5 Fragen zur Entlassung von Jason Kidd: Warum mit dem Unausweichlichen warten?

Thorben Rybarczik
23. Januar 201813:51
Jason Kidd ist nicht mehr Head Coach der Milwaukee Bucks.getty
Werbung

Jason Kidd ist nicht mehr Head Coach bei den Milwaukee Bucks. Was sind die Gründe dafür? Wie geht es in Milwaukee weiter, wer sind mögliche Nachfolger - und was bedeutet der Rauswurf für Kidd und Giannis Antetokounmpo? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert?

Die Milwaukee Bucks haben sich am Montagabend von ihrem Head Coach Jason Kidd getrennt. Das Team wird ab sofort von Kidds bisherigem Assistenten Joe Prunty trainiert - beim jüngsten Sieg gegen die Phoenix Suns stand dieser bereits an der Seitenlinie.

Kidd befand sich in seiner vierten Saison als Head Coach in Milwaukee. Er hatte das Team 2014 übernommen, nachdem dieses die Vorsaison mit einer 15-67-Bilanz abgeschlossen hatte. Kidd schaffte es umgehend, das Team auf Kurs zu bringen und dank eines neuen Defensiv-Konzepts in die Playoffs zu führen.

Jason Kidd ist nicht mehr Head Coach der Milwaukee Bucks.getty

In der Folgezeit stagnierte die Entwicklung der jungen Mannschaft jedoch, weshalb es schon lange hieß, dass Kidds Job gefährdet sei. So ist es nun also gekommen: "Wir bedanken uns für alles, was Jason für die Organisation geleistet hat. Wir glauben aber, dass ein Neuanfang und ein Führungswechsel nötig sind, um das Team auf das nächste Level zu hieven, damit wir um eine Championship spielen können", wird General Manager John Horst in einem Statement zitiert.

Kidd indes bemängelte die Art und Weise, wie die Entlassung abgelaufen sei, da er keine Erklärung erhielt außer die, dass es "nun in eine andere Richtung geht." Trotzdem sagte er, dass er die Zeit in Milwaukee sehr genossen habe und dass er nichts bereue.

Warum haben die Milwaukee Bucks die Reißleine gezogen?

Das Front Office glaubt offenbar nicht mehr daran, dass Kidd den nächsten Schritt mit der Mannschaft gegangen wäre. Die bisherige Saison verläuft enttäuschend. Obwohl mit Eric Bledsoe früh ein Kader-Upgrade gewonnen wurde, kämpft das Team mit einer 24-22-Bilanz um die Playoff-Teilnahme im Osten.

Man hatte sich schlichtweg mehr erhofft, weshalb Kidd nun seinen Hut nehmen muss. Der Zeitpunkt dafür erscheint zwar ungewöhnlich, doch GM Horst hat eine Erklärung: "Ein General Manager der NHL hat mal gesagt: 'Wenn etwas unausweichlich ist, warum soll man dann noch warten?'" Deshalb sei man nun zum Ergebnis gekommen, sofort eine andere Richtung einzuschlagen.

Ein großes Problem der Bucks war in der laufenden Saison die Defense. Ein Rating von 110,4 reicht nur für Rang 26, obwohl mit Giannis Antetokounmpo, Bledsoe und John Henson gute Verteidiger auf den Schlüsselpositionen zur Verfügung stehen.

Zum Vergleich: In der ersten Saison unter Kidd landeten die Bucks auf Platz vier beim Defensiv-Rating. Kidd hatte ein neues Defensiv-Konzept aus Brooklyn mitgebracht, wo er als Head Coach - verletzungsbedingt - mit einem kleinen Lineup spielte und extrem aggressiv Pick-and-Rolls trappen und blitzen ließ.

