In Ermangelung von gesunden Guards haben die Dallas Mavericks vor wenigen Tagen Yogi Ferrell verpflichtet und damit einen Glücksgriff gelandet. Nach starken Leistungen steht er nun sogar vor einem langfristigen Engagement. Doch wer ist der Neue, den niemand kennt?
"Ich lebe momentan einen Traum und schwebe auf Wolke sieben."
So richtig fassen konnte es Kevin Duane 'Yogi' Ferrell irgendwie nicht. Gerade eben hatte er, ein ungedrafteter College-Absolvent der Indiana University, mit den Mavs den Champ aus Cleveland geschlagen. Doch das Ergebnis der Partie war dabei noch nicht einmal das Entscheidende.
Viel wichtiger - und gleichzeitig surrealer - war, dass der kleine Point Guard überhaupt wieder in einem NBA-Spiel auf dem Parkett stand. Nicht in der Garbage Time, sondern als Starter. 38 Minuten inklusive Schlussphase. Und das alles bei einer "echten" NBA-Franchise (die Brooklyn Nets erfüllen dieses Kriterium derzeit nicht wirklich).
Aus dem Flieger in die Halle
Es war das zweite Spiel von Ferrell für die Mavericks, die ihn erst am Montag für zehn Tage unter Vertrag genommen hatten. Die erste Partie im Dallas-Jersey gegen die San Antonio Spurs, in der er schon erste Augenbrauen in Bewegung versetzte, fand nicht einmal 24 Stunden nach seiner Unterschrift statt.
"Als ich den Anruf von meinem Agenten bekommen habe, war ich gerade dabei, mich auf ein Spiel in der D-League vorzubereiten", erzählte Ferrell: "Fünf oder sechs Stunden vor dem Spiel rief er an und verkündete mir, dass mich die Mavs für zehn Tage unter Vertrag nehmen wollen. Ich bin sofort nach Dallas geflogen."
Der Grund war so simpel wie unschön: Das Lazarett in Big D ist nach einer kurzen Räumungsaktion wieder gut gefüllt. Deron Williams fällt mit einem verstauchten Zeh weiterhin aus, J.J. Barea wird mit einer Wadenverletzung sogar bis zur All-Star Break fehlen.
Der als Ersatz verpflichtete Pierre Jackson zeigte auch in seinem zweiten Zehntagesvertrag ansprechende Leistungen, doch im Spiel gegen die Oklahoma City Thunder zerrte er sich den linken Oberschenkel. Anschließend entließen ihn die Mavs, da er in diesem Zustand natürlich keine Hilfe war. Es musste also der nächste Point Guard her.
getty"Der Typ aus Indiana"
"Wir sind gemeinsam ein paar Namen durchgegangen", berichtete Mark Cuban: "Es war natürlich die Entscheidung von Donnie Nelson und Michael Finley, wen wir holen." Der Mavs-Eigentümer, der selbst an der Indiana University studiert hat, gab dann aber doch noch einen nicht unwichtigen Hinweis: "Sie hatten verschiedene Spieler im Sinn und ich sagte: 'Ihr trefft die Wahl. Aber wenn es ein Unentschieden ist, kommt der Typ aus Indiana.'"
Und er kam. Statt in Pennsylvania gegen Gabe York von den Erie BayHawks zu spielen, verteidigte Ferrell am Samstagabend im AT&T Center zu San Antonio niemand Geringeren als den vierfachen NBA-Champion und sechsfachen All-Star Tony Parker.
Mit 9 Punkten, 2 Rebounds, 7 Assists und 2 Steals zeigte der Ex-Hoosier eine solide Leistung. Bewundernswert war vor allem, wie er die Offense der Mavs bei all dem Trubel um seine Person ruhig und abgeklärt führte. In 36 Minuten leistete er sich gegen die starke Spurs-Defense nicht einen einzigen Ballverlust. Nachvollziehbar, dass gerade dieser Fakt dem Turnover-Hasser Coach Rick Carlisle gefiel.
Schon am nächsten Abend wartete Kyrie Irving, den Ferrell mit seiner bissigen Defense einschränkte, während er gleichzeitig 19 Punkte (7/15 FG), 5 Rebounds, 3 Assists und 4 Steals bei lediglich einem Ballverlust verzeichnete. Die Statline von Uncle Drew? 18 Punkte (7/21 FG), 5 Rebounds, 5 Assists, 2 Steals, 6 Turnover.
Ein Bär mit Eiern
Was die Fans im American Airlines Center aber noch mehr zum Reiben der in dieser Saison tränengeröteten Augen verleitete als die Statistiken, war die Kaltschnäuzigkeit, mit der Ferrell spielte. Der Yogi-Bär zeigte aber mal so überhaupt keine Angst.
Wer bei einem Zehntagesvertrag (!) als Point Guard (!) neben Spielern wie Harrison Barnes und Dirk Nowitzki (!) gegen die Cavs (!) in wichtigen Spielsituationen (!) Pull-Up Dreier (!) aus dem Pick-and-Roll und in Transition (!) nimmt, der hat wirklich Eier. Ausrufezeichen.
