NBA - Bruce Bowen im Interview: "Dirk hat diesen Kampf angenommen"

Ole Frerks
20. Februar 201911:18
Bruce Bowen (l.) stand Dirk Nowitzki in mehreren Playoff-Serien gegenüber.getty
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Bruce Bowen galt als einer der besten Verteidiger der 00er Jahre und trieb in den Diensten der San Antonio Spurs nicht nur Kobe Bryant und Dirk Nowitzki zur Weißglut. SPOX traf den früheren Forward in London zum Gespräch.

Bowen spricht dabei über seine Beziehung zu Gregg Popovich, die Herausforderungen der heutigen Defense und seine härtesten Gegenspieler. Zudem äußert sich der heute 47-Jährige zu seinem "dreckigen" Ruf und blickt zurück auf eine kuriose Anekdote aus der technischen Steinzeit.

Mr. Bowen, vor ein paar Jahren sagte Gregg Popovich mal über Sie: "Als Bruce zu den Spurs kam, konnte er weder dribbeln noch passen. Er stand nur in der Ecke und warf Dreier." Er hat Sie aber auch mal als einen seiner Lieblingsspieler bezeichnet. Wie würden Sie die Beziehung zu Pop beschreiben?

Bruce Bowen: Das ist seine Art. Als er das über mich gesagt hat, hat er den Fragesteller wahrscheinlich bierernst angestarrt, dabei war es ein Scherz. Und er wollte sicherlich hervorheben, wie wichtig die Entwicklung eines Spielers auch dann noch ist, wenn er in der NBA angekommen ist. Was bei Pop aber vielleicht das Wichtigste ist: Er will, dass Spieler das tun, was sie gut können, dass sie ihre Stärken kennen. Sie sollen nicht zu viel ausprobieren, zumindest nicht mitten in der Saison. Für mich bedeutete das damals: Ich sollte verteidigen. Ich wurde nicht geholt, um Derek Fisher zu verteidigen, sondern für Kobe Bryant. Das verstand ich. Dort sollte ich meine Energie einsetzen. Und deswegen beschränkte sich meine offensive Rolle wirklich oft darauf, in der Ecke zu stehen und Dreier zu schießen - ich konnte aber schon noch ein bisschen mehr!

Bruce Bowen ging defensiv immer aufs Ganze. getty

Sie galten als einer der besten, aber auch härtesten Verteidiger Ihrer Zeit. Wie würden Sie Ihr Spiel an die heutigen Regeln und das heutige Spiel anpassen?

Bowen: Ich würde nicht viel anders machen, das Prinzip bleibt dasselbe. Für mich wird zu viel über die Regeln gesprochen und zu oft soll das rechtfertigen, dass jemand nicht mit vollem Einsatz verteidigt. Aber wenn du gut in dem bist, was du tust, dann kannst du dich arrangieren. Ich würde das ein Stück weit mit Tennis vergleichen. Blicken Sie auf Rafael Nadal: Er kam als Sandplatzspezialist auf die Tour und ist sicherlich der beste Sandplatzspieler aller Zeiten. Er hat aber deswegen nicht die anderen Beläge vernachlässigt, nein: Er hat auch auf Gras und auf Hardcourt seine Turniere gewonnen, weil er sein Spiel angepasst hat. Diesen Anspruch muss man haben, wenn man wirklich gut sein will. Man verteidigt ja auch nicht immer den gleichen Spieler- oder Körpertypen, sondern völlig unterschiedliche Spieler.

Philosophisch verstehe ich das. Aber rein praktisch: Wie müssten Sie Ihre Defense von damals anpassen, um heute nicht in jedem Spiel schon vor der Halbzeit auszufoulen?

Bowen (lacht): Berechtigte Frage. Aber denken Sie mal zurück: Es ist kaum zwei Jahre her, dass Stephen Curry in den Finals große Probleme mit der physischen Defense hatte. Trotzdem sagen Leute immer wieder, das Spiel sei nicht physisch.

Das ist natürlich übertrieben ...

Bowen: ... ist es, genau. Das Spiel ist immer noch physisch, nur anders. In meinem Fall hieße das: Man muss heute mit den Händen vorsichtiger sein, Handchecking wurde ja noch während meiner Zeit abgeschafft. Die Brust ist wichtiger, für Offensiv-Fouls, aber auch um physischen Kontakt mit dem Gegner zu haben - um zu zeigen, dass man da ist. Gegen die Brust lassen sich schwer Fouls schinden. Das Wichtigste ist aber der Kopf, die Mentalität. Du musst immer noch, genau wie früher, mental den Kampfgeist bringen, auch wenn manche Aktionen nicht mehr erlaubt sind. Wenn ich weniger die Hände einsetzen darf, muss ich eben lernen, mich noch schneller seitwärts zu bewegen, um trotzdem vorm Gegenspieler zu bleiben. Wenn mir das verboten wird, finde ich einen anderen Weg. Es reicht nie, einfach zu sagen: "Pech gehabt, das funktioniert nicht mehr." Noch ein Beispiel dafür ist Dirk Nowitzki. Es gab Zeiten in Dallas, als man ihm defensiv überhaupt keine Verantwortung gegeben hat. Du gewinnst aber keinen Titel, wenn dein bester Spieler nur auf Offense fokussiert ist. Das hat er erkannt und verändert - auch deshalb sind die Mavericks 2011 Meister geworden.

