Benas Matkevicius ist International Scout bei den Boston Celtics und war über Jahre im Trainerstab der litauischen Nationalmannschaft. Im Interview mit SPOX spricht der Litauer über seine Anfänge in Cuxhaven, die Kunst des Scoutings und er erklärt, was deutschen Talenten im Vergleich zu anderen Nationen fehlt.
Außerdem verrät Matkevicius, wie man einen Superstar wie Luka Doncic aus seiner Komfortzone bringen kann, wie der Kontakt mit den Celtics zustande kam und was im Draft Room passiert.
Es gibt Biografien und es gibt Biografien wie die von Benas Matkevicius. Gebürtig in Litauen, aufgewachsen in Cuxhaven, High School in Louisiana, College in Arkansas und dann wieder Cuxhaven, bevor es über Moskau zu den Boston Celtics ging. Matkevicius hat sich im Welt-Basketball nach oben gearbeitet, nun arbeitet er seit bald acht Jahren Danny Ainge und inzwischen Brad Stevens als International Scout zu. Im Interview mit SPOX spricht Matkevicius über seinen Karriereweg, seine tägliche Arbeit und darüber, was deutschen Talenten oft fehlt.
Herr Matkevicius, vor gut zehn Jahren waren Sie noch Co-Trainer in Cuxhaven, nun sind Sie International Scout der Boston Celtics und haben einen Podcast, The Benas Podcast, in welchem Sie Gäste wie Andrea Trinchieri, Andrew Bogut, J.R. Holden und viele andere begrüßen. Wie um alles in der Welt funktioniert das?
Benas Matkevicius: Mein Ziel war es nie, bei einem NBA-Team angestellt zu sein. Ich habe als Basketballer das Spiel geliebt, musste aber verletzungsbedingt früh aufhören und habe dann mit Herz und Seele in Cuxhaven an der Seitenlinie gearbeitet. Der Verein hat mir damals die Gelegenheit gegeben, dass ich einen Job im Coaching Staff bekam, sowohl als Jugendtrainer als auch als Assistent bei der ProA-Mannschaft. Wir haben dabei Erfolg gehabt, sind zweimal sportlich in die BBL aufgestiegen, durften dort aber wegen verschiedener Regularien nicht teilnehmen. Das hat mich frustriert, weil ich das Gefühl hatte, dass ich nicht weiterkomme - in meiner Karriere und meinem Leben. Ich war zu diesem Zeitpunkt kurz davor, mit Basketball aufzuhören und stattdessen als Personal Trainer weiter zu machen. Ich hatte schon einige Lizenzen eingesammelt und die ersten Athleten trainiert. Für mich war das Teil der Entwicklung. Als Mensch willst du besser werden, neue Dinge erlernen. So hat es die Natur für den Menschen vorgesehen.
Und dann kam der Anruf aus Moskau.
Matkevicius: Genau, dort wurde gerade Jonas Kazlauskas neuer Coach von ZSKA. Der hat früher zusammen mit meinem Vater in Litauen gespielt und die zwei sind über all die Jahre Freunde geblieben. So wusste er auch, dass ich existierte. (lacht) Und dass ich als Coach arbeitete und gleichzeitig die Scouting Reports für die Mannschaft machte. Er brauchte einen Scout und nahm mich, obwohl ich nicht die erste Wahl war. Ein anderer Coach lehnte die Stelle als Scout ab und so übernahm eben ich die komplette Scouting-Abteilung.
Celtics-Scout Matkevicius: "Ich war ein naiver, norddeutscher Junge"
Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Matkevicius: Es war alles komplettes Neuland für mich. Das war Russland und das Niveau war um ein Vielfaches höher als in Cuxhaven. Damals spielten dort noch J.R. Holden, Trajan Langdon oder Matjaz Smodis. Das war eine riesige Herausforderung für mich. Ich brauchte plötzlich viel mehr Verständnis für das Spiel, weil es so viel mehr Nuancen hatte. Ich wurde mit Dingen konfrontiert, die ich so gar nicht erwartet hatte. Ich war damals ein naiver norddeutscher Junge, der zunächst einmal leise vor sich hin gearbeitet hat, um diesen Job zu behalten. Ich habe diese ersten drei Monate alles gegeben, weil ich wusste, dass mein Vertrag dann entweder verlängert wird und ich mich dann auf die folgende Saison vorbereiten kann oder eben nicht. Es hieß, dass wir irgendwie die Saison mit Erfolg zu Ende bringen sollen. Das gelang und es folgte der Umbruch, es kamen Andrei Kirilenko, Nenad Krstic und Milos Teodosic und wir sind bis ins Finale marschiert, wo wir in Istanbul gegen Olympiakos unglücklich verloren.
