"Oh mein Gott. Das möchte ich nicht die nächsten 15 Jahre lang sehen. Über diesen Jungen reden sie viel zu wenig. Wie er den Ball bewegt, welche Übersicht er hat und sich seine Spots aussucht. Wenn er nun auch noch das Vertrauen in seinen Wurf findet, muss er wirklich an der Dreipunktelinie gestellt werden. Wow. Er ist ein riesiges Talent." (David Fizdale, Grizzlies-Coach)
Keine zehn Sekunden dauerte das erste Preseason-Spiel der Philadelphia 76ers gegen die Memphis Grizzlies, da jubelte das Wells Fargo Center bereits. Markelle Fultz bediente die schneidende Nummer 25, die den anschließenden Floater mit der linken Hand im Korb versenkte. "Beeen Simmooons!!!" ließ der Sprecher auch den Letzten wissen, wer hier die ersten Punkte auf die Anzeigetafel gebracht hatte.
Über 15 Monate, nachdem der Australier als No.1-Pick die Kappe von den Sixers aufgesetzt hatte, sahen die Philly-Fans erstmals auf NBA-Niveau, also nicht nur in der Summer League, was für einen Spieler sie da eigentlich bekommen haben. Einen Spieler, der in einem Kader, der vor Talent nur so trieft, heraussticht.
Denn ein klassisches Label ist bei Simmons nicht angebracht. Der diesjährige No.1-Pick Fultz lieferte nach dem Rebound zumeist brav bei Simmons ab. Denn der wird nun auch offiziell als Guard gelistet - mit stattlichen 2,08 m. Und so stellt sich auch sein Spiel dar.
Simmons: Meister im Fastbreak
Wenn möglich, versuchen die Sixers mit Simmons auf Point schnell umzuschalten. Die Grizzlies machten den Fehler, den Top-Pick von 2016 nicht vor der Mittellinie zu stellen. Hatte er genug Zeit, war Simmons nur schwer zu stoppen. "Es gibt nicht viele Spieler, die mich mit Ball in der Hand über den ganzen Court stoppen können. Ich werde ein wandelndes Mismatch sein", tönte Simmons bereits vor der Saison.
Mit Richaun Holmes und Joel Embiid verfügen die Sixers über mobile Center, die auch mal einen harten Sprint über das ganze Feld hinlegen und sich der Pace von Simmons anpassen können. Bereits in der vergangenen Saison rangierten die Sixers auf Platz fünf bei der Pace und Rang acht bei Ballbesitzen in Transition. Der Australier könnte diesen Effekt verstärken, kann er doch auch den freien Mann mit einem Pass über den kompletten Court punktgenau bedienen.
Entsprechend enthusiastisch zeigte sich auch sein Coach Brett Brown nach dem Spiel: "Ich liebe seinen Speed im Fastbreak, seine Fähigkeit zum Korb zu ziehen, die Geschwindigkeit, mit der er spielt. Ben war heute mehr als ein Rookie."
Simmons: Vergleiche mit LeBron James
So sammelte Simmons gleich 9 Assists in 22 Minuten Spielzeit ein. Probleme hatte er jedoch mit seinem Abschluss. Sieben seiner acht Würfe nahm er in direkter Korbnähe, nur zwei fanden den Weg in den Korb. Da muss auf jeden Fall noch viel mehr kommen, wenn Simmons seinen Worten auch Taten folgen lassen will.
"Mein Ziel ist es, der Beste der Liga zu sein", sagte Simmons gegenüber ESPN. "Ich schaue nicht auf die anderen Rookies. Ich schaue auf die Spieler, die jetzt schon ganz oben stehen. Denn da will ich auch hin", fügte er an.
Nicht umsonst zogen einige Experten schon während seiner College-Zeit den Vergleich zu LeBron James. Einen Spieler, der mit einer solchen Statur so mobil ist und solch eine Übersicht besitzt, ist beinahe nicht zu finden. Doch es war ein wenig Trotz in der Stimme.
Bei der traditionellen Rookie-Umfrage stimmten bloß drei Kollegen für den Australier bei RotY oder 'Welcher Rookie wird die beste Karriere haben?' Ein Jahr ist eben doch eine lange Zeit und es schweben noch immer einige Fragezeichen über der Personalie Simmons.
