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Vollversion statt Beta-Phase

Die Pittsburgh Steelers wollen auch 2016 zu den Top-Offenses gehören - hatten aber bereits Rückschläge
© getty

Vor einigen Monaten noch war die Offense der Pittsburgh Steelers Everybody's Darling: Antonio Brown, Martavis Bryant, Ladarius Green, Le'Veon Bell, Ben Roethlisberger - die Möglichkeiten schienen genauso endlos wie undankbar für Defenses. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet: Suspendierungen, Verletzungen und Ungewissheit haben Einzug gehalten. Die Frage muss dennoch erlaubt sein: Ist die Verunsicherung überhaupt gerechtfertigt?

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Wenn Le'Veon Bell auf die Top-Offense 2016 angesprochen wird, ist die Antwort noch immer eindeutig. "Wenn du Ben diese Frage stellst, wird er sagen, dass er zuversichtlich ist, dass wir das Ding ins Rollen bringen können. Antonio würde das Gleiche sagen. Maurkice Pouncey würde das Gleiche sagen. Und ich sage das Gleiche. Ich glaube, wir können die beste Offense in der NFL sein. Natürlich müssen wir konstant spielen und die kleinen Dinge richtig machen. Aber ich glaube, es wird schwer, uns zu stoppen", erklärte der Running Back jüngst bei CBS.

Doch bei Fans und (Fantasy-)Experten im ganzen Lande zeichnen sich inzwischen nachdenkliche Falten auf der Stirn ab, wenn sie sich mit Pittsburghs Offense beschäftigen. Wie gut kann diese Offense ohne den für das ganze Jahr gesperrten Martavis Bryant sein? Der 24-Jährige steht mit seinen 17,3 Yards pro Catch über seine ersten beiden Jahre in der NFL symbolisch für Pittsburghs vertikales Passspiel und hatte sich in der vergangenen Saison als fester Nummer-2-Receiver etabliert.

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Ein weiterer Grund zur Sorge: Wie gut kann die Offense womöglich ohne Ladarius Green sein?

Der Tight End war Pittsburghs Top-Free-Agency-Neuzugang und sollte den Abgang von Heath Miller auffangen. Doch Green plagen, wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, anhaltende Kopfschmerzen - etwas, dass er dem Team laut der Pittsburgh Post-Gazette vor der Unterschrift nicht mitteilte. Inzwischen soll er gar an ein vorzeitiges Karriereende denken.

Und wie gut kann die Offense ohne Bell selbst sein, der für die ersten vier Spiele gesperrt wird, sollte er mit seinem Einspruch nicht erfolgreich sein?

Oder anders gefragt: Wie viel wird von den Videospiel-ähnlichen Zahlen, die nicht wenige im Vorfeld von der Steelers-Offense erhofft hatten, ab September noch übrig sein?

Keine Angst vor dem Risiko

Da wäre zunächst das vertikale Passing Game, das wohl deutlichste Markenzeichen der Steelers. 8,2 Yards pro Pass standen 2015 zu Buche, lediglich Arizona (8,5) und Seattle (8,3) waren hier noch aggressiver. Daraus resultierten 82 Passing Plays von wenigstens 20 Yards, ebenfalls der ligaweit drittbeste Wert.

Dabei handelt es sich keineswegs um viele kurze Pässe, die dann in einem langen Raumgewinn enden: Pittsburgh verzeichnete 1.927 Yards nach dem Catch, was lediglich Rang 16 bedeutet. In Kombination mit der Tatsache, dass die Steelers die drittmeisten Passing-Yards hatten, wird klar: Big Ben wirf oft und gerne den langen Pass.

Obwohl er mehrere Spiele verpasste, resultierte das im Jahr 2015 zwar in der zweithöchsten Interception-Zahl seiner Karriere (16), doch Roethlisberger wird seinen Ansatz nicht verändern. "Unsere Offense ist eine potentiell gefährliche Offense. Wir waren im Vorjahr eine Top-3-Offense und wir haben viele Waffen", sagte er der Post-Gazette: "Natürlich willst du keine Turnover, die ärgern mich extrem. Aber ich werde auch keine Angst davor haben, Risiken einzugehen. Es ist ein kalkuliertes Risiko. Keine Angst zu haben, ein Play zu machen: Das ist für mich die Denkweise unserer Offense."

Diese Risikobereitschaft fordert allerdings nicht nur Mut vom Quarterback, sondern auch Receiver, die Eins-gegen-eins-Duelle gewinnen und kritische Pässe fangen. Gleichzeitig bietet es den Receivern die große Chance zu wissen, dass Roethlisberger vor langen Pässen nicht zurückschreckt.

Die spannende Frage ohne Bryant lautet also: Kann sich ein Receiver gegenüber von Antonio Brown etablieren? Die gute Antwort aus Sicht der Steelers: Das Team hat gleich zwei Kandidaten, die dafür in Frage kommen.

