Robert Griffin III hat sich für die Cleveland Browns entschieden, der einstige Hoffnungsträger der Washington Redskins will nach einer wilden Achterbahnfahrt in der Hauptstadt neu anfangen. Die Browns-Verantwortlichen zeigen sich nach einigen Gesprächen begeistert - und können viel aus der Vergangenheit des Quarterbacks lernen: Dessen Aus in Washington hatte viele schmerzhaft offensichtliche Faktoren. "RG3" selbst scheint bereits richtige Schlüsse zu ziehen.
Noch knapp drei Minuten sind auf der Uhr, Washington führt zuhause mit 31:26 gegen Minnesota. Third Down, sechs Yards fehlen den Redskins tief in der eigenen Hälfte zum neuen First Down - andernfalls bekommen die Vikes die Chance auf den späten Sieg. Der Snap, Griffin sieht eine Lücke und sprintet los. Der Safety verpasst den Tackle, der Cornerback ist innerhalb weniger Schritte abgehängt.
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Ein 76-Yard-Touchdown-Run als Game-Winner, ein 76-Yard-Touchdown-Run als Sinnbild. Szenen wie diese prägten Griffins unglaubliche Rookie-Saison: Der damals 22-Jährige eroberte die Liga im Sturm. NFL-Defenses waren damals nicht auf die Read Option vorbereitet und daraus schlugen die Redskins und RG III voll Kapital.
Der athletische Griffin erlief 815 Yards und sieben Touchdowns. In Kombination mit seinem guten Deep Ball gelangen ihm 3.200 Passing-Yards und 20 Touchdowns bei nur fünf Interceptions. Kurz gesagt: Griffin war eine Rookie-Sensation, ein wandelndes Spektakel, ein Hoffnungsträger, der die enorm hohe Erwartungshaltung in der Hauptstadt sogar noch übertroffen hatte.
Das Drama nimmt seinen Lauf
Sein Absturz davon hätte härter nicht sein können. Jeder Zuschauer sah, dass Griffin nach einem wenige Spiele zuvor erlittenen Hit von Haloti Ngata aufs Knie nicht fit war, als er seine Redskins einige Wochen nach der Vikings-Partie zum Playoff-Spiel gegen Seattle aufs Feld führte. Jeder, abgesehen von Coach Mike Shanahan. Griffin agierte ungewohnt zögerlich und traute sich mit seiner Klammer am Knie kaum zu laufen.
Sechseinhalb Minuten vor dem Ende, Washington lag mit sieben Punkten zurück, passierte es: Griffin bekam den Snap nicht unter Kontrolle und beim Versuch, den Ball aufzuheben, gab sein Bein schließlich nach. Griffin blieb unter großen Schmerzen liegen, die drohende - und wenig später feststehende - Playoff-Niederlage geriet in den Hintergrund.
Es sollte Griffins letzter Start für ein Redskins-Team mit positiver Bilanz gewesen sein. 20 Mal stand er seither noch in der Startformation, 15 dieser Partien verlor Washington. Keines jener 20 Spiele absolvierte er für einen Coach, der ihn zu 100 Prozent wollte.
Zweckehe mit den Shanahans
Man könnte sogar argumentieren, dass Griffin noch keine einzige Profi-Partie für einen Coach absolviert hat, der wirklich voll hinter ihm stand. Als die Redskins St. Louis ein Mega-Paket mit mehreren hohen Draft-Picks gaben, um RG3 an zweiter Stelle im Draft 2012 zu holen, war Coach Mike Shanahan alles andere als begeistert. Er machte vielmehr keinen Hehl daraus, dass die College-Sensation in seinen Augen "fünf Jahre" brauchen werde, um sich zu einem guten und sicheren Pocket-Passer zu entwickeln.
