Es war der Rex Ryan aus seinen besten Jets-Tagen, der kurz nach seiner Entlassung bei den Jets infolge der 2014er Saison als neuer Head Coach der Buffalo Bills vorgestellt wurde. "Niemand wird uns herum schubsen. Wir werden der Bully sein. Ob wir eine Ground-and-Pound-Offense sein werden? Ja. Wir haben so wahnsinnig viel Talent. Ich weiß, dass wir die beste Defense haben werden", kündigte Ryan gewohnt großspurig an.
Sein Vorgänger Doug Marrone war kurz zuvor ohne Angebot eines anderen Teams freiwillig aus seinem Vertrag ausgestiegen, was Ryan nur zu gerne aufgriff: "Dieses Team verdient einen loyalen Coach. Und niemand ist loyaler als ich."
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Trotz seiner Bilanz von 50 Siegen und 52 Niederlagen sei er außerdem "kein mittelmäßiger Coach. Ich denke, die Fans wissen das. Sie verstehen das Spiel viel besser, als ihr es ihnen zutraut. Ich bin kein mittelmäßiger Coach, und ich hinterfrage jeden, der das denkt."
Und eine letzte Ansage hatte er doch noch parat: "Ob ich einen Super Bowl garantiere? Ich garantiere, dass wir die Trophäe jagen werden. Ich weiß, dass die Bills seit 15 Jahren nicht mehr in den Playoffs waren. Macht euch bereit! Dieses Jahr ziehen wir in die Postseason ein!"
Schmetterlinge im Bauch mit Tyrod
Buffalo und Rex waren bis über beide Ohren in der Honeymoon-Phase angekommen. Die Dauerkarten-Verkäufe schnellten in die Höhe und die so nach Postseason-Football lechzenden Bills-Fans sahen in Ryan endlich die Oase ihrer ganz eigenen Playoff-Wüste: Seit nunmehr 1999 hat Buffalo die Postseason nicht mehr erreicht und ist damit das einzige Team ohne Playoff-Spiel im neuen Jahrtausend.
Und zumindest in einem Punkt hielt Ryan Wort: Die Bills schafften es, einen offensiven Bully aufzubauen: Kein Team hatte mehr Yards pro Run als Buffalo (4,8), lediglich Carolina (526) hatte mehr Rushing-Versuche als die Bills (509) und niemand verzeichnete mehr Rushing-TDs (19).
Die Renaissance des Run Games: Go Big or go Home!
Nicht nur das, Ryan gelang sogar ein Kunststück, das niemand ernsthaft erwartet hatte. In Ex-Ravens-Backup Tyrod Taylor, den er bereits vor einigen Jahren zu den Jets holen wollte, fand er einen Starting-Quarterback, der perfekt zu seinem Scheme passt. Taylor fügte sich mit 568 Rushing-Yards nahtlos in den Run-intensiven Ansatz ein, kombinierte das mit einem brandgefährlichen Deep-Ball und konnte auch mit gegnerischem Blitz gut umgehen.
Die logische Folge war eine beeindruckend produktive Offense. 23,7 Punkte gelangen den Bills pro Spiel, ein Top-12-Wert, und die allgemeine Einschätzung vor der Saison war: Wenn die Offense auch nur durchschnittliche Leistungen abliefert, wird Ryans Defense die Bills in die Playoffs führen.
Williams revoltiert
Doch bekanntermaßen fand auch die vergangene Postseason ohne Buffalo statt - wieder einmal. Und nicht nur das: Spieler äußerten schon während der Saison offene Kritik an Ryan. "Was auch immer der Spielzug ist: Wir müssen ihn einfach ausführen. Ich denke, dass wir Schaden anrichten können, wenn wir mit vier Spielern den Pass-Rush betreiben. Das hatten wir heute öfters nicht. Ich habe heute glaube ich einen persönlichen Bestwert an Coverage-Plays aufgestellt", meckerte Defensive End Mario Williams nach der 21:34-Pleite gegen Cincinnati in Week 6 bei Syracuse.
Wenig später fügte D-Line-Kollege Marcell Dareus bei ESPN hinzu: "Es ist wie Mario sagt. Wir bekommen viel Geld und wollen unsere Talente bestmöglich einsetzen. Wenn wir uns zurückfallen lassen und decken sollen, wollen wir keine Fragen über unsere Sack-Zahlen hören."
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Kurz vor dem Ende der Regular Season, nach der Pleite gegen Washington, legte Williams nochmals nach: "Wir versuchen Spieler auszutauschen, wenn die Offense aus dem Huddle kommt. Ich habe keine Ahnung, wer so etwas ansagt. Wenn man eine attackierende Defense hat, dann lässt man sich nichts vom Gegner diktieren. Das ist mir in zehn Jahren nur ein paar Mal passiert, ich weiß nicht, warum wir das nicht hinbekommen."
Und die Kritik beschränkte sich keinesfalls auf die Defensive Line. So motzte Safety Corey Graham laut Bills-Insider Matthew Fairburn mit deutlichen Worten: "Es stimmt vorne und hinten nicht und wir wissen die Hälfte der Zeit nicht, was abgeht."
Gibt's das absolute Ultimatum?
