NBA-Legendenserie - Paul Arizin: Wie ein Pionier der jungen NBA den Sprungwurf salonfähig machte

Philipp Jakob
22. April 202011:53
Paul Arizin war in seinen zehn Spielzeiten in der NBA einer der besten Scorer seiner Generation.getty
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Heute kaum vorstellbar, doch in den Anfangsjahren der NBA war der Sprungwurf verpönt. Erst als Paul Arizin das Scoring in den 1950er-Jahren dominierte, machte er den Jump-Shot salonfähig. Dabei schien seine Profi-Laufbahn eigentlich schon nach der High School vorbei zu sein.

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Es muss ein merkwürdiger Anblick gewesen sein, Paul Arizin auf einem Basketball-Court zu beobachten. Immer und immer wieder näherte sich der Forward mit ein oder zwei Dribblings der Zone, nur um dann aber doch bereits ein ganz Stück vor der Freiwurflinie in die Luft zu steigen - beide Beine stark angewinkelt - und einen Wurf auf die Reise zu schicken.

Ein Sprungwurf? So etwas bekamen die NBA-Fans in den 1950er-Jahren nur äußerst selten zu Gesicht. Außer sie sahen eben jenen Paul Arizin spielen. Gemeinsam mit George Mikan, Bob Cousy oder Dolph Schayes war er einer der ersten Legenden des Mitte des 20. Jahrhunderts stetig wachsenden Sports.

Arizin war ein Hall of Famer, einer der beste Scorer seiner Ära und doch immer ein wenig verborgen im Schatten der Mikans und Cousys. Dabei war er nichts geringeres als ein Pionier. Dank eines simplen Wurfs aus dem Sprung heraus.

Paul Arizin: Zu schlecht fürs High-School-Team

Der Sohn einer irischen Mutter und eines französischen Vaters kommt am 9. April 1928 in Philadelphia zur Welt. Der Start seiner basketballerischen Laufbahn wird von seinem damaligen High-School-Coach jedoch im Keim erstickt. Der junge Arizin kommt kaum zum Einsatz und wird schließlich aus dem Team geworfen. Angeblich ist er nicht gut genug.

An seiner Begeisterung für Sport im Allgemeinen und Basketball im Speziellen ändert die Beurteilung des Coaches aber nichts. Stattdessen geht Arizin in unabhängigen Ligen seiner Leidenschaft nach. Zeitweise läuft er für sechs oder sieben Teams gleichzeitig auf, absolviert zwei Spiele am Tag. "Ich habe das einfach gemacht, weil ich es geliebt habe, zu spielen", sagte Arizin einmal gegenüber dem Christian Science Monitor.

Zu dieser zeigt entdeckt er den Jump-Shot für sich. Mehr notgedrungen als aus einem Erfindergeist heraus verabschiedet sich Arizin von dem damals universell anerkannten Standwurf. "Manche unserer Spiele absolvierten wir auf Tanzböden. Das war ziemlich rutschig", erklärte Arizin gegenüber NBA.com.

"Als ich aus dem Stand geworfen habe, hat es meine Füße weggezogen. Also bin ich gesprungen." Die Logik dahinter ist simpel: Mit seinen Füßen in der Luft muss sich Arizin keine Sorgen mehr machen, die Bodenhaftung zu verlieren. "Je öfter ich das gemacht habe, desto besser wurde ich. Bevor ich es gemerkt habe, waren alle meine Würfe Sprungwürfe."

Vom normalen Student zum 85-Punkte-Scorer

Und viele davon landen im Korb. 1946 schreibt sich Arizin als "normaler" Student an der Villanova University nicht weit von seiner Heimatstadt entfernt ein. Er studiert Chemie, bereitet sich auf ein normales Leben mit einem normalen Job vor.

Ein Jahr später entdeckt jedoch Al Severance, der Basketball-Coach des Colleges, einen großgewachsenen, jungen Mann mit einem Jump-Shot auf den Freiplätzen der Stadt. Ob er sich nicht an der Universität einschreiben möchte, fragt Severance. "Ich bin doch schon da", antwortet Arizin.

Von nun an ist der Forward Teil des College-Teams und die Basketball-Karriere nimmt so richtig an Fahrt auf. Arizins Fähigkeiten als Scorer sind schon damals offenkundig, in seinem letzten Jahr an der Universität wird er zum Sporting News College Player of the Year ernannt. Sein Bewerbungsschreiben für die NBA enthält unter anderem eine 85-Punkte-Explosion, wenn auch gegen ein niederklassiges College.

Paul Arizin: In zweiten Jahr zum Star

Im Draft 1950 lassen sich die Philadelphia Warriors den Lokalhelden nicht entgehen. Mit ihrem Territorial Pick, der es den Teams bis 1966 erlaubte, unabhängig der eigentlichen Draft-Position einen beliebigen Spieler von Colleges aus der näheren Umgebung ins Team zu holen, sichert sich der erste Meister der Basketball Association of America die Dienste des damals 22-Jährigen.

