Blicken wir mal kurz auf die Fakten: Golden State schloss die Regular Season mit 67 Siegen ab, ganze fünf Teams in der Geschichte der Liga haben jeweils mehr davon eingefahren. Sie legten dabei ein Point Differential von 10,1 auf, in dieser Hinsicht waren genau sieben Teams in der NBA-Historie besser. In der unglaublich starken Western Conference standen sie schon sehr früh als Top-Seed fest.
Sie stellten den MVP (Stephen Curry) sowie einen weiteren All-NBA-Spieler (Klay Thompson) und zwei Vertreter des All-NBA Defensive Teams (Draymond Green und Andrew Bogut). Kurzum: Die Warriors legten eine der dominantesten Regular Seasons aller Zeiten hin.
In den Playoffs bestätigten sie diese Dominanz, wenngleich das Point Differential mit 8,2 geringfügig niedriger war. Sie gerieten zwar in den Western Conference Semifinals und auch in den Finals mit 1-2 in Rückstand, dennoch gaben sie auf ihrem Weg zum Titel insgesamt bloß 5 Spiele ab. Die übergreifende Bilanz für Regular Season und Playoffs stand am Ende bei 83-20.
ESPN-Insider Kevin Pelton ordnete die gesamte Saison im historischen Kontext an Nummer 15 "all-time" ein. Dennoch sprach im Sommer fast niemand von einer anbrechenden Dynastie oder dergleichen. Obwohl das (immer noch junge) Team nahezu komplett zusammenblieb, gelten die Dubs aktuell nicht als Titelfavorit.
Nur die Nummer drei in Vegas
Laut Vegas Insider sind das die Cavaliers, Cleveland hat im Osten eben auch einen deutlich leichteren Weg in die Finals. Im Westen gelten die Spurs nach der Verpflichtung von LaMarcus Aldridge derzeit als Top-Anwärter auf die Finals, erst danach folgen Golden State und knapp dahinter die wiedererstarkten Thunder.
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Die Experten-Runden vertreten eine ähnliche Einschätzung wie die "Wettgemeinschaft", über die Warriors wird weniger gesprochen als über San Antonio, Cleveland und OKC sowie bisweilen sogar Houston und die Clippers.
Trotz der Zahlen, Titel und Auszeichnungen, trotz aller Dominanz wird Golden State immer noch nicht so richtig ernst genommen. Die Titelsaison gilt der breiten Mehrheit mehr als Ausrutscher denn als Beginn einer Ära, als Verkettung glücklicher Umstände.
Störfeuer aus Los Angeles
Auch innerhalb der Liga wurden bereits mehrfach Zweifel an G-States Dominanz laut. Die Spieler wählten James Harden und nicht Curry zum MVP, sein neuer Mitspieler Ty Lawson behauptete zudem, Curry hätte in den Playoffs überhaupt keine Defense gespielt. Kyrie Irving sagte, ein gesundes Cavs-Team hätte "definitiv" die Finals gewonnen.
Das größte Störfeuer kam allerdings zweifelsohne aus Los Angeles, genauer aus dem Lager der Clippers. Deren Coach Doc Rivers sagte sinngemäß, die Dubs hätten Glück gehabt, weil sie in den Playoffs weder gegen die Clippers noch gegen San Antonio spielen mussten. JJ Redick fügte hinzu: "Es ist alles genau richtig für sie gelaufen."
Rein technisch ist es richtig, dass Golden State unglaublich gesund blieb, während ihre Playoff-Gegner alle mit Verletzungen zu kämpfen hatten - die Cavs-Probleme aus den Finals sind noch bestens in Erinnerung, aber auch bei den Rockets (Dwight Howard, Patrick Beverley), Grizzlies (Mike Conley, Tony Allen) und bei den Pelicans gab es Verletzungssorgen. Von Kevin Durant und Konsorten mal ganz abgesehen.
Gleichzeitig ist die ganze Diskussion zum einen müßig und zum anderen despektierlich. Zumal man ohnehin kein Team in der NBA-Historie finden wird, das auf seinem Weg zum Titel nicht das eine oder andere Mal Glück gehabt hat. Es ist von daher auch nur verständlich, dass die Warriors mittlerweile - nachdem sie sich monatelang zurückhielten - genervt sind und zurückfeuern.
Curry entschuldigt sich
"Ich glaube, unsere Bilanz gegen die Clippers letzte Saison war ziemlich eindeutig", sagte etwa Thompson, "haben sie nicht gegen die Rockets verloren, nachdem sie mit 3-1 geführt hatten? Das ist witzig. Ich wollte ja gegen sie spielen, aber sie sind ja nicht weitergekommen."
Bis dato war nur Green als "Sprachrohr" der Dubs bekannt, doch mittlerweile sprechen auch der stoische Thompson und sogar Curry offen aus, was sie denken: "Es tut mir wirklich leid, dass wir gesund waren und gegen die Teams gespielt haben, die gegen uns angetreten sind. Es tut mir leid, was wir als Team und individuell alles erreicht haben. Es tut mir wirklich, wirklich leid."
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Natürlich äußerte sich auch Green zu den Kommentaren aus dem Clippers-Lager: "Wenn sie sagen, dass wir Glück hatten, sind sie nicht die Champs. Das zeigt nur, dass sie verbittert sind. Wen interessiert es also, was sie sagen?"
Green: "Die Leute hassen Wandel"
Greens Frage kann man indes leicht beantworten: Die Warriors interessieren die Aussagen offensichtlich schon. Rivers hatte in dem Fall nicht einmal Unrecht, als er die Reaktionen aus dem Dubs-Camp als " sensibel" bezeichnete. Dass er angeblich überrascht davon war, ist wiederum schwer zu verstehen.
Schon während G-State in der letzten Saison von Sieg zu Sieg marschierte, galten sie lange nicht als ernsthafter Contender. Sie seien zu sehr vom Jumper abhängig, so das Credo. Regelmäßig wurde dabei vergessen, dass sie ihre Spiele nicht nur mit ihrer Offense, sondern mit der besten Defense der Liga (Defensiv-Rating: 98,2, Platz 1) gewannen.
Auch am von ihnen perfektionierten Small-Ball wurde ewig gezweifelt. Als sie trotzdem zum Titel marschierten, lag das dann eben an den Gegnern und deren Verletzungen, nicht etwa an der Klasse der Warriors. "Die Leute hassen Wandel. Sie tun sich schwer damit, Wandel zu akzeptieren", sagt Green dazu.
Mittelfinger in die Luft
Fair oder nicht, all die Zweifel sorgen für eine faszinierende Konstellation: Die Warriors sind als amtierender Meister eine Art Underdog. Ein historisch dominantes Team, das wütend ist und kurioserweise immer noch etwas zu beweisen hat.
Bei allen faszinierenden Storylines im Westen - die neu formierten Clippers, Aldridge in San Antonio, KD zurück und im letzten Vertragsjahr, Lawson bei den Rockets, die Pelicans unter Alvin Gentry - ist dies vielleicht die faszinierendste. Vom bösen Blut zwischen Golden State und vor allem den Clippers ganz zu schweigen.
Die Warriors sind nun offiziell auf einer Mission, es den Zweiflern zu zeigen - wieder einmal. Selbst wenn sie dabei nicht mehr so "familienfreundlich" wirken wie im letzten Jahr. "Ich habe mir meinen Ring für den Mittelfinger anpassen lassen", sagte Bogut. "Den dürfen sie dann küssen."