Sein "neues" Team in der Bierstadt passte zu dieser Spielweise deutlich besser und hatte mit Giannis den perfekten Anker dafür. Doch im Laufe der Zeit gewöhnten sich die Gegner daran und überspielten die Traps recht simpel. Die Folge sind weit offene Würfe: In dieser Saison lassen nur zwei Teams eine bessere Dreierquote zu und die erzwungenen Turnover reichen inzwischen nicht mehr aus, um das zu kompensieren.

Doch Kidd hielt an seinem Konzept fest, große Änderungen waren nicht zu sehen - und die kleinen, die es gab, kamen zu spät. Zwar sind laut den Statistikern von Second Spectrum Tracking die Traps/Blitzes bei gegnerischen Pick-and-Rolls von 11 Prozent auf 5,2 Prozent im Laufe der Saison gesunken. Das ist aber noch weit über dem NBA-Schnitt - und die konventionelle Defense hat unter Kidd auch nie funktioniert.

Unter dem Strich muss sich der 44-Jährige also den Vorwurf gefallen lassen, nicht anpassungsfähig genug zu sein und dadurch der Entwicklung seines jungen Teams zu schaden. Auch galten seine Beziehungen gegenüber Führungspersonen innerhalb der Franchise laut Insider Adrian Wojnarowski von ESPN als abgenutzt und abgekühlt.

Dass seine Entlassung noch vor dem All-Star-Break erfolgte, ist zudem ein Indiz dafür, dass die Verantwortlichen im Win-Now-Modus sind und keine Geduld mehr für langjährige Projekte haben.

Wie geht es in Milwaukee weiter?

GM Horst hat Interims-Coach Joe Prunty keinerlei Zugeständnisse gemacht, dass dieser das Team über einen längeren Zeitraum als Head Coach trainieren wird. Man darf also damit rechnen, dass über kurz oder lang eine größere Lösung präsentiert wird.

Zwei Favoriten scheinen sich verschiedenen Medienberichten zufolge herauskristallisiert zu haben: David Fizdale und Monty Williams. Fizdale war im November von seinen Aufgaben als Head Coach der Memphis Grizzlies entbunden worden, nachdem er eigentlich sehr viel aus einem limitierten Kader herausgeholt hatte.

Fizdale genießt einen guten Ruf unter vielen Star-Spielern. Vor seinem Job in Memphis war er langjähriger Assistent bei den Miami Heat unter Erik Spoelstra. LeBron James und Dwyane Wade waren stets begeistert von ihm und unterstützten ihn auch nach dessen jüngster Entlassung.

Willams hat einen ähnlich guten Ruf und teilte einst dasselbe Schicksal wie Fizdale: Obwohl er im Rahmen seiner Möglichkeiten als Head Coach Erfolg hatte, wurde er 2015 von den Pelicans entlassen. Dort hatte er als Chef Anthony Davis zum All-Star gemacht und die Pels in die Playoffs geführt, wo man am späteren Champion Golden State gescheitert war. Seitdem hat es NOLA nicht mehr in die Postseason geschafft.

Williams arbeitet derzeit im Front Office der Spurs und dürfte daher - genau wie Fizdale - schnell zur Verfügung stehen, da ihm die Texaner kaum Steine in den Weg legen werden.

Fakt ist: Wirklich schwer dürfte es nicht werden, die entsprechenden Kandidaten für ein Engagement zu gewinnen. Kidd hinterlässt ein junges, funktionierendes Team mit guter Chemie, das mit Giannis einen eifrigen Franchise Player hat, der noch auf seine Prime wartet und legitimer MVP-Kandidat in der Zukunft ist.

Was bedeutet die Entlassung für Jason Kidd?

Mit seinen 44 Jahren ist Kidd nach wie vor ein junger Head Coach, der inzwischen trotzdem schon viereinhalb Jahre Erfahrung hat. Und es ist ja nicht so, dass er komplett erfolglos blieb: In Brooklyn schaffte er nach schwachem Saisonstart dank seiner Defense den Turnaround und gewann sogar eine Playoff-Runde; die Bucks machte er auch wieder relevant.

