Zu Beginn der Trainingseinheiten hatten alle noch gut lachen, als Coach Michael Malone mit der Presse scherzte, dass er den Two-Way-Player und 2,18-Meter-Rookie Bol Bol als Small Forward einsetzen wolle. Was wie ein Kalauer klang, wurde für die Denver Nuggets beim ersten Test gegen die Washington Wizards dann allerdings Gewissheit.
Bol, der die komplette Saison über keine Sekunde spielte und in der G-League geparkt wurde, stand plötzlich in der Starting Five. Ein gefundenes Fressen für die darbende NBA-Twitter-Gemeinde nach vier Basketball-losen Monaten. Und Bol lieferte. Der Rookie gab in Denvers Zonenverteidigung eine Art Libero und blockte gleich sechs Würfe.
Wie sein legendärer Vater Manute verfügt auch Bol Bol über enorme Gliedmaßen, nur wenige Spieler können solch einen Wurf wie diesen von Rui Hachimura blocken. Gleichwohl können noch weniger Seven-Footer erst einen Wurf blocken, dann über das halbe Feld dribbeln, ansatzlos zum Dreier hochsteigen und diesen ohne Ringberührung netzen. Prompt entstand folglich ein Hype um Bol.
Denver Nuggets: Bol Bol als Steal des Drafts?
Dass in diesem ein talentierter Spieler steckt, war NBA-Insidern schon eine Weile bewusst. Vor seiner College-Karriere galt der Hüne als sicherer Lottery-Pick, welchen viele sogar eher unter den ersten fünf Picks verorteten. Nach allerdings nur neun Spielen für die Oregon Ducks brach sich der Center den Fuß und absolvierte keine einzige Partie mehr.
Es wurden berechtige Fragen über seine Gesundheit, aber auch über seine Liebe zum Spiel gestellt. Im Draft spiegelte sich dieses Misstrauen dann wider. So erhielt Bol als einer von 24 Talenten eine Einladung für den Green Room, am Ende saß er völlig alleine da und musste stundenlang warten, bis sein Name doch aufgerufen wurde.
Deprimiert schlurfte Bol damals auf die Bühne, als die Miami Heat mit dem 44. Pick endlich zugriffen, um ihn dann sofort weiter zu den Nuggets zu traden. Entsprechend trotzig gab er sich im anschließenden Interview: "Mein ganzes Leben habe ich davon geträumt, gedraftet zu werden. Nun will ich allen beweisen, dass es ein Fehler war, dass ich so spät gepickt wurde."
In Orlando bekam Bol nun endlich die Chance sich zu beweisen und machte seine Sache gut, auch wenn er im zweiten Spiel gegen die New Orleans Pelicans nur bedingt an seine starke Premieren-Vorstellung anknüpfen konnte. Das war aber auch nicht zu erwarten, ebenso wenig wie 33 Minuten Einsatzzeit in einem "normalen" Spiel zu erwarten wären.
Denver Nuggets: Notgedrungen als Anti-Rockets
Die ganze Bol-Story ist vielmehr ein Ebenbild der Situation der Nuggets. Beide Spiele wurde mit gerade einmal acht Spielern bestritten, in Troy Daniels steht lediglich ein einziger Guard zur Verfügung. Der wurde vor nicht allzu langer Zeit noch von den Los Angeles Lakers entlassen.
Die Nuggets versuchten ihre Probleme lange geheim zu halten, erst Daniels rutschte in einem Interview heraus, dass Denver derzeit gar nicht in der Lage sei, ein Trainingsspiel zu absolvieren, weil keine zehn Spieler zur Verfügung stehen. Aus der Not heraus startete Malone jeweils ein Lineup aus drei Centern und zwei Forwards, quasi die Anti-Rockets.
Es ist keine optimale Situation für das drittbeste Team der Western Conference, das ähnlich gebeutelt wie Brooklyn oder auch die Clippers ist. "Ich kann im Moment überhaupt nicht beurteilen, wo wir stehen. Wir können auch keine Schlüsse ziehen, wenn wir ohne vier Starter agieren", sagte Malone.
Immerhin lichtet sich langsam das Lazarett. Nikola Jokic, der sich in seiner Heimat Serbien mit dem Corona-Virus infizierte, kam zwar verspätet an, konnte aber bereits in den beiden Scrimmages mitwirken. Noch später stießen Jamal Murray, Will Barton, Gary Harris, Michael Porter Jr. und Keita Bates-Diop hinzu, während Backup-Guard Monte Morris erst kürzlich nach Orlando anreiste und sich noch in Quarantäne befindet.