Hätte es damals schon den Award für den Rookie of the Year gegeben (die Auszeichnung wurde 1953 erstmals vergeben), Paul Joseph Arizin wäre ein heißer Anwärter gewesen. Doch spätestens in seinem zweiten Jahr in der jungen, mittlerweile als NBA bekannten Liga steigt er endgültig zum Star auf.

Mit 25,4 Punkten pro Spiel führt Arizin die komplette Association im Scoring an. Bis dato hatten nur Mikan und Teamkollege Joe Fulks einen höheren Punkteschnitt in einer Saison vorzuweisen. Es ist erst der Anfang. Arizin wird noch viele weitere Jahre seine Gegner in der NBA mit seinem Sprungwurf terrorisieren.

Paul Arizin war in seinen zehn Spielzeiten in der NBA einer der besten Scorer seiner Generation.getty

Der Jump-Shot? Nicht zu verteidigen!

"Ich war definitiv nicht der erste mit einem Jump-Shot", betonte Arizin einmal in einem Beitrag für NBA TV. Vor ihm waren schon in den 20er- und 30er-Jahren vereinzelte Spieler mit dieser merkwürdigen Angewohnheit aufgefallen. Auch Teamkollege "Jumpin' Joe" Fulks, der von 1946 bis 1954 für die Warriors auflief und Mitglied der Hall of Fame ist, hatte einen gefährlichen Sprungwurf im Arsenal, wie sein Spitzname eindrucksvoll beweist.

Doch Fulks, Arizin und Co. sind in den 1950ern immer noch eine Ausnahme. Nur wenige Spieler haben zu dieser Zeit einen Jump-Shot im Repertoire, kaum einer meistert ihn so sehr wie Arizin. Erhebt sich der 1,93-Meter-Mann in die Lüfte, ist er kaum zu verteidigen.

"Ich hatte einen Größenvorteil von etwa zwölf Zentimetern", erinnert sich Syracuse-Big Red Rocha gegenüber ESPN. "Aber das hat nie gereicht, wenn er für seinen Wurf hochgesprungen ist." Joe Lapchick, ehemaliger Coach der New York Knicks, soll Arizins Jumper einmal mit einem Gemälde von Renoir oder Rembrandt verglichen haben: "Es war reine Perfektion."

Wieder andere zeigen sich wenig begeistert von Arizins Markenzeichen. "Der Jump-Shot ist das schlimmste, was dem Basketball in den vergangenen zehn Jahren passiert ist", erklärt Celtics-Legende Cousy 1963 gegenüber der Associated Press. Aus heutiger Sicht durchaus eine Fehleinschätzung.

Es wäre zudem ein Fehler, Arizin auf seine Fähigkeiten als Shooter zu reduzieren. "Ich war bei weitem kein reiner Jump-Shooter. Ich wollte immer zum Korb ziehen, um einen Layup zu bekommen", beschrieb Arizin, der auch defensiv seinen Mann stand, sein Spiel. "Meine Philosophie war: Es ist viel einfacher aus knapp einem Meter zu treffen als aus fünf oder sechs."

Arizin zeichnet ein starkes Ballhandling und seine Athletik aus, mindestens genauso gefürchtet wie sein Wurf, dem er den Spitznamen Pitchin' Paul verdankt, sind seine teils spektakulären Abschlüsse am Ring. Entsprechend musste er sich nicht allein auf seinen Sprungwurf verlassen, um die NBA in Sachen Scoring zu dominieren.

Abgesehen von seinem Rookie-Jahr legt Arizin in jeder seiner Saisons in der besten Basketballliga der Welt mindestens 20 Punkte auf - und das wohlgemerkt noch vor den Zeiten, in denen die Spiele regelmäßig im 100er-Bereich enden.

Es wären wohl noch einige Spielzeiten hinzugekommen, doch der Koreakrieg macht in den 1950ern auch nicht vor den NBA-Profis halt. Arizin wird von 1952 bis 1954 in den Militärdienst eingezogen, zugunsten eines Einsatzes auf einer Militärbasis in Virginia verpasst er zwei Jahre seiner Prime.

Paul Arizin: Statistische Glanzleistungen

In der ersten Saison ohne ihren Star-Forward gewinnen die Warriors magere zwölf Spiele (bei 57 Niederlagen), im zweiten kommen immerhin 29 Siege zusammen (bei 43 Pleiten). Der Erfolg stellt sich erst wieder nach der Rückkehr von Arizin nach Philadelphia ein, auch wenn Teameigentümer, Coach und Manager in Personalunion Eddie Gottlieb zunächst skeptisch ist, ob Arizin nach der Auszeit an sein altes Scorer-Ich anknüpfen kann.

