Die Finals in der Zahlen-Matrix

Haruka Gruber
16. Juni 201113:38
Stats über Stats: Warum siegte Nowitzki und Dallas über Miami?spox
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Die NBA-Finals waren nicht nur für Dirk Nowitzki hochemotional. Doch eine nüchterne Analyse mit Stats-Guru Wayne Winston ergibt Erstaunliches: Dass LeBron James falsch eingesetzt wurde, dass Peja Stojakovic eine Katastrophe war - und dass Nowitzki auch empirisch brillant war.

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Der Nostradamus der NBA? Das wäre des Guten zu viel - und doch bleibt festzuhalten, dass Stats-Guru Wayne Winston mit seiner von einigen belächelten Prognose Recht behielt: Die Dallas Mavericks entschieden die Finals-Serie gegen die favorisierten Miami Heat mit 4-2 für sich.

Professor und Basketball-Experte Wayne Winstonwayne winston

Seine Annahme beruhte auf dem von ihm mitentwickelten Indikator "angepasste Plus/Minus-Statistik" (mehr Infos im Infokasten links). Er gehört zu den wichtigsten empirischen Instrumenten in der NBA, um die wahre Leistungsstärke von Basketballern zu evaluieren.

Nowitzki und die Mavs bei Letterman

Winston, Professor an der Indiana University und neun Jahre als Analyst für die Mavs tätig, stellte SPOX seine Datenbank zur Verfügung, um die nicht nur für Dirk Nowitzki hochemotionalen Finals nüchtern und in Zahlen zu analysieren: Was war entscheidend für den Mavs-Triumph? Welche folgenschweren Fehler beging Miami? Und warum sollte sich Stevenson etwas zurücknehmen?

Hier geht's zu Wayne Winstons Blog!

Fakt 1: Dallas fand das perfekte Lineup

Es klingt so simpel - und gestaltet sich im Ligabetrieb doch so schwer: Welche Aufstellung ist die beste?

Es gibt etliche Variablen: Der Coach muss bei jedem der zwölf Mann im Kader die individuellen Stärken und Schwächen, die aktuelle Form, die körperliche Verfassung, die nötigen Ruhepausen während einer Partie, das Zusammenspiel untereinander und das Matchup des Gegners berücksichtigen und aus diesen Gedanken heraus seine fünf Spieler auswählen.

Eine Aufgabe, die sich in einer Playoff-Serie als äußerst anspruchsvoll erweist, weil die Scouts intensiv scouten und von daher zwischen den Mannschaften keine Geheimnisse verborgen bleiben.

Mavs-Coach Rick Carlisle jedoch gelang es, ein Lineup zu finden, das nahezu perfekt funktionierte. Die Formation aus Tyson Chandler, Dirk Nowitzki, Shawn Marion, Jason Terry und Jason Kidd war die am häufigsten benutzte der Mavs und kam in den Finals insgesamt 66 Minuten zum Einsatz.

In dieser Zeit lautet die "Angepasste Plus/Minus-Statistik": +47. Heißt: Dallas schnitt in dieser Aufstellung knapp 47 Punkte besser ab, als wenn fünf Durchschnittsspieler auf dem Parkett gestanden hätten (mehr Infos im Infokasten links).

Auch stark die zweithäufig genutzte Formation (48 Minuten) bestehend aus Chandler, Nowitzki, Marion, J.J. Barea und Kidd: +19.

Zum Vergleich: Bei Miami bekam die Aufstellung aus Joel Anthony, Chris Bosh, LeBron James, Dwyane Wade und Mike Bibby die längste Spielzeit (66 Minuten), die "angepasste Plus/Minus-Statistik" sagt jedoch nur: +5.

Ähnlich unproduktiv die Formationen, die am zweit- und drittlängsten aufgeboten wurden: Udonis Haslem, Bosh, James, Wade und Mario Chalmers kamen in 59 Minuten auf +1. Anthony, Bosh, James, Wade und Chalmers in 26 Minuten auf +12. Fast jede andere Heat-Aufstellung war erfolgreicher - doch diesen Fakt ignorierte Heat-Coach Erik Spoelstra beflissentlich.