Hatten Sie jemals Sorgen, dass dieser Sprung zu groß war?
Matkevicius: Hin und wieder, aber ich habe mich intensiv vorbereitet und alle meine Freunde oder Spieler, mit denen ich gearbeitet habe, haben mich ermutigt. Ich will mich da gar nicht selbst loben, aber sie haben gesehen, wie viel Zeit ich investiert habe. Ich mag freie Zeit nicht und versuche stattdessen, sie mit Arbeit zu füllen. Früher waren das Jugendarbeit oder zusätzliche Trainingseinheiten und so habe ich mich unbewusst auf das nächste Level vorbereitet. Ich musste mein Arbeitspensum also nur auf diesem Level halten und für mich war es der Türöffner, obwohl ich die Tür eher eingetreten habe.
Wird man da nicht von Informationen erschlagen? In der ProA spielten teilweise Feierabend-Basketballer und vom einen auf den anderen Tag beschäftigt man sich mit der Elite Europas.
Matkevicius: In Cuxhaven hatten wir fast nur Profis, nur ein, zwei Spieler hatten noch einen anderen Job. Aber natürlich, bei ZSKA sind die Möglichkeiten unendlich. Wenn du etwas willst oder brauchst, dann bekommst du es. Es gibt da keine Ausreden, weil alles da ist, um deine Arbeit zu erledigen. In Cuxhaven hatte ich schon als verletzter Spieler begonnen, die Scouting Reports anzufertigen, weil ich einfach etwas beisteuern wollte. Ich habe das damals so gemacht, wie ich es aus dem College kannte. Manche Spieler in Cuxhaven meinten damals, dass sie gar nicht so viel brauchen, aber wenn ich weiß, dass es besser geht, dann will ich es auch entsprechend machen. Es ist wie im Restaurant: Das Auge isst mit. Ich versuche immer, einen Schritt vorauszudenken, was auf mich zukommen könnte.
Benas Matkevicius: Seine Stationen
Zeitraum | Funktion | Team |
2008-2011 | Assistant Coach | Cuxhaven BasCats |
2011-2014 | Scout & Assistant Coach | CSKA Moskau |
2013-2021 | Assistant Coach | Litauen |
2014- | International Scout | Boston Celtics |
Celitcs-Scout Matkevicius: Wusste nicht, was Messina gefallen würde
Aber alles lässt sich doch im Voraus nicht planen?
Matkevicius: Das stimmt. Ein Beispiel: Als Ettore Messina ZSKA übernommen hat, wusste ich zunächst nicht, was er erwartet, welche Sachen ihm gefallen oder nicht. Welche Clips möchte er haben? Welche Situationen bevorzugt er? Ich habe dann einfach sechs, sieben Dinge vorbereitet, die er fragen könnte. Ich habe also viel zu viel vorbereitet, einfach nur, um abgesichert zu sein und nicht möglicherweise im Regen zu stehen. Je länger du aber mit jemandem arbeitest, desto besser weißt du, was er will. Dann kann so ein Report deutlich schmaler werden. Wobei die Arbeit für mich nicht umsonst war, wenn ein Coach sie nicht wollte. Du lernst immer dazu und Praxis ist der beste Lehrer.
Kann man das die Arbeit bei einem solchen Topklub auch genießen oder überwiegt eher der Druck? In Moskau ist der Geduldsfaden bekanntlich nicht unbedingt dick.
Matkevicius: In Moskau gibt es nur schwarz und weiß, Top oder Flop. Die Erwartungen sind riesig, aber du musst damit umgehen. So ist das Leben auf dem höchsten Level, sei es als Spieler, Coach oder als Scout. Wenn dir das nicht gefällt, dann gehörst du da nicht hin, so einfach ist das. Nach Siegen in der VTB League (die vorwiegend aus russischen Teams besteht, Anm. d. Red.) oder "normalen" EuroLeauge-Erfolgen verspürte ich eher Erleichterung denn Freude. Das war zum Beispiel ein Unterschied zu Cuxhaven, wo du dich über jeden Sieg freust. Die pure Freude kann schon einmal verloren gehen. Darüber habe ich auch mit Nikos Zisis in meinem Podcast gesprochen. Er meinte auch, dass man als Sportler die Wahl hat. Du kannst bei einem kleineren Team spielen und einfach nur Spaß haben, aber wenn du auf dem höchsten Level spielen willst, musst du damit leben.