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Shanahan fürchtete, dass Griffin ihm mit dessen Spielweise die dritte - und womöglich letzte - Head-Coaching-Chance kaputtmachen könnte. Deshalb gestaltete er gemeinsam mit seinem Sohn und Offensive Coordinator Kyle eine Offense, die zumindest vorerst voll auf Griffin einging. Im Klartext: Viel Shotgun, viel Pistol und möglichst wenige Reads im Passspiel für den Quarterback. Stattdessen Play-Action und Read Option gepaart mit weiten Pässen - quasi eine Kurzzusammenfassung von Griffins Stärken.
In gewisser Weise kam so ein perfekter Sturm zusammen: Eine Offense die ideal zu dem College-Superstar, der vor seinem ersten NFL-Snap zur Ikone hochstilisiert wurde, passte, war gleichzeitig eine Offense, die Defensive Coordinator ligaweit auf dem falschen Fuß erwischte. Doch Shanahan wusste, dass diese Offense so nicht langfristig erfolgreich sein würde - und dass Griffin so nicht lange gesund bleiben würde. Er wollte das System daher schrittweise umstellen, doch seine Befürchtung kam ihm zuvor.
"All-In for Week 1!"
Griffins Kreuzbandriss zog Operationen sowie eine prognostizierte Ausfallzeit von neun Monaten nach sich. Der damals 22-Jährige, dessen Comeback zunächst bestenfalls für den Oktober anvisiert worden war, traf allerdings eine fatale Entscheidung: Eingerahmt in eine große Adidas-Marketing-Kampagne, die im Team überhaupt nicht gut ankam, kündigte er an, dass er zum Saisonstart fit sein würde. "All-In for Week 1" wurde in der Hauptstadt ein fester Ausdruck.
So schuftete RG3 wie ein Irrer in der Reha. Viel Zeit dafür, Shanahans Umstellungen in der Offense einzustudieren blieb so nicht. Es passte in das medial zunehmend durchsickernde Bild von Griffin: Ein Quarterback, der physisch wie kaum ein Zweiter arbeitet, gleichzeitig allerdings das Tape-Studium gerne mal vernachlässigt. Shanahan selbst war angeblich dieser Meinung, das infolge des angeschlagenen Einsatzes in den Playoffs ohnehin angespannte Tischtuch bekam Risse.
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Diese Risse wurden nur noch tiefer, als es schließlich auf dem Platz wieder ernst wurde. Ohne Preseason-Einsatz begann Griffin die Saison als Starter - und konnte nicht einmal im Ansatz an sein herausragendes Rookie-Jahr anknüpfen. Die Redskins gewannen nur drei von Griffins elf Starts und der einstige Shootingstar wirkte ohne große Teile der Read Option und mit deutlich größerer Verantwortung aus der Pocket heraus häufig komplett verloren.
Nachdem er 2012 die zweitbeste Wurfgenauigkeit insgesamt sowie die ligaweit höchste Präzision unter Druck aufgelegt hatte, stürzte er in beiden Kategorien auf den 18. Rang ab. Man sah einen Quarterback, der physisch nicht bereit war und eine neue Art der Offense nicht ansatzweise ausreichend einstudiert hatte. Das Resultat? In Week 15 wurde er für Kirk Cousins auf die Bank gesetzt - und das nicht zum letzten Mal.
Gift in der Kabine
Shanahan musste nach einer maßlos enttäuschenden Saison 2013 gehen, doch Griffin hatte einige herbe Kratzer abbekommen. Sein Fokus auf Marketing-Kampagnen und das eigene Image (Griffin veröffentlichte sein eigenes Logo nach jener 3-13-Spielzeit) kam innerhalb des Teams überhaupt nicht gut an, die immer deutlicheren Streitereien mit Shanahan taten ihr Übriges. Zudem sickerte mehr und mehr durch, dass RG3 von Team-Eigentümer Daniel Snyder einige Sonderbehandlungen genoss. Die Atmosphäre im Team wirkte vergiftet.
