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Der personifizierte Napoleon-Komplex

"You know what time it is" - Isaiah Thomas liebt das vierte Viertel
© getty

Die meisten Schlagzeilen in dieser Saison gehören Russell Westbrook und James Harden - dabei ist das Statistik-Paket von Isaiah Thomas ähnlich absurd. Der zweitbeste Scorer der NBA ist dabei nicht nur der König des vierten Viertels, sondern auch noch beeindruckend effizient. In die MVP-Konversation gehört er dennoch nicht.

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41 Punkte gegen Detroit, 24 davon im letzten Viertel. 44 Punkte gegen Toronto, 19 im letzten Viertel. 52 Zähler gegen Miami, 29 im letzten Durchgang. 38 gegen die Lakers, 17 im Schlussviertel. 41 gegen die Blazers, 44 gegen die Grizzlies. Wer behauptet, dass Isaiah Thomas in letzter Zeit ganz gut drauf ist, bezeichnet Stephen Curry wohl auch als ganz ordentlichen Distanzschützen. Sein Game-Log steht seit Mitte Dezember in Flammen.

36 Spiele in Folge hat Thomas mindestens 20 Punkte erzielt. Seit Anfang Dezember erzielt Thomas über 34 Punkte im Schnitt - das ist mittlerweile längst keine kleine "Hot Streak" mehr. Und dann ist da natürlich noch das vierte Viertel.

IT4 erzielt momentan 10,6 Punkte im letzten Viertel - das ist der höchste Wert der NBA. Und zwar nicht nur in dieser Saison. Seit 20 Jahren werden die Punkte nach Vierteln unterteilt erhoben, bisher hielt Kobe Bryant den Rekord mit 9,5 Punkten in der Saison 2005/2006. Thomas schickt sich an, diesen Wert zu pulverisieren.

Als er vor kurzem in L.A. darauf angesprochen wurde, wehrte Thomas noch direkt ab: "Ihr könnt meinen Namen nicht mit Kobe in Verbindung bringen. Hoffentlich in 15 Jahren, aber ich bin weit von ihm entfernt." Wer Thomas jedoch schon länger verfolgt, weiß ganz genau, dass er das eigentlich anders sieht. Das überbordende Selbstvertrauen ist eine der größten Stärken des Gartenzwergs im Reich der Riesen.

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Ein Gunner im Pace-and-Space-Style

Bei einer Körpergröße von 1,75 m ergibt es eigentlich keinen großen Sinn, dass Thomas (derzeit 29,8 PPG) zu den verheerendsten Offensivwaffen der Liga gehört. Aber genau dieser Napoleon-Komplex beflügelt sein Spiel. Er agiert bei seinen Moves mit einer fast schon beispiellosen Kreativität - und hält sich dabei strikt an die Prinzipien der Pace-and-Space-Ära.

Thomas spielt zwar einerseits mit der Gunner-Mentalität eines Kobe, andererseits hat er dabei jedoch eine Wurfauswahl, die eher dem Labor von Rockets-GM Daryl Morey entsprungen zu sein scheint. 32,3 Prozent seiner Punkte erzielt er von der Dreierlinie, 33,2 Prozent in der Zone und 26,8 Prozent von der Freiwurflinie - die Mitteldistanz ignoriert er hingegen fast komplett (7,7). Aus gutem Grund.

In der üblicherweise prall gefüllten Midrange wird ihm seine fehlende Größe besonders zum Nachteil, er kann nicht etwa wie James Harden jederzeit abstoppen und einen Pullup-Jumper über jeden Verteidiger werfen. Also lässt er es einfach oder zieht besser gesagt lieber weiter zum Korb. Denn dort ist er dank seiner Cleverness und der Statur eines NFL-Running-Backs (83 kg) nur in den allerseltensten Fällen zu stoppen.

1,5 Blocks sind okay

Zwar werden pro Spiel 1,5 Würfe von Thomas geblockt, womit er ligaweit den vorletzten Platz belegt - vor DeMarcus Cousins! -, aber angesichts der übrigen Resultate können die Celtics gut damit leben. Niemand erzielt pro Spiel mehr Punkte per Drive (9,7) als Thomas und nur vier Spieler ziehen ligaweit mehr Fouls.

