Der Draft-Jahrgang ist einer der schlechtesten der Geschichte
Jonathan Tjarks: Es ist vielleicht noch ein wenig früh, um die Rookie Class komplett zu verurteilen. Es ist sicher nicht so ein starker Jahrgang wie 2015, aber in ein paar Jahren kann man das besser einschätzen. Die Jungs vom College werden sich immer erst an die Liga gewöhnen müssen. Und noch wichtiger: Ben Simmons stand noch nicht eine Minute auf dem Court. Brandon Ingram hat auch das Potenzial, ein Großer zu werden, das deutet er bereits jetzt an. Er ist einfach noch verdammt jung, teilweise jünger als die Spieler im kommenden Draft. Er kann definitiv ein All-Star werden. Aber es stimmt schon: Die negative Wahrnehmung ist da. Das wäre sie nicht, wenn die beiden Top-Picks des Jahrgangs starke Zahlen auflegen würden.
Martin Klotz: Aber es sind ja nicht nur die Top-Picks, Jonathan. Wo ist der klare RotY-Kandidat, wenn die ersten beiden vermeintlich besten Spieler keine Rolle spielen? Wo ist der Lottery Pick, der richtig für Furore sorgt? Jamal Murray? Naja. Wo ist der Nobody, den sich jeder Spieler beim Fantasy Basketball nach den ersten Partien geholt hat und der später den Titelkampf entscheiden kann? Dorian Finney-Smith? Wohl eher nicht. Enttäuscht bin ich diese Saison bisher von No.4-Pick Dragan Bender. Von ihm hatte ich mir mehr erhofft. Er spielt zwar aufgrund der Situation bei den Suns wenig, aber auch in seinen Einsätzen hat er mich nicht überzeugt.
Jonathan Tjarks: Ich würde Bender nicht so schnell abschreiben. Klar, bei den vielen Big Men in Phoenix muss etwas passieren. Ich erwarte, dass sie bald einen Trade durchziehen. Spätestens vor der nächsten Saison. Denn Bender und auch Marquese Chriss brauchen Minuten. Zudem bin ich gespannt auf Thon Maker. Er hat für seine Größe wie Bender ein unglaubliches Skill-Set und könnte daher auf kleineren Positionen spielen und dort richtig abgehen. In einem Gespräch neulich hat Jason Terry ihn sogar mit KG verglichen. Auch, wenn sie bislang noch keine Rolle spielen, werden uns die beiden noch zeigen, wie gut der Jahrgang wirklich ist.
Martin Klotz: Aber wie beurteilen wir das denn eigentlich? Was sind denn überhaupt die schlechtesten Jahrgänge der Geschichte? Die Class von 1997 hatte zwar mit Tim Duncan einen zukünftigen Hall of Famer zu bieten, außer T-Mac und Chauncey Billups aber sonst nur Kraut und Rüben. Ist das dennoch ein guter Jahrgang? Oder was ist mit 2000? Drei All-Stars - das ist schon echt wenig.
Jonathan Tjarks: Wie wäre es mit einem anderen Ansatz, Martin? Für mich geht es eher darum, wie viele Teams durch den Draft entscheidend besser geworden sind. Das ist im Endeffekt wichtiger als individuelle Erfolge, auch wenn daran natürlich die Qualität der Spieler im allgemeinen gemessen wird.
Alex Schlüter: Um auf 2016 zurückzukommen: Ich bin bisher auch nicht wirklich überzeugt. Die Rookies, die wir bislang auf dem Court gesehen haben, waren tatsächlich eher mies. Egal in welcher Richtung - ob, bei den Top-Picks oder in der Tiefe. Ja, es ist erst ein Drittel der Saison rum und bei Leuten wie Ingram und Brown wussten die Verantwortlichen, dass sie noch nicht NBA-ready sind. Aber trotzdem: Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Domantas Sabonis hat wohl kein Neuling positiv überrascht. Und die Rookie-Wall ist ja noch nicht einmal in Sichtweite. Trotzdem glaube ich nicht, dass man in ein paar Jahren davon sprechen wird, dass dieser Jahrgang einer der schlechtesten aller Zeiten war. Der Grund dafür heißt Simmons. Die Fähigkeiten, die er am College und in der Pre-Season angedeutet hat, lassen mich fest daran glauben, dass er ein ganz Großer wird. Die NBA 2020 wird fest mit seinem Namen verbunden sein, das wird dann wohl auch seinen Draft-Jahrgang retten.
Ole Frerks: Bitter, dass Joel Embiid schon vor zwei Jahren gedraftet wurde, nicht wahr? Dann hätten wir immerhin ein transzendentes Talent in diesem Jahrgang. Ich bin auch nicht ganz so überzeugt von Simmons wie du, Alex. Sein Passing Game ist wunderschön, aber ich muss erst einmal sehen, ob ein Spieler mit so kaputtem Wurf heutzutage noch wirklich "ein Großer" werden kann. Ganz abgesehen davon, dass die Sixers im Frontcourt immer noch ein unfassbarer Chaoshaufen sind (wann befreit jemand Noel?!) und ich nicht davon überzeugt bin, dass Simmons, wenn er fit ist, die optimalen Voraussetzungen für sich finden wird. Das sind für mich schon legitime Fragezeichen. Dennoch: Es ist definitiv zu früh, den Jahrgang jetzt schon zu verteufeln. Ich bin bisher auch etwas enttäuscht, dass kaum ein Rookie wirklich Aufsehen erregt, aber das sollte sich noch ändern - wie Fran Fraschilla schon sagte: Das One-and-Done-System produziert im seltensten Fall fertige NBA-Spieler. Und ich denke schon, dass Leute wie Murray, Sabonis, Pöltl, Siakam, Dunn, Chriss, Valentine und wie sie alle heißen schon zu soliden NBA-Spielern reifen können. Abgesehen von Simmons, Ingram, Bender und Brown gibt es vielleicht nicht so viele potenzielle Stars wie in manch anderem Draft, aber wer weiß - 2013 wurde am Anfang auch viel gemeckert, jetzt sind Gobert und McCollum Max-Player und der Greek Freak ist einer der besten Spieler der Liga. Es ist einfach noch zu früh, hier alles schlechtzureden.
Jonathan Tjarks: Richtig, Ole. Aber um noch eine Sache zu Embiid zu sagen: Er hat natürlich auch Vorteile gegenüber den anderen Rookies. Vielleicht nicht unbedingt mit seinem verletzungsanfälligen Körper, aber er steht immerhin schon zwei Jahre im Roster einer Franchise. Das macht enorm viel aus. Du kennst jedes Play, erlebst den NBA-Alltag und lernst von gestanden Veteranen. Embiid hat unglaubliches Potenzial. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er diese Saison der beste Rookie sein wird. Und ich sehe die Sixers in ein paar Jahren ohne Okafor, Noel und Saric, dafür mit Simmons, Embiid und drei Shootern. Dann kann Simmons seinen starken Drive zur Geltung bringen und sein schwacher Wurf fällt auch nicht so ins Gewicht. Das könnte ein ganz besonderes Team werden.