Wo Sie den Podcast ansprechen. Die Gästeliste ist ja durchaus illustrer mit Trinchieri, Messina, Dimitris Itoudis, Sarunas Jasikevicius, Daniele Baiesi, Andrew Bogut oder J.R. Holden. Was erwartet den Hörer?
Matkevicius: Das Fundament ist Basketball, aber es kann auch Ausnahmen geben, wie zuletzt mit dem Boxer Noel Mikaelian. Meine Gäste sind da, um Hintergrundgeschichten zu erzählen, die es vielleicht woanders nicht in dieser Form gibt. Es geht um die Nuancen von Coaching, vom Dasein als Sportdirektor oder wie ein Spieler nach seiner Karriere lebt. Ein Ratgeber von Profis für Profis. Es soll ein wenig das Tagesgeschäft von Sportlern und den Menschen dahinter dargestellt werden. Unter anderem habe ich auch mit Stefan Weißenböck aus Bamberg darüber gesprochen, was Individualtraining mit Spielern ausmacht oder wie man aus einem Shooting Slump herauskommt. Es deckt also ein großes Spektrum ab und soll auch ein bisschen einen Vergleich zum alltäglichen Leben ziehen.
Bei allem Podcasting bleibt Ihr Hauptjob aber das Scouting für die Celtics. Wie ist da der Kontakt zustande gekommen?
Matkevicius: Auch hier durch viel Glück. In meiner Kindheit habe ich mal in einem Theaterstück auf Borkum mitgespielt und ich durfte als Hauptrolle den glücklichen Löwen spielen, der bin ich womöglich bis heute. Der Kontakt mit Boston kam schon 2011 zustande, als ich im Sommer zu den ganzen FIBA-Turnieren gefahren bin, obwohl wir bei ZSKA eigentlich kein Interesse hatten, irgendwelche Talente unter Vertrag zu nehmen. Für mich war das aber wichtig. Ich war unter anderem in Polen bei der U18-EM. Da hat auch ein gewisser Dennis Schröder gespielt. Dort habe ich meinen jetzigen Chef, Austin Ainge, kennengelernt.
Celtics-Scout Matkevicius: "Ainge kam einfach auf mich zu"
Welche Erinnerungen haben Sie an den jungen Schröder?
Matkevicius: Er war einer der Spieler, die dort zu den besseren gehört haben. Alex Abrines, der später ein paar Jahre für die Oklahoma City Thunder gespielt hat, war auch dort. Dennis war bereits ein Prospect und es war das NBA-Potenzial abzusehen, allerdings habe ich für ZSKA gescoutet, nur um mich zu informieren, was so los ist im Markt. Ich hatte damals noch keine Idee, was der Begriff 'NBA Prospect' wirklich bedeutet.
Wie kam es zur Begegnung mit Ainge?
Matkevicius: Ich saß auf der Tribüne und habe mir gerade Notizen gemacht, da ist er einfach auf mich zugekommen und hat sich mir vorgestellt. Er war damals auf der Suche nach Kontakten und die Verbindung ist nie abgebrochen. Ich konnte ihm während der Saison mit Spielern - Prospects, die in Russland spielten - helfen und er half ZSKA dabei, dass wir Spieler aus der NBA zu uns holen konnten. Ein Jahr später bekam ich dann ein Angebot. Für mich war das surreal, nicht greifbar, nicht logisch. Vor zwei Jahren war ich noch in Cuxhaven und nun die NBA? Ich hatte da noch nicht meine Sporen verdient und wollte unbedingt mit Messina weiterarbeiten.
Was hat Ihre Meinung schließlich geändert?
Matkevicius: 2014 war die Situation etwas anders. Dimitrios Itoudis war nun Coach und die Celtics boten mir einen Dreijahresvertrag mit einer konkreten Rolle, nämlich der Verantwortung über das Scouting in Europa. Es war aber eine schwere Entscheidung. Von Cuxhaven nach Moskau? Das ist nicht schwer. Von Moskau in die NBA? Da wägst du schon ab. Mit wem arbeitest du? Was sind deine genauen Aufgaben? Letztlich war es eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, auch weil sich für dich ein komplett neues Netzwerk öffnet. Nun haben die Celtics meinen Vertrag schon zweimal verlängert und ich bin schon in meinem achten Jahr in Boston.
