Shai Gilgeous-Alexander hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der besten jungen Spieler der NBA entwickelt, in einigen Kategorien ist der Kanadier sogar ligaweit spitze. Das bekommt nur niemand mit - aus gutem Grund. Auf Dauer muss eine andere Lösung her.
Wer ist der profilierteste Isolation-Scorer der NBA? Die allermeisten aufmerksamen Zuschauer der vergangenen Jahre würden nicht lange brauchen, um auf die Namen James Harden und Kevin Durant zu kommen - auch Giannis Antetokounmpo, Jayson Tatum und Luka Doncic sind weit oben keine Überraschung. Sie sind gerade aber alle nicht die Antwort.
Shai Gilgeous-Alexander führt das Feld derzeit laut nba.com/stats mit über 8 Isolationen pro Spiel an, und er nutzt sie minimal effizienter als Harden (1,09 Punkte pro Play) - tatsächlich steht unter Spielern mit mindestens fünf solcher Aktionen lediglich Durant (1,19) vor ihm. Da KD ohnehin nicht mit Menschen (man beachte diese Zahlen ...) vergleichbar ist, ist Shai quasi die Nr. 1 vom Planeten Erde.
Die: Die besten Isolation-Scorer mit über 5 Plays pro Spiel
Isolationen/Spiel | Punkte/Isolation | eFG | |
Shai Gilgeous-Alexander | 8,2 | 1,09 | 56,2% |
James Harden | 6,3 | 1,08 | 53,4% |
Jayson Tatum | 6,3 | 0,77 | 37,9% |
Giannis Antetokounmpo | 6,2 | 0,80 | 43,5% |
Luka Doncic | 5,4 | 0,81 | 45,6% |
Kevin Durant | 5,3 | 1,19 | 65,1% |
Julius Randle | 5,2 | 0,90 | 45,8% |
Shai Gilgeous-Alexander hat offensiv das ganze Paket
Der Thunder-Guard war schon vergangene Saison vorne mit dabei und statistisch auffällig. Er verzeichnete 20/21 mit Abstand die meisten Drives pro Spiel, hier liegt er aktuell auf Platz 2 ligaweit. SGA ist zu einem Monster geworden, weil es aufgrund seiner Richtungswechsel und seiner geschmeidigen Bewegungen kaum möglich ist, vor ihm zu bleiben.
Er gleitet durch Defensiven, setzt seinen langen Körper gekonnt ein und kann dabei auch Kontakt absorbieren. Sein Wurf ist noch nicht elitär, aber gut genug, dass Verteidiger zumindest nicht tief von ihm absinken können, zumal er seinen Pullup-Jumper stetig verbessert hat. Sein Spiel ist spektakulär in seiner Eleganz.
Es bekommt nur in aller Regel niemand mit, wenn er nicht gerade einen wilden spielentscheidenden Dreier vom Logo gegen die Lakers versenkt. Und selbst danach geht es mehr um Gelächter über den vermeintlichen Titelkandidaten als um den Spieler, der die Pleite herbeigeführt hat.
OKC und der "Process" halten SGA zurück
Der Grund dafür ist nicht schwer auszumachen. Es ist schwer, die OKC Thunder derzeit seriös zu verfolgen, denn seriös sind sie ja selbst nicht: General Manager Sam Presti hat seine Version des "Process" eingeleitet, das Team hortet Draft-Picks, aber keine Siege oder wenigstens kompetente Spieler.
Die derzeitige Bilanz von 4-6 nach zuletzt drei Siegen in Folge wirkt fast wie ein Ausrutscher, ähnlich wie vergangene Saison: Damals gab es bis zur All-Star Break sogar eine respektable 15-21-Bilanz, bevor die besten Spieler (darunter auch SGA) aus dem Verkehr gezogen wurden und hinten raus nur noch auf Niederlage gespielt wurde (am Ende 22-50).
Die Thunder sind ein groß angelegtes Tanking-Projekt und mit diesem Unterfangen noch lange nicht am Ende; es gibt zwar einige Talente im Kader, aber kein funktional zusammengestelltes Team. Es ist insofern kein Zufall, dass die eingangs erwähnten positiven Statistiken von Gilgeous-Alexander individueller Natur sind.
SGA: Alles muss man selber machen
Im Team ist das schon schwieriger; Gilgeous-Alexanders Werte als Pick'n'Roll-Ballhandler sind nicht überragend, das verwundert aber nicht, wenn man bedenkt, dass die Thunder keinen dynamischen Roll-Man im Kader haben, den er beständig für einfache Punkte füttern könnte.