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Dabei weiß der Gegner eigentlich meistens, was kommt. Wenn Thomas den Ball an der Dreierlinie bekommt, oft nach einem Hand-Off, drückt er entweder direkt ab (8,4 Dreier bei 38,4 Prozent 3FG) oder lässt seinen Verteidiger mit seinem Antritt stehen.

Auf dem Weg zum Korb nutzt er sein enormes Arsenal an Crossovern, Pump-Fakes und Counter-Moves, um entweder seinen Wurf zu bekommen oder einen seiner 8,7 Freiwürfe pro Spiel zu ziehen. Dabei ist er kein Flopper wie sein Nebenmann Marcus Smart, natürlich versteht aber auch er es wie jeder Superstar in der Liga, den Kontakt entsprechend zu verkaufen.

Besser als Iverson?

Die Mischung aus Freiwürfen und Dreiern verschafft Thomas eine True Shooting Percentage von 62,8 Prozent, womit er unter allen Volume-Scorern der Liga (mindestens 12 Würfe pro Spiel) nur von Kevin Durant und Stephen Curry übertroffen wird. Es spricht für seine derzeitige Form, dass er bei deutlich gesteigerter Wurfanzahl die mit Abstand effektivste Saison seiner Karriere spielt.

Gewissermaßen liefert er derzeit sogar den "Goldstandard" für kleine Spieler in der NBA-Geschichte. Bisher kam dieser immer von Allen Iverson, der mit (offiziell) 1,83 m sogar noch 8 cm größer war als Thomas. Aber auch die MVP-Saison von "The Answer" (00/01) hält dem Vergleich mit Thomas' derzeitigen Stats nicht wirklich Stand.

  • Iverson: 31,1 Punkte, 4,6 Assists in 42 Minuten - 51,8 Prozent True Shooting, 24,0 Player Efficiency Rating, 0,19 Win Shares pro 48 Minuten
  • Thomas: 29,8 Punkte, 6,4 Assists in 34,5 Minuten - 62,8 Prozent True Shooting, 27,8 PER, 0,25 Win Shares pro 48 Minuten

Die Zahlen sprechen sogar überraschend deutlich für Thomas, auch wenn man natürlich berücksichtigen muss, dass Iverson in einer anderen Ära spielte. Insofern ist es verständlich, wie viel Selbstbewusstsein Thomas ausstrahlt. "Das ist meine Zeit!", hört man ihn regelmäßig rufen, wenn er im vierten Viertel mal wieder einen seiner Runs startet.

"Der Beste der Welt"

"Ich fühle mich, als wäre ich der beste Spieler der Welt", sagte Thomas kürzlich zu The Ringer, was ihm natürlich als Arroganz ausgelegt wurde - allerdings hatte er eine Erklärung: "Ich will damit nicht angeben. Aber wenn man so viel gearbeitet hat wie ich und sich nicht so fühlt, dann macht man sich selbst etwas vor."

Die Erklärung ist angesichts von Thomas' Werdegang durchaus verständlich. Er wäre nicht dort, wo er jetzt ist, wenn er nicht dieses Selbstbewusstsein hätte - dafür musste er in seiner NBA-Karriere einfach schon zu viele Hindernisse überwinden. Immerhin taucht der letzte (!) Pick von 2011, der von Sacramento (!) und Phoenix (!) aussortiert wurde, neuerdings sogar in einigen MVP-Konversationen auf.

"Er hat die Fackel übernommen. Er hat sich voll etabliert, von einem kleinen Typen, von dem nicht viel erwartet wurde, zu einem mehrfachen All-Star und MVP-Kandidaten", sagte kürzlich kein Geringerer als Paul Pierce, gewissermaßen Thomas' "Vorgänger" in Boston. Thomas selbst sagte, es sei ein "surreales Gefühl", dass die drei heiligen Buchstaben neuerdings mit ihm in Verbindung gebracht werden. Es ist auch falsch.

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