Golden State dominiert zwar die Schlagzeilen, die San Antonio Spurs stehen dem Meister aber in nahezu nichts nach - und sind dabei in gewisser Hinsicht sogar auf Kurs für die beste Saison der Geschichte. Dabei widersetzt sich das Team von Gregg Popovich gleich mehreren Liga-Trends. Beyond the Boxscore erklärt, was die Franchise vom Alamo in dieser Saison auszeichnet - und warum sie das Kryptonit der Dubs werden könnte.
nba.deDas beste Net Rating der Geschichte
Wer ist derzeit das beste Team der Liga? Logisch, angesichts der 38-4-Bilanz, die zu diesem Zeitpunkt nur zwei andere Teams vorweisen konnten, muss die Antwort nach der Hälfte der Saison eigentlich "Golden State Warriors" lauten. Doch die Spurs sind trotz dieser rekordverdächtigen Bilanz nur 2 Spiele hinter ihnen - und in einigen Punkten sind die Spurs sogar eine Ecke besser als der Meister.
Genauer genommen sind sie nicht nur besser als der aktuelle Meister. Die Spurs sind auf einem Kurs, der ihnen in mehrerlei Hinsicht die beste Saison der Geschichte bescheren würde! Den besten Monat der NBA-Annalen hat San Antonio im Dezember hingelegt: Das Net-Rating von 20,4 (bei einer 14-2-Bilanz) wurde über einen Monat noch nie getoppt - nicht ansatzweise. Den bisherigen Rekord hielten die Bulls 1996/1997 mit 16,9.
Damit sind wir allerdings noch lange nicht am Ende. Auch über die Saison gesehen ist San Antonio auf historischem Kurs: Das Net-Rating liegt über die Saison gesehen bei 14,9, auch das wäre ein Rekord: Seitdem die Statistik erhoben wird, halten die Bulls der Saison 95/96 mit 13,4 den Bestwert - also das von der Bilanz her beste Team der Geschichte (die Warriors liegen derzeit bei 13,3...).
San Antonio könnte dies toppen, zumal auch ihre kumulierte Punktedifferenz (14,21) besser ist als alles, was die Liga bisher gesehen hat. Hier wird der historische Rekord (12,28) derzeit von den '72er Lakers um Jerry West und Wilt Chamberlain gehalten, die innerhalb der Saison unter anderem die längste Siegesserie der Geschichte hinlegten (33).
Stephen Curry: Die Herrschaft des Feuers
Wie kommen diese absurden Zahlen zustande? Nun, es hilft eben, wenn man die mit großem Abstand beste Defense (dazu später mehr) und die drittbeste Offense der Liga sein Eigen nennt. Und wenn man Teams regelmäßig aus der Halle ballert: Die Spurs haben in dieser Saison bereits sage und schreibe 28 Spiele mit mindestens 10 Punkten Unterschied gewonnen!
Darunter waren des Weiteren 15 Spiele mit mindestens 20 Punkten Abstand - zur Erinnerung: Die Spurs haben erst 42 Spiele hinter sich! Zuhause sind sie ohnehin kaum zu bezwingen, die Spurs haben nunmehr 33 Siege in Folge vor heimischem Publikum eingefahren. In der Hinsicht stehen die Warriors derzeit übrigens bei 37, den Rekord halten die Bulls mit 44. Egal, wen man aktuell besser findet - wir haben es hier mit zwei potenziellen All-Time-Teams zu tun. So viel ist sicher.
nba.deGegen die Trends
Gerade weil sich die Spurs in Sachen "bestes Team der Liga" aktuell nur mit den Warriors messen müssen, ist folgendes interessant: Gregg Popovich pfeift (wieder einmal) auf die gängigen Trends und lässt sein Team eher wieder Old-School spielen. Die Liga wird immer kleiner, die Spurs sind größer geworden: Mit Tim Duncan und LaMarcus Aldridge spielen üblicherweise zwei Seven-Footer nebeneinander, von der Bank wird sporadisch noch der hünenhafte Boban Marjanovic eingesetzt. Und Kawhi Leonard ist zwar nicht der größte Spieler, mit seiner Spannweite von sechs bis acht Metern stellt aber auch er eine schwer überwindbare Hürde dar.