Dabei war Ferrells Karriere vor wenigen Tagen bereits an einem Punkt, an dem andere schon den Kopf in den Sand gesteckt und den Glauben an die eigene Stärke verloren hätten.
"Vermächtnis als Spieler und Mensch"
Nach drei Jahren im Programm der Hoosiers stand Ferrell vor der Entscheidung, sich zum Draft anzumelden. Doch er sah seine Aufgabe in Indiana noch nicht als erledigt an.
"Ich habe lange überlegt. Die NBA ist der absolute Traum", so Ferrell damals: "Aber je mehr ich nachgedacht und mit Leuten darüber gesprochen habe, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich noch einmal zurückkommen möchte. Ich möchte als Spieler und Mensch ein Vermächtnis hinterlassen. Mein einziges Ziel ist es, mit dem Team die NCAA Championship zu gewinnen."
Das blieb Ferrell zwar auch in Jahr vier nicht vergönnt, doch er verließ Indiana mit Rekorden in Spielen, Starts und Assists sowie einem Haufen Auszeichnungen im Gepäck: 2x First-Team Big Ten, All-Defensive Team Big Ten, dazu Second Team All-American in der Journalisten-Wahl beziehungsweise Third Team All-American im Voting der Coaches.
Vergessen und abgeschoben
Trotz der gelungenen College-Karriere und starken Workouts mit eindrucksvollem Shooting ließen ihn die NBA-Teams beim Draft links liegen, anschließend unterschrieb Ferrell bei den Nets für die Summer League (8,8 Punkte, 1,5 Rebounds, 1,8 Punkte in 17 Minuten pro Spiel).
Im Training Camp konnte er sich nicht nachhaltig für einen Kaderplatz empfehlen und wurde kurz vor Saisonbeginn entlassen. Die Long Island Nets aus der D-League wurden zu seiner neuen Heimat, auch wenn er zwischenzeitlich noch einmal für einen Monat nach Brooklyn beordert wurde. Dort sah er meist Garbage-Time-Minuten in den zur Regel gewordenen Blowouts.
Doch seit seiner zweiten Entlassung bei den Nets Anfang Dezember gab es nicht gerade viel zu lachen in der schlecht bezahlten Development League für Ferrell - bis zu jenem Anruf seines Agenten. Und seit diesem Moment ist die Story von Yogi Ferrell auf einmal eine - wenn auch noch kurze - Erfolgsgeschichte.
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Lob von allen Seiten
Teamkollege Harrison Barnes schwärmte: "Er ist auf dem Weg, einen der besten Zehntagesverträge der Geschichte zu haben. Er spielt mit so viel Herz. Er hatte offensiv wie defensiv schwierige Matchups, aber er hat jeden Abend alles gegeben und dafür gesorgt, dass wir eine Chance hatten, zu gewinnen."
Auch Carlisle stimmte in die Lobeshymnen mit ein: "Er hatte zwei großartige Spiele und er verdient diese Möglichkeit. Er hat extrem hart gearbeitet. Es hat uns überrascht, dass er nicht gedraftet wurde. Es ist große Chance für ihn in den nächsten sieben, acht Spielen seines Vertrags. Oder für wie lange auch immer."
Oder für wie lange auch immer. Wer aus dieser Aussage das Interesse herausliest, den Spielmacher langfristig zu binden, der liegt völlig richtig. Laut DallasBasketball.com denken die Verantwortlichen bereits darüber nach, dem 1,83 kleinen Guard einen Zweijahresvertrag anzubieten.
Aktuell erhält Ferrell rund 30.000 Dollar für sein Kurzengagement, verpflichtet ihn Dallas bis zum Ende der Saison, würde er das Veteranenminimum in Höhe von 543.471 Dollar erhalten.
Die Konkurrenz schielt
Allerdings sind die Leistungen von Ferrell natürlich auch dem Rest der Liga nicht verborgen geblieben. Nach Ablauf des Zehntagesvertrags kann Ferrell bei jedem Team unterschreiben, auch wenn das nach der Chance, die ihm die Mavs gegeben haben, eher unwahrscheinlich ist. Von unmoralischen Angeboten mal abgesehen.
Dennoch sollten die Mavericks so früh wie möglich Nägel mit Köpfen machen. Denn nicht allzu oft findet man Ende Januar noch einen ungedrafteten Rollenspieler, der dem Team ohne Anlaufzeit wirklich helfen kann.
Wenn Williams wieder fit ist, wird Ferrell ins zweite Glied rutschen und den Platz von Barea als Bank-Scorer und Terrier einnehmen. Und wenn nach einer Verpflichtung die Gerüchte um einen Trade von D-Will zu den Cavs wieder lauter werden, dann hat vielleicht auch Ferrell selbst begriffen, wo er da gerade hineingeraten ist.
In die Chance seines Lebens.