Fakt 2: Dirk Nowitzkis Brillanz mal anders

Über Nowitzkis Fadeaway wurde genauso ausführlich berichtet wie über seine Leaderfähigkeiten oder seine Nervenstärke. Doch seine Brillanz lässt sich auch in Zahlen ausdrücken.

Seine "angepasste Plus/Minus-Statistik" der Finals-Serie beträgt +22 und ist mit Abstand die beste bei beiden Mannschaften. Wobei die +22 sich aus zwei Zahlen berechnen: dem Offensivwert (+7) und dem Defensivwert (-15). Heißt: Im Vergleich zu einem Durchschnittsspieler erzielte Dallas in 48 Minuten Spielzeit 7 Punkte mehr und kassierte 15 Punkte weniger, wenn Nowitzki auf dem Court stand.

Erstaunlich, gilt Nowitzki gemeinhin doch als offensivstarker Spieler, der in der Verteidigung jedoch ein Risiko darstellt.

Ein ähnliches Phänomen ist bei Terry zu erkennen: Wahrscheinlich ist es Carlisles beispielhaftem Lineup-Management zu verdanken, dass der sonst in der Verteidigung schwache Guard einen Defensivwert von -8 aufweist. Heißt: Wenn statt Terry ein Durchschnittsspieler aufgelaufen wäre, hätte Dallas auf 48 Minuten hochgerechnet 8 Punkte mehr kassiert. Terrys Offensivwert von +1 sticht hingegen nicht hervor.

Fakt 3: Warum Stojakovic durch Cardinal ersetzt wurde

Gegen die Lakers noch herausragend als Scharfschütze, verlor Stojakovic angefangen von der Thunder-Serie immer mehr seinen Touch. Dass es jedoch nicht alleine an seinem plötzlich miserablen Dreier lag (0/4 gegen Miami), dass er aus der Rotation flog, beweist die "angepasste Plus/Minus-Statistik" von -62! Zwar ist dieser Wert wegen der geringen Einsatzzeiten (26 Minuten) nur bedingt aussagekräftig, dennoch lohnt ein genauer Blick.

So setzen sich die -62 aus einem Offensivwert von -20 und einem Defensivwert von +42 zusammen. Bedeutet: Auf 48 Minuten hochgerechnet, hätte Dallas mit einem Durchschnittsspieler 20 Punkte mehr erzielt und 42 Punkte weniger kassiert als mit Stojakovic.

Eine entsprechend große Bedeutung kam Brian Cardinal zu, der Stojakovic nach Spiel 3 als Nowitzki-Backup ersetzte und im Rahmen seiner Möglichkeiten das Optimum erreichte. Seine "angepasste Plus/Minus-Statistik" der Finals von +9 ist teamübergreifend der drittbeste Wert hinter Nowitzki (+22) und Kidd (+14).

Wie erwartet hatte er in der Verteidigung seine Mühen und beging zu allem Überfluss dumme Fouls, die zu Freiwürfen führten (Defensivwert: +4). Doch offensiv wusste er mit seinem Dreier und seiner klugen Spielweise die Fläche breitzumachen, um Platz für die Teamkollegen zu schaffen (Offensivwert: +13).

Basketball-Professor Wayne Winston im Interview: "Niemand gönnt Miami den Titel"

Fakt 4: Stevenson - große Klappe, wenig dahinter

Seine Fehde mit James gehörte zu den amüsanten, für einige aber auch peinlichen Randgeschichten der Finals. Immerhin könnte man zugunsten Stevensons vorbringen, dass er gegen Miami durchaus zu überzeugen wusste. Anders als in den Serien zuvor fand er ein Gleichgewicht und überzog es nicht mit seinen Würfen. Seine Dreier (56,5 Prozent) in Spiel 4 und Spiel 6 trugen ebenso maßgeblich zum Erfolg bei wie seine gute Verteidigung gegen James.

Ein näherer Blick auf die "angepasste Plus/Minus-Statistik" offenbart jedoch Überraschendes: Mit -23 (Offensivwert: -17, Defensivwert: +6) weist er hinter Stojakovic den zweitschlechtesten Wert der Mavs auf. Wie dieser zustande kommt, ist schwer zu erklären.

