Der MVP ist wieder da.
Vier Spiele hatte Kevin Durant Ende Januar/Anfang Februar aufgrund einer Verletzung am großen Zeh verpasst - beim 74:85 gegen Memphis legte er in dieser Phase dazu nur 15 Punkte auf. Zahlen, die sich OKC im Kampf um die Playoffs im Westen nicht leisten kann. Am Freitag war KD dann aber wieder zurück. Resultat: Drei Siege in vier Spielen, darunter gegen die Clippers und die Grizzlies.
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Bei einer Bilanz von 28-25 stehen die Thunder nun hauchdünn hinter Phoenix (29-25) auf Platz neun der Conference, die Postseason ist nach dem desaströsen Saisonstart zum Greifen nah. Und Durant? Der legt im Februar bislang 30,5 Punkte bei überragenden Quoten auf, dazu noch 6 Rebounds und knapp 4 Assists. Der Zeh macht keine Probleme mehr - der MVP ist zurück.
Das komische ist nur: Vielleicht ist er nicht einmal der MVP seines eigenen Teams.
Westbrook wie Wilt
Denn da gibt es ja noch Russell Westbrook. Der legt in diesem Monat Statistiken auf, die man gemeinhin als "Videospiel-Zahlen" bezeichnet. 31,2 Punkte, 9 Assists, 8,5 Rebounds, über zehn Freiwürfe pro Spiel. Ein Triple Double war schon dabei, mit 45 und 48 Punkten zudem zwei Bestleistungen in Serie gegen den Playoff-Konkurrenten aus New Orleans (27-26). Die Quoten (48/39/92) lesen sich ebenfalls hervorragend. Übrigens: Zwei 45-5-5-Spiele mit über 50 Prozent Trefferquote hintereinander gelangen zuletzt dem großen Wilt Chamberlain. Vor über 50 Jahren.
Überhaupt fallen beim 26-Jährigen in diesem Jahr die persönlichen Bestmarken schon fast im Vorbeigehen. Nicht nur das Career High in Sachen Scoring. Gegen Golden State legte er zum Beispiel ein Triple Double mit 17 Punkten, 15 Rebounds und zuvor noch nicht erreichten 17 Assists auf. Die 15 Rebounds waren natürlich auch Bestmarke.
Hin und wieder krähte in NBA-affinen Zirkeln ein Experte von den Dächern, dass doch eigentlich Westbrook und nicht Durant der wichtigste und wertvollste Spieler der Thunder sei. Spätestens nach der MVP-Saison von Durant 2013/2014 wollte man die Diskussion eigentlich für beendet erklären - doch die laufende bietet genügend Anlass, das Thema noch einmal aufzurollen.
Russell, das Arbeitstier
"Kunststück - Durant war ja auch lange verletzt", lautet die natürliche Abwehrreaktion auf eine solche These. Und tatsächlich zeigte sich KD nach dem Spiel gegen Memphis mit einem dicken Eisbeutel auf dem im letzten Jahr gebrochenen rechten Fuß. "Die Schmerzen kommen und gehen", gab er zu. "So ist nun mal der Heilungsverlauf, das wussten wir schon vor der OP. Mal ist es besser, mal schlechter."
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Es trifft - wie man wohl vermuten würde - zu, dass die Last auf Westbrooks Schultern in dieser Saison ungeahnte Höhen erreicht hat. Seine Usage Rate, also der Prozentsatz der Possessions, die über einen Spieler laufen, steht zurzeit bei astronomischen 37,6. Das wäre Platz vier in der ewigen Bestenliste, hinter Kobe Bryant (05/06), Michael Jordan (86/87) und Allen Iverson (01/02).
Dieses Pensum ist natürlich auch mit Durants Fußbruch zu erklären. Die Zahlen sind dennoch beeindruckend: Als dieser zurückkam, lag seine Usage Rate bei 31,5 - und damit immerhin über seinem Karriereschnitt. Westbrook dagegen brachte es auf 39,1. 2015 verringerte Coach Scott Brooks die Auslastung seiner Stars, sein Point Guard (33,6 und 34,9) liegt aber weiter komfortabel vor dem MVP (27,6 und 28,5). In punkto Spielzeit liegt Durant 2015 dagegen vor Westbrook.
Durant schwächer als 2013/2014
Das passt zu den übrigen Zahlen: Während der Scorerkönig so gut trifft wie noch nie in seiner Karriere (fast 52 Prozent FG), hat er sein All-Around-Game zurückschrauben müssen. Durant greift weniger Rebounds ab (6,6, so wenige wie zuletzt 2008/2009), verteilt weniger Assists (nur 4 pro Spiel) und geht seltener an die Linie (von 9,9 Freebies pro Spiel ist er auf 6,5 abgestürzt).
