Chris Bosh spielte sich als Teil der Big Three bei den Miami Heat von einer Lachnummer zu einem zweifachen Champion - und zum Prototypen des modernen Centers. Seine Bedeutung für LeBron James und Co. kam in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals zu kurz, eine schlimme Erkrankung verhinderte einen angemessenen Ritt in den Sonnenuntergang. Dennoch bekommt er am Wochenende seinen Platz in der Hall of Fame.
Dieser Artikel erschien erstmals am 24. März 2020. In unserem Legenden-Archiv findet Ihr alle weiteren Porträts zu den größten NBA-Spielern aller Zeiten.
Nur äußerst selten kommt es vor, dass Sportler ihr Karriereende selbst bestimmen können. Michael Jordan tat dies gleich dreimal, wobei über seiner Wizards-Ära ein eher trüber Schatten hing. Zuvor gelang ihm 1998 ein ruhmreicher Abschied (vorerst) in den Basketball-Ruhestand, aber sonst? Bill Russell beendete seine Karriere zwar standesgemäß mit einem Titel (seinem elften), eine so perfekte Landung hat sonst aber kaum jemand hingelegt.
In einer Vielzahl der Fälle droht eine einst eindrucksvolle Laufbahn im Herbst der Karriere zu verblassen. Oftmals möchte der Betroffene nicht einsehen, dass seine Zeit in der besten Basketballiga der Welt abgelaufen ist. Oder aber er wird aufgrund von Verletzungen viel zu früh aus dem Spiel getrieben. Wie zum Beispiel Chris Bosh.
Das Karriereende des Texaners gehörte zweifelsohne in die Kategorie Ende mit Schrecken. Nachdem er am 9. Februar 2016 sein insgesamt 982. Spiel in der Association bestritten hatte, wollte Bosh lange Zeit nicht wahrhaben, dass dies sein letztes war. Drei Jahre kämpfte er für ein Comeback, doch sein Körper ließ ihn im Stich.
Chris Bosh: Der lange Kampf um das Comeback
Bereits zwölf Monate vor jenem 9. Februar 2016 diagnostizierten Ärzte ein Blutgerinnsel in seiner Lunge. Bosh musste die restliche Spielzeit 2015/16 pausieren, in der Folgesaison schien er aber wieder zu alter Stärke und Gesundheit zurückzufinden. Der Big Man legte Statistiken ungefähr auf Karriere-Schnitt auf (19,1 Punkte und 7,4 Rebounds), er wurde sogar für das All-Star Game 2016 nominiert.
Daran teilnehmen konnte Bosh jedoch nicht. Offiziell setzte er aufgrund einer Wadenzerrung aus, die Probleme waren aber viel gravierender: Erneut stellten die Ärzte Blutgerinnsel fest. In der Folge weigerte sich der Medizinstab der Heat, Bosh zum Spielen freizugeben, Profi-Sport hätte für ihn in diesem Zustand lebensbedrohlich sein können.
Bosh jedoch ignorierte die Warnungen. Er kämpfte - zwischenzeitlich mit der Unterstützung der Spielergewerkschaft NBPA - weiter für eine Rückkehr aufs Parkett, einigte sich mit den Heat auf eine Trennung, wollte in der kommenden Saison noch einmal angreifen. Doch die medizinische Freigabe kam nicht.
Die Karrierestatistiken von Chris Bosh
Team | Spiele / Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3FG% |
Raptors | 509 / 37,0 | 20,2 | 9,4 | 2,2 | 49,2 | 29,8 |
Heat | 384 / 34,2 | 18,0 | 7,3 | 1,8 | 49,6 | 34,4 |
Karriere | 893 / 35,8 | 19,2 | 8,5 | 2,0 | 49,4 | 33,5 |
Erst ein ganzes Jahr später, nach Monaten des Bangens um die Gesundheit und die Karriere des damals 32-Jährigen, herrschte Klarheit. Die NBA stufte seine Krankheit im Sommer 2017 als "career-ending" ein, zumindest für die Liga, für die Teams und für die Fans war damit klar, dass sich der ehemalige Heat- und Raptors-Star nie wieder ein NBA-Trikot überstreifen würde. Es dauerte weitere gut eineinhalb Jahre, bis auch Bosh selbst dies einsah.
"Dieser Teil meines Lebens ist vorbei", bestätigte der Big Man im Februar 2019 das endgültige Ende seiner Comeback-Hoffnungen. "Es war hart, damit klarzukommen, aber mir geht es gut, was eine lange Zeit gedauert hat. Ich hätte noch spielen können, aber diese Zeit ist vorbei. Ich habe die Entscheidung getroffen, dem nicht mehr nachzujagen."