Tatsache ist: Laut der "angepassten Plus/Minus-Statistik" ist Stevenson ein Teil der Aufstellung bei vier der fünf schlechtesten Lineups von Dallas. Dabei ist es irrelavant, ob er als Shooting Guard oder Small Forward eingesetzt wird.

Einzige Ausnahme: Die Formation bestehend aus Chandler, Nowitzki, Marion, Stevenson und Kidd kam in den Finals 16 Minuten zum Zug - und wies eine überragende "angepasste Plus/Minus-Statistik" von +58 auf.

Fakt 5: Warum kein Heat-Small-Ball?

James mag nicht unbedingt zu Selbstkritik neigen, aber nach den Finals gab er unumwunden zu, wie gut die Defense der Mavs war und welche Probleme er hatte, in die Zone zu ziehen. Wodurch sich jedoch die Frage ergibt: Warum wurde James nicht von vornherein in der Nähe des Korbs platziert? Warum spielte Miami nicht häufiger Small Ball mit James als Power Forward?

Denn während der gesamten Saison erwies sich eine Formation aus Bosh, James, Wade, einem Scharfschützen (James Jones oder Eddie House) und einem weiteren kleinen Spieler als besonders gefährlich. In 105 Minuten mit Jones lautet die "angepasste Plus/Minus-Statistik" +40. In 41 Minuten mit House +43.

Nur: Während der Finals kam die Variante "Big Three + Scharfschütze + weiterer Kleiner" nur drei Minuten zum Einsatz. Jones wurde gar nicht berücksichtigt, House bekam nur in Spiel 6 nennenswerte Spielzeit (9 Punkte in 21 Minuten).

Fakt 6: Miamis Kardinalfehler mit Bibby

James zu weiten Teilen der Finals nicht auf der Power-Forward-, sondern auf seiner bevorzugten Small-Forward-Position zu belassen, mag irgendwo verständlich sein. Doch warum Miami-Coach Spoelstra bis einschließlich Spiel 5 darauf beharrte, Spielmacher Mike Bibby derart viele Minuten und die Starter-Rolle zu geben, entzieht sich jeder Logik.

Seine "angepasste Plus/Minus-Statistik" von -12 (Offensivwert: -6, Defensivwert: +6) ist bereits miserabel. Die Zahl drückt jedoch nicht aus, wie überfordert Bibby war, wenn Dallas den wuseligen Barea einwechselte. Nach Belieben zog der Mavs-Reservist gegen Bibby zum Korb, was dazu führte, dass Dallas auf Miami in 33 Minuten 17 Punkte gutmachte, wenn Barea und Bibby aufeinandertrafen.

Der krasse Kontrast: Dallas büßte 41 Punkte in 95 Minuten ein, wenn Barea auf dem Parkett stand und Bibby auf der Bank saß. Macht eine Differenz von 58 Punkten.

Im Gegensatz zu Bibby leistete sein Backup Mario Chalmers gegen Barea wesentlich mehr Widerstand und streute regelmäßig Dreier ein (40 Prozent für 11,8 Punkte). Seine "angepasste Plus/Minus-Statistik" von +1 (Offensivwert: 0, Defensivwert: -1) ist nicht zufällig die viertbeste der Heat hinter den Big Three - und deutlich besser als der Wert von Barea, der zwar spektakuläre Körbe erzielte und Energie von der Bank lieferte, aber laut der "angepassten Plus/Minus-Statistik" fast so ineffektiv war wie Bibby: -11 (Offensivwert: -3, Defensivwert: +8).

Von Spiel 4 bis 6 zusammenaddiert machte Miami gegenüber Dallas 20 Punkte in 50 Minuten gut, wenn Chalmers und Barea zusammen auf dem Platz standen. Mit Bibby und Barea jedoch büßten die Heat 12 Punkte ein.

Warum Spoelstra trotz des empirisch eindeutigen Tatbestands erst in Spiel 6 Chalmers mehr und Bibby gar nicht mehr einsetzte, ist umso unverständlicher.

Dallas vs. Miami: Die Finals auf einen Blick