Wenn Sie Dirk schon ansprechen - Sie haben ihn in einigen Serien trotz Ihrer nominellen Small-Forward-Rolle viel verteidigen müssen. Was ist Ihnen davon hängen geblieben?

Bowen: Es gab zu meiner Zeit nicht wahnsinnig viele Europäer in der NBA, die mit Leidenschaft, mit Herz gespielt haben, die trotz jeder Widrigkeit immer weitermachen wollten. Dirk war so jemand. Er und Tony (Parker, d. Red.) waren Jungs, die sich sehr von ihren europäischen Vorgängern unterschieden haben. Das klingt wie ein Klischee, aber es gab vor und nach ihnen viele Europäer, die Finesse hatten, aber beim ersten Körperkontakt zurücksteckten. Dirk hat diesen Kampf angenommen und wollte immer besser werden, er hat nach Wegen gesucht, um seine Stärken gegen alle Hindernisse durchzusetzen. Man sieht seinen Einfluss überall und die Leute sprechen dann oft über seinen einbeinigen Fadeaway - was mich bei ihm aber immer am meisten beeindruckt hat, war seine Fähigkeit, schnell Balance zu finden. Egal, welche Umstände es gab, er konnte seinen Körper immer richtig zum Korb ausrichten, und wenn dann jemand 2,13 m groß ist und sich nach hinten fallen lässt, kannst du da als Verteidiger wenig ausrichten. Er konnte über seine Gegenspieler blicken, das Problem hatte nicht nur ich. Und er war eben keiner, der gesagt hat: "Sie foulen mich, sie attackieren, es geht nicht." Er ist stärker geworden und hat sich trotzdem durchgesetzt.

Gerade zu Beginn seiner Karriere wurde er ja noch recht viel rumgeschubst ...

Bowen: Ja, aber er hat sich arrangiert. Und jeder junge Spieler wird am Anfang seiner Karriere rumgeschubst - außer vielleicht Shaq. Das ist für Leute, die von diesem Planeten stammen, einfach Teil des Spiels.

Kobe Bryant bezeichnete Sie einst als den mit Abstand besten Verteidiger, gegen den er spielen musste. War er für Sie auch der härteste Offensivspieler?

Bowen: Er war ganz klar einer der härtesten. Der ultimative Test war Michael Jordan, auch wenn wir uns nicht lange überschnitten haben (Bowen wurde in Jordans letzter Saison bei den Bulls zum NBA-Rotationsspieler, d. Red.). Aber nach MJ kam dann Kobe, einfach weil er so ehrgeizig und aggressiv war. Und für mich galt das ja auch: Wenn ich gegen die besten Spieler ranmusste, wollte auch ich zeigen, was ich leisten konnte. Wenn jemand wie Kobe 10 von 30 aus dem Feld trifft, wird man anerkennen müssen, wie ich ihn verteidigt habe.

Sie waren dafür bekannt, dass Sie in den Kopf Ihrer Gegenspieler kamen. Gibt es dafür ein Geheimrezept?

Bowen: Nicht direkt ein Geheimnis, ich würde es als Aufmerksamkeit bezeichnen. Wenn man sich Individuen genau ansieht, kann man manchmal erkennen, was sie stört oder beschäftigt. Und das kann man für sich einsetzen. Wenn ich sehe, dass ein Verteidiger Erfolg mit einer bestimmten Strategie hatte, dann kann ich es auch versuchen, vielleicht kann ich es auch noch mehr auf die Spitze treiben. Es gibt keine Patentlösung, es sind mehr individuelle Faktoren bei jedem Spieler.

Einige würden jetzt noch hinzufügen, dass Sie manchmal auch bewusst die Gesundheit Ihrer Gegenspieler aufs Spiel gesetzt haben. Den "dreckigen" Ruf kennen Sie ja - ist das unfair?

Bowen: Naja, niemand möchte so eine Reputation haben. Aber jeder darf seine eigene Meinung haben. Ich kann nicht bestreiten, was du fühlst, auch wenn ich etwas anderes gefühlt habe. Ich bin der Meinung, dass mir in vielen Situationen unfaire Vorwürfe gemacht wurden. Bedenken Sie: Ich wog damals um die 80 Kilo und musste Spieler verteidigen, die 95 oder 100 auf die Waage gebracht haben - und dann war ich der Enforcer? Das war für mich lächerlich. Aber das kann wie gesagt jeder sehen, wie er will. Für mich war es wichtig, das zu akzeptieren. Wenn ich Tag für Tag versucht hätte, den Medien zu erklären, warum ich in Wirklichkeit ein Musterknabe bin, hätte ich mich nicht auf meinen eigentlichen Job konzentriert und wäre schlechter geworden. Ich hatte aber einen Job zu erledigen. Das musste ich anerkennen und das ist bis heute so.

