Es war ein typischer Dirk Nowitzki. Während sich die 150 Medienvertreter, die Kamerateams aller wichtigen TV-Sender und die knapp 3000 seligen Fans, die sich Tickets ergattern konnten, fast ausschließlich auf die Moderation von Frank Buschmann achteten, bedachte er die schüchterne Angestellte seines Sponsors jedes Mal mit einem Lächeln und einem geflüsterten "Dankeschön", wenn sie sein Wasserglas auffüllte.
Es sind kleine Beobachtungen wie diese bei der Willkommens-Pressekonferenz des NBA-Champions, die Nowitzki so besonders machen. Die Höflichkeit und gute Erziehung eines Mannes, der als bester Basketballer der Welt überheblich, zumindest aber etwas unaufmerksamer sein dürfte. Stattdessen bleibt er auch bei gefühlten 35 Grad in der stickigen s.Oliver-Arena von Würzburg beim respektvollen Miteinander.
Dass Nowitzki durchaus auch locker sein kann, ist bekannt. Bei den Dallas Mavericks gilt er als einer der größten Pranksters (Witzbold) in der Kabine, seine Feierlust in Würzburg oder Dallas ließ mit dem Alter zwar nach, liefert aber nach wie vor Stoff für erheiternde Anekdoten. Nur: Die Masse sah immer nur sein höfliches, angenehm langweiliges Wesen.
Nowitzkis wichtigste Aussagen: "Habe eine Zielscheibe auf dem Rücken"
Offen und volksnah wie nie
Seit 13 Jahren, seit er in der NBA spielt, baute Nowitzki stetig eine Barriere zwischen sich und den Anderen, den Journalisten und Fans. Er wolle sich nicht einnehmen lassen, hatte er früher einmal gesagt.
Entsprechend bedeutsam ist der 28. Juni 2011. Der Tag, an dem der größte Sport-Star Deutschlands in der breiten Öffentlichkeit erstmals er selbst war.
So offen, volksnah, gelöst, stimmungsvoll, laut, witzig und charmant wie noch nie. Und er ließ sich noch nie so bereitwillig feiern und genoss den Jubel und die Zuneigung der Fans wie an diesem D-Day, dem Dirk-Day in Würzburg.
Als ob der Titelgewinn mit den Dallas Mavericks einer Erlösung gleichkam, schüttelte er in den letzten Tagen offenbar alles von sich ab: Den sich selbst auferlegten Druck, die Kritik der US-Medien, die eigenen Zweifel nach all den Misserfolgen der vergangenen Jahre - und nicht zuletzt seine Skepsis vor allzu viel Nähe.
Papa Nowitzki kämpft mit den Tränen
Dass die Feierlichkeiten in seiner Heimatstadt zu etwas Besonderem werden können, deuteten bereits die ersten Sekunden der eingangs erwähnten Pressekonferenz an. Um Punkt 13 Uhr trat Dirk Nowitzki unter dem frenetischen Applaus und irrwitzig lauten "MVP! MVP! MVP!"-Rufen auf das Podium - und sein Vater war nicht mehr Herr seiner Tränen.
Sie kullerten über die Backen des sonst so kantig-robusten Ex-Handballers Jörg Nowitzki, derart bewegt war er von der Anteilnahme für seinen Sohn. Dirk selbst hingegen wirkte anders als nach dem Finals-Sieg über Miami wie der Inbegriff der Lockerheit.
Autogramm neben Paul Breitner
Die Pressekonferenz war mit einem Wort: legendär. Journalisten, aber auch Hardcore-Nowitzki-Fans aus dem ganzen Land, ehemalige Bekannte und Kinder seines Basketball-Projekts "Baskidball" bekamen die Gelegenheit, Fragen zu stellen - was zu höchst amüsanten Ergebnissen führte.
Etwa als ein gehbehinderter Mann aufs Podium stieg, um ein Autogramm zu bekommen. In dessen Hand: eine Plastiktüte einer Drogeriekette, aus der Nowitzki ein Trikot mit seinem Namenszug und einen Fußball herauszog.
Nowitzki setzt sein Autogramm auf das Trikot, nimmt den Ball, hält diesen mit dem Fuß hoch - und stutzt kurz, bevor er ihn signiert: "Hat da schon jemand anders unterschrieben?"
Fan: "Ja, Paul Breitner."
Nowitzki: "Na da hast du ja die ganz großen Stars erwischt" - und lacht so laut los wie es nur ein Mann tun kann, der sich im Zustand tiefster Zufriedenheit befindet.