Beyond the Boxscore: James Harden
Westbrook dagegen hat seine Zahlen dagegen ausgebaut: 25,8 Punkte pro Spiel wären eine neue Bestmarke, zudem setzt er Bestmarken in Freiwürfen (8,7), Rebounds (6,3) und Steals (2,2). 2010/2011 verbuchte er zuletzt mehr Assists im Schnitt als 7,6. Das sind - man muss es so sagen - MVP-verdächtige Marken (James Harden etwa kommt auf 27,4 Punkte, 6,8 Assists und 5,7 Rebounds). Und wenn Westbrook angesichts seiner Werte mit MVP-Favorit Harden mithalten kann - muss er dann nicht auch der MVP des eigenen Teams sein?
Ohne KD stärker?
Natürlich gibt es auch Gegenargumente. Eine solche, fast schon obszöne Usage Rate muss ja fast zwangsläufig zu Karriere-Bestmarken führen. Und seine Trefferquote könnte bei 43 Prozent und lediglich 28 Prozent von Downtown besser sein.
Spannend ist jedoch, dass Durants Ausfall offenbar nicht zu schlechteren Quoten geführt hat - schließlich konnte sich die gegnerische Defense ja fast ausschließlich auf den Point Guard konzentrieren. Wie die Zeitung "The Oklahoman" Ende Januar analysierte, machte Westbrook ohne Durant an seiner Seite über fünf Punkte mehr pro Partie, ohne jedoch auf mehr Turnover oder schlechtere Prozentzahlen aus dem Feld zu kommen.
Nicht nur am sensationellen Februar lässt sich also festmachen: Russell Westbrook hat in diesem Jahr noch einen Schritt nach vorn gemacht. Und das wird honoriert, auch nach Durants Rückkehr. In den Diskussionen um den besten Point Guard der Liga wird er neben Stephen Curry und Chris Paul zwar immer noch regelmäßig vergessen, aber es ist sicherlich kein Zufall, dass er in der letzten Woche gleich zwei Werbedeals bekanntgab: Zum einen wird er das Gesicht der in den USA populären Limo "Mountain Dew", zum anderen bekommt er von der Jordan-Marke seinen ersten eigenen Schuh.
Kommando Attacke
Und die MVP-Frage? Im Team der Thunder sprechen mehrere Faktoren für ihn: Westbrook hat den Ausfall seines Co-Stars mit Bravour aufgefangen - ähnlich übrigens wie Durant in der vergangenen Saison -, seine Aufgabe ist auch nach dessen Rückkehr die größere. Schließlich muss Durant vor allem gesund bleiben. "Natürlich macht [Durants Fitness] dem Team große Sorgen", gab etwa Teamkollege Nick Collison zu. "Er ist entscheidend für unsere Siegchancen."
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Für das Rennen um die Playoffs könnte dagegen Westbrook entscheidend sein. Die Coaches werden KD wohl noch die eine oder andere Pause gönnen - und selbst mit ihm auf dem Court ist es derzeit sein Aufbauspieler, der zu größeren Leistungen in der Lage zu sein scheint. Die Maxime ist klar: "Angriff. Immer im Angriffsmodus bleiben, egal was um mich herum passiert", so der Mann mit der Rückennummer Null. "Ich habe es schon früher gesagt, und ich werde es auch weiterhin sagen: Mein Job ist es, immer weiter zu attackieren."
"Einfach guten Basketball spielen"
Damit könnte er sich - der Februar lässt grüßen - sogar noch einmal ins Rennen um die Maurice Podoloff Trophy katapultieren. Und der eine oder andere OKC-Fan sich die ketzerische Frage stellen: "Harden ist nach seinem Weggang zum MVP-Kandidaten gereift, auch Westbrook und Durant scheinen ohne den jeweiligen Teamkollegen einen noch höheren Leistungslevel zu erreichen. Halten sie sich etwa gegenseitig zurück?"
Und dann wird er hoffen, dass er die Antwort auf diese Frage nie erfahren muss. MVP-Diskussion hin oder her: Aussichten auf den Titel hat man in Oklahoma City nur, wenn sowohl KD als auch Russ in Bestform auftreten. Die interne Hackordnung ist zwar spannend - im Kampf um die Trophäe jedoch bedeutungslos. Wie sagte Durant doch nach dem überzeugenden Sieg über die Grizzlies: "Wir versuchen einfach guten Basketball zu spielen, dann wird sich der Rest von selbst regeln."