Wenn ein Starspieler im kompletten vierten Viertel auf der Bank sitzt, kann das normalerweise nur zwei Ursachen haben. Nummer eins: Es ist nicht der Tag des besagten Spielers. Es droht eine Niederlage und der Head Coach ist der Meinung, dass andere Teamkollegen mehr zu einem Erfolg beitragen können. Für den Starspieler auf der Bank ist das ziemlich unangenehm, für manch einen sogar demütigend.
Nummer zwei: Die Angelegenheit ist mit dem Beginn des vierten Viertels schon so sehr von jeglicher Spannung befreit, dass die Dienste des Stars nicht mehr benötigt werden. Er kann sich ausruhen. Oft hat er sich dieses Privileg mit einer zuvor starken Leistung selbst erarbeitet.
Kevin Love weiß definitiv, wie sich beide Szenarien anfühlen. In den vergangenen drei Spielen drückte er im vierten Viertel die Ersatzbank, ohne auch nur eine Minute im Schlussabschnitt gesehen zu haben. Bei den beiden Niederlagen in Toronto war das auf eine unterirdische Leistung des Big-Three-Mitglieds zurückzuführen - beim jüngsten, grandiosen Rekord-Sieg jedoch auf Ursache Nummer zwei. Und das lag auch - wenn nicht gar vor allem - an Love höchstselbst.
Zu Hause ist es am Schönsten
"Unser Run hat dank Kevin erst begonnen, wir sind seiner Führung gefolgt", hatte nach dem Auftritt kein Geringerer als Alphatier LeBron James lobende Worte für die Nummer null parat. Denn Love fand früh seinen Rhythmus, traf von draußen und aus dem Post und spielte eine perfekte erste Halbzeit (19 Punkte, 6/6 FG, 3/3 3FG, 4/4 FT).
Wie weggeblasen war seine Unsicherheit aus Game 3 und 4, als er ohne jegliches Selbstvertrauen offene Würfe verweigerte oder nach kurzem Zögern an den Ring setzte. Zu Hause ist es halt immer noch am Schönsten, das gilt wohl auch für die NBA-Stars. Die über 20.000 Fans in der Quicken Loans Arena brachten Love sogar dazu, seine Emotionen zu zeigen und mit dem Publikum zu spielen - eine Seltenheit für den ansonsten ruhigen Power Forward.
Apropos ruhig. Bereits vor dem Spiel versicherte LeBron, dass er weit davon entfernt sei, aufgrund der beiden Auswärtsniederlagen in Panik zu verfallen - wozu er offensichtlich auch keinen Grund hatte. Vielleicht ahnte er ja, dass die Cavs ihr "A-Game" auf dem Weg nach Toronto nur in Ohio vergessen hatten - und es zu Hause nur wieder einsammeln mussten.
"Andere sollen die Entscheidungen treffen"
Zu diesem A-Game gehörte diesmal auch wieder eine erdrückende Defense. Die Raptors trafen nur 39 Prozent aus dem Feld, sowie - noch schlimmer - 3 von 17 Würfen von jenseits der Dreierlinie. Das Defensiv-Konzept von Tyronn Lue war dabei denkbar simpel und effektiv: Kyle Lowry und DeMar DeRozan das Leben zur Hölle machen.
Besonders im ersten Viertel (37:19), welches im Prinzip schon die Entscheidung brachte, wurde das All-Star-Duo bei jedem Pick-and-Roll aggressiv getrappt. Dies gelang den Cavs-Spezialisten so effektiv, dass die Beiden entweder direkt den Ball herschenkten oder einen Pass aus der höchsten Not zu einem Kollegen spielten. Die Zuspiele waren aber nicht kontrolliert genug, als dass die Empfänger sofort hätten abdrücken können. So hatte die Defense des Vizechampions genug Zeit, sich neu zu ordnen und das ganze Spiel zur Not von vorne beginnen zu lassen.
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Darüber hinaus verteidigten Irving (gegen Lowry) und James (gegen DeRozan) auch vorzüglich im direkten Eins-gegen-Eins. So kam das Duo auch über Isolationen nicht zum Erfolg - und musste die Verantwortung auf seinen Supporting Cast abwälzen. Das funktionierte aber überhaupt nicht, da weder DeMarre Carroll, noch Cory Joseph als sechster Mann von der Bank in die Bresche springen konnten.
"Wir wollten es schaffen, dass andere Leute als sie die Entscheidungen in ihrer Offense treffen müssen. Dann wollten wir schauen, was passiert", fasste Irving die Strategie zusammen. Unter anderem "passierten" 19 Turnovers der Raptors, die Cleveland gnadenlos in 30 Punkte umwandelte.
JV als Hoffnungsschimmer
Den Raptors bleibt derweil (mal wieder) nur die Hoffnung, dass vor heimischer Kulisse wieder alles gerade gerückt werden kann. Vorher hatte Head Coach Dwane Casey aber noch deutliche Worte für seine Jungs parat: "Wir haben nicht mal annähernd mit der Energie gespielt, mit der wir hier eigentlich auftreten müssten. Aber: Das wissen wir, und letztendlich war auch das nur ein Spiel. Die Serie steht 3-2."
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Ein kleiner Lichtblick war immerhin die Rückkehr aufs Spielfeld von Center Jonas Valanciunas, der erstmals nach seiner Knöchelverletzung in die Serie eingreifen konnte. Ihm war seine 18-tägige Zwangspause aber deutlich anzusehen, besonders defensiv war er zu behäbig unterwegs, was die Cavs natürlich nutzten und den Litauer in zahlreiche Pick'n'Rolls involvierten.
Offensiv sah das phasenweise etwas geschmeidiger aus, auch wenn sich JV gerade im Lowpost noch zurückhielt. Sein Zustand könnte für den restlichen Verlauf der Serie der X-Faktor sein, denn es ist schwer vorstellbar, dass die Cavaliers künftig auf das erfolgreiche Trappen von Lowry und DeRozan verzichten werden. Dann brauchen die Kanadier eine dritte Option. Valanciunas könnte diese sein und damit für Entlastung sorgen, denn er wäre für den Gegner das einzige Matchup, dass dieser nicht im Eins-gegen-Eins kontrollieren könnte.
Allerdings: Selbst wenn die Raptors ein Spiel 7 erzwingen, müssen sie wohl oder übel den Weg zurück nach Ohio antreten. Dort sind die Cavs in den Playoffs weiterhin ungeschlagen. Doch warum eigentlich? "Das", erklärte Kyle Lowry, "weiß ich doch auch nicht. Sie spielen einfach ziemlich gut." Das klang schon ein Stück weit resigniert.