Die öffentliche Wahrnehmung von NBA-Spielern verläuft auf einer Art Skala, die wir uns an dieser Stelle mal vertikal vorstellen.
Ganz oben sind die Superstars, diejenigen, bei denen jeder wertschätzt und akzeptiert, wie gut sie sind, selbst wenn man sie nicht mag. In der Mitte finden sich die Spieler, die polarisieren - die einen bewundern ihre Stärken, die anderen kritisieren lieber ihre Schwächen. Ganz unten sind wiederum Spieler, bei denen es keine Kontroversen gibt: Eigentlich findet sie jeder mies.
Manchmal verlaufen Änderungen auf dieser Skala positiv. Russell Westbrook beispielsweise wurde jahrelang für seine Wurfauswahl kritisiert, heute akzeptiert eigentlich jeder, dass sie bei ihm eben Teil des Gesamtpakets ist und dass er trotzdem ein Superstar ist. LeBron James war als "LeChoke" James verschrien, bevor er seine erste Meisterschaft holte.
Josh Smith hat es innerhalb von rund 17 Monaten geschafft, sich genau in die andere Richtung zu bewegen. Von einem der talentierteren Forwards der Liga ist er zur Punchline geworden. J-Smoove ist ganz unten angekommen.
Fast All-Star in Atlanta
Gehen wir zurück zum 10. Juli 2013: Die Detroit Pistons verkündeten an diesem Tag, dass sie Smith über vier Jahre und 54 Millionen Dollar unter Vertrag genommen hatten. "Viel zu teuer!", hieß es aus dem einen Lager. "Smith wird in Detroit All-Star", aus dem anderen. Polarisierend eben.
Tatsächlich war J-Smoove in den vorigen Jahren teilweise recht knapp an All-Star Game vorbeigeschrammt. In seiner letzten Saison bei den Atlanta Hawks kam er auf 17,5 Punkte, 8,4 Rebounds, 4,2 Assists, 1,2 Steals und 1,8 Blocks bei einer Wurfquote von 46,5 Prozent - alles andere als schlecht. Vor allem defensiv überzeugt er und schafft es 2010 ins All-Defense Second Team.
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Kritik an seiner Wurfauswahl, der Körpersprache und dem generellen Basketball-IQ verhinderten in diesen Jahren, dass er mal zum Spiel der Besten eingeladen wurde, obwohl das Team regelmäßig die Playoffs erreichte und er stets zu den Leistungsträgern gehörte.
Einige hielten ihn deshalb für unterschätzt, andere waren frustriert, dass ein so athletischer und am Brett versierter Spieler so häufig (und ineffizient) von draußen ballerte.
Großer Verlust für Detroit
Spulen wir vor zum 22. Dezember 2014. Detroit beendet das Experiment J-Smoove. Smith wird entlassen, obwohl sein Vertrag garantiert ist und die Pistons ihm sein üppiges Gehalt weiter bezahlen müssen. So dringend ist es ihnen offensichtlich, ihn loszuwerden, dass sie eins der größeren Verlustgeschäfte der letzten Jahre gerne in Kauf nehmen.
"Es ist Teil unserer Zukunftsplanung und hat nichts damit zu tun, dass Josh bei uns ein Problem war", sagt Coach und General Manager Stan van Gundy. Ja nee, ist klar. Der Teamchemie scheint es nicht geschadet zu haben, Detroit hat seit J-Smooves Abgang jedes ihrer fünf Spiele deutlich gewonnen.
Natürlich erwartet niemand von van Gundy, dass er seinen früheren Spieler öffentlich in die Pfanne haut. Das muss er aber auch gar nicht. Dafür hat Smith bei den Pistons selbst gesorgt, selbst wenn nicht alles unmittelbar seine "Schuld" ist.
Airball-schießender Miesepeter
Dass die beiden besten jungen Spieler des Teams ebenfalls Big Men sind und er deswegen auf die Drei ausweichen muss, ist nicht seine Schuld. Dass es um ihn herum nahezu überhaupt kein Shooting gibt, kann er auch nicht beeinflussen.
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Dass er allerdings - trotz seiner Shot Charts, die so grausam aussehen, dass sie leider erst ab 18 freigegeben sind - wie wild von der Dreierlinie draufhält, liegt in seiner Verantwortung. Dass er immer wieder eine Schnute zieht, als hätte ihm jemand sein Spielzeug geklaut, ebenfalls.