Darüber hinaus wird das Spiel in der NBA grundsätzlich eher schneller, die Spurs schlagen aber auch hier einen anderen Weg ein: Nur fünf Teams spielen aktuell mit einer langsameren Pace als San Antonio (95,99). Zum Vergleich: Die Dubs produzieren mit 101,66 den zweitschnellsten Spielstil der Liga. Wo andere Teams ihr Heil in Transition suchen, lassen sich die Spurs Zeit und laufen ihre Sets mit geduldiger Perfektion.
Auch die Würfe, die sie dabei herausspielen, sind nicht unbedingt so verteilt, wie man es in der Dreier-süchtigen NBA der heutigen Zeit vermuten würde. Kein Wunder, wenn man sich Popovichs "Abneigung" gegen den Dreier vor Augen führt: "Ich hasse den Dreier immer noch", sagte der Coach schließlich vor kurzem. "Das ist für mich kein Basketball und gehört in den Zirkus. Warum haben wir keinen Fünfpunktewurf oder Siebenpunktewurf?"
Bei allem Respekt: Natürlich nutzt auch das Team von "Grumpy Pop" den Dreier, allerdings weniger als in den letzten Jahren und deutlich weniger als der Rest der NBA. Nur vier Teams versuchen es pro Partie seltener von Downtown (18,6mal), das ist für San Antonio der niedrigste Wert seit 2009/2010. Und dabei legen die Spurs mit 37,6 Prozent die beste Dreierquote nach den Flammenspuckern aus der Bay Area hin.
Der Clou dabei: Fast jedem Dreier geht ein Assist voraus, um genau zu sein bei 93,2 Prozent aller Treffer. Generell läuft bei den Spurs fast alles über das unglaublich gute Ball-Movement, nur zwei Teams schließen eine geringere Prozentzahl ihrer Angriffe über Isolationen ab (4,9 Prozent). Und das, obwohl die Spurs Isos durchaus beherrschen, denn per Isolation-Play erzielen sie 0,94 Punkte (der drittbeste Wert der Liga). Es hilft eben, wenn man mit Kawhi, Aldridge und Manu Ginobili drei der effektivsten Iso-Player der Liga in seinen Reihen hat.
Dennoch sind Isos nur ein kleiner Teil der Spurs'schen Angriffs-Maschinerie. Fast der Hälfte der Spurs-Würfe geht kein einziges Dribbling voraus, mehr als 40 Prozent der Abschlüsse werden bei nba.com/stats als "offen" bis "weit offen" klassifiziert. Vor allem Lineups mit Ginobili und Boris Diaw bewegen den Ball so unfassbar schnell, dass die Verteidiger irgendwann nicht mehr mitkommen und offene Würfe, sei es von außen oder nahe am Korb (42,8 Prozent der Abschlüsse!), abgeben müssen.
Selbst wenn die Spurs also den Zahlen nach "langsam" spielen, gibt es kaum eine dynamischere Offense. Nur liegt das eben nicht an Athletik, sondern an Schläue, Ball-Movement und Cuts abseits des Balles. So entstehen die berühmt-berüchtigten "Spursgasms", die in den letzten Jahren zum Symbol für perfekten Team-Basketball geworden sind. Und diese Philosophie des "give up a good shot to get a great shot" haben auch die Neuen wie Aldridge und David West schnell verinnerlicht.
nba.comnba.deDas beste Bollwerk seit 40 Jahren?!
All die verschiedenen Facetten bescheren den Spurs aktuell die dritteffizienteste Offense nach OKC und natürlich Golden State, doch wahrlich historisch wird ihre Saison am anderen Ende des Courts. Das Defensiv-Rating von 93,3 ist nicht nur um Klassen besser als der Rest der Liga (Platz 2: Boston mit 98,8), es ist eine Ansage. Laut basketball-reference.com ist es der beste Wert seit 1974/75 (das Archiv geht bis zur Saison 1973/74 zurück)!
