Da soll noch einer behaupten, der Sport würde keine Hollywood-reifen Geschichten schreiben.
Derrick Rose mit einem Buzzerbeater (von der Dreierlinie!), der den Bulls eine 2:1-Führung in einer Playoff-Serie beschert? Gegen die Cavaliers und damit LeBron James, der in der Windy City ähnlich beliebt ist wie magere Pizza und Wisconsin? Das ist zu schön, um wahr zu sein - eigentlich. Noch vor wenigen Wochen hätten sich nur wenige dieses Szenario ausmalen können.
Und doch gelang D-Rose in Spiel 3 genau das. Ein Buzzerbeater über den ausgestreckten Arm von Tristan Thompson, mit dem er seinem starken 30-Punkte-Spiel die Krone aufsetzte und seine Stadt in einen Freudentaumel versetzte. Es war sogar der erste Bulls-Buzzerbeater in den Playoffs seit Michael Jordan in den 1997er Finals. Dabei gab es zuvor nur einen Tag Pause.
Ein ständiges Auf und Ab
Es mag trivial klingen, für Rose spielte es während dieser Playoffs aber tatsächlich eine signifikante Rolle, wieviel Zeit zwischen seinen Spielen lag. Vor Spiel 3 legte er in Spielen mit nur einem Tag Pause 14 Punkte auf, bei 29,9 Prozent aus dem Feld und 27,3 Prozent vom Perimeter. 4,8 Turnover gab es noch dazu - das sind nicht die Zahlen eines Stars, eigentlich auch nicht die eines Starters.
Bekam Rose zwei oder drei Tage frei, sah das freilich ganz anders aus. Seine Zahlen in diesen vier Spielen: 24,25 Punkte pro Spiel, 48 Prozent aus dem Feld, 48,35 Prozent von Downtown, bei 2,75 Ballverlusten. Das erinnert schon wesentlich mehr an den Rose, den man vor den vielen Verletzungen kannte.
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An den MVP, der sich auch dann für den besten Spieler auf dem Court hält, wenn auf der Gegenseite LeBron steht. Bis zu Spiel 3 setzte sich damit ein Trend fort, den Rose die ganze Saison über erlebte, ein ständiges Auf und Ab, das sich in gewisser Weise auch auf sein Team übertrug.
Die zwei Gesichter der Bulls
Ähnlich wie ihr Superstar präsentierten die Bulls im Laufe der Saison nämlich immer wieder unterschiedliche Gesichter. Mal wurde ein Gegner an die Wand gespielt, mit erstickender Defense und der besten Offense in der Ära Tom Thibodeau.
In anderen Spielen wurde schlichtweg geschlafen, die Defense war porös und vorne standen die Spieler so unmotiviert rum, dass man kaum hinsehen mochte.
Die Intensität in der Defense, welche die letzten Jahre geprägt hatte, vermisste man in diesen Spielen völlig - ein Stück weit ging den Bulls ihre Identität verloren. Das hatte natürlich nicht ausschließlich mit Rose zu tun, dennoch gab er mit seiner Körpersprache häufig den Ton an, im Positiven wie im Negativen.
Deswegen wusste auch nach zwei Spielen gegen die Cavs noch niemand so recht, was man aus den Bulls machen sollte. Spiel 1 sah ein überragendes Bulls-Team, das Cleveland direkt mal den Heimvorteil klaute. In Spiel 2 dagegen wurde das erste Viertel komplett verpennt (18:38), sodass LeBron und sein Stirnband die Serie relativ problemlos ausgleichen konnten.
Cavs von Verletzungen geplagt
Chicago ließ den Killer-Instinkt vermissen, wie schon in der ersten Runde gegen Milwaukee, als Thibs' Mannen bei einer 3:0-Führung zwei Closeout-Chancen verpassten und Rose sich in Spiel 4 scheinbar desinteressiert den Gamewinner seines Gegenspielers anschaute. Als wäre ihnen nicht klar, was für eine Chance sich ihnen in diesen Playoffs bietet.
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In einer Postseason, in der sich links und rechts ein Spieler nach dem anderen verletzt, sind bisher ausgerechnet die Bulls einigermaßen verschont geblieben, auch wenn Pau Gasol mit seiner Oberschenkverletzung für Spiel 4 als Game-Time Decision gelistet ist. Von den drei anderen noch in der Eastern Conference verbliebenen Teams kann das keines von sich behaupten.
Nehmen wir die Cavaliers: Kevin Love und Anderson Varejao fallen ohnehin aus, dazu sind sowohl Kyrie Irving als auch Iman Shumpert angeschlagen, was die Rotation an kompetenten und fitten Flügelspielern auf ein Minimum reduziert.
Bei aller Klasse, die LeBron immer noch hat, wird es auch für ihn schwer, wenn sich die Bulls wie in den Spielen 1 und 3 präsentieren. "Die Verletzungen haben uns definitiv geschadet", musste James zugeben.
Das alte Dogma besteht
Die Tür zu den Conference Finals und darüber hinaus ist für die Bulls offen wie seit Rose' Verletzung in den 2012er Playoffs nicht mehr. In Spiel 4 gilt es nun zu beweisen, dass sie auch mit einer positiven Ausgangslage umgehen können und nicht den unbedingten Druck brauchen. Ein 2:1-Vorsprung ist noch nichts, ein 3:1 haben sich allerdings nicht allzu viele Teams noch wegschnappen lassen.
Vielleicht war der Buzzerbeater die Initialzündung, die Chi-Town gebraucht hat - darauf hofft auch Rose: "Das hat meinem Selbstvertrauen auf jeden Fall einen Schub gegeben. Hoffentlich hilft mir das dabei, von nun an besser und konstanter zu spielen." Die Bulls würden sich sicherlich nicht beschweren.
Bei allen Verletzungen von Rose und allen Kaderveränderungen, die Chicago seitdem vorgenommen hat, gilt heute immer noch das gleiche Dogma wie 2011: Die Bulls kommen in den Playoffs genau so weit, wie ihr Point Guard sie tragen kann.
Er gibt den Ton an. Spiel 4 wird der Indikator dafür sein, was für die Bulls in dieser Postseason tatsächlich möglich ist.