"Kobe durfte kein Bier bestellen"

Ole Frerks
08. Februar 201619:08
Brian Shaw (r.) gewann mit Kobe Bryant 3 Titel als Mitspieler und 2 als Assistant Coachgetty
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Brian Shaw war als Vertrauter von Shaquille O'Neal und Mentor von Kobe Bryant ein wichtiger Part im "Wanderzirkus" der Los Angeles Lakers. Der fünffache Champion im Interview über Streitereien zwischen Superstars, Playoff-Schlachten mit Michael Jordan und die Wertschätzung von Rollenspielern durch die Lakers-Fans.

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SPOX: Mr. Shaw, beginnen wir mit einem Kompliment: Shaquille O'Neal bezeichnete Sie einst als den Mitspieler, den er während seiner Karriere am meisten respektierte. Können Sie das erklären?

Brian Shaw: Das hat er doch nur gesagt, weil ich ihm ständig den Ball gepasst habe. (lacht) Im Ernst: Ich glaube, dass es bei ihm gut ankam, dass ich als Mitspieler auch ihm gegenüber mal deutlich wurde. Das waren nicht viele, weil er so eine dominante, überlebensgroße Figur war. Aber ich hatte nie Angst vor ihm und wenn mich etwas störte, sagte ich ihm das auf die gleiche Art und Weise wie jedem anderen. Ich redete mit ihm genauso wie mit Mark Madsen, das machte für mich keinen Unterschied. Ich hatte Zeit meiner Karriere häufig die Rolle des "Erwachsenen", der streitende Parteien wieder zusammenführte. Ich denke, das hat er anerkannt.

SPOX: Streitereien gab es während Shaqs Karriere ja einige - an die Situation bei den Lakers erinnert sich ja noch jeder, Sie spielten aber auch schon in Orlando mit ihm zusammen und erreichten 1995 die Finals. Warum blieb es bei dieser einen Finals-Teilnahme für die Magic?

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Shaw: Wenn Sie mir das direkt im Sommer '95 gesagt hätten, ich hätte es wohl auch nicht geglaubt. Gleich in meinem ersten Jahr in Orlando erreichten wir die Finals. Dort verloren wir zwar gegen die Rockets, aber da wir ein sehr junges Team waren, gingen wir eigentlich von mehreren weiteren Runs dieser Art aus. Wir dachten, wir würden einfach nur immer besser werden. Doch dann ging alles ganz schnell: In der Saison nach unserer Finals-Teilnahme war Michael Jordan wieder komplett fit und in Basketball-Form, in den Conference Finals waren die Bulls einfach zu stark für uns. Und dann ist Shaq ja auch schon weiter gezogen. Damals habe ich realisiert, wie schnell es gehen kann und dass die NBA in erster Linie eben immer noch ein Geschäft ist. Es gibt keine Garantien, deswegen zählt jede Chance in der Liga doppelt.

SPOX: Das klingt ein wenig sauer?

Shaw: Nein, soweit würde ich nicht gehen. Es war nur sehr schade damals, ich denke auch, dass Shaq es heute anders machen würde. Er wollte damals eigentlich nicht wirklich weg, konnte dem Ruf aus Los Angeles aber nicht widerstehen - die Lakers boten ihm ja auch deutlich mehr Geld an als Orlando. Er konnte das nicht wirklich ablehnen, das nehme ich ihm nicht übel. Er hat getan, was er für sich tun musste. Ich denke aber schon, dass er den Osten mit unserem jungen Kern aus Penny Hardaway, Horace Grant, Dennis Scott und so weiter über Jahre hinweg hätte dominieren können, wenn er geblieben wäre.

SPOX: Immerhin können Sie folgendes von sich behaupten: Abgesehen von Ihrem Team und den Pistons schlug niemand in den 90er Jahren Jordan in einer Playoff-Serie...