Damals legten die Washington Bullets mit 91,3 den besten Wert der NBA-Geschichte auf, unter 94 ist seither kein einziges Team mehr geblieben. Die Spurs sind auf dem Weg, etwas zu erreichen, was Defensiv-Giganten wie beispielsweise den Bad Boy Pistons nie gelang. Ihr Defensiv-Rating ist aktuell unglaubliche 9,8 Punkte besser als der Liga-Durchschnitt.
Wie sie das schaffen? Nun, zum einen erlauben sie kaum zweite Chancen: Die defensive Rebound-Rate ist mit 80,7 Prozent die höchste der Liga. Man sollte also lieber direkt den ersten Wurf versenken, das ist gegen die Spurs aber leichter gesagt als getan. Denn die Spurs wissen, wo sie zu stehen haben: San Antonio erlaubt pro Spiel die wenigsten gegnerischen Dreier (5,9) und die mieseste Quote (31,5 Prozent), gerade die effektiven Corner-Threes nehmen sie dem Gegner nahezu komplett.
Die herausragende defensive Intelligenz vor allem von Duncan erlaubt es ihnen darüber hinaus, den Ring zu beschützen, ohne dabei zu Fouls zu greifen - kein Team lässt pro Spiel weniger Freiwürfe zu (19,2) - und dabei ist diese Statistik durch Pops Affinität zum "Hack-A-..." noch aufgebläht. Auch am Ring erlauben die Spurs mit 54,5 Prozent die niedrigste gegnerische Trefferquote.
Aldridge ist ein unterschätzter Verteidiger, er und Duncan liegen mit jeweils 2,5 Defensive Win Shares jeweils in der Top 10 der aktuellen Saison. Beim individuellen Defensiv-Rating führt Methusalem Timmy (91,6) die Liga an, Aldridge rangiert auf Platz 5 (95,8). Pop ist vom positiven Einfluss seines neuen Big Mans nicht überrascht: "Er hat ja bereits neun Jahre in der Liga hinter sich, das ist also keine Raketenwissenschaft. Es ist Basketball, ich denke er hat alles schon gesehen."
Und dann haben die Spurs natürlich noch den Spieler in ihren Reihen, der die Liga bei den Defensive Win Shares mit 3,5 anführt, beim Defensiv-Rating auf Platz zwei hinter Duncan liegt (92) und der mit Abstand beste Flügelverteidiger der Welt ist: Kawhi Leonard aka "die Klaue". Kombiniert mit dem ebenfalls starken Verteidiger Danny Green ist das ein langarmiges Quartett, an dem man schlicht und einfach kaum vorbeikommen kann: "Mit LaMarcus, Timmy und Kawhi auf dem Court sind wir einfach unglaublich lang. Das hilft uns sehr dabei, die Zone zu beschützen", analysierte "Red Rocket" Matt Bonner kürzlich bei SheridanHoops.
Ist das nun die beste Defense seit über 40 Jahren? Schon möglich, aber im Prinzip gar nicht so wichtig. Viel interessanter ist die Tatsache, dass San Antonio (absichtlich) genau die Bereiche am besten verteidigt, in denen Golden State so brilliert. Pop weiß schließlich, an wem er sich messen muss und wer bei der Jagd nach Ring Nummer 6 der größte Stolperstein werden könnte. Wann beginnen nochmal die Playoffs?
nba.deKawhi und der Leap
Bei aller Qualität, die die Spurs mitbringen - die neuen Komponenten Aldridge und West, die wiedererstarkten Veteranen Ginobili und Parker, der extraterrestrische Duncan - sie wären kein in historischer Sicht herausragendes Team, wenn ihr bester Spieler nicht einen weiteren Sprung gemacht hätte. Leonard ist mittlerweile nicht mehr nur der beste Verteidiger, sondern auch einer der besten Offensivspieler überhaupt - Charles Barkley nannte ihn kürzlich gar den "besten Spieler der Liga".