Breakout-Jahr - aber für wen?

Laut der ersten Preseason-Depth-Chart, der natürlich nur ein begrenztes Maß an Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, sehen die Coaches Markus Wheaton vor Sammie Coates als erste Option für diesen Job. Ein Blick in die Statistiken verrät, warum er der nächste Big-Play-Receiver in der langen Steelers-Liste der letzten Jahre (unter anderem: Mike Wallace, Antonio Brown, Emmanuel Sanders) werden kann.

Wheateon begann seine NFL-Karriere mit zwei enttäuschenden, von Inkonstanz geprägten Spielzeiten und auch im Vorjahr lief es zunächst nicht. Doch er fand seinen Rhythmus und verzeichnete über die letzten sechs Spiele nie unter 40 Yards. 9,48 Yards pro Pass-Target zeigen darüber hinaus sein Big-Play-Potential, genau wie seine 17 Yards pro Catch. Rang 10 unter allen Spielern mit wenigstens 25 Catches in der Saison 2015.

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Coates weckte derweil insbesondere mit einem sehr guten Training Camp gestiegene Erwartungen, seine Athletik genau wie eine gute Beziehung zu Roethlisberger wurden immer wieder deutlich. Steelers-Insider berichten, dass Coates das Vertrauen von Big Ben gewonnen habe, eine nicht zu unterschätzende Komponente für einen Receiver. "Wir wissen, dass wir noch immer viel Talent haben", betonte WR-Kollege Darrius Heyward-Bey gegenüber der Sports Illustrated, "und ich glaube, Sammie ist bereit für den nächsten Schritt."

Zum ersten Mal scheint Coates, für den der Preseason-Auftakt mit zwei Fumbles aber gründlich in die Hose ging, körperlich wirklich in NFL-Topform zu sein. Über die Offseason hat er mehrere Kilo abgenommen und Coach Mike Tomlin fügte in der Sports Illustrated hinzu: "Er geht in der täglichen Arbeit sowie der Herausforderung gegen die erste Defense wirklich auf und hat sich den Respekt seiner Mitspieler verdient. Er hat einen großen Schritt nach vorne gemacht, allerdings überrascht uns das nicht wirklich. Wir haben bei ihm über die letzten zwölf Monate einen Reifeprozess beobachten können."

Der Fels in der Brandung ist zurück

Bei all den positiven Vorzeichen gilt es jedoch, eine gesunde Skepsis zu wahren. Mit Bryant und womöglich Green fehlen als Leistungsträger eingeplante Säulen im Passing Game, somit könnte die hohe Grund-Aggressivität die Steelers in Form von Turnovern und kurzen Possessions als Bumerang erwischen.

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Die Lösung dieser Problematik liegt im Running Game. Lediglich 39,6 Prozent von Pittsburghs Offensiv-Spielzügen waren in der Saison 2015 Runs, gleichbedeutend mit Rang 21 in der NFL hinter Teams wie Green Bay, Atlanta und Washington. Natürlich hängt die Bell-Sperre hier wie ein Damoklesschwert über dem Team, doch gibt es Grund für Optimismus - und für einen Anstieg der Running Plays.

Da wäre zunächst DeAngelo Williams. Der Routinier hat sich im Vorjahr bereits als Bell-Vertreter etabliert und sollte über vier Spiele dazu wieder in der Lage sein. Viel entscheidender: Die Offensive Line sollte auf einem ganz anderen Level agieren.

Dabei steht und fällt alles mit Maurkice Pouncey. Der Center ist der Chef an der Line of Scrimmage, verpasste die komplette Vorsaison aber verletzt. Jetzt ist er wieder fit. Tackle Marcus Gilbert schwärmte auf der Team-Website: "Er ist der Fels in der Brandung. Wie er den Huddle bestimmt und was er von der Line erwartet, ist unglaublich. Er ist nicht nur ein großartiger Leader, er geht selbst mit gutem Beispiel voran."

Die Steelers haben mitnichten nur Pouncey plus einige No-Names in ihrer Reihe: Gilbert, David DeCastro, Alejandro Villanueva und Ramon Foster könnten gemeinsam mit Pouncey eine Top-5-Line bilden, schon ohne Pouncey hatte Pittsburgh 2015 laut Football Outsiders eine Top-8-Line im Run Blocking und in Pass Protection.

Historische Marke als Saisonziel

Es ist eine Entwicklung, die auch Roethlisberger erfreut hat. Für ihn sei seine Line "eine besondere Gruppe", insbesondere Position-Coach Mike Munchak verdiene viel Lob. Während also bei den Skill-Positionen mit der jüngsten Nachricht über die Probleme von Ladarius Green eine unruhige Offseason weitergeht, hat sich die Line voll gefunden - und das hat zu einem anspruchsvollen Ziel für die kommende Saison geführt: Die große Marke von fünf Yards pro Run macht dieser Tage im Steelers-Training die Runde.

Die Trends vor der 2016er Saison