Derrick Favors, Mike Muscala und Rookie Jeremiah Robinson-Earl sind die Bigs in OKC, nachdem es vergangene Saison wenigstens ein halbes Jahr Al Horford gab, damit dieser seinen Wert rehabilitieren konnte. Muscala ist dabei noch positiv zu erwähnen, weil er wenigstens seinen Dreier trifft und SGA damit etwas Platz verschafft. Das tut sonst fast niemand - nur zwei Teams treffen von draußen schlechter als die Thunder.
Wenig Entlastung gibt es auch beim Playmaking, auch wenn die Thunder in Josh Giddey einen vielversprechenden Passer gedraftet haben. 86 Prozent der Field Goals von Gilgeous-Alexander geht kein Assist voraus, bei den Dreiern führt er mit diesem Wert laut Cleaning the Glass die Liga an. Zum Vergleich: Selbst bei Doncic sind ein Viertel der Dreier vorbereitet, und das ist schon reichlich wenig. Bei Gilgeous-Alexander ist es noch einmal deutlich weniger.
Shai Gilgeous-Alexander steht dem eigenen Team im Weg
Der 23-Jährige ist inmitten dieses schiefen Teamkonstrukts weniger effizient als im Vorjahr, das sollte allerdings niemanden verwundern. Und er sticht trotzdem noch so arg heraus, dass das Net-Rating der Thunder um satte 13 Punkte besser ist, wenn er auf dem Court steht. In einigen Spielen ist nur er der Unterschied zwischen einem Blowout und einer konkurrenzfähigen Performance, des Öfteren sorgt er quasi im Alleingang für den Sieg.
Dieses "Problem" gab es vergangene Saison auch schon - bis Gilgeous-Alexander Ende März aus dem Verkehr gezogen wurde. Offiziell hatte er eine Entzündung der Plantarfaszie, die üblicherweise nicht dazu führt, dass ein Spieler eine halbe Saison aussetzt, aber es hatte den gewünschten Effekt: OKC gewann im Anschluss nur noch drei von 28 Spielen.
Macht er weiter wie bisher, ist es gut möglich, dass ihm dieses Schicksal erneut droht. Bei all den Assets, die die Thunder gesammelt haben, sind die eigenen Draft-Picks Stand jetzt die wertvollsten - von den Clippers oder Suns werden sie vorerst keine Lottery-Picks bekommen. Einen Franchise-Player müssten sie vermutlich mit dem eigenen Pick ziehen.
Wie gut ist Shai Gilgeous-Alexander wirklich?
Dass ein Kandidat für diesen Status bereits in ihren Reihen ist, geht dabei leicht unter. Man kann Gilgeous-Alexander eigentlich nur wünschen, dass sich diese Situation bald verändert. Die Vertragsverlängerung hat er zwar bekommen, er ist ab der kommenden Saison ein Max-Player, auf Dauer kann ihn das Schattendasein dennoch nicht glücklich machen.
Blicken wir nur auf seinen Jahrgang: Deandre Ayton und Mikal Bridges standen im Juli in den Finals, Trae Young erreichte die Conference Finals, Doncic war vor der Saison bei den Buchmachern Favorit auf den MVP-Award. Gilgeous-Alexander hatte seine relevantesten Momente in seinen ersten beiden Saisons, erst mit den Clippers und dann mit OKC an der Seite von Chris Paul und Dennis Schröder, das scheint jedoch eine Ewigkeit her zu sein.
Gilgeous-Alexander ist jetzt ein anderer, ein deutlich besserer Spieler. Er beherrscht Dinge, die kaum ein anderer kann. Früher oder später wäre es ihm zu wünschen, dass er das auch zeigen kann, wenn nicht nur die größten Nerds oder OKC-Fans zusehen. Nicht nur die sollten eines Tages erfahren, wie gut Gilgeous-Alexander tatsächlich werden kann.
Shai Gilgeous-Alexander: Seine Statistiken in der NBA
Saison | Team | Spiele | Punkte | eFG% | Rebounds | Assists |
18/19 | Clippers | 82 | 10,8 | 51,2 | 2,8 | 3,3 |
19/20 | Thunder | 70 | 19 | 51,4 | 5,9 | 3,3 |
20/21 | Thunder | 35 | 23,7 | 57,1 | 4,7 | 5,9 |
21/22 | Thunder | 10 | 22,6 | 50,3 | 5,4 | 4,5 |