Jimmy Butler musste rund drei Wochen lang mit einer Ellbogen-Verletzung aussetzen, die er sich Anfang März bei den Los Angeles Clippers zugezogen hatte. Bei den Bulls rückte dafür Tony Snell in die Starting Five auf.
Ein Risiko, zumal der Sophomore bis dahin nicht unbedingt mit Spielzeit überhäuft worden war, allerdings gab es abgesehen von E'Twaun Moore kaum Alternativen - und Snell machte seine Sache ordentlich. In den elf Spielen, die Butler verpasste, produzierte Snell als Starter 9,5 Punkte pro Spiel und überzeugte vor allem als Verteidiger auf dem Flügel.
Die Quoten waren ausbaufähig, durch die Mehrzahl an Würfen ging seine über die Saison ordentliche Effizienz aus dem Feld (43,2 Prozent FG) auf teilweise unter 40 Prozent runter. Dennoch bewies er sein Potenzial und zeigte, dass er für die dünne Flügel-Rotation der Bulls eine wertvolle Option sein kann.
Am 23. März kehrte Butler beim Spiel gegen die Charlotte Hornets zurück in die Starting Five. Tom Thibodeau ließ ihn knapp 40 Minuten spielen, fünf Minuten mehr als jeden anderen auf dem Feld. Snell durfte für 16 Minuten ran, verfehlte seinen einzigen Wurf und blieb ohne Punkt.
Überlastung der Starter
Für Butler ist das nicht ungewöhnlich - Mr. Buckets spielt in dieser Saison 38,8 Minuten pro Spiel und damit mehr als jeder andere NBA-Spieler. Auch Snell kennt das Phänomen, dass sich seine Rolle immer wieder verändert, nach knapp zwei Jahren Thibodeau recht gut.
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Der Bulls-Coach ist berühmt dafür, seine Starter in Grund und Boden rennen zu lassen, weil er jedes Spiel mit der Intensität eines Playoff-Spiels angeht. Seine Rotationen sind überschaubar, weil er nur einem kleinen Nukleus vertraut. Rookies oder Rollenspieler kommen häufig nur gezwungenermaßen zu Einsatzzeit.
In dieser Saison spielt jeder Starter mit Ausnahme von Mike Dunleavy (29,1) mindestens 30 Minuten pro Spiel, gerade einmal 14 Spieler haben ligaweit mehr Minuten abgerissen als der 34-Jährige Pau Gasol. Die Idee, seine wichtigsten Spieler im Hinblick auf die Playoffs zu schonen, wie es Gregg Popovich oder Mike Budenholzer praktizieren, käme Thibs nicht in den Sinn.
"Er ist so besessen von Basketball, dass es teilweise so wirkt, als gäbe es nichts anderes für ihn. Er fordert immer 100 Prozent", sagte Joakim Noah vergangenes Jahr gegenüber SPOX - es war als Lob gemeint. Die Besessenheit und die kurze Leine, an der Thibs sein Team hält, werden in Chicago aber nicht überall wohlwollend gesehen. In und um die Organisation gibt es vermehrt Stimmen, die den griesgrämigen Trainer nicht mehr für den richtigen Mann an der Seitenlinie halten.
Nur Jax war besser
Immer wieder wird berichtet, dass das Verhältnis zwischen Thibs und dem Management vergiftet und irreparabel beschädigt sei. Das wirkt einerseits absurd, wenn man auf seine Erfolgsbilanz bei den Bulls blickt.
Trotz der ausgiebigen Krankenakte seines besten Spielers Derrick Rose hat Thibodeau eine Siegbilanz von 64,7 Prozent, die in der Bulls-Historie nur von Phil Jackson getoppt wird. Zurecht würden sich etliche Teams die Hände reiben, sollte Thibodeau im Sommer ohne Job sein.
Andererseits ist Rose nicht der einzige, der sich bei den Bulls häufig verletzt - und Berichten zufolge machen die Vorgesetzten Gar Forman und John Paxson Thibs' Minuten-Management dafür verantwortlich. Zumal der Trainer des Jahres 2010/11 nicht unbedingt als kompromissbereiter Vertreter seiner Zunft gilt.