Der Grundstein für eine unruhige Offseason war also gelegt, auch wenn Williams Anfang März entlassen wurde. Das wurde durch interne Berichte nur untermauert: Informationen der Buffalo News zufolge stellte Team-Eigentümer Terry Pegula Ryan und Geschäftsführer Doug Whaley bereits kurz vor dem Ende der vergangenen Saison ein Ultimatum: Wenn die Bills 2016 nicht in die Playoffs einziehen, müssen Ryan und Whaley gehen.
Defensives Grummeln aus der Vorsaison, ein angezählter Head Coach - und doch begann die schwierige Offseason aus Bills-Sicht jetzt erst so richtig. Tyrod Taylors Berater Adisa Bakari griff Buffalo über die Medien an, ein neuer Vertrag für Taylor, der in das letzte Jahr seines Backup-QB-Deals geht, scheint nach wie vor in großer Entfernung. Und das obwohl Ryan ein großer Fan und eindeutiger Fürsprecher des mobilen Quarterbacks ist.
Es droht also eine Saison, in der das Thema Taylor-Vertragsverlängerung bei jedem Ausreißer, ob nach oben oder nach unten, permanent über Buffalo schwebt. Dabei hilft es wenig, dass sich Top-Receiver Sammy Watkins einen Knochen im Fuß gebrochen hat und nach der notwendigen Operation wohl den Großteil der Saisonvorbereitung verpasst. Natürlich funktioniert Buffalos Offense primär über das Run Game, doch nach dem Abgang von Chris Hogan besteht das WR-Corps hinter Watkins aus Robert Woods, Marcus Easley und Leonard Hankerson - Gefahr sieht anders aus.
Quasi zeitgleich mit dem Bekanntwerden der Watkins-Verletzung sickerte auch durch, dass Erstrunden-Draft-Pick Shaq Lawson aufgrund seiner Schulterverletzung doch operiert werden wird. Keine drei Wochen vorher hatte Whaley dahingehende Berichte dementiert und erklärt, dass die Ärzte grünes Licht gegeben hätten. Somit regieren auch im Pass-Rush wieder Fragezeichen und zu allem Überfluss weigerte sich außerdem noch Waiver-Claim und Ex-Steelers-Drittrunden-Pick Dri Archer, überhaupt erst aufzutauchen. Auf Kontaktversuche des Teams reagierte er nicht.
Es ist nicht alles schlecht!
Es sieht also schon im Mai nach vielen dunklen Wolken und einem Hauch von Untergangsstimmung aus - aber es ist längst nicht alles kaputt in Orchard Park. Buffalo hat mit Richie Incognito und Cordy Glenn zwei Säulen seiner O-Line halten können. Zweitrunden-Pick Reggie Ragland sollte sofort auf Linebacker starten, LeSean McCoy und Karlos Williams bilden eines der besten Running-Back-Duos der Liga und auch in der Secondary verfügt Buffalo um Ronald Darby und Corey Graham über jede Menge Talent.
Der Offseason-Hangover: Viva Las Vegas!
Und doch befinden sich die Bills in gewisser Weise am Scheideweg - wieder einmal: Steht das Team voll hinter Rex Ryan und dessen Philosophien, oder nicht? Es kann kein dazwischen geben, dafür ist die NFL zu schnelllebig und zu kompetitiv. Ein Ultimatum, so die Berichte denn stimmen, nach nur einem Jahr spricht in jedem Fall genauso eine andere Sprache wie das äußerst abgekühlte Verhältnis der Team-Bosse zu Taylor, Ryans Wunsch-Quarterback, sowie die offene Kritik von Ryans eigenen Spielern.
Dazu passt auch die Aussage von Linebacker Preston Brown, der bei WGR Sportsradio 550 offen zugab: "Wir hatten vor zwei Jahren eine tolle Defense. Dann kommt einer der besten Defensiv-Coaches aller Zeiten und du denkst, es wird leicht und wir werden wieder eine Top-10-Defense. Das ist nicht passiert. Wir haben nicht die nötige Zeit investiert. Das war eine lehrende Erfahrung für uns alle."
Die Wende mit doppelter Ryan-Power?
Mit seinem Zwillingsbruder Rob Ryan hat sich Rex jedenfalls nochmals Verstärkung geholt: Trotz dessen Debakels rund um die Saints-Defense wird er Rex als Defensiv-Assistent zur Seite stehen, wenngleich Rob Ryan im MMQB betonte: "Oh, wir hatten die schlimmste Defense. Das passiert, wenn du ein beschissenes Scheme spielst. Aber es ist meine Schuld, ich hätte etwas sagen müssen. Ich bin nie aufgestanden um zu sagen: "Ihr könnt mich mal, das coache ich nicht." Ich verspreche euch, dass ich das jetzt machen würde."
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Rex zumindest wusste bereits bei seiner Vorstellung in Buffalo, was die Stunde geschlagen hat: "Ich habe noch eine Chance als Head Coach und ich muss das hinbekommen. Mir ist klar, dass ich keine weitere Gelegenheit bekommen werde und ich will auch keine weitere Gelegenheit. Ich will diese."
Das offizielle Bills-Motto für die kommende Saison passt jedenfalls: "All In."