Es sind 44,2 Sekunden auf der Uhr, die San Antonio Spurs führen an einem normalen Dezemberabend 2004 mit 76:68 gegen die Rockets. Bei einem 8-Punkte-Rückstand so kurz vor Spielende scheint dieser Texas-Showdown bereits entschieden - doch es soll ganz anders kommen.
Die ersten Rockets-Fans haben das Toyota Center bereits verlassen, wenige Minuten später ist klar: Sie werden ihre Entscheidung bereuen. Es beginnt mit einem Dreier von Tracy McGrady mit noch 35 Sekunden auf der Uhr, gefolgt von einem cleveren Pump Fake gegen Tim Duncan, der zu einem Dreier plus Foul führt. Auch die starke Defense von Bruce Bowen kann McGrady nicht stoppen, als dieser den nächsten Triple versenkt. Auf einmal beträgt der Rückstand nur noch zwei Punkte.
Nach einem Steal rundet T-Mac das irre Comeback mit dem Gamewinner ab, natürlich wieder per Distanzwurf über gleich mehrere Verteidiger. 81:80 Rockets zeigt das Scoreboard am Ende an, McGrady schockt den Texas-Rivalen mit 13 Punkten in gerade einmal 35 Sekunden.
Während ganz Houston in Ekstase verfällt, ist ein Mann an der Rockets-Seitenlinie dennoch stinksauer. Der damalige Head Coach Jeff Van Gundy habe seine feiernden Spieler aufgrund der insgesamt schlechten Leistung in der Kabine angeschnauzt, wie sich McGrady Jahre später erinnert. Schließlich könne man nicht immer auf eine Scoring-Explosion dieser Art hoffen.
Dennoch ist dieses offensive Feuerwerk in gewisser Weise der Vorbote für die kommenden Jahre, in denen sich die Rockets als eines der besten Teams im Westen etablieren. Nicht allein dank der Heldentaten McGradys, denn an dessen Seite mausert sich zudem ein junger Center aus dem fernen Osten zum Star. Das Duo will die Franchise erstmals seit der Olajuwon-Ära wieder zu Titeln führen, doch auch in dieser Hinsicht soll es ganz anders kommen.
Yao Ming: Der erste ausländische Nr.1-Pick aller Zeiten
Yao Ming wird rund zwei Jahre zuvor von den Rockets an erster Stelle im Draft ausgewählt als erster internationaler Spieler, dem diese Ehre zuteil wird. Als der damalige Commissioner David Stern den Namen des Chinesen aufruft, wird der 2,29 Meter große Big Man live aus Peking zugeschaltet.
Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht beantwortet Ming die Fragen der US-Reporterin mithilfe eines Dolmetschers, die Kappe mit dem Rockets-Logo ist viel zu klein für den Kopf des Giganten. Der erste Auftritt im amerikanischen Fernsehen ist ebenso skurril wie einzigartig, genau wie Yao selbst.
Dessen NBA-Debüt wenige Monate später hätte derweil kaum schlechter laufen können. "Es war ein peinlicher Auftritt", sagt Yao bei In Depth With Graham Bensinger später. Nach dessen erstem Einsatz auf einem NBA-Parkett am 30. Oktober 2002 stehen in knapp elf Minuten null Punkte und 2 Rebounds zu Buche. Einige Experten stempeln den China-Export bereits als Draft-Bust ab.
Die anfänglichen Schwierigkeiten des Rookie-Centers ziehen sich auch durch die nächsten Spiele, was zu einer irren Wette zwischen den TNT-Experten Charles Barkley und Kenny Smith führt: Sollte Yao in seiner Rookie-Saison auch nur einmal mehr als 19 Punkte erzielen, würde Barkley seinem TV-Kollegen den Hintern küssen.
Nicht mal einen Monat muss Barkley warten, bis er sich selbst für die großen Töne in den Allerwertesten beißt. In einem Spiel gegen die Lakers legt Ming 20 Punkte auf - Barkley löst daraufhin seine Wettschulden ein und da sich Smith im Fernsehen nicht ausziehen will, küsst die NBA-Legende eben den Hintern eines Esels namens Kenny.
Houston Rockets: McGrady und Yao dominieren die Liga
In den Folgejahren spielt sich Ming endgültig in der Association fest. Er schafft es in jeder seiner ersten sieben Saisons zum All-Star (auch dank der fleißigen chinesischen Voter), zudem wird er fünfmal in eines der All-NBA-Teams berufen. In seiner statistisch besten Spielzeit (2006/07) kommt der Rockets-Superstar auf 25,0 Punkte und 9,4 Rebounds pro Spiel und gehört unumstritten zu den besten Centern der Liga.
McGrady stößt 2004 per Trade aus Orlando zu den Rockets dazu, gemeinsam mit Yao bildet er ein gefürchtetes Offensiv-Duo: Mit ihren beiden Stars sorgt Houston sowohl am Perimeter als auch unter dem Korb für jede Menge Gefahr. Wozu dieses Houston-Team imstande ist, zeigt sich unter anderem im Frühjahr 2008.
Zwischen dem 29. Januar und dem 18. März gewinnen die Rockets unfassbare 22 Spielen in Folge. Zum damaligen Zeitpunkt ist es die zweitlängste Siegesserie innerhalb einer Saison der NBA-Historie (hinter den Lakers 1971/72 mit 33 Siegen), nur die Big Three der Miami Heat in 2012/13 (27) und die Warriors 15/16 (24) setzen sich später noch vor die Rockets.
