LaMarcus Aldridge war bei den San Antonio Spurs nach den Playoffs eigentlich angezählt und stand vor dem Abschied. Dann erfolgte jedoch die Kehrtwende - LMA hat seinen Vertrag sogar verlängert. Auf einmal scheint sich fast alles zum Guten gewendet zu haben. Ist der Effekt real? In der Nacht auf Samstag treten die Spurs gegen die Magic an (um 1 Uhr im LEAGUE PASS).
Gregg Popovich ist üblicherweise niemand, der sich öffentlich über seine Spieler beschwert. Scherzhaft vielleicht, wie früher, als er noch gelegentlich behauptete, das unvorhersehbare Spiel von Manu Ginobili treibe ihn in den Wahnsinn, aber selten ernst gemeint, sondern eher - bei den Spurs kann man das wohl sagen - liebevoll und familiär. Oder er kritisiert im Kollektiv - "Wir haben scheiße verteidigt" und dergleichen.
Im Laufe der Conference Finals 2017 war dies ein wenig anders. Nach Spiel 2 gegen die Warriors genauer gesagt: "LaMarcus muss für uns scoren. Er darf nicht zögerlich sein. Er hat im ersten Viertel Würfe verweigert. Das darf er nicht. Er muss Punkte machen. Er hat die Verantwortung, es im dritten Spiel besser zu machen", schimpfte Popovich da ungewohnt detailliert.
Die Worte hatten umso mehr Wirkung, weil sie natürlich zutrafen. Die Spurs hatten Kawhi Leonard verloren, Tony Parker war ebenfalls bereits verletzt. Es blickte also alles auf Aldridge - doch dieser konnte nicht liefern. 15,5 Punkte machte er im Schnitt (41,3 Prozent FG) in der Serie, holte dazu 5,8 Rebounds. Sein Net-Rating betrug -31 (!), den Sweep konnte er (natürlich) nicht verhindern.
LaMarcus Aldridge: Superstar-Zeit vorbei?
Wie ein Star sah Aldridge nicht mehr aus, im Gegenteil. Und die Tatsache, dass Popovich seine Frustration mit LMA so offen zeigte, ließ eigentlich ziemlich eindeutig darauf schließen, dass dieser in San Antonio keine große Zukunft mehr haben würde. Zwar hätte er auch noch eine Spieler-Option für 2018/19 gehabt, es roch jedoch - auch wenn das nicht wirklich Spurs-typisch ist - nach einem Trade.
gettyUnd die Spurs versuchten es auch. Insbesondere rund um den Draft sollen sie Aldridge "sehr verfügbar" gemacht haben, wie es damals hieß - im tief besetzten Draft wollte man gerne noch irgendwie einen Lottery-Pick ergattern. Es biss aber kein Team an, um den als eigenwillig geltenden 32-Jährigen zu holen. Wieso auch? Seine Auftritte in den Conference Finals hatte ja jeder gesehen.
Und so wartete man ab. Nichts passierte. Die Spurs verlebten einen ruhigen und bisweilen konfusen Sommer, in dem sie die jungen Jonathon Simmons und Dewayne Dedmon ohne Gegenwert ziehen ließen, dafür aber mit Oldie Pau Gasol für viel Geld verlängerten und Rudy Gay holten. Und Aldridge? Der blieb im Kader und hing irgendwie in der Schwebe.
Aus dem Nichts der neue Vertrag
Im Training Camp erzählte Aldridge dann, dass er in San Antonio frustriert und unglücklich war, sich nun aber mit Coach Pop ausgesprochen habe. Zehn Tage zogen ins Land, bis San Antonio am 16. Oktober bekannt gab, dass der Vertrag mit Aldridge verlängert wurde. Bis 2021 streicht der Big Man am Alamo 72 Millionen Dollar ein.
Was haben sich die Spurs dabei gedacht? Diese Frage kursierte nicht nur bei Twitter, sondern ESPN-Insider Zach Lowe zufolge sogar bei diversen Franchises in der Liga. Es gab ja keinen Zeitdruck, besonders zufrieden schienen beide Parteien eigentlich auch nicht mit der Partnerschaft zu sein.
Gregg Popovich gesteht Fehler ein
Jünger wird LMA ebenfalls nicht, eine riesengroße Leistungssteigerung ist also normalerweise nicht mehr von ihm zu erwarten. Oder? "Er hat sich hier nicht so wohl gefühlt, und das liegt zu 98,75 Prozent an mir. Ich habe versucht, ihn zu ändern", sagte Popovich.
"Ich habe versucht, aus ihm einen anderen Spieler zu machen. Ich glaube, das hat dazu geführt, dass er sich nicht wohl gefühlt hat und auf dem Court nicht das Selbstbewusstsein hatte. Deswegen habe ich ihm gesagt, dass wir es jetzt anders machen - und dass es meine Schuld war, nicht seine."
Es mag unter den Eindrücken der letzten Playoffs etwas kurios klingen, aber absurd ist Popovich' Gedanke nicht - Aldridges Spiel fußt mehr auf Finesse als auf Physis, seine Prime muss also nicht vorbei sein. Vielleicht kann er sich ja wirklich noch einmal steigern, wenn die Spurs seine Stärken etwas gezielter ausnutzen.