Celtics-Scout Matkevicius: "Es gibt keine Antetokounmpos mehr"
Sie beackern Europa immer noch allein, das ist jede Menge ...
Matkevicius: Ich mache alles außer die NBA selbst. Ich scoute aber nicht nur international, sondern auch die NCAA. Es geht nicht nur um Europa. Das kann man selbstverständlich durchscouten, aber heute gibt es Twitter, die verschiedenen Homepages - die Talente sind bekannt. Es gibt keine Giannis Antetokounmpos mehr, so einen Typen, den keiner kennt und der plötzlich aus dem Nichts kommt. Du kennst die Prospects, du analysiert sie und sortierst sie nach Prioritäten. Dann kommt auch dein Netzwerk ins Spiel, welches dich informiert, wo du noch einmal genauer schauen musst. Daraus entsteht deine Liste.
Das heißt, Sie müssen grob gesagt jedes Talent mit NBA-Potenzial kennen.
Matkevicius: Ich muss Vergleiche ziehen können. Wenn ich zu einem Trainer in Deutschland gehe und der mir sagt, dass sein Spieler das größte Talent seines Jahrgangs ist, dann muss ich folgende Frage beantworten: Hat der Trainer auch die anderen Spieler gesehen oder nicht? Kennt er die College-Spieler? Die NCAA hat für die NBA weiterhin Priorität und den Markt muss ich eher besser kennen, um besser einordnen zu können, wo ein Spieler aus Europa im Vergleich dazu steht. Das ist meine Aufgabe, deswegen schaue ich genauso viel NCAA wie Spiele in Europa. Ich muss Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Leveln wie NCAA, EuroLeague oder Australien ziehen können, Kontext herstellen. Ich muss Brad Stevens, früher war es Danny Ainge, die richtigen Informationen an die Hand geben, damit er die richtige Entscheidung treffen kann.
Anschaulich gesprochen, im Vorjahr war Alperen Sengün der am höchsten gezogene Europäer, der nicht aufs College ging. Ihre Aufgabe ist es zu rechtfertigen, warum Sengün besser als College-Spieler XY ist?
Matkevicius: Ich muss meine Liste an internationalen Spielern, die ich bevorzuge, studieren. Das ist letztlich aber nur meine Meinung und muss nicht mit denen von unseren anderen Scouts übereinstimmen. Nehmen wir lieber mal Daniel Theis als Beispiel. Ich habe ihn damals empfohlen, weil er in Bamberg die gleiche Rolle gespielt hat, die er bei uns in Boston gehabt hätte und später auch hatte. Diese Meinung habe ich Danny und Austin Ainge weitergeleitet. Die müssen dann entscheiden.
Es gibt aber sicherlich auch noch andere Faktoren.
Matkevicius: Natürlich. Passt der Spieler in unser System? Kann ihn unser Coach gut integrieren? Dazu kommen noch andere Sachen wie bestehende Verträge oder an welcher Stelle wir in diesem Draft ziehen werden. Wie sieht es mit dem Salary Cap aus? Müssen wir womöglich nach unten traden, damit wir einen günstigeren Vertrag ausgeben werden? Es gibt so viele kleine Dinge, die bei einem Draft eine Rolle spielen. Man kann deswegen auch nie sagen, dass wir den bestimmten Spieler genommen hätten, wenn er noch an dieser Stelle da gewesen wäre. Es ist der Grund, warum es kaum Versprechen an Spieler gibt. Du kannst nie wissen, welche Spieler noch auf dem Board sind, wenn du an der Reihe bist. Kein Team will in die Zwickmühle kommen, ein Versprechen gegeben zu haben und dann ist da doch ein Spieler, der dir besser gefällt. Man hört ja häufig, dass gewisse Spieler Versprechen haben, aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass dies sehr selten ist.
gettyCeltics-Scout Matkevicius: "Jaylen Brown war rückblickend ein Glücksgriff"
Danny Ainge war bekannt für seine Liebe für Flügelspieler, gefühlt zog er in jedem Draft mindestens einen Forward. Gibt es da vom Management Vorgaben, dass Sie besonders auf diesen Typus Spieler achten sollten? Hat sich da unter Stevens nun was verändert?