Er kann es. Angeführt von Arizin und Hall of Famer Neil Johnston avanciert Philly 1955/56 zum Powerhouse der Liga und holt sich die Championship. Nur drei Jahre später erreicht Arizin die Schallmauer von 10.00 Punkten, schneller als jeder Spieler vor ihm. Bis zum Ende seiner Karriere sammelt er 16.266 Zähler in 713 Spielen, damals gut genug für Platz zwei in der All-Time Scorer-Liste.

In seinen zehn Spielzeiten in der NBA wird Arizin zehnmal ins All-Star-Team nominiert, zweimal ballert er sich zum Scoring-Champion. Dazu schafft er es dreimal ins All-NBA First-Team und einmal ins Second-Team. Der Teamerfolg bleibt in den Jahren nach dem Titel 1956 allerdings aus.

Die Karrierestatistiken von Paul Arizin

SaisonsSpiele / MinutenPunkteReboundsAssistsFG%FT%
10713 / 38,422,88,62,342,181,0

Trotz Arizin, trotz Wilt - Bill Russell ist für Philly zu viel

Das US-Militär verlangt nun den Einsatz vom jungen Tom Gola, der später ebenfalls zum Hall of Famer für die Warriors aufsteigen soll. Zudem macht sich in Boston Ende der 50er-Jahre ein gewisser Bill Russell auf, eine Dynastie zu gründen.

An ihm gibt es für die Warriors und Arizin kein Vorbeikommen mehr. Das wurmt, und zwar gewaltig. "Ich habe gespielt, um zu gewinnen. Wenn wir nicht gewonnen haben, war ich sehr frustriert", sagte Arizin rückblickend. "Ich glaube nicht an die Philosophie, wenn du ein gutes Spiel machst, aber verlierst, dann ist das in Ordnung. Ich würde lieber ein mieses Spiel abliefern, aber gewinnen."

Letzteres wissen Russell und die Celtics zu verhindern. Nach dem Gewinn der Championship erreicht Arizin noch fünfmal die Playoffs mit den Warriors. Dreimal ist gegen Boston Schluss, selbst nachdem Wilt Chamberlain 1959 in die Liga kommt - im Übrigen ebenfalls als Territorial Pick von Philadelphia.

Arizin erlebt die Dominanz des Centers hautnah mit, auch bei Wilts 100-Punkte-Spiel gegen die Knicks 1962 ist der Forward mit von der Partie. Beim 169:147-Sieg steuert er immerhin 16 Zähler bei. Am Ende der Saison scheitern die Warriors aber in sieben Spielen in den Eastern Division Finals - natürlich an den Celtics.

Karriereende statt Umzug an die Westküste

Im darauffolgenden Sommer folgt der Umzug der kompletten Franchise nach San Francisco, um die NBA Richtung Westen der USA zu expandieren. Allerdings ohne Arizin. "Ich hätte weiterspielen können, aber ich war 34 Jahre alt und ich wollte abtreten, solange ich noch in der Nähe meines Höhepunkts war", erklärte Arizin sein Karriereende 1962.

In seiner Heimatstadt sind seine Familie, sein Freundeskreis und die Aussicht auf einen "normalen" Job nach der Laufbahn als Basketball-Profi. Auch ein für damalige Verhältnisse lukratives Angebot von Gottlieb kann ihn nicht zum Umzug bewegen. Stattdessen startet er seine zweite Karriere als Buchhalter bei IBM.

"Ich habe bei IBM viel mehr Geld verdient als bei den Warriors. Und ich bin nicht in der IBM Hall of Fame", scherzte Arizin Jahre später. Um den schnöden Mammon geht es ihm Zeit seiner Karriere aber ohnehin nicht. Er habe ausschließlich "für die Liebe zum Spiel" gespielt.

Paul Arizin: Pionier und Wegbereiter

Entsprechend sagt er sich auch nach seinem NBA-Karriereende vom Basketball nicht komplett los. Arizin spielt drei weitere Jahre in der semi-professionellen Eastern Basketball League, wo er einen weiteren Titel gewinnt, bevor er die Sneaker endgültig an den Nagel hängt.

Knapp ein Jahrzehnt später wird Arizin in die Hall of Fame aufgenommen, zudem wird er 1996 zum 50. Geburtstag der NBA als einer der 50 besten Spieler der Liga-Historie gewürdigt. Somit bleibt auch nach seinem Tod im Dezember 2006 das Vermächtnis von Paul Arizin erhalten.

Pitchin' Paul war vielleicht nicht der spektakulärste Spieler seiner Generation. Er war nicht der dominanteste. Und dank Bill Russell auch bei weitem nicht der erfolgreichste. Dennoch hat er die Liga in ihren jungen Jahren geprägt. Er war Pionier und Wegbereiter für alle nachfolgenden Generationen. Mit einem einfachen Jumper.