Mit Russell Westbrook wollten die Washington Wizards einen Angriff auf die Playoffs starten. Stattdessen erlebt die Franchise aus der US-amerikanischen Hauptstadt einen Albtraumtart - trotz eines Bradley Beal in überragender Form. Ist er nach James Harden der nächste Superstar auf dem Trade-Markt?
Seine Erwartungen an die Saison 2020/21? "Playoffs", sagte Wizards-Coach Scott Brooks Mitte Dezember, kurz vor dem Tip-Off der neuen Spielzeit. Washington habe ein "gutes Team" beisammen und "ein paar gute Spieler dazugeholt". Allerdings, so Brooks, benötige man in der NBA eben immer auch ein bisschen Glück. Nach knapp fünf Wochen in der neuen Saison lässt sich sagen: Den Wizards fehlt all das genannte.
Die erste Zwischenbilanz fällt katastrophal aus. Washington ist kein gutes Team, krebst stattdessen mit nur drei Siegen und neun Niederlagen im Tabellenkeller der Eastern Conference herum. Neuzugang Russell Westbrook legt so schlechte Zahlen wie seit seinem Sophomore-Jahr nicht mehr auf, hinzu kommt Verletzungspech.
Probleme am Quadrizeps schränkten den Point Guard zum Saisonstart stark ein, viel schwerer wiegt jedoch die Verletzung von Thomas Bryant. Der Starting-Center und drittbeste Scorer des Teams fällt mit einem Kreuzbandriss für die komplette restliche Saison aus.
Und dann ist da auch noch die Coronavirus-Pandemie, laut ESPN sollen sieben Wizards-Spieler positiv getestet worden sein. Sechs Partien wurden verschoben, Teamtraining war neun Tage lang nicht möglich. Bei der Rückkehr aufs NBA-Parkett nach knapp zwei Wochen setzte es für das weiterhin dezimierte Team eine 101:121-Klatsche gegen die Spurs. Kurzum: Die Wizards hängen mitten in einem Albtraumstart fest - der sich bald sogar noch verschlimmern könnte.
gettyWizards-Krise trotz Beal-Glanzleistungen
In den vergangenen Wochen kursierten in den US-amerikanischen Medien Schlagzeilen, die kein Wizards-Fan gerne sieht. "Bradley Beal watch has begun", schrieb zum Beispiel The Ringer, Sports Illustrated titelte: "Warum die Wizards Bradley Beal jetzt traden sollten". Und bei Essentially Sports war von "Drei Teams, die Bradley Beal von den Washington Wizards retten können" zu lesen.
"Retten" ist in diesem Fall nicht ganz unpassend, Beal, 27 Jahre alt, droht im Zenit seiner Karriere bei einem Nicht-Playoff-Team zu versauern. Zweimal in Folge haben die Wizards bereits die Postseason verpasst, der Saisonstart macht nicht unbedingt Hoffnung, dass sich das 20/21 ändern wird. Dabei führt Beal die Liga im Scoring an (34,5 Punkte) und zaubert Karrierebestwerte aufs Parkett (60 Punkte gegen die Sixers), in Siege ummünzen konnte Washington dies nicht.
Dieser Umstand frustriert auch Beal selbst. Dennoch: Der zweimalige All-Star betonte in der Vergangenheit mehrfach, die Wizards nicht verlassen zu wollen. Seine gesamte Karriere in Washington zu spielen, würde "die Welt für mich bedeuten", sagte Beal im Oktober. "Ich bin ein loyaler Kerl." Bisher machte er keine Andeutungen, dass sich seine Meinung geändert haben könnte.
Beal und die Wizards: Trade oder kein Trade?
Ein Titelkandidat sind die Wizards in der derzeitigen Zusammensetzung aber definitiv nicht. Und wenn es selbst mit den Playoffs eng wird, sich weiter Niederlagen ansammeln - könnte Beal früher oder später womöglich doch einen Trade fordern? Laut Kevin O'Connor von The Ringer beschäftigen sich mehrere Rivalen mit genau dieser Frage.
Seine Quellen gehen davon aus, dass die Teams, die an einem Trade für den wechselwilligen James Harden interessiert waren, auch hinter Beal her sein könnten, sollte er verfügbar werden. Beals Trade-Wert war nie höher, womöglich ist er sogar höher als der von Harden, wie O'Connor oder auch John Hollinger (The Athletic) vor dem Blockbuster-Deal, der den Bärtigen zu den Nets verschiffte, spekulierten. Beal ist jünger als Harden (31), sollte problemlos in ein bestehendes Offensiv-System integriert werden können und bringt keinerlei Off-Court-Drama mit.
Zwar ist auch General Manager Tommy Sheppard stets bemüht, eventuelle Trade-Gerüchte um den Shooting Guard im Keim zu ersticken. Doch selbst mit Beal eröffnet sich für Washington derzeit kein Weg an die Spitze. Der aktuelle Kader ist nicht gut genug, finanzielle Flexibilität in der Offseason durch die Verträge von Beal (noch 3 Jahre/100,6 Mio. Dollar inklusive Spieleroption), Westbrook (3 Jahre/132,7 Mio. inklusive Spieleroption) und Davis Bertans (5 Jahre/80 Mio.) nicht vorhanden.
Möglichkeiten, besser zu werden, bieten sich nur auf dem Trade-Markt. Dafür müsste Washington wohl seine jungen Talente verscherbeln, was wiederum die langfristige Zukunft torpedieren könnte. Oder eben Beal abgeben und einen Neuanfang starten.