Matkevicius: Prinzipiell sind lange Flügelspieler im Moment im Trend. Stevens hat diese langen Flügelspieler aber auch eingesetzt. Es war ja nicht so, dass Ainge sie einfach nur gedraftet hat. Positionsloser Basketball wird immer wichtiger, gleiches gilt auch für das Switching. Solche Spieler gibt es einfach sehr selten. Deswegen kann man auch gar nicht so pauschal sagen, dass ein Team immer nach bestimmten Attributen pickt. Klar, Länge wird bevorzugt, aber die ist auch nicht immer da. Es kommt immer auf die Situation an und was noch auf dem Board ist, wenn du dran bist. Dazu kommt die Entscheidung, ob es ein Upside-Pick werden soll oder doch lieber ein reifer Spieler gewählt wird, wo die Chance größer ist, dass er sofort einschlagen kann, aber da vielleicht nicht mehr Potenzial da ist. Jeder Draft ist auch anders. Du kannst nicht sagen, dass ein Spieler ein Top-10-Talent ist, weil jeder Draft unterschiedlich stark ist. Es geht immer um Prognosen und um Kleinigkeiten, wie sich ein Spieler über seine Karriere entwickeln könnte. Die NBA und die G-League sind für Entwicklungen auch die besten Orte. Es ist alles da. Du kannst jeden Tag in die Halle, du hast alle Grundlagen, um besser zu werden. Es wird in Individualtrainer investiert. Deswegen wählen NBA-Teams auch immer häufiger solche Prospects aus und investieren in diese Spieler dann zwei, drei Jahre. Danach wird abgerechnet und geschaut, wie er sich entwickelt hat.
Sie haben jetzt sieben Drafts begleitet. Welcher war für Sie der komplizierteste?
Matkevicius: Das kann ich gar nicht so genau beantworten. Jeder Draft war für mich anders. Es ist anspruchsvoll, wenn Europäer als Top-Spieler gehandelt werden, denn dann muss ich bewerten können, ob es sich nur um einen Hype handelt oder wirklich Realität ist. Wenn ein Luka Doncic schon EuroLeague-MVP ist, dann ist es etwas leichter. Anspruchsvoll war es 2016, als Dragan Bender als Top-Prospect gehandelt wurde. Er spielte damals für Maccabi Tel Aviv bei einem echten Top-Team, aber die Situation für ihn war dort schwierig, weil es im Team nicht rund lief. Wir hatten damals den dritten Pick und entschieden uns stattdessen für Jaylen Brown, was rückblickend ein Glücksgriff war. In solchen Fällen muss der Kontext bewertet werden und du dir verschiedene Fragen selbst beantworten. Schwer ist es auch, die Grauzone auszuarbeiten, also Prospects zu bewerten, die vielleicht nicht zur obersten Kategorie gehören, aber womöglich doch gut in unser Team passen. Das gibt es jedes Jahr, weswegen ich nicht sagen kann, bei welchem Draft ich verloren war.
Welche Rolle spielen Sie am Draft-Tag? Sind Sie vor Ort?
Matkevicius: Ich sitze jedes Jahr im Draft Room und meine Aufgabe ist es, während des Drafts Stevens meine bevorzugten Spieler nenne und meine Empfehlung rechtfertige. Das war zum Beispiel im letzten Draft so, als wir Juhann Begarin gezogen haben, der aber noch in Europa bleiben sollte. Wir hatten ein "Stash Prospect" gesucht und Brad Stevens kam auf mich zu und fragte mich über den Spieler aus. Wir glichen die Fakten ab, um auf der Pressekonferenz die richtigen Fakten parat zu haben. Im Anschluss telefonieren wir noch mit dem Spieler selbst. Das ist vornehmlich meine Rolle an so einem Tag.
Celtics-Scout Matkevicius: "Robert Williams war ein Risiko"
Ist es jetzt eigentlich weniger stressig geworden, nachdem Boston nicht mehr jedes Jahr gefühlt acht Picks pro Draft hat?