Das Bemerkenswerte: Nach den ersten zwölf Spielen der Serie fällt Yao aufgrund einer Stressfraktur im linken Fuß aus, ein 41-jähriger Dikembe Mutombo muss in die Bresche springen. Die Texaner gewinnen mit dem Veteranen zehn weitere Spiele, bis sie gegen die Bosten Celtics, den späteren NBA-Champion, den Kürzeren ziehen.
"Wir wussten damals, dass es eine der unglaublichsten Serien der Basketball-Geschichte war", erinnert sich Shane Battier später, der damals zum Kader der Rockets gehört. "Viele von uns sprangen von Team zu Team, wir waren ein Haufen von Rollenspielern. Wenn wir alle gesund waren - mit Yao und Tracy - waren wir ein starkes Team. Aber wir hatten immer mit Verletzungen zu kämpfen."
Zu wenig Unterstützung und Verletzungen am Fließband
Genau dieser Umstand ist es, der den Rockets zum Verhängnis wird. Yao und T-Mac verpassen zwischen 2004 und 2009 zusammengerechnet 179 Spiele aufgrund von Verletzungen. Die beiden Stars verbringen fast schon mehr Zeit in Krankenhäusern oder in Straßenklamotten auf der Rockets-Bank als auf dem Parkett der NBA-Arenen.
Doch es gibt auch andere Hindernisse. In den ersten Jahren der Ming-McGrady-Ära etwa schafft es das Front Office der Rockets nicht, ihr Superstar-Duo mit genügend fähigen Rollenspielern zu umgeben, um es mit den anderen Top-Teams aus dem Westen aufzunehmen.
Viermal scheitert Houston in der ersten Playoffs-Runde, zweimal trotz starker Leistungen des Star-Duos jeweils in Spiel 7. 2007/08 reicht es trotz der unglaublichen Siegesserie in der regulären Saison, aber weiterhin ohne den verletzten Ming, erneut nicht gegen die Jazz um Deron Williams und Carlos Boozer.
Houston Rockets mit McGrady und Ming: Der zerstörte Traum
Die wohl beste Chance auf den NBA-Titel ergibt sich in der Saison 2008/09. Die Rockets beenden die Regular Season mit einer Bilanz von 53-29 und landen damit auf dem fünften Platz in der Western Conference. Houston hat sich im Sommer mit Defensiv-Spezialist Ron Artest verstärkt, darüber hinaus hat man mit Aaron Brooks einen soliden Spielmacher und Yao scheint wieder fit zu sein.
Doch als die Rockets endlich breit genug aufgestellt sind, machen ihnen einmal mehr Verletzungen einen Strich durch die Rechnung. Dieses Mal trifft es McGrady, nach einer Knieoperation im Februar verpasst er den Rest der Saison sowie die gesamten Playoffs, Houston geht als Underdog in die Postseason.
In der ersten Runde bezwingen die Rockets Brandon Roy und die Trail Blazers in sechs Spielen, in den Western Conference Semifinals steht das Duell mit den Lakers an. In einer packenden Serie über die volle Distanz müssen sich die Texaner letztendlich dem späteren Champion geschlagen geben - auch weil bei Ming eine Haarfraktur im linken Fuß festgestellt wird und auch er ausfällt.
McGrady und Ming: Kein märchenhaftes Ende
Im Hinblick auf das enorme Potenzial der beiden Superstars ist deren Bilanz unterm Strich fast schon erschreckend schwach: Das dynamische Duo gewinnt in der gemeinsamen Zeit nur eine einzige Playoff-Serie (und das ohne McGrady), der anvisierte Griff nach dem Titel bleibt aus.
2008/09 soll Mings und McGradys letzte gemeinsame Saison bei den Rockets sein. Nach etlichen Operationen ist der inzwischen 30-jährige McGrady nicht mehr der dominante Scorer wie zu seinen besten Zeiten, woraufhin die Rockets den Shooting Guard im Februar 2010 zu den Knicks traden.
Yao verpasst die komplette Spielzeit mit seinem gebrochenen Fuß, in der darauffolgenden Saison absolviert der Chinese lediglich fünf Spiele. Der Körper des Rockets-Centers hat über die Jahre einiges mitgemacht und gibt schließlich nach, wodurch Yao letzten Endes dazu gezwungen ist, seine Karriere zu beenden.
Heute sind McGrady und Ming Hall of Famer. T-Mac ist einer der besten Scorer aller Zeiten, Ming ist bis heute ein kulturelles Phänomen, dessen Einfluss weit über den Basketball-Sport hinausgeht. Und mit etwas weniger Verletzungspech hätten die beiden ihre gemeinsame Zeit bei den Rockets vielleicht mit einem Titel krönen können. Doch es sollte einfach nicht sein.
NBA: Die Statistiken von Tracy McGrady und Yao Ming im Rockets Trikot
Name | Saisons | G / MIN | Punkte | Rebounds | Assists/Blocks | FG% |
Tracy McGrady | 6 (2004 - 2010) | 303 / 36,7 | 22,7 | 5,6 | 1,3 Assists | 42,0 |
Yao Ming | 9 (2002 - 2011) | 486 / 32,5 | 19,0 | 9,2 | 1,9 Blocks | 52,4 |