Shaw: Das stimmt! Darauf bin ich im Rückblick auch ein wenig stolz, aber man muss dazu sagen: In den '95er Playoffs war er ja gerade erst vom Baseball zurückgekehrt. Er war trotzdem Jordan, aber sein Timing war noch nicht wieder ganz auf dem üblichen Niveau. Und da wir im Anschluss nicht den Titel holen konnten, ist die Erinnerung an diese Serie gewissermaßen bittersüß.

SPOX: Ein Jahr später setzte es für die Magic dann einen Sweep gegen Chicago, allerdings auch mit zahlreichen Verletzten. Dann war Shaq weg. Denken Sie, dass die Bulls sonst auch noch den zweiten Threepeat geschafft hätten? Ein dominanter Center wie Shaq stand den Bulls in all ihren Titeljahren ja fast nie gegenüber...

Shaw: Puh, das ist eine schwere Frage. Sie haben Recht: Chicago war zwar ein überragendes Defensivteam, aber niemand von ihnen konnte Shaq kontrollieren - das konnte Zeit seiner Karriere ja sowieso niemand, aber in ihrem Roster war die Center-Position vermutlich die einzige Schwachstelle. Zudem hatten wir mit Penny auf dem Flügel einen aufregenden Superstar, der es MJ zumindest hätte schwer machen können, bevor all die Verletzungen einsetzten. Ich denke schon, dass wir den Bulls noch einige schöne Schlachten hätten liefern können, vielleicht hätten wir es auch mal geschafft. Aber leider weiß man es im Rückblick ja nicht.

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SPOX: Sie selbst folgenden Shaq einige Jahre später nach Los Angeles. Dort waren Sie in Ihrer Schlichter-Rolle wohl noch häufiger gefordert, richtig?

Shaw (lacht): Das stimmt. Ich hatte ja glücklicherweise schon etwas Erfahrung, weil Shaq auch mit Penny in Orlando ziemlich häufig aneinander geriet. Das bereitete mich auf seine Streitereien mit Kobe Bryant vor, auch wenn Penny und Kobe unterschiedliche Persönlichkeiten hatten. Ich kannte Kobe passenderweise auch bereits als Kind, da ich genau wie sein Vater Joe für kurze Zeit in Italien gespielt hatte. Damals war er mal als 10-Jähriger bei einem Spiel dabei, danach stellte Joe ihn mir vor - ich denke, das half mir später bei den Lakers. Denn wenn sich beide bekriegten, im Locker Room oder über die Medien, war ich häufig derjenige, der sie wieder zusammenrief.

SPOX: Was sagten Sie den beiden denn in einer solchen Situation?

Shaw: Dass Sie sich selbstsüchtig und kindisch verhielten. Bei all ihren Streitereien vergaßen sie manchmal, dass sie Teil eines Teams waren und dass auch Jungs wie Derek Fisher, Robert Horry, Rick Fox oder ich betroffen waren, wenn sie nicht miteinander funktionierten. 'Denkt nicht nur an Euch, sondern denkt an uns alle und an unsere gemeinsamen Ziele', das war zumeist die Message. Über einige Jahre funktionierte das glücklicherweise ja auch.

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SPOX: Im Rückblick scheint es manchmal, als hätten die Lakers damals wirklich nur aus Shaq und Kobe bestanden, weil sie - und ihre Konflikte - gewissermaßen alles überstrahlten. Fühlen Sie sich als einer der wichtigen Rollenspieler der Titeljahre manchmal unterbewertet?

Shaw: Medial vielleicht ein wenig, aber für mich zählt eigentlich mehr, was die Fans denken und was wir Spieler untereinander wissen. Shaq und Kobe waren natürlich die wichtigsten Figuren bei uns, Phil Jackson war ebenfalls entscheidend. Aber wir hatten viele wichtige Spieler, die in unterschiedlichen Momenten Verantwortung übernahmen. Ich habe beispielsweise damals in den Conference Finals gegen Portland zwei späte Dreier getroffen, die unser Comeback eingeleitet haben, Horry hatte natürlich etliche Momente. Und an Dereks Dreier mit 0,4 Sekunden auf der Uhr erinnert sich sicherlich auch noch jeder Lakers-Fan. Wir als Spieler wissen das alle, und den Fans der Lakers geht es genauso: Selbst wenn ich jetzt nach Los Angeles komme, sprechen mich Leute auf das Spiel gegen Portland an oder danken mir für das, was ich für die Lakers getan habe. Ich denke, das geht Rick, Robert oder Derek ebenfalls so - die Lakers-Fans verstehen den Sport. (lacht)