Chris Bosh: Auf einer Stufe mit Shaq, Zo und Hardaway
Kaum sechs Wochen später stand Bosh doch wieder auf dem Parkett, auf dem er seine größten Erfolge im Leben als Profi-Basketballer gefeiert hatte. Nun allerdings in schwarzen Loafers statt in Sneakern, herausgeputzt im schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte, an seinem rechten Arm eine goldene Armbanduhr und zwei fette Championship-Ringe an den Fingern - und mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
"Das ist für uns alle eine großartige Nacht. Ich will nur sichergehen, dass ich nicht von Chris Bosh gephotobombt werde. Wenn irgendjemand Unheimliches hinter mir auftaucht, lasst es mich wissen", scherzte Heat-Präsident Pat Riley zu Beginn seiner Rede, an dessen Ende Bosh eine der größten Ehren im US-Sport zuteil wurde.
Seit diesem Abend im März 2019 hängt sein Heat-Trikot mit der Nummer 1 für alle Ewigkeiten unter der Hallendecke der American Airlines Arena, kein Spieler der Franchise aus dem Süden Floridas wird jemals wieder diese Nummer tragen.
Noch vor Dwyane Wade, der später am Abend für die Heat auflaufen sollte, und noch vor LeBron James, der sich zeitgleich hunderte Kilometer entfernt die Sneaker für die Lakers schnürte, wurde Bosh als einer der größten Heatles der Geschichte geehrt. Seitdem steht er auf einer Stufe mit Alonzo Mourning, Tim Hardaway und Shaquille O'Neal.
getty"Rebound Bosh, back out to Allen, his Three-Pointer ... Bang!"
Zu verdanken hatte Bosh diese Anerkennung in erster Linie den beiden Championships, die er 2012 und 2013 als Teil der Big Three mit LeBron und Wade an den South Beach holte. Unsterblich machte er sich vor allem in den Finals 2013, als er sich in Spiel 6 den wichtigsten Offensiv-Rebound der Heat-Historie schnappte, den Pass zu Ray Allen nach draußen spielte und ... "Bang!"
So rettete sich Miami damals mit einem irren Comeback in die Overtime, obwohl sie mit einem 2-3-Rückstand gegen die San Antonio Spurs mit dem Rücken zur Wand standen und einige Heat-Fans bereits die heimische Arena verlassen hatten. Doch Miami holte sich erst den Sieg in Spiel 6, den Bosh mit einem Block gegen Danny Green in den Schlusssekunden der Verlängerung sicherte, und wenig später die zweite Larry O'Brien Trophy in Folge.
Es waren diese kleinen Dinge, die Bosh zu einem ganz Großen haben werden lassen. Auch, wenn es eine ganze Weile gedauert hat, bis dies wirklich bei jedem angekommen ist.
Die Karriere des Christopher Wesson Bosh begann im Jahr 2003 bei den Toronto Raptors. Die Kanadier sicherten sich die Dienste des schlaksigen 2,11-Meter-Mannes mit dem vierten Pick in einem der talentiertesten Jahrgänge aller Zeiten.
Vor ihm gingen LeBron James an erster und Carmelo Anthony an dritter Position über die Ladentheke (unterbrochen von Darko Milicic), an fünfter Stelle musste Riley mit einem gewissen Dwyane Wade Vorlieb nehmen. Der Heat-Präsident hatte damals schon ein Auge auf Bosh geworfen, sieben Jahre später sollte er ihn endlich nach Miami locken.
In diesen sieben Jahren schaffte es der Boshasaurus im Raptors-Trikot fünfmal ins All-Star Team, 2007 wurde er zudem ins All-NBA Second-Team gewählt. Doch die Postseason stand für Toronto und Bosh in dieser Ära nur zweimal auf dem Programm. Jeweils war nach der ersten Runde Schluss, als Franchise-Star schaffte er es nicht, sein Team auf die nächste Stufe zu hieven.
Getrieben vom Wunsch nach tiefen Playoff-Runs und Titeln am Fließband schloss sich Bosh in der Free Agency 2010 mit seinen guten Kumpels LeBron und Wade zusammen. Gemeinsam ging es an den South Beach, wo nicht nur zwei, nicht nur drei, nicht nur vier ... und so weiter.
Einst Lachnummer, dann der beste Photobomber der Liga
Die aus LeBrons "Decision" oder auch der übertriebenen Willkommensfeier der Heat für ihre drei neuen Stars entstandene, generelle Abneigung gegenüber dem Team machte auch gegenüber Bosh nicht Halt.
Seine Persönlichkeit und seine teils alberne Art machten ihn außerhalb von Heat-Fankreisen zur Lachnummer. Viele hielten ihn für einen soften Big Man, der nur auf der Erfolgswelle von LeBron und Wade reiten wollte. Dass Bosh nach der Finals-Niederlage 2011 gegen die Dallas Mavericks in den Katakomben vor laufenden Kameras in Tränen ausbrach, verstärkte dieses Vorurteil bei vielen nur noch.