Wizards: Einsatzzeiten von Bonga werfen Fragen auf
Schließlich lassen sich wenig Argumente finden, warum es für die Wizards bald besser laufen sollte. Angeführt von Beal ist die Offense elitär, die Defense dagegen katastrophal. Washington lässt pro Spiel 121,3 gegnerische Punkte zu, in den vergangenen 30 Jahren kam kein Team auf einen schlechteren Wert (Nuggets 1990/91 mit 130,8 gegnerischen Punkten). "Wir können kein geparktes Auto verteidigen", sagte ein frustrierter Beal vor wenigen Wochen.
Einer der dabei helfen könnte, wurde lange Zeit kaum mehr von Coach Brooks berücksichtigt: Isaac Bonga. Nachdem der Deutsche in den ersten vier Spielen als Starter ran durfte (im Schnitt 17,7 Minuten, 5,3 Punkte und 3,5 Rebounds), fiel Bonga zeitweise komplett aus der Rotation. Zu den Gründen hielt sich Coach Brooks bedeckt, dabei verwundert die Entscheidung.
Bonga ist der einzige Plus-Verteidiger im Kader der Wizards, mit ihm auf dem Parkett ist das Defensiv-Rating des Teams um 16,8 Punkte besser (100,0 on court zu 116,8 off court). Offensiv liefert der 21-Jährige nicht viel, mehr als ein paar Dreier benötigen die Wizards im ohnehin potenten Angriff von ihm aber auch nicht. Gegen die Spurs startete Bonga und durfte 33 Minuten ran. Das lässt sich aber wohl am ehesten durch die ausgedünnte Personaldecke mit sechs Ausfällen erklären.
Die Statistiken von Isaac Bonga und Moritz Wagner bei den Wizards
Name | Saison | G / MIN | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3FG% |
Isaac Bonga | 2019/20 | 66 / 18,9 | 5,0 | 3,4 | 1,2 | 50,4 | 35,2 |
2020/21 | 9 / 14,1 | 3,4 | 2,8 | 0,8 | 50,0 | 50,0 | |
Moritz Wagner | 2019/20 | 45 / 18,6 | 8,7 | 4,9 | 1,2 | 54,5 | 31,3 |
2020/21 | 5 / 13,6 | 6,4 | 4,0 | 0,8 | 64,7 | 57,1 |
Washington Wizards hoffen auf Westbrook-Steigerung
Auch der zweite Deutsche bei den Wizards, Moritz Wagner, sah sich zuletzt mit einer verminderten Rolle konfrontiert. In sechs der ersten elf Partien kam er gar nicht zum Einsatz, durch die Verletzung von Bryant schien der Nationalspieler mehr gefordert. In den letzten beiden Spielen vor der Corona-Unterbrechung bei den Wizards stand der Big 20,9 Minuten im Schnitt auf dem Parkett, in denen er gute 11,0 Punkte und 6,5 Rebounds bei 58,3 Prozent aus dem Feld auflegte.
Dann kam allerdings eine Corona-Infektion. Wie lange Wagner noch ausfällt, ist unklar. Genau wie die Antwort auf die Frage, wie im Anschluss seine Rolle aussieht. Mit Alex Len und Jordan Bell verpflichtete Washington neben Starter Robin Lopez neue Konkurrenz für den Deutschen. Dabei würden die durch Bryants Verletzung freigewordenen Minuten dessen Entwicklung guttun, einen großen Einfluss auf mehr Wizards-Siege hätten sie aber wohl eher nicht.
Deshalb hofft Washington auf eine Steigerung von Westbrook, der bisher weit entfernt von seiner All-NBA-Form aus der Vorsaison agierte. Während John Wall in Houston bereits in Ansätzen zu seinem alten Ich zurückfand, legte Westbrook nach dem Offseason-Trade 18,0 Punkte bei katastrophalen 37,0 Prozent aus dem Feld auf.
Womöglich hat dabei seine Quadrizeps-Verletzung, die ihn seit dem Training Camp plagt, eine Rolle gespielt. Westbrook attackiert nicht in gewohnt explosiver Manier den Korb, nur 20 Prozent seiner Abschlüsse kommen in der Restricted Area (Vorjahr: 46,8 Prozent), dafür drückt der 32-Jährige ligaweit am häufigsten aus der Mitteldistanz ab. Die Wizards brauchen jedoch einen Westbrook im Attack-Mode, um die Playoffs anzugreifen. Sein Auftritt gegen die Spurs machte jedoch kaum Hoffnung auf baldige Besserung.
Bradley Beal bleibt geduldig - nur wie lange noch?
Doch die Offense ist nicht das Problem der Wizards. Deutlich schwieriger wird es, ein Rezept für die schwache Defense zu finden. Washington ist besser, als die aktuelle Bilanz vermuten lässt, die Wizards sollten sich im Lauf der Saison im Rennen um das Play-In-Turnier zurückmelden - sofern sich möglichst bald alle fit zurückmelden. Große Sprünge sind dennoch nicht drin und das trotz der Glanzleistungen von Beal.
"Er kann nicht besser spielen. Er hat alles gegeben. Er muss nur geduldig bleiben", sagte Brooks, dessen Vertrag übrigens nach Saisonende ausläuft. Geduldig bleiben ... nur wie lange noch? Rui Hachimura oder Deni Avdija lassen ihr Talent immer mal wieder aufblitzen, benötigen aber noch Zeit. Wahrscheinlich noch mehrere Jahre.
Und das sind mehrere Jahre von Beals Prime, die ohne eine realistische Chance auf den Titel verloren gehen könnten. Wie geduldig der zweimalige All-Star wirklich ist, ist das Zünglein an der Waage nicht nur für die Wizards - auch für den ein oder anderen Rivalen, der sich vorsorglich in Stellung bringt.