Nowitzki im Erzähl-Modus
Später sprach er darüber, dass er wisse, wie blöd er aussieht, wenn beim Basketballspielen immer die Zunge raushängt ("Das macht mein Körper, keine Ahnung"). Dass er sich fast dafür schämt, seinen Korbleger ("Sieht Storchen-mäßig aus") mit dem seines Vorbildes von früher, Michael Jordan, zu vergleichen. Dass sein Kinderzimmer mit Postern von Jordan und Scottie Pippen tapeziert waren.
Oder dass er sehr wohl registriert hätte, dass sich Charles Barkley in den Playoffs so wohlwollend über ihn geäußert hatte und dass es eine besonders Ehre sei. "Wegen Barkley habe ich die Nummer 41", verriet Nowitzki. Früher hatte er wie sein Vater Jörg beim Handball die Nummer 11, nur wegen Barkley sei er jedoch auf die 14 umgeschwenkt, bevor aus dieser in Dallas die 41 wurde.
"Es war wirklich saugeil!"
Auf die Frage, wie denn ein guter Wurf aussehe, legte Nowitzki kurzerhand das Mikro weg und machte per Trockenübung seinen patentierten One-Foot-Legged-Fadeaway vor. Entertainer-Qualitäten, die ihm vor einer solch großen Kulisse kaum jemand zugetraut hatte.
Nach 83 Minuten, vermutlich ein einsamer Rekord in Nowitzkis Laufbahn, wurde die Pressekonferenz mit seinen Worten beendet: "Es war wirklich saugeil!"
Im Anschluss am ersten Teil des D-Days ging es zum Rathaus, wo sich Nowitzki im Goldenen Buch verewigen durfte. Sein Eintrag: "Im Herzen werde ich immer Würzburger bleiben."
Daraufhin startete die Parade in die rund 600 Meter entfernte Residenz, dem Wahrzeichen der Stadt. Auf einem in Schritttempo fahrenden Festwagen stehend unterschrieb Nowitzki alles, was ihm hochgehalten wurde: T-Shirts, Schuhe, Unterwäsche, selbst Krücken wurden ihm gereicht. In den kurzen Pausen reckte er zur Musik von den Black Eyed Peas oder Salt'N'Pepa die Hände in die Höhe und animierte die ohnehin begeisterten Zuschauer am Straßenrand.
Facebook-Gruppe sorgt für kleines Wunder
Die Prozession endete an der Würzburger Residenz. Dass das Weltkulturerbe und eines der bekanntesten Barockschlösser überhaupt Schauplatz für den Höhepunkt des D-Days sein würde, gleicht einem kleinen Wunder.
Wegen der historischen Bedeutung des Gebäudes galt es bis zuletzt als ausgeschlossen, dass sich Nowitzki auf dem Balkon feiern lassen dürfte. Doch ein gewisser Markus Michler initiierte mit seiner zwei Wochen zuvor gegründeten Facebook-Gruppe für ein Umdenken bei den verantwortlichen Behörden.
Der gebürtige Würzburger, früher Zeitungsausträger beim Hause Nowitzki und mittlerweile Doktorand der Rechtswissenschaften in Erlangen, war vom vergangenen Donnerstag bis Sonntagabend von der Außenwelt abgeschnitten, weil er in einem abgelegenen Kloster im Rheingau auf einer Tagung weilte - ohne Handyempfang.
Erst bei seiner Rückkehr bekam er mit, dass die Gruppe auf fast 10.000 User wuchs und sich Nowitzkis Sponsor ING-DiBa der Sache verschrieb. "Einfach nur der Hammer", sagt er.
Nowitzki als Anheizer
Ohne Michlers Anstrengung wäre Nowitzkis Auftritt am bedeutsamsten Platz Würzburgs wohl nicht möglich gewesen. Und Nowitzkis erneute Gesangseinlage. Nicht gerade tonsicher, aber um Welten besser als noch bei der Championship Parade in Dallas, stimmte er auf dem Balkon stehend mit den anwesenden 10.000 Fans auf dem Residenzplatz "We are the champions" ein.
Zuvor gab er seiner Heimatstadt eine Liebeserklärung ab: "Ich hatte viele Tiefen und einige Höhen. Aber ihr wart jedes Mal für mich da und habt mich aufgepäppelt."
Zum Abschluss trat er auf der eigens errichteten Bühne auf und erwies sich erneut als exzellenter Anheizer: "Gibt mir ein U! Gibt mir ein F! Gibt mir ein T! Gibt mir ein A!", schrie Nowitzki der Menge zu - und vollendete mit einem "Ufta! Ufta! Ufta! Tätäräää! Tätäräääää!!!"
Der lockerste Nowitzki aller Zeiten - so wundersam es verkommen mag, man könnte sich daran gewöhnen.