Denver Nuggets: Der heißeste Verfolger von Lakers und Clippers
Zeit zum Einspielen bleibt den Nuggets aber kaum. Schon kommenden Samstag startet Denver gegen die Heat, zwei Tage später wartet mit OKC ein heißer Verfolger. Es ist anzunehmen, dass die Nuggets in diesen Spielen weit von ihrer Bestform entfernt sein werden. Malone kündigte bereits an, dass die ersten Seeding Games vielmehr als Einspielen für die Playoffs genutzt werden sollen.
Diese haben die Nuggets bereits sicher, es geht in den verbleibenden acht Spielen nur noch um den Gegner. Im Moment sind es die Rockets, möglich sind aber auch die Jazz, OKC oder Dallas, wenn Denver wider Erwarten noch an den Clippers vorbeiziehen kann. Durch den wegfallenden Heimvorteil ist es im Prinzip egal, ob man als Dritter oder Sechster ins Ziel kommt.
Aber bereits vor den ganzen Ausfällen wurden die Nuggets nicht als Team angesehen, welches ernsthaft in den Kampf um die Krone im Westen eingreifen kann. In Jokic besitzen die Nuggets zwar einen echten Top-10-Spieler, der bereits in den vergangenen Playoffs bewies, dass er auch in großen Spielen abliefern kann. Jedoch macht das Personal um den Serben herum Sorgen.
Denver Nuggets: Der Spielplan in Disney World
Datum | Uhrzeit | Gegner | Übertragung |
1. August | 19 Uhr | Miami Heat | DAZN |
3. August | 22 Uhr | OKC Thunder | League Pass |
5. August | 22 Uhr | San Antonio Spurs | League Pass |
7. August | 2 Uhr | Portland Trail Blazers | League Pass |
8. August | 21.30 Uhr | Utah Jazz | DAZN |
11. August | 3 Uhr | Los Angeles Lakers | DAZN |
13. August | 3 Uhr | L.A. Clippers | League Pass |
14. August | tba | Toronto Raptors | tba |
Denver Nuggets: Viele Möglichkeiten, viele Fragen
Murray konnte seine starken Leistungen aus den vergangenen Playoffs nicht bestätigen und machte nicht den erhoffen Sprung, Harris suchte nach seinem Wurf (33 Prozent Dreier). Barton ist eigentlich zu klein, um Forward zu spielen, was gerade gegen die Lakers und Clippers Konsequenzen haben dürfte.
Der Trumpf der Nuggets in dieser Saison war vielmehr die Tiefe, einen Teil davon gaben sie aber zur Trade Deadline ab, als man die kommenden Restricted Free Agents Malik Beasley und Juancho Hernangomez nach Minnesota tradete, da man sie im Sommer wohl nicht hätte halten können.
Stattdessen sah es so aus, als ob der talentierte Porter nun mehr Minuten sehen würde, doch auch das war nicht der Fall. Coach Malone vertraute dem Youngster nicht in der Defense, stattdessen setzte er weiterhin auf das Tandem aus Jerami Grant und Paul Millsap.
Denver Nuggets: Gelingt vielleicht doch der große Wurf?
All das veranschaulicht, dass es bei den Nuggets schon vor der Corona-Pandemie mehr Fragen als Antworten gab. Die holprige Vorbereitung half dabei natürlich nicht. Es ist gleichzeitig auch ein Luxusproblem, Malone stehen viele verschiedene Optionen zur Verfügung, allerdings fehlt für das höchste Niveau wohl weiterhin ein Stück. Dabei gehören die Nuggets in Bestform durchaus zu den Teams, die die L.A.-Vertreter zumindest ins Schwitzen bringen könnten.
Vielleicht entpuppt sich die schwierige Vorbereitung auch als Chance. Daniels spielte sich bisher als Gunner in den Vordergrund, dazu die vielversprechenden Vorstellungen von Bol. Sie werden vermutlich keine großen Rollen spielen, aber könnten in einzelnen Spielen als Joker ins kalte Wasser geworfen werden.
Sie eröffnen Malone potenziell weitere Optionen in einem Team, welches nicht über Star-Power, sondern über das Kollektiv mit einer Prise von Jokics Genialität gewinnen muss. Und wenn es dafür auch mal den längsten Shooting Guard der NBA-Geschichte braucht.