Ob das nun stimmt oder nicht, Kawhi ist derzeit wohl tatsächlich Stephen Currys ärgster (und vielleicht einziger) Verfolger, was den MVP-Award angeht. Bei den Win Shares pro 48 Minuten ist nur Curry besser als Kawhi (9,5 zu 8,1), der sich vor allem offensiv unglaublich weiterentwickelt hat.
Zur Erinnerung: Kawhi galt, als er 2011 von der San Diego State University in die Liga kam, als absoluter Non-Shooter. In dieser Saison ist er bisher der zweitbeste Dreierschütze (48 Prozent), einer der besten Spot-Up-Shooter (1,33 Punkte pro Possession) und legt ein True Shooting von 61,5 Prozent auf.
Kawhis traditionelle Shooting Splits? Unglaubliche 50,6 Prozent aus dem Feld, 48 Prozent von der Dreierlinie, 87,4 Prozent vom Charity Stripe. Non-Shooter? "Er hat sich wirklich einen wunderschönen Wurf angeeignet", staunte Bonner kürzlich, "die Form ist perfekt, der Ball rotiert perfekt, der Follow-Through ist perfekt."
nba.comLeonards Wurf ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die Spurs Schwachstellen einfach konsequent ausmerzen - und wie im Mikrokosmos San Antonio einfach alles möglich ist. Noch eins gefällig? Marjanovic ist momentan ligaweit der Spieler mit dem drittbesten Player Efficiency Rating (31,8)... Wenn's läuft, dann läuft's eben.
Natürlich profitiert Kawhi bei seinen Wahnsinnsquoten vom System in San Antonio, das ihm viele freie Würfe verschafft, er wird aber auch beständig besser darin, selbst für sich und andere Offense zu kreieren. Als Ballhandler im Pick-and-Roll etwa sorgt er für sehr ordentliche 0,9 Punkte pro Possession, wenn er isoliert wird, ist es genau 1 PPP - damit ist er effektiver als beispielsweise Carmelo Anthony, LeBron James oder Chris Paul.
San Antonio kann ihm, wenn es mal brenzlig wird (passiert selten genug!), ohne große Sorgen den Ball geben. Insgesamt legt Kawhi pro Wurf 1,38 Punkte auf, das ist der elftbeste Wert insgesamt und Nummer sieben unter Spielern, die keine Center sind. Und dabei vergisst er auch nicht seine Paradedisziplin.
Und das ist immer noch die Defense. Die besten Scorer der Liga haben regelrecht die Hose voll, wenn sie gegen die Klaue ranmüssen - gute Ballhandler geben den Ball aus Angst schneller ab, Kawhi könnte sie albern aussehen lassen und per Steal einen Fastbreak einleiten, den er für gewöhnlich gern selbst per Dunk abschließt. 3,5 Punkte pro Spiel macht Kawhi nach Ballverlusten, die er zumeist selbst provoziert.
Beim Duell gegen Paul George im Dezember, der zu diesem Zeitpunkt zu den heißesten Spielern der Liga gehörte, wurde Leonards defensiver Impact wieder einmal deutlich: Er hielt PG-13 bei 1/14 FG. "George ist einer der besten Scorer der Liga, und Kawhi hat ihn einfach abgemeldet", staunte Ginobili. George war bei weitem nicht das einzige Opfer. Seine Gegner schießen gegen ihn durchschnittlich 6,2 Prozent schlechter als gewohnt.
Kawhi ist wohl der einzige Spieler, der einen Kevin Durant nach einer Recovery noch blocken kann und der gleichzeitig schnell, lang und clever genug ist, um Point-Guard-Koryphäen wie Russell Westbrook, Paul und natürlich auch Curry das Leben schwer zu machen. Er steht derzeit dem einzigen Team vor, das man sich realistisch als Kryptonit für die galaktischen Warriors vorstellen kann.
Die Statistiken in diesem Artikel stammen von nba.com/stats, ESPN und basketball-reference.com und sind auf dem Stand vom 19. Januar.