Simmons: Probleme im Setplay
Können Simmons und Fultz gleichzeitig längere Zeit auf dem Court stehen oder kommt es zu Reibereien um den Ballvortrag? Was ist mit seinem Jumper? Coach Brown deutete bereits an, dass er die Minuten der beiden staffeln könnte. Das ist auch nötig, denn Simmons braucht die richtigen Mitspieler für seine Spielweise beziehungsweise für seinen nicht-existenten Wurf. "Simmons verändert unsere Lineups auf dem Court. Wir können keinen anderen Spieler auf dem Feld ohne Range haben", erklärte Brown.
In keinem der beiden bisherigen Spiele nahm Simmons einen Dreier. Bislang beschränkte sich sein Arsenal auf Floater und harte Drives zum Korb. Da aber bereits jetzt jedes Team weiß, dass sie den Weg zum Ring verstellen müssen, handelte sich der inzwischen 21-Jährige schon mehrere Offensiv-Fouls ein.
Zudem schwächelte er an der Freiwurflinie (4/8 FT). Interessant dabei: Simmons ist eigentlich Rechtshänder, wirft aber mit der linken Hand. Es gibt bereits einige Stimmen, die fordern, dass er seine Wurfhand wechseln sollte. Linke Hand oder rechte Hand: Irgendwann wird er beweisen müssen, dass er zumindest in der Lage ist, Freiwürfe beständig zu netzen.
Sonst werden die Probleme im Setplay nicht kleiner. Gab T.J. McConnell den primären Ballhandler, war die Offense deutlich flüssiger, es gab mehr Ball-Movement. Simmons dagegen hielt den Ball zu lange und versuchte die Defense mit einem einzigen Pass auszuhebeln, sprich die Ausführung war deutlich schwieriger, Simmons stets auf der Suche nach dem Highlight-Play und entsprechend anfällig für Ballverluste.
Fähig in der Defense, wenn er will
Sicherlich sind dies alles Dinge, die sich mit der Zeit und zahlreichen Wiederholungen bessern werden, doch es ist offensichtlich, dass noch große Lücken im Spiel von Simmons klaffen. Vor allem in der Defense werden die Sixers einiges mit ihrem Rookie versuchen.
Gegen Boston begann Simmons mit der Verteidigung von Jayson Tatum und checkte zwischenzeitlich auch Al Horford mit teils beachtlichem Erfolg. In Durchgang zwei versuchte er sich gegen Kyrie Irving. Dort zog er den Kürzeren, was aber auch am heißen Händchen des neuen Celtics-Stars lag. Zum Korb brachte es Uncle Drew dagegen kein einziges Mal.
Die Anlagen sind also auch in diesem Bereich da, doch von Simmons zu erwarten, dass er bereits in seiner Rookie-Saison ein echter Two-Way-Player sein kann, wäre vermessen. "Das braucht noch Zeit. Ich bin noch dabei, die einzelnen Positionen in der Defense zu lernen", sagte Simmons nach der neuerlichen Pleite gegen Boston.
Simmons und die Sixers: Ein Prozess
Das gilt für das komplette Team. Die Mechanismen sind noch nicht da, was selbstverständlich ist bei den zahlreichen jungen Spieler und Veteranen wie JJ Redick oder Amir Johnson, die es zu integrieren gilt. Gerade defensiv zeigte nicht nur Simmons Schwächen, auch die Mitspieler verpassten mehr als eine Rotation.
Frei nach Sam Hinkie, dem ehemaligen Manager der Sixers, ist es ein Prozess. Embiid könnte zum Saisonstart wieder dabei sein, Fultz wird sich auch langsam eingewöhnen, nachdem er im Sommer unangekündigt seine Wurfmechanik änderte. Die Sixers sind, auch mit Simmons, ein großes Experiment. Sie sind jung, wild, werden jede Menge Fehler machen, aber auch für einige Wow-Momente sorgen, die Gesundheit der Akteure immer vorausgesetzt.
Robert Covington analysierte Simmons kürzlich auf eine Art und Weise, die sich auch auf das komplette Sixers-Team ummünzen lassen könnte: "Er ist so vielseitig, offensiv und defensiv. Er ist ein Monster. Er hat noch gar nicht verstanden, wie gut er wirklich ist."