Das Verhältnis zu seinen Spielern war in der Regel ziemlich gut. Das zeigten nicht zuletzt die Reaktionen nach seiner jetzigen Entlassung: "Er hat mein Spiel auf ein neues Level gehoben. Er hat das komplette Team auf ein neues Level gehoben. Heute war ein schwieriger Tag für uns alle", sagte beispielsweise Khris Middleton nach dem Spiel gegen die Suns.

Die Loyalität von Giannis ging sogar noch weiter: Der Grieche soll Kidd angeboten haben, beim Front Office zu intervenieren, um die Entlassung zu verhindern. "Er hat mich angerufen und gesagt: 'Das, was mit dir passiert, ist nicht richtig''', verriet Kidd. "Er fragte mich: 'Was soll ich tun? Ich rufe den Owner an, ich rufe meinen Agenten an'."

Kidd habe die Unterstützung seines Lieblingsspielers sehr geschätzt, riet ihm aber davon ab, weitere Schritte einzuleiten. Das spricht auch für den Ex-Head-Coach.

Trotzdem gilt Kidd in Teilen als schwieriger Charakter mit eigenem Kopf. Wenn ihm Dinge nicht passen, reagiert er mit Sturheit. Als ihm die Richtung nicht gefiel, in die die Nets 2014 einschlagen wollten, erzwang er ein Ende des Engagements, um in Milwaukee ein Team zu übernehmen, das besser zu seinen Ideen passt. Sein bereits erwähntes Festhalten an nicht mehr greifenden Konzepten spricht ebenfalls für seine Sturheit.

Darüber hinaus soll er Probleme damit haben, dominante Point Guards anzuerkennen, da er als einstiger Elite-Point-Guard andere Spielideen kaum akzeptiert. Deshalb kam es unter anderem zum Bruch mit Deron Williams, der auf der Eins die Geschicke der Nets geleitet hatte.

Nun ist es vorerst unwahrscheinlich, dass er schnell einen neuen Head-Coach-Job bekommt. Er sollte - und wird - erstmal Distanz gewinnen und an seinem Ruf arbeiten. Das könnte beispielsweise gelingen, indem er anderswo als Assistant Coach anheuert, um neue Konzepte zu erlernen. Wenn er das macht, dürfte er eines Tages - allein schon aufgrund seines Namens - wieder als Chef an einer NBA-Seitenlinie stehen.

Was bedeutet die Entlassung für Giannis Antetokounmpo?

Giannis Antetokounmpo hat seinen kometenhaften Aufstieg in entscheidenden Teilen auch Coach Kidd zu verdanken, der in ihm den Point Forward sah, der er heute ist. Inzwischen ist er MVP-Kandidat und Mittelpunkt der Bucks-Planungen.

Doch offenbar hat ihm die Entlassung Kidds nicht wirklich gefallen, das legt seine Reaktion auf diese nahe. Giannis gilt als extrem loyal - was in Bezug auf Kidds Absetzung für die Franchise zwar schlecht ist, für die weitere Zukunft aber gut.

Denn der Vertrag des Griechen läuft noch bis 2021, ehe er Unrestricted Free Agent wird. Bis dahin haben die Verantwortlichen also Zeit, den heuer 23-Jährigen von der Zukunft in der Bierstadt zu überzeugen. Schwer dürfte das nicht werden, da er das Rampenlicht eines Big-Market-Teams scheut und immer wieder betonte, wie glücklich er im beschaulichen Milwaukee sei.

Es dürfte jedoch spannend zu sehen sein, wie er auf die Umstellung auf einen neuen Head Coach reagieren wird. Er hat zumindest in seiner Rolle als Rising Star nie einen Coach-Wechsel in der NBA mitgemacht. Wenn nun jemand übernimmt, der ein völlig anderes Konzept als Kidd hat, muss Giannis beweisen, dass er variabel ist - vielleicht sogar wieder als klassischer Forward, ob in der Offense oder in der Defense.