Spurs: Nur Golden State ist im Weg
Zumal es ja nicht so ist, dass LMA Basketball verlernt hätte oder kein produktiver Spieler mehr wäre. Seine Stats haben nicht mehr das Niveau aus Portland-Zeiten, das ist aber auch dem System und weniger Spielzeit geschuldet. Und 17,3 Punkte und 7,3 Rebounds sind vieles, aber keine schlechten Zahlen. Zumal die Spurs mit Aldridge gut funktionieren. Eigentlich sogar ziemlich überragend.
In den letzten beiden Saisons hat San Antonio 67 und 61 Spiele gewonnen - zweimal in Folge 60+ gab es noch nie in der Franchise-Geschichte. 2015/16 stellten sie mit 11,5 das bis dahin zweitbeste Net-Rating der NBA-Geschichte auf - besser sogar als das der 73-Siege-Warriors.
A propos Warriors: Die Enttäuschung aus Spiel 1 der Conference Finals wirkt in San Antonio noch nach. Niemand hat vergessen, dass die Spurs mit 21 Punkten führten, bevor Leonard auf dem Fuß von Zaza Pachulia landete und sich verletzte. In San Antonio dachten sie, dass sie das Mittel gegen die Warriors gefunden hatten - auch deswegen tickte Pop so aus und warf Pachulia Absicht vor.
Man kann davon halten, was man will. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Spurs Spiel 1 mit Leonard gewonnen hätten - klar ist aber auch, dass sie danach trotzdem nicht die Favoriten in der Serie gewesen wären. Vielleicht wäre eine Schlacht draus geworden, vielleicht hätten die Dubs auch die nächsten vier Spiele dominiert. Dass man diese Frage jedoch nicht beantworten kann, ist die vergessene Tragödie der 2017er Playoffs.
Popovich: Kein Interesse an Gerüchten
Vielleicht sind auch die Spurs der Ansicht, dass sie es sich selbst schulden, den Warriors einmal in voller Stärke entgegenzutreten. Vielleicht wurde deshalb fast nichts verändert, obwohl Parker, Gasol, Aldridge und Manu Ginobili alle (mindestens) auf der falschen Seite der 30 sind. Vielleicht gehen sie auch davon aus, dass sie nächstes Jahr ohnehin keinen dicken Free Agent-Fisch bekommen, und versuchen deshalb mit Oldies, das Maximum aus der Prime von Leonard herauszuholen.
Vielleicht wollten sie auch einfach, dass die Gerüchteküche verstummt. Popovich deutete dies im Rahmen der Aldridge-Verlängerung an: "Je eher so etwas erledigt ist, desto besser, damit man eine gewisse Normalität und Kontinuität hat. So vermeidet man Chaos und sonstige Ablenkungen."
Vielleicht - und das klingt schon eher nach den Spurs - wird auch einfach mit Kalkül gearbeitet. Die obigen Faktoren mögen alle eine Rolle spielen, aber Fakt ist auch: Der neue Deal ist teamfreundlicher als der alte. Aldridge hat nicht mehr selbst die Kontrolle, wie er es mit der Spieler-Option gehabt hätte. Stattdessen sind es nun die Spurs, die in der Saison 20/21 über eine (Quasi-)Option verfügen: Laut Lowe sind dann nur 7 Millionen Dollar garantiert.
Natürlich zahlt man für Aldridge trotzdem viel Geld und nicht jedes Team hätte sich so verhalten - Aldridge selbst dürfte happy sein, da er auf dem offenen Markt kein so hohes Gehalt bekommen hätte. Aber mit fixen Kosten kalkuliert es sich leichter. Zudem könnte sich der neue Deal auch positiv auf seinen Trade-Wert auswirken, sollte San Antonio erneut nicht an den Warriors vorbeikommen und doch etwas ändern wollen.
Kein festes Bekenntnis
Klar ist: Ein unumstößliches Bekenntnis zu Aldridge haben die Spurs nicht abgegeben, vielmehr haben sie die endgültige Entscheidung vertagt. Und der Saisonstart gibt ihnen (natürlich) Recht: Leonard und Parker fehlen immer noch, trotzdem ist San Antonio ungeschlagen (4-0) - und Aldridge wie ausgewechselt.
26 Punkte, 8,8 Rebounds, 1,5 Blocks, 2,8 Assists im Schnitt - so liest sich LMAs Ausbeute zum Saisonstart. Der 32-Jährige ist in bestechender Form und spielt auf einmal physischer denn je: 3,5 Offensiv-Rebounds und 6,3 Freiwürfe im Schnitt bedeuten jeweils Career Highs. Genau das will Pop von ihm sehen - und das macht wiederum auch Aldridge happy: "Er hat ein paar Dinge geändert, um es für mich angenehmer zu machen. Die Dinge sind jetzt etwas anders und das ist großartig für mich", sagte Aldridge am Montag zur Express-News.
Momentan brauchen ihn die Spurs als erste Option, und man sieht ihm förmlich an, wie gut ihm das tut. "Ich versuche einfach, ich selbst zu sein", erklärte LMA. Das fällt ihm momentan leicht. Erst die Zeit wird zeigen, ob es dabei bleibt, wenn Kawhi zurückkehrt - und Aldridge wieder ins zweite Glied rückt. Falls ja, könnte das Experiment mit LMA und den Spurs mit etwas Verspätung doch noch zum Erfolg werden - und zwar dann, wenn es zählt: in den Playoffs.