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SPOX: War die Zeit bei den Lakers eigentlich manchmal auch lästig? Aufgrund der Persönlichkeiten, der Erfolge und der Fehden gab es abgesehen von LeBron James' Heat und Jordans Bulls ja vermutlich kaum ein Team, das jemals mehr im Rampenlicht stand...

Shaw: Es war schon speziell. (lacht) Teilweise wirkte es, als wären wir ein Wanderzirkus. Egal in welche Stadt wir kamen, es standen vor jedem Hotel und an jedem Flughafen Hunderte von Leuten, die auf uns warteten. In fast jeder Halle sah man mehr Leute in Lakers-Trikots als in der Kleidung des Heim-Teams. Aber das ist ja irgendwie auch verständlich: Wie oft kommt es schon vor, dass zwei Spieler von diesem Schlag in einem Team sind? Shaq war damals der beste Inside-Spieler, Kobe war der beste Flügel der gesamten Liga. Und natürlich hatten sie auch die Persönlichkeiten für das Rampenlicht. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich fand die Zeit anstrengend aber nicht lästig. Rückblickend finde ich es schade, dass sie nicht länger angedauert hat. Wie viele Titel hätten wir holen können, wenn sie sich besser verstanden hätten? Andererseits war das Feuer, das die beiden regelmäßig anfachten, vermutlich auch hilfreich für uns.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Shaw: Es verschaffte uns und vor allem ihnen Extra-Motivation. Heute erzählen sie etwas anderes und können drüber lachen, aber damals konnten sich die beiden wirklich nicht leiden. Und als das immer offensichtlicher wurde, wurden auch die Zweifel immer lauter: Wenn sich die beiden Stars nicht ausstehen können, wie sollen sie dann zusammen gewinnen? Es klingt merkwürdig, aber beide waren so gepolt, dass diese Zweifel sie zusammenschweißten. Sie waren keine Freunde, aber auf dem Court konnten sie sich einem gemeinsamen Ziel unterordnen, wenn es wirklich wichtig war.

SPOX: Sie gewannen später dann ja noch zwei Titel als Assistant Coach mit Kobe - können Sie ein wenig beschreiben, inwiefern sich seine Persönlichkeit zu diesem Zeitpunkt gewandelt hatte?

Shaw: Nun, in erster Linie ist er natürlich deutlich erwachsener geworden. Man vergisst das leicht, wie jung er war, als er in der Liga kam: 17. Das kann man sich kaum vorstellen: Als Teenager spielst du auf einmal unter Erwachsenen, kannst aber vieles von dem nicht tun, was zu ihrem Alltag gehört. Kobe durfte nach Spielen beispielsweise kein Bier bestellen, er war ja zu jung. Das führte dazu, dass er sich ein Stück weit isolierte und mehr für sich blieb. Dafür hatte ich jedoch vollstes Verständnis, es war ja wie gesagt eine ziemlich einzigartige Situation.

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SPOX: Und später war er nicht mehr dieser einsame Wolf?

Shaw: Dieses Denken war schon auch später noch ein Teil seiner Persönlichkeit, aber er entwickelte sich nach und nach weg davon. Nachdem Shaq nicht mehr da war, waren die Lakers offensichtlich sein Team, in diese Rolle wuchs er mit der Zeit rein. Er wurde offener, vertraute seinen Mitspielern mehr - das tat er als Teenie überhaupt nicht. (lacht) Er hat mit der Zeit eingesehen, dass er sein Team unbedingt brauchte, wenn er noch weitere Titel gewinnen wollte - und dieses Ziel stand für Kobe natürlich immer über allen anderen.

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