Die Verpflichtung des neuen Head Coaches Jay Gruden wirkte schon fast wie eine Art letzter Weckruf für Griffin. Der Mann, der Andy Dalton zu einem produktiven NFL-Quarterback geformt hatte, sollte jetzt das Kunststück meistern, Griffin zu einem Pocket Passer zu formen - die Art Quarterback, auf die Grudens System baut. Doch es wurde schon bald offensichtlich, dass auch diese Zwangsehe nicht von Dauer sein würde.
RG III raus, Cousins rein
Griffin erlebte 2014 eine verletzungsgeplagte Saison, in der durchschnittliche Auftritte und öffentliche Kritik von beiden Seiten die Szenerie dominierten. Nach einer Pleite in Tampa Bay in Week 11 erklärte Griffin: "Wenn man sich die guten Teams und die großartigen Quarterbacks anschaut, sieht man, dass auch diese Jungs nicht gut spielen, wenn die Offense um sie herum nicht gut spielt."
Gruden reagierte indem er Griffin aufforderte, "auf sich und nicht auf alle anderen zu schauen". Es war nur eine von mehreren öffentlichen Ansagen an seinen Quarterback und Griffins Meinung zu seinem neuen Coach war kein Geheimnis: "Sie wollen, dass ich die elementaren Dinge mache, dass ich gewöhnlich spiele. Wenn es das ist, was Jay will, dann mache ich es." Ende August 2015 stellte sich Gruden gegen Snyder und vollzog den Wechsel. Griffin war raus, Cousins der Starter.
Schon im vergangenen Herbst war daher klar, dass Griffin in Washington keine Zukunft haben würde. Über 15 Millionen hätte er Washington 2016 gekostet, garantiert war die Summe nur im Verletzungsfall. Somit stand er kaum einmal überhaupt im Kader - und trotzdem änderte sich sein Bild in der Öffentlichkeit.
Kehrtwende im Hintergrund
Nach nahezu jeder normalen Trainingseinheit schob er über eine halbe Stunde lang Extraschichten, arbeitete an seinen Drops und seinen Würfen. "Er war ein Vollprofi und nie eine Ablenkung. Es muss hart für einen Spieler wie ihn sein, sich auf der Bank wiederzufinden. Aber er ist damit mit großer Klasse umgegangen", berichtete D-Liner Chris Baker.
Backup-Quarterback Colt McCoy fügte hinzu, dass sich Griffin auch im QB-Raum vorbildlich verhalten habe: "Robert hat nichts von dem gesagt, was er wahrscheinlich hätte sagen können. Ich glaube, in diesem Geschäft spielt Glück eine wichtige Rolle. Es muss vieles passen, und das war bei ihm einfach nicht der Fall."
Von allen Teams hoffen jetzt ausgerechnet die Cleveland Browns, dass sie Griffin dieses Umfeld bereiten können.
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Der 26-Jährige beeindruckte beim Probetraining. Seine charakterliche Entwicklung hat auch bei Browns-Coach Hue Jackson, bekannt für seinen Umgang mit Quarterbacks, Spuren hinterlassen: "Als ich ihm in die Augen geschaut habe, habe ich einen jungen Mann gesehen, der einige Rückschläge wegstecken musste. Er hat eine gewisse Demut offenbart und sieht die Verantwortung für die Dinge, die passiert sind, bei sich selbst." Es ist der Eindruck, den Griffin seit einigen Monaten vermittelt. Er ist ruhiger geworden, hat gelernt, Autoritäten zu akzeptieren.
Jetzt muss er beweisen, dass er Jacksons System lernen und umsetzen kann. Er muss zeigen, dass er die harten Jahre in Washington, zuletzt wurde er teilweise im Training sogar als Safety eingesetzt, emotional abhaken kann. Er muss an seinen Basics, an seiner Fußarbeit und seinem Spiel in der Pocket arbeiten. Vielleicht kann er dann den Browns endlich etwas Stabilität auf der Quarterback-Position geben. Vielleicht wird Cleveland so für ihn auf lange Sicht ein Umweg, statt eine Sackgasse. Um es mit Jacksons Worten zu sagen: "In dieser Liga bekommst du nicht immer eine zweite Chance. Das ist seine."