Heute verbindet man Sie vor allem mit den Spurs, dabei landeten Sie dort erst mit 30 Jahren - aber so richtig etabliert haben Sie sich erst dort. Wie wäre Ihre restliche Karriere verlaufen, wenn Sie 2001 nicht als Free Agent in San Antonio unterschrieben hätten?

Bowen: Ich denke, es hat sich einfach genauso gefügt, wie es sich fügen sollte. Ich musste erst erwachsen werden - ich glaube nicht, dass ich als 22-Jähriger in San Antonio zurechtgekommen wäre. Die Gelegenheit, dorthin zu wechseln, kam für mich genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich hatte auch den Vorteil, dass ich nicht der typische 30-Jährige war, als ich dorthin kam: Ich hatte nicht so viele Saisons, nicht so viele Minuten in den Knochen, und war daher noch frisch. Und mental an einem Punkt, an dem ich wusste, wie der Hase läuft und wie ich einem Team helfen konnte. Ich frage mich daher nicht, was sonst gewesen wäre - es lief genau richtig!

Kommen wir wieder näher an die Gegenwart. Sie waren vergangene Saison in den Schlagzeilen, weil Sie Kawhi Leonard für seine Abwesenheit von den Spurs kritisierten und daher sogar Ihren Job als Experte bei den Clippers verloren. Überrascht es Sie, wie er in dieser Saison spielt?

Bowen: Nein, gar nicht. Im Prinzip hatte er ja ein ganzes Jahr, um seinen Körper zu regenerieren und fit zu bekommen, davon profitiert er nun. Dieses Jahr hat ihm persönlich sicherlich nicht geschadet. Für die Spurs allerdings ...

Hat Sie das als Teil der erweiterten "Spurs-Familie" besonders gestört?

Bowen: Mich hat es als ehemaliger Spieler gestört, unabhängig von den Spurs. Es gibt eben diesen Wettkampfgedanken. Kawhi sollte der beste Spieler, der Anführer des Teams sein. So jemand sollte, auch wenn er selbst nicht mitspielen kann, immer versuchen, sein Team irgendwie zu unterstützen. So jemand sollte nicht private Workouts in einer anderen Stadt absolvieren, während sein Team in den Playoffs gegen Golden State ranmuss. So etwas stört mich, aber nicht primär deshalb, weil ich lange für die Spurs gespielt habe. Es stört mich auch als Fan des Spiels.

Haben Sie rückblickend eine Erklärung, was zwischen Kawhi und den Spurs schiefgelaufen ist?

Bowen: Ich weiß es nicht. Es hat auch mich sehr überrascht, so etwas ist Pop in seinen zwei Jahrzehnten bei den Spurs vorher ja nie passiert. Kawhi sollte eigentlich das Erbe fortführen, das David Robinson und vor allem Tim Duncan hinterlassen haben, aber es ist eben anders gelaufen. Ich kann mir vorstellen, dass Kawhi eines fernen Tages zurückblicken wird und dann vielleicht denkt, dass er das eine oder andere gerne zurücknehmen würde, aber so läuft es im Leben. Vielleicht zahlt sich für ihn auch alles aus und er wird glücklich, ob in Toronto, L.A. oder irgendwo sonst.

Was ist Ihnen vom Zusammenspiel mit Duncan besonders hängen geblieben?

Bowen: Die konstante Veränderung. Wenn man über Duncan spricht, wird immer wieder über seine Konstanz geredet - und das ist in gewisser Weise auch richtig. Was dabei aber untergeht: Er hat konstant abgeliefert, sich dabei aber auch konstant verändert. Seine Rolle in den ersten fünf Jahren war anders als in den zweiten fünf Jahren, und das ging so über die gesamte Karriere. Wie kaum ein Zweiter hat Tim sein Spiel immer wieder angepasst, ohne dabei jemals Zeit für die Umstellung zu benötigen. Das war unglaublich. Auch im Lauf von Spielen konnte er sich umstellen und anpassen wie ein Chamäleon.

Eins müssen Sie mir dann bitte noch erklären. Ich habe gelesen, dass Sie am Ende Ihrer High-School-Karriere in Cal State einen Fake-Call platziert haben ...

Bowen (unterbricht): Nicht am Ende. Das war im Laufe meiner letzten Saison an der Schule. Ich wollte das College auf mich aufmerksam machen. Und damals gab es keine Handys und keine Caller-ID ... (lacht) Da habe ich mich dann eben als mein damaliger Coach ausgegeben.

Wie muss man sich den Anruf vorstellen?

Bowen: Ich habe meine Stimme verstellt. Es standen ein paar Turniere in Südkalifornien an, bei denen wir dabei waren. Also rief ich an und sagte: "Hey, hier ist Coach so und so. Ich glaube, ihr solltet euch Bruce Bowen von der Edison High School mal ansehen." Tatsächlich hat Cal State dann jemanden vorbeigeschickt und es hat funktioniert. Ich weiß nicht, ob es nur an diesem Anruf lag, aber er hat nicht geschadet. (lacht)

Das würde heute wahrscheinlich nicht mehr so funktionieren.

Bowen: Ach, alles ist möglich. Es ist immer eine Frage der Kreativität!