SPOX: Sie ließen sich jedoch nicht abschrecken und waren der einzige Amerikaner, der jemals einem Training der sowjetischen Nationalmannschaft beiwohnen durfte. Wie kam das zustande?
Nelson: Das war auch eine wilde Story: Mariculionis spielte bereits in den USA und hatte die Idee, dass ich den Nationalspielern und dem Trainerstab Tipps geben könnte, wie in der NBA verteidigt wird. Die offiziellen Stellen hätten das abgelehnt, aber der Vorteil war, dass Moskau nur wenig Einfluss auf die Nationalmannschaft hatte. Chefcoach Vladas Garastas war Litauer und viele Spieler kamen aus dem Baltium oder der Ukraine. Deswegen wurde ich nicht denunziert. Ich bekam einen osteuropäisch klingenden Namen, Donas Donovitsch, und gab mich als sowjetischer Sportfunktionär aus. Ich flog nie auf.
SPOX: 2001 kam Wang Zhizhi nach Dallas - als erster Chinese in der NBA. War das vergleichbar?
Nelson: Von der sportpolitischen Bedeutung her: ja. Vom Adrenalin her: nein. Marciulionis und ich waren damals Revoluzzer, die sich einem System entgegenstellten, bei Zhizhi hingegen bekam ich aus China viel Unterstützung. Das Problem war, dass sich Zhizhi als Soldat der chinesischen Armee lebenslänglich verpflichtet hatte, wie es dort obligatorisch ist. Deswegen benötigten wir insgesamt sieben Unterschriften von verschiedensten Regierungsbeamten, um ihn freizubekommen. Hätte nur eine gefehlt, wäre alles geplatzt. Zwei Jahre arbeiteten wir gemeinschaftlich daran - am Ende erfolgreich. Es war eine tolle Erfahrung zu erleben, wie zwei so unterschiedliche Länder gemeinsam einen Traum verwirklichen.
SPOX: Ist das nicht etwas zu pathetisch?
Nelson: Im Gegenteil: Seitdem unterhält die NBA hervorragende Beziehungen zur chinesischen Regierung. Seit letztem Jahr hat das Mavericks-Farmteam Texas Legends sogar einen chinesischen Miteigentümer. Das ist einzigartig. Diese Art von globalen Kooperationen können Berge versetzen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell und emotional. Nur der Sport hat die Kraft, so viele Menschen zu berühren. Das ist nicht mit Geld zu bemessen.
SPOX: Sie sorgten 2009 für einen weiteren gesellschaftlichen Meilenstein: Sie stellten Nancy Lieberman als Trainerin der Texas Legends ein - als erster weiblicher Headcoach in der Geschichte der NBA, D-League und NCAA. Wie kam das?
Nelson: Meine Tochter studiert und war in einer Phase, in der Sie nicht genau wusste, was sie nach dem Abschluss machen sollte. Wir saßen am Küchentisch und unterhielten uns darüber, als sie sagte: 'Dad, ich kann niemals die Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens werden, ich bin doch eine Frau und habe kein Chance in der Welt der Männer.' Einige Tage später traf ich in einem Coffee Shop zufällig Nancy Lieberman und da fiel mir plötzlich ein, dass ich für die Legends eine Liste mit Trainerkandidaten geschrieben hatte und ihr Name fehlte. Ich war von mir selbst schockiert, denn sie erfüllte alle Voraussetzungen: Sie war selbst eine tolle Spielerin, bringt Coaching-Erfahrung mit, lebt seit 29 Jahren in Dallas und hat sich eine Chance längst verdient. Als ich aus dem Coffee Shop ging, wusste ich: Der beste Mann für den Job ist gar kein Mann. Nancy ist eine Inspiration für jede Frau in den USA, auch für meine Tochter.
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SPOX: All das wäre nicht denkbar, wenn Ihnen Mavs-Besitzer Mark Cuban nicht freie Hand lassen würde. Wie lässt sich Ihr Verhältnis beschreiben?
Nelson: Privat ist er wie der beste Kumpel aus der Studentenverbindung. Beruflich steckt er uns alle mit seiner Kreativität und Leidenschaft an. Er ist hochintelligent und in jeder Hinsicht ein Genie. Einige mögen ihn nicht oder belächeln ihn, aber er kümmert sich um jeden Spieler und jeden Mitarbeiter wie um seine eigenen Kinder. Das ist sehr ungewöhnlich in der NBA, in der es vielen nur darum geht, den Scheck abzuholen. Seine Mavs-Passion ist ein Virus, der jeden von uns infiziert.
SPOX: Die Leidenschaft kann jedoch auch kontraproduktiv sein.
Nelson: Richtig, mit Mark ist es nicht immer einfach, weil er sich und andere so extrem pusht. Wir geben immer Vollgas und haben 100 Meilen die Stunde auf dem Tacho.
SPOX: Sind Sie Dr. Jekyll und er Mr. Hyde?
Nelson: Nein, ich würde uns eher mit Scottie Pippen und Michael Jordan vergleichen. Als Pippen weiß ich, was ich zu erledigen habe, um Jordan das Leben leichter zu machen.
SPOX: Ihr Vater Don Nelson arbeitete fünf Jahre als Mavs-Chefcoach unter Cuban, bis es 2005 zur Trennung und einer öffentlichen Schlammschlacht kam. Sie hingegen durften den Posten des Präsidenten und General Managers behalten. Wie schwer war die Zeit?
Nelson: Es war die NBA-Version einer Scheidung. Beide Seiten gingen durch eine sehr harte Phase. Ich kam mir etwas vor wie ein Kind, das zwischen den Fronten sitzt. Ohne meinen Vater wäre ich nie in der NBA gelandet und würde heute wohl als Highschool-Coach arbeiten. Er hat mich aufgezogen und mich gelehrt, zwischen gut und schlecht zu unterscheiden. Mark unterstützte mich ebenfalls immer. Obwohl ich und mein Vater Ende der 90er Jahre ein Teil der dunkelsten Ära der Mavs gewesen waren, feuerte er uns nicht, als er die Mavs aufkaufte. Im Gegenteil: Er gab uns die Chance, ein neues Team aufzubauen. Von daher ging es mir wie einem Scheidungskind. Wenn man es fragt, ob es mehr den Vater oder die Mutter liebt, sagt es immer: beide gleich viel.
SPOX: Es heißt jedoch, dass Kinder am meisten unter einer Scheidung leiden. Sie auch?
Nelson: Nein. Okay, die ersten Wochen waren richtig seltsam im Büro. Doch Mark hat mich nie in eine unangenehme Lage gebracht. Im Gegenteil: Jeder andere Klubbesitzer hätte mich mit meinem Vater entlassen, alleine schon wegen des Nachnamens. Aber er hat mich behalten. Das sagt sehr viel darüber aus, wie Mark als Mensch ist.