"Es hatte den Anschein, dass sich über alles, was ich gemacht habe, lustig gemacht wurde", sagte Bosh einmal gegenüber ESPN. Aus der Bahn bringen ließ er sich dadurch aber nicht, der Fokus blieb immer auf das große Ziel gerichtet: die Championship.
"Er hat einen unglaublichen Job gemacht, mit seinem Spiel darauf zu antworten", lobte Wade seinen Teamkollegen. "Er hat gesagt: 'Hey, das bin nun mal ich. Entweder du hasst mich oder du liebst mich, aber das ist, wer ich schon immer war.'"
Als sich in Miami der Erfolg einstellte, verschwand im Laufe der Jahre auch die Abneigung gegenüber Bosh. In Zeiten von immergleichen Sportler-Phrasen war seine Persönlichkeit eine nette Abwechslung. Plötzlich wurde er gefeiert als bester Photobomber der Liga - und er überzeugte mit seinen Leistungen auf dem Parkett.
Chris Bosh: Die ungeliebte Position
Von den drei großen Stars im Teamgefüge der Heat war es Bosh, der mit seinem Wechsel nach Florida am meisten opferte. Statt beispielsweise in Toronto die Rolle als klare Nummer-1-Option zu genießen, ordnete er sich in Miami des großen Ganzen zuliebe LeBron und Wade unter.
Entsprechend sank seine offensive Produktion im Vergleich zu Raptors-Zeiten, doch an seiner Bedeutung für den Teamerfolg der Heat änderte dies nichts. Mit seiner Wurfstärke aus der Mitteldistanz und vor allem von Downtown (immerhin 34,3 Prozent Dreierquote mit den Heat) verschaffte er seinen Co-Stars Platz für Drives in die Zone.
Am anderen Ende des Courts agierte er als intelligenter Ringbeschützer und starker Pick'n'Roll-Verteidiger auch gegen kleinere Guards. Vor allem, als Bosh den Wechsel von Power Forward auf Center in den Finals 2012 akzeptierte, machte das die Heat zu dem Powerhouse, als das sie in die Geschichte eingehen sollten.
Miami Heat dank Bosh: Small-Ball in Reinform
Dabei wollte Bosh Zeit seiner Karriere eigentlich nie auf der Fünf auflaufen. In Toronto wehrte er sich noch erfolgreich gegen entsprechende Vorschläge von Seiten des Coaching-Stabs, doch bei den Heat riss er sich zusammen.
"Das waren die Finals", erinnerte sich Bosh. "Wenn ich mich beschwert hätte, dass ich in den Finals starten darf, wäre mein jüngeres Ich ziemlich sauer gewesen. Der 18-jährige Chris hätte gesagt: 'Ist das dein Ernst?!'"
Bosh als Center ermöglichte den Heat ein Lineup mit mehreren Shootern um LeBron und Wade, Small-Ball in Reinform. "Ohne ihn gewinne ich nicht die Championships in Miami", betonte LeBron einmal den Stellenwert des Big Man. "Er ist die Definition von Professionalität. Es ging niemals um ihn, sondern immer um das Team."
Chris Bosh: Eine unvollendete Karriere
Auch nachdem der King dem South Beach 2014 wieder den Rücken kehrte, verlängerte Bosh seinen Vertrag bei den Heat, trotz lukrativer Angebote der Konkurrenz, beispielsweise aus Houston. Ohne LeBron stieg der Punkteschnitt des Centers wieder ein wenig an, die NBA entwickelte sich damals in eine Richtung, die nahezu perfekt auf Boshs Fähigkeiten zugeschnitten war.
Er war der Prototyp des heutigen Small-Ball-Centers, mit seinem Dreier und solider Defense wie geschaffen für das Ende der 2010er-Dekade und darüber hinaus. Sein Einfluss auf das Spiel, sein Erfolg mit den Miami Heat, insgesamt 11 All-Star-Nominierungen und eine olympische Goldmedaille mit Team USA machten ihn in seiner 13-jährigen Laufbahn zum Hall of Famer, auch wenn er es 2021 erst im zweiten Anlauf schaffte.
Doch in gewisser Weise bleibt die Karriere von Chris Bosh für immer unvollendet. Im Februar 2016 war er noch lange nicht fertig. Wie viele All-Star-Teilnahmen, wie viele Punkte, wie viele Photobombs wären wohl noch hinzugekommen, hätte seine Gesundheit mitgespielt? Wahrscheinlich eine Menge. Doch er hatte es eben nicht in der Hand.