Bei einem Team, das scheinbar völlig falsch zusammengestellt ist und selbst in der Eastern Conference zum Bodensatz gehört, fällt Smith irgendwann nur noch als Airball-schießender Miesepeter auf.
Binnen weniger Monate gibt es wohl keinen mehr, der seinen Vertrag verteidigen oder ihn für unterschätzt halten würde. Auch wenn die Art und Weise schockiert - dass Detroit versuchen würde, ihn loszuwerden, überrascht niemanden mehr. Polarisierend? Das war mal.
Verschmäht, aber begehrt
Und doch... sobald Smith auf den Markt kommt, bemühen sich Teams um seine Dienste. Nicht irgendwelche Teams, sondern solche, die in dieser Saison ein Wörtchen um die Meisterschaft mitreden wollen. Die Dallas Mavericks. Die L.A. Clippers. Und die Houston Rockets, die letztendlich auch den Zuschlag bekommen.
Selbst wenn seine Aktie noch nie weniger wert war, ist die Logik von Rockets-GM absolut nachvollziehbar. Smith gehört bei aller Kritik immer noch zu den besseren Verteidigern auf seiner Position. Er ist ein talentierter Passer und könnte als eine Art zweiter Playmaker James Harden entlasten. Er ist offensiv vielseitig und könnte neben vielen verschieden Spielertypen koexistieren.
Bei Smith ist es allerdings oft keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens - WILL er die Rolle spielen, die ihm Kevin McHale zugedacht hat? Rockets-Besitzer Les Alexander ist zuversichtlich, dass der Coach zum eigenwilligen Smith durchdringen kann: "Spieler lieben ihn, weil er gleichzeitig hart sein und trotzdem das Gefühl vermitteln kann, dass ihm viel an den Spielern liegt." Zudem ist Dwight Howard ein Jugendfreund von Smith, der ihn womöglich positiv beeinflussen kann.
Kaum Risiko für Houston
Positiv kommt für die Texaner natürlich außerdem eins hinzu: Sie haben kaum Risiko, abgesehen von der Möglichkeit, dass ein Airball von J-Smoove Howard für den Rest der Saison ausknocken könnte. Sie schulden Smith in dieser Saison nur gut zwei Millionen Dollar und mussten abgesehen von Rookie-Center Tarik Black nichts für ihn opfern.
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Der Vertrag läuft nur bis zum Ende der Saison - wenn es also nicht passt, können die Rockets ihn problemlos wieder loswerden. Für den Moment bringt er dringend benötigte Tiefe im Frontcourt, kehren die Verletzten wie Terrence Jones wieder zurück, ist man jedoch auch nicht auf ihn angewiesen. Viel besser könnte die Ausgangslage für Houston nicht sein.
Zumal die ersten sieben Spiele durchaus Grund zur Hoffnung geboten haben. Klar, es gab schon schlechte Auftritte (und Airballs), die Bilanz mit Smith ist mit 3-4 auch nicht gerade berauschend. So langsam scheint McHale aber herausgefunden zu haben, wie er seinen Neuzugang am besten einsetzen kann - und zwar als Sixth Man.
Ein X-Faktor in vielerlei Hinsicht
Es kursieren Gerüchte, dass Smith mit dem Versprechen gelockt wurde, als Rocket starten zu dürfen. Die Resultate mit ihm als Starter waren allerdings erschreckend, bei einer 1-3-Bilanz brachte er nur 5,3 Punkte und 4,5 Rebounds zustande. Die Offense geriet ins Stocken, weil Würfe und Ballbesitze neu verteilt werden mussten.
Mit Smith als erster Option von der Bank scheint es diese Probleme nicht zu geben. In den ersten beiden Spielen, die er als Sixth Man absolvierte, gewannen die Rockets deutlich und Smith schien sich wohlzufühlen. Zudem musste auf diese Weise auch die Rolle vom aufstrebenden Donatas Motiejunas nicht groß verändert werden.
Die Stichprobe ist natürlich noch sehr klein, und gegen die Bulls wurde auch mit Smith als Sixth Man verloren, aber Potenzial hat diese Lösung in jedem Fall. Wenn die Rockets Glück haben, ist ihnen ein X-Faktor in den Schoß gefallen, der in einer Playoff-Serie im brutalen Westen den Unterschied machen könnte.
Man weiß es nur nicht. Der größte X-Faktor befindet sich schließlich immer noch zwischen den Ohren von Josh Smith.