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"Man kann nur garantieren, dass sich jemand nicht verletzt, wenn man ihn nicht spielen lässt", wies er diesen Kritikpunkt im Oktober säuerlich ab, "lass' ihn nicht trainieren. Lass' ihn nicht in der Preseason und nicht in der Regular Season spielen. Dann wird er sich nicht verletzen."
Kraftakt durch Thibs und Noah
In der letzten Saison schienen die Bulls nach der Verletzung von Rose sowie dem Abgang von Luol Deng vor allem von der Energie zu leben, die Thibodeau und Noah vorlebten. Noah ist interessanterweise auch der Spieler, der die Besessenheit seines Trainers am meisten teilt - obwohl er selbst häufig verletzt ist oder angeschlagen aufläuft.
Der Franzose spielte sich als Defensivanker und Point Center sogar in die MVP-Konversation, weil er ein enorm dezimiertes Team mit seinem Einsatzwillen über Wasser halten konnte, auch wenn den Bulls in der ersten Playoff-Runde gegen Washington die Luft ausging. Dennoch galt es gemeinhin als Erfolg, was Thibs und der Defensive Player of the Year aus dem Team herausholten.
In dieser Saison sollte alles anders werden. Der Kader war auf dem Papier tief wie noch nie in der Thibs-Ära, mit dem Rückkehrer Rose sowie den Neuzugängen Gasol und Rookie Nikola Mirotic hatten die Bulls auf einmal jede Menge Offensiv-Power zur Verfügung.
Wechsel der Identität
Die Offensive ist tatsächlich deutlich besser geworden. Rose verpasste erneut etliche Spiele, dafür fiel Gasol in den Jungbrunnen, Butler mutierte zur Offensivwaffe und Mirotic übertraf teilweise selbst die kühnsten Erwartungen (20,8 PPG im März!). Insgesamt legen die Bulls ein Offensiv-Rating von 104,9 hin, ein Top-10-Wert und Welten besser als die 99,7 (Rang 26) aus der Vorsaison.
Dafür sind die Bulls kein überragendes Defensiv-Team mehr. Seit Thibodeaus Ankunft lag man in Sachen Defensiv-Rating stets mindestens in der Top 5, dreimal sogar unter den beiden besten Teams. In dieser Saison sind die Bulls in der Hinsicht mittelmäßig (12., 101,8) und jagen den Gegnern nicht mehr allzu viel Angst ein.
Natürlich hat das auch mit den Verletzungen von Noah oder Taj Gibson zu tun, zumal Gasol eben einfach kein Defensiv-Anker mehr sein kann. Unterm Strich bleibt trotzdem stehen, dass die Bulls ihre Identität, den bedingungslosen Hustle und die Steinbeißer-Defense, ein Stück weit verloren haben.
Das ist einer der Gründe, warum die Bulls den Contender-Status eingebüßt haben. Die Bilanz ist mit 46:30 mehr als ordentlich, dennoch scheinen die Conference Finals zwischen Cleveland und den Hawks bereits beschlossene Sache zu sein - niemand glaubt an Chicago. Für ein erfolgreiches Team gibt es außerdem viel zu oft Kritik innerhalb der Mannschaft.
"Gemeinsam durchs Feuer gehen"
Thibs sieht das natürlich anders. Rose soll wohl nächste Woche zurückkommen, das derzeitige Minutenlimit für Noah (ein Kompromiss!) wird sicher auch bald aufgehoben. "Wir sind jetzt gesund. Unsere jungen Spieler haben zugelegt und pushen die älteren", sagte der Coach kürzlich, "es kommt jetzt alles zur rechten Zeit zusammen."
Wenn es nach ihm geht, sind alle Probleme jetzt nebensächlich - laut Gibson hat Thibodeaus Einstellung derzeit was von Schützengraben: "Wir sollen uns einschließen, alle Störfaktoren ausblenden. Er wünscht sich, dass wir unsere Telefonnummern ändern, damit er alles kontrollieren kann. Wir sollen uns nur noch auf das Team konzentrieren. Nur das zählt."
Thibs habe der Mannschaft gesagt, dass ihre Zeit jetzt gekommen sei. "Wir werden gemeinsam durchs Feuer gehen", sagt Gibson, "und wir freuen uns darauf." Es könnte die letzte gemeinsame Chance sein.