Matkevicius: Klar, wenn wir nur einen Pick in der zweiten Runde haben, kann das auch langweilig sein. Wir wissen meistens schon zwei, drei Minuten vorher, welche Spieler gezogen werden, in der zweiten Runde ist es oft zwei, drei Picks vorher klar, weil Leute wie Adrian Wojnarowski oder Shams Charania über Twitter alle Infos verbreiten. Du sitzt da zwei Stunden und wartest nur, was passiert. Mit den acht Picks 2016 war schon die Hölle los, weil du natürlich versuchst, daraus ein Trade-Paket zu machen. Das Telefon klingelte da in einer Tour und die Situation änderte sich ständig, weil wir bei solchen Trades ja auch Picks zurückbekommen. Es ist sehr viel hektischer, das ist klar. Dann kommt es auf deine Roster-Situation an, ob du noch einen Spieler traden möchtest, um einen First Rounder zu bekommen. Es sind dann so viele Szenarien, du musst ständig abgleichen, ob ein bestimmter Spieler im Draft noch verfügbar ist. Deswegen ist es wichtig, stets informiert zu sein, wenn Spieler zum Beispiel fallen. Du brauchst das passende Paket sofort, um diesen einen Spieler draften zu können. Es ist oft sehr hektisch, wenn dieser Spieler tatsächlich noch da ist, den du haben möchtest oder ein Team bereit ist, seinen Pick abzugeben.
Aus Celtics-Sicht fällt mir da sofort der Name Robert Williams ein ...
Matkevicius: Genau, Rob ist ein gutes Beispiel dafür. Er wurde im Draft 2018 hoch gehandelt, ist aber tief gefallen. Als er an Position 27 noch zu haben war, war es für Ainge und uns klar, dass wir ihn draften würden. Wir hatten ihn zwei Jahre beobachtet und sein Talent-Paket aus Athletik und Passspiel gemocht. Schon im ersten Jahr wurde er hoch gehandelt, konnte sich aber in seiner Sophomore-Saison nicht wie gewünscht empfehlen, was unser Glück war. Es war aber auch ein Risiko, es gab schließlich Gründe, warum er noch zu haben war, aber das haben wir in Kauf genommen, weil es an Position 27 ein echter Upside-Pick war.
gettyCeltics-Scout Matkevicius: "In Deutschland gibt es ein gutes Fundament"
Wie sehen Sie denn die Entwicklung im deutschen Basketball? Mit Dennis Schröder, Daniel Theis und ganz kurz Moritz Wagner waren ja auch drei Deutsche bei den Celtics. Blickt man nun in der NBA etwas anders auf den Basketball-Standort Deutschland?
Matkevicius: Seit der Ankunft von Dirk Nowitzki verwenden NBA-Teams exponentiell mehr Zeit für den deutschen Markt. Ich merke aufgrund der Aufmerksamkeit der Agenten, dass man nach Deutschland schaut. Es gibt inzwischen sehr viele gute Spieler, auch wenn die meisten nicht unbedingt für die NBA infrage kommen. Man muss es aber zu schätzen wissen, dass immer mehr Deutsche in der BBL und auch in der EuroLeague größere Rollen einnehmen. Klar, die NBA ist das Maß aller Dinge, aber der Prozentsatz an Profis, die es in die NBA schaffen, ist sehr gering.
Ein anderer Trend ist, dass viele junge deutsche Spieler früh ins Ausland gehen. Die Wagner-Brüder haben den Weg übers College gewählt, Ariel Hukporti spielt in Australien und der jüngere Bruder von Isaac Bonga ist mit 16 Jahren nach Litauen gewechselt. Sind die Bedingungen woanders einfach besser?
Matkevicius: Das ist situationsbedingt. Dass man seine Heimat verlässt, ist keine leichte Entscheidung. Bei manchen funktioniert das, weil sie eine andere Kultur kennenlernen, offener werden und lernen, mit Druck umzugehen. Das kann für einen Spieler gut, für den anderen aber schlecht sein. Generell gibt es in Deutschland in Sachen Jugendarbeit ein gutes Fundament. Es gibt genug Plattformen, um sich anzubieten, sei es NBBL, JBBL, Pro B, Pro A oder die BBL, aber der Klub muss gleichzeitig einen guten Plan für den Spieler haben, damit er Spielpraxis sammeln kann. Dann ist die andere Frage, ob es dir hilft, in ein anderes System zu kommen oder nicht. Den Wagner-Brüdern hat Michigan gut getan, das heißt aber nicht, dass das für jedes Talent eine gute Option ist. Man muss manchmal einfach Glück haben, dass man am richtigen Ort landet.
Glück kann aber nicht der einzige Faktor sein ...
Matkevicius: Nein, es gehört bei den Spielern auch eine gewisse Mentalität dazu. Du musst es wirklich wollen. Ich habe das Glück, dass ich verschiedene Kulturen kenne und sie vergleichen kann. In Deutschland gibt es eine hohe soziale Sicherheit und das spiegelt sich in der Mentalität der Eltern wider. Sicherheit ist wichtig, deswegen legen Eltern viel Wert auf die Schulausbildung und das Studium. Diese üben Druck auf ihre Kinder aus, dass sie eine gewisse Absicherung in ihrem Leben haben, wenn es mit Basketball nicht klappt. So bist du aber als Spieler nicht voll fokussiert, weil es eben nicht nur Basketball gibt. In anderen Ländern wie Litauen, den USA oder dem Balkan, da gibt es diese soziale Sicherheit nicht. Es gibt keinen anderen Weg, du musst Profisportler werden. Da geht der eine dem anderen an die Kehle, um dessen Platz zu bekommen. In diesen Ländern geht es ums Überleben, in Deutschland ums gut leben, wenn man es zuspitzt. Das heißt nicht, dass dieser Wille in Deutschland nicht da ist, aber diese fünf Prozent, die es am Ende ausmachen, fehlen oft. Es fehlt oft der Killerinstinkt. Das ist nicht die Schuld der Spieler, sondern Teil ihrer Kultur, in welcher die Sicherheit über allem steht.
imago imagesCeltics-Scout Matkevicius: "Doncic wird Probleme schnell lösen"
Deutschland war bei Olympia dabei - Litauen nach der Niederlage daheim gegen Slowenien nicht. Sie waren als Assistent an der Seitenlinie. Was war im Land nach der überraschenden Niederlage los?
Matkevicius: In Litauen ist man immer niedergeschlagen, wenn man verliert. Da spielt es keine Rolle, wer der Gegner war. Wenn das zuhause passiert, ist es umso schlimmer. Wir kennen das von 2011, als wir bei der Heim-Euro nur Fünfter wurden. Die Enttäuschung war riesengroß, ich selbst war über Monate in einem tiefen emotionalen Loch. Da waren 14.000 Fans in der Halle, die riesige Erwartungen hatten und dann enttäuscht nach Hause gingen. So etwas bleibt in dir. Slowenien war gut und hatte einen speziellen Spieler, der alle anderen Spieler vermutlich um 20 Prozent besser macht, aber in Litauen darf das keine Entschuldigung sein. Wir haben hier einen enorm hohen Standard und daran müssen wir uns messen lassen. Danach wurde im Verband vieles verändert, sodass auch ich nicht mehr Teil des Teams bin.
Sie haben es am eigenen Leib gefahren. Wie verteidigt man Luka Doncic am besten? Wie kann man ihn ärgern?
Matkevicius: Wir haben das bis zum Erbrechen analysiert. Wir haben geschaut, auf welche Seite wir ihn drängen wollen, wie wir das Pick'n'Roll verteidigen wollen. Gegen solche Spieler wie Doncic, die so gut im Pick'n'Roll sind, musst du ständig deine Verteidigung wechseln. Du kannst nicht immer das Gleiche spielen. Einmal funktioniert es vielleicht, das zweite Mal vielleicht auch noch, aber beim dritten Mal weiß er schon Bescheid. Er wird solche Probleme schnell lösen. Er braucht deswegen ständig neue Probleme, die er lösen muss. Er versteht es vielleicht sofort, aber seine Mitspieler nicht. Du musst nicht nur ihn verwirren, sondern auch seine Mitspieler. Mal spielt du Drop Coverage, dann verteidigt der zweite Gegenspieler plötzlich höher. Mal kommt der Switch oder der Blitz mit einer Trap. Es kommt auch immer auf das eigene Personal an, wo die Stärken und Schwächen liegen. Es gibt da so viele Nuancen und diese betreffen nicht einmal Doncic selbst. Das sind die Dinge, die ein Coach immer im Kopf haben muss, damit er jederzeit schnell reagieren und die Spieler es schnell umsetzen können. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Ein Doncic ist ein Ausnahmespieler und entsprechend muss man sich vorbereiten. Special players require special rules.