Da war er auf einmal wieder.
Gut gelaunt und entspannt schlenderte Kobe Bryant ins Staples Center, die Familie im Schlepptau beziehungsweise vor sich, den Kinderwagen mit der jüngsten Tochter Bianka schob er schließlich selbst. Vor der Halle durfte Bryant gar einen eigens errichteten Themenpark begutachten - "Kobeland" natürlich - und nun nahmen ihn Magic Johnson und Rob Pelinka in Empfang.
Kobe kehrte an den Ort zurück, der lange Jahre sein Wohnzimmer gewesen war. Die Halle, in der er sich selbst eine Legende schuf, einen Mythos, der noch lange Bestand haben wird. Die Franchise, bei der er vom 18-jährigen Highflyer zum fünffachen Champion und zeitweise besten Spieler der NBA und später zu ihrem verrückten Onkel wurde.
Beziehungsweise zu ihrem Paten. Es gibt wohl kein NBA-Team, bei dem nicht mehrere Spieler Kobe als ihr Idol bezeichnen, als denjenigen, zu dem sie aufschauten und aufschauen. Viele Superstars suchen auch heute noch regelmäßig seinen Rat, darunter James Harden und Kyrie Irving. Und auch unter den Legenden, die vor ihm kamen, genießen nur wenige Spieler so viel Respekt wie er.
Kobes Einfluss sogar bei den Warriors sichtbar
Seinen Einfluss kann man bei fast jedem Spiel sehen, auch wenn Kobes Spielweise (und vor allem die Wurfauswahl) heutzutage nicht mehr so en vogue ist wie 1996, als er in die Liga kam. Den heutigen Standard setzen die Warriors, die bei Kobes Retirement-Zeremonie zu Gast waren, mit ihrem unheimlich schnellen und passfreudigen Spiel, aber sogar bei ihnen ist die "Mamba Mentalität" spürbar, bei Draymond Greens Feuer, aber auch bei Kevin Durants Scoring aus Isolationen.
Es passte irgendwie, dass das Spiel in der Nacht - eigentlich natürlich nur Nebensache - ein Finish hatte, das eigentlich nach Kobe schrie. Die Warriors verpassten es trotz einer 5-Punkte-Führung 1:08 Minuten vor Schluss, den Sack zuzumachen: Erst traf Kentavious Caldwell-Pope einen Dreier, dann glich Brandon Ingram per Driving Layup aus. Kevin Durant scheiterte per Dreier, dann waren noch 5 Sekunden auf der Uhr, als die Lakers wieder in Ballbesitz waren.
Kobe: Keine Zeit für die Overtime
Über etliche Jahre hätte es in Los Angeles überhaupt keinen Zweifel gegeben, wer nun den Ball bekommen sollte. Bryant traf mehr Gamewinner als jeder andere (er versuchte auch mehr, dennoch) und so richtig überrascht wäre angesichts der vorangegangenen Show in Los Angeles wohl keiner gewesen, wenn Coach Luke Walton eine Auszeit genommen und Kobe eingewechselt hätte, vielleicht auch im Anzug, Ruhestand hin oder her.
Es kam anders. KCP dribbelte nach vorne und warf einen Airball, in der anschließenden Overtime brachte Durant (36 Punkte, 10/29 FG, KOBE!) den Warriors-Sieg dann doch nach Hause. Kobe? Der war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr da. Als die reguläre Spielzeit endete, verabschiedete sich Bryant mit seiner Sippschaft unter tosendem Applaus vom Publikum und verließ die Halle.
Kobe Bryant: Keine Angst, ins Loch zu fallen
Irgendwie paradox: Über zwei Jahrzehnte war Kobe jemand, der Zuschauer weltweit an den Bildschirm oder an ihren Sitz in der Halle gefesselt hatte, weil man nie wusste, was ihm als nächstes gelingen würde, und weil man nie ein Spiel abschreiben durfte, solange Kobe Bean dabei war. Nun verließ ebenjener Kobe Bean die Halle eher, um dem Verkehr zu entkommen und die Kinder ins Bett zu bringen.
Bryant scheint den Absprung vom NBA-Zirkus ziemlich problemlos geschafft zu haben - was vorher durchaus bezweifelt worden ist. "Es haben sich viele ehemalige Spieler bei mir gemeldet, die ernsthaft besorgt waren und gefragt haben: ‚Wirst du das hinkriegen?'", sagte Bryant. "Ich sagte ihnen, dass ich es schon schaffen würde."
Das glaubte ihm allerdings nicht jeder: "Sie sagten: 'Es ist ein Prozess. In der ersten Woche erlebt man eine ernsthafte depressive Phase. In der zweiten Woche ist man wütend. Und in der dritten setzt sich langsam so etwas wie Akzeptanz durch.' Was zum Teufel?"
Kobe: "Kapitel kommen und gehen"
Bryant wirkt, als hätte er diese Phasen nicht wirklich durchlebt. Der Mann ist mit der Erziehung seiner Kinder und diversen Geschäftsinteressen gut ausgelastet, mit seinem Kurzfilm "Dear Basketball" wurde er sogar bereits für einen Oscar nominiert. Auch wenn er sich im Rampenlicht immer noch sichtlich wohl fühlt, scheint er es nicht wirklich zu vermissen.
"Die Sache mit Sport ist die, dass Kapitel kommen und gehen, ob man das will oder nicht", sagte Bryant selbst. Er meinte damit die Lakers, die trotz vielversprechender Talente aktuell eine erneut schwache 10-18-Bilanz aufweisen. Aber er hätte genauso gut über sich selbst sprechen können.
Allein mit seiner NBA-Karriere kann man mehrere Bücher füllen, für ihn sind dies jedoch alles nur Kapitel einer größeren Geschichte. Er hat seit seinem Rücktritt immer wieder betont, dass er am Ende seines Lebens nicht nur für das Erreichte auf dem Basketball-Court in Erinnerung bleiben will.
Mamba Out
Um abseits des Feldes damit mithalten zu können, hat Bryant natürlich ziemlich viel Arbeit vor sich. Allein die Tatsache, dass bis heute leidenschaftlich (!) darüber diskutiert wird, ob die 8 oder die 24 besser war, zeigt schon seinen Ausnahmestatus. Kobe war bei weitem nicht der Liebling aller, zu der er seit seiner Abschiedstour gerne stilisiert wird, aber er wurde universell respektiert.
Man darf durchaus erwarten, dass das bei seinen nächsten Projekten ähnlich laufen wird, denn seinen legendären Drive wird er auch auf die weiteren Kapitel übertragen. "Wenn man hart genug arbeitet, werden Träume wahr", erklärte Bryant am Ende seiner Rede, bevor er sich wie schon bei seinem letzten Spiel mit "Mamba Out" verabschiedete.
Mamba Out, indeed. Jetzt ist Mr. Bryant an der Reihe.