fallen auch Josh McRoberts (Rücken, Knie), Danny Granger (Knie), Norris Cole (Finger, Erkältung) und Deng (Hand) immer wieder aus.

Spoelstra? "Kunstfehler und Amtsmissbrauch"

"Jedesmal müssen wir von Neuem anfangen, unsere Team-Chemie aufzubauen. Das ist wie eine Achterbahnfahrt", sagt Bosh. Und bei dem Auf und Ab fällt es den Spielern sichtlich schwer, das nötige, blinde Verständnis für - und Vertrauen in - die neuen Mitspieler aufzubauen. Das Resultat ist eben jene fehlende defensive Konstanz.

Liegt es also an Coach Spoelstra? Kritik am Trainer ist in Miami schließlich nichts Neues. Immer wieder wird berichtet, dass Spoelstra wenig mit dem Erfolg der Heat zu tun gehabt hätte, James, Wade und Bosh das Team quasi selbst aufgestellt und geführt hätten. "ESPN"-Kolumnist Jason Whitlock schrieb vor kurzem sogar: "Spoelstra ist in der Vergangenheit mehrfach mit Kunstfehlern und Amtsmissbrauch davongekommen. Er hat seine Spieler quasi vernachlässigt. Aber das ging nur solange gut, solange er ein erfahrenes Team mit einem Leader hatte, der Dinge auf dem Platz regeln konnte."

Und dieser Leader fehlt nun offenbar. Bosh spielt zwar eine (sehr) gute Saison, muss sich an die Rolle als Nummer eins im Team aber erst noch gewöhnen. Immer wieder äußert er zwar seinen Missmut, nimmt dann aber nicht die Zügel selbst in die Hand. "Wir hatten Ansprachen, Demonstrationen, Walk-Throughs, spezielle Trainingssitzungen - doch noch immer ist nichts passiert", kritisierte er vor kurzem die Bemühungen der Trainer, die schwächelnde Defense endlich in den Griff zu bekommen.

Wade räumt Frustration ein

Zudem räumt er ein, dass die Einstellung im Team gelegentlich nicht stimmt. "Das ist alles Kopfsache" sagt Bosh. "Wir sind es nicht gewohnt, zu verlieren. Das ist schwierig für uns. Wir müssen mit dieser Veränderung erst mal klarkommen." Und auch Wade gibt zu, dass sich besonders bei den "erfolgsverwöhnten" Heat-Routiniers ein wenig Frust breit macht. Frust, der sich auch auf dem Parkett zeigt.

Abhilfe könnte - und müsste - hier von der zweiten Garde kommen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Spieler wie Cole, Williams, James Ennis und Shabazz Napier zeigen immer mal wieder ihr Talent, dennoch stellt Miami die viertschlechteste Bank der Liga. Zwar gibt Spoelstra, wie von ihm gefordert, seinen jungen Spielern insgesamt mehr Chancen als in den Jahren zuvor, trotzdem steht die Heat-Reserve immer noch wenig auf dem Platz (17,9 Minuten im Durchschnitt) und erzielt dabei kaum Punkte (24.6).

Zum Vergleich: Die Bank der Suns steuert im Schnitt 44,6 Punkte pro Spiel bei. Das wiederum erhöht den Druck auf Wade, Bosh und die anderen Starter - und Spoelstra musste bereits zugeben, dass das besonders bei Back-to-Back Spielen ein Problem ist.

Mitten im Übergang?

Doch wie geht es nun weiter? Viele Fans in Miami klammern sich an die Erinnerungen aus der Saison 2010/11. Damals starteten die Heat ebenfalls durchwachsen in die Saison (9-8 Ende November), um es am Ende dennoch bis in die Finals zu schaffen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Teams, und der hat nur bedingt etwas mit dem Abgang von LeBron James zu tun.

Es fehlt aktuell die Perspektive, das "Big Picture". Die Heat standen nach dem Verlust von James an einem Scheideweg: Entweder den kompletten Neuaufbau angehen, oder irgendwie die nächsten beiden Jahre überbrücken, bis man in der Free Agency 2016 groß zuschlagen kann. Heat-Boss Pat Riley entscheid sich offenbar für letzteres.

Während man Bosh als potentiellen Eckpfeiler für das 2016/17 Team langfristig binden wollte, bekamen Deng und Wade lediglich Zweijahresverträge. Insgesamt sind nur McRoberts, Bosh und Ennis längefristig gebunden (plus Team-Option bei Napier). Zudem ist offenbar nicht einmal klar, ob das aktuelle Roster so bestehen bleibt. "ESPN"-Reporter Michael Wallace berichtet nämlich, dass Bosh, Wade und McRoberts die einzigen Spieler seien, die Riley in der kommenden Trade-Season (ab 15. Dezember) nicht abgeben würde. Und das ist vielen Spielern bewusst.

Fehlendes Vertrauen?

Als Resultat stehen sie nicht zu hundert Prozent hinter dem System des Teams. Bosh deutete dies kürzlich in einem Interview an, als er einen Vergleich mit den San Antonio Spurs zog. "Es hängt alles mit der Mentalität der Spieler zusammen", sagte er. "Wir können um die Spitze mitspielen, aber wir müssen es wollen und hart spielen."

Und weiter: "Die Spurs sind vielleicht nicht das talentierteste Team, aber sie überrennen dich dennoch. Und warum? Weil sie ihrem System vertrauen, und weil sie zusammen spielen. Man muss sich gegenseitig vertrauen. Sonst gewinnt man in dieser Liga nichts."

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