Patrick Ewing gewann mit den New York Knicks zwar keinen Titel, gilt aber trotzdem als absolute Franchise-Legende. Wie Ewing im Jahr 1985 zu den Knicks kam, sorgt aber noch heute für Diskussionen. So halten sich hartnäckige Gerüchte, dass die erste NBA Draft Lottery womöglich ein abgekartetes Spiel war.
Wir schreiben den 18. Juni 1985. Es herrscht Feierstimmung im noblen Astoria Hotel in New York City. "Basketball ist zurück in New York City", verkündet Kommentator Pat O'Brien, während Knicks-GM Dave DeBusschere einmal tief durchatmet und die Fäuste ballt. Commissioner David Stern hatte gerade den Umschlag mit den Indiana Pacers gezogen.
Jedem im Raum war klar, was es bedeutet, dass nur noch die New York Knicks übrig bleiben würden. Sie hatten somit die erste Draft Lottery gewonnen, auf sie wartete ein Spieler, welcher die Franchise über Jahre prägen würde.
Und noch heute wird über diesen Moment diskutiert und gefragt, ob all dies nicht ein abgekartetes Spiel gewesen sei.
gettyTanking ein großes Problem in der NBA
Doch zunächst einmal von vorn: Tanking ist kein aktuelles Problem der NBA, das Modell existiert bereits seit Jahrzehnten. Es basiert auf dem Gleichgewichtssystem der Liga, die schlechtesten Teams sollen die besten jungen Spieler erhalten. So funktioniert das US-amerikanische Sportsystem - im krassen Gegensatz zum kapitalistischen Wirtschaftssystem.
Dass sich Verlieren lohnen kann, verstanden auch die Teams, vor allem zu Beginn der 80er Jahre. Vor allem die Houston Rockets hatten in den Jahren 1983 und 1984 gleich zweimal das Glück des Tüchtigen (?) und sicherten sich jeweils den ersten Pick (Ralph Sampson, Akeem Olajuwon).
Eine Draft Lottery gab es damals jedoch noch nicht. Stattdessen kamen nur das jeweils schlechteste Team jeder Conference in die Verlosung, anschließend wurde eine Münze geworfen, welches der beiden Teams zuerst wählen dürfte.
So kam es gerade im Saison-Schlussspurt immer wieder zu kuriosen Szenen, die Teams fanden immer neue Wege, um Spiele absichtlich zu verlieren oder eine Niederlagen-Serie aufrechtzuerhalten. Um eine Chance auf Olajuwon zu haben, verloren die Rockets zum Beispiel 20 der letzten 27 Spiele, in einer Overtime-Partie ließen die Texaner den 38-jährigen Elvin Hayes 52 von 53 Minuten spielen.
Patrick Ewing: Der beste College-Spieler seit Lew Alcindor
Das größte Problem waren aber die San Diego Clippers mit ihrem Besitzer Donald Sterling, der über dieses Thema öffentlich sprach, schon damals ein No-Go. "Man muss diese Pille schlucken. Wir können durch Verlieren gewinnen", merkte der Anwalt an und hatte damit absolut recht.
Das missfiel vor allem dem jungen, neuen Commissioner der Liga, einem gewissen David J. Stern. Beinahe im Alleingang drückte er innerhalb weniger Wochen die Umsetzung einer Lotterie um. Der Grund war simpel: Mit Patrick Ewing stand der womöglich beste College-Spieler seit Lew Alcindor (später Kareem Abdul-Jabbar) in den Startlöchern, ein weiteres Schneckenrennen sollte es nicht geben.
Ewing erreichte mit Georgetown in vier Jahren dreimal das NCAA-Finale, 1984 krönten sich die Hoyas mit Most Outstanding Player Ewing zum Champion. Der Center war bereits da bekannter als 90 Prozent der NBA-Spieler. Ewing konnte aus dem Post scoren, verteidigen, rebounden und hatte für einen Big Man sogar einen guten Touch. Es war klar: Wer Ewing bekommen würde, würde einen echten Star in seinen Reihen haben.
Drogen und schlechter TV-Vertrag: Die NBA in der Krise
Die Lotterie war aber zunächst nicht so konstruiert, wie es NBA-Fans heute kennen. Die Logik war simpler. 16 Teams erreichten die Playoffs, die anderen sieben Teams gingen in die Lottery und hatten alle die gleiche Chance auf den ersten Pick, nämlich 14,3 Prozent.
Aber wen sollte das groß interessieren? Die NBA fristete noch immer ein Schattendasein, galt als zweitklassige Profi-Liga hinter der NFL oder auch der MLB. Michael Jordan hatte gerade erst seine Rookie-Saison beendet, die Lakers-Celtics-Rivalität (also Magic gegen Bird) nahm erst jetzt richtig Fahrt auf. Unterdessen knabberte die NBA weiter an ihrem Imageproblem, welches spätestens 1982 seinen absoluten Tiefpunkt erreicht hatte.
Die L.A. Times schätzte damals in einem großen Feature, dass 75 Prozent aller Spieler Drogen nehmen würden. Seitens der NBA gab es sogar Überlegungen, die Liga von 23 wieder auf 17 Teams zu verkleinern! Umso wichtiger war es, dass man im Sommer 1985 einen neuen und guten TV-Vertrag aushandeln handeln konnte, was auch Auswirkungen auf die Draft Lottery hatte.
Draft Lottery: New York Knicks bekommen ersten Pick und Patrick Ewing
"Viele Verantwortliche der Liga sowie Marketing-Experten glauben, dass die NBA enorm profitieren würde, wenn sich Ewing das Knicks-Jersey überstreifen würde", schrieb die New York Times. Selbst einige GMs waren sich wohl sicher, dass Ewing auf jeden Fall in New York landen würde.
Die Knicks hatten gerade die schlechteste Spielzeit ihrer Historie hingelegt, obwohl Bernard King fast 33 Punkte pro Spiel aufgelegt hatte. Aus Sicht der Liga war es ein Desaster, dass eine solch traditionsreiche Franchise gerade einmal 24 Spiele gewann.
Es stand für die NBA also viel auf dem Spiel - aus sportlicher sowie werbe-technischer Sicht. Stern ging sogar soweit, dass die Liga dem USA Network 40.000 Dollar zahlte, um die Lottery zu übertragen. Ein Mitarbeiter der Firma Ernst & Whinney, das Unternehmen, welches für die juristischen Angelegenheiten der NBA zuständig war, schmiss die großen Umschläge in einen überdimensionierten, durchsichtigen Ball und drehte diesen mehrfach.
David Stern über Ewing in New York: "Sind sehr glücklich"
Stern durfte dann hereingreifen und fischte zunächst die Golden State Warriors heraus, welche laut den alten Regeln eigentlich zumindest den zweiten Pick sicher gehabt hätten, waren sie doch das schlechteste Team der Liga. Am Ende lief es stattdessen auf ein Duell zwischen New York und Indiana heraus und tatsächlich setzten sich die Knicks durch.
Im Big Apple brach Euphorie aus, innerhalb von zwei Stunden gingen 1000 Dauerkarten über die Ladentheke und auch Stern zeigte sich zufrieden: "Wir sind sehr glücklich, das Interesse war riesig und die Leute reden über die Lottery anstatt über Drogen", gab der Commissioner an.
NBA Draft 1985: Die ersten sieben Picks
Pick | Spieler | Team | Position | College |
1 | Patrick Ewing | New York Knicks | Center | Georgetown |
2 | Wayman Tisdale | Indiana Pacers | Power Forward | Oklahoma |
3 | Benoit Benjamin | Los Angeles Clippers | Center | Creighton |
4 | Xavier McDaniel | Seattle SuperSonics | Power Forward | Wichita State |
5 | Jon Konchak | Atlanta Hawks | Center | SMU |
6 | Joe Kleine | Sacramento Kings | Center | Arkansas |
7 | Chris Mullin | Golden State Warriors | Small Forward | St. John's |
Draft Lottery 1985: War alles ein abgekartetes Spiel?
Doch schon einen Tag später wurden von diversen Medien Zweifel an der Richtigkeit des Prozederes angemeldet. Ein New Yorker Bouvelardblatt berichtete, dass Ernst & Whinney auch die Wirtschaftsprüfung für Gulf & Western durchführen würde, das Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt auch die Knicks besaß.
Wenig hilfreich waren auch die Kommentare des Präsidenten des Madison Square Gardens in der L.A. Times, der eigentlich nur einen Spaß machen wollte: "Ich habe ihnen schon vor 60 Tagen gesagt, wie sie es machen müssen. Wir rufen Ernst & Whinney an und sagen ihnen, dass sie gefeuert sind, wenn wir nicht Ewing kriegen."
Ein TV-Sender in Indianapolis stellte dagegen fest, dass der Umschlag der Knicks ein kleines Eselsohr hatte. Genau dieser Umschlag wurde entgegen der anderen sechs etwas anders in die große Kugel geworfen. Eine weitere Theorie besagte, dass der Knicks-Umschlag womöglich in einer Gefriertruhe platziert wurde.
David Stern dementierte Verschwörung
Beweisen konnte es bis heute aber niemand, auch der in diesem Jahr verstorbene Stern wies die Theorien immer wieder ins Reich der Fabeln. "Wenn die Leute behaupten, dass die Lottery abgekartet war, ist das okay für mich - zumindest so lange, wie sie unseren Namen richtig schreiben. Das bedeutet, dass es an uns Interesse gibt."
Das ist der NBA mit der Ewing-Lottery auf jeden Fall gelungen, der Mythos wird für immer weiterleben. Es war perfektes Marketing und ein erster Fingerzeig auf die Richtung, in welche Stern die Liga in den kommenden Jahrzehnten steuern würde. Alles wurde vermarktet, alles sollte so spektakulär wie möglich sein.
Und ob es nun eine Verschwörung war oder nicht: Die NBA legte zumindest den Grundstein, um systematisches Verlieren einzudämmen. Über die Jahre wurde die Formel immer wieder angepasst, der Draft 2019 trieb es mit noch ausgewogeneren Wahrscheinlichkeiten auf die Spitze.
Es war gleichzeitig das letzte Mal, dass die Knicks in der Lottery einen solchen Erfolg verbuchen konnten - trotz vieler dünner Jahre seit dem Jahrtausendwechsel. Letztmals erreichten die Knicks 1999 die NBA Finals, damals als ausgerechnet Ewing verletzt fehlte. Einen Titel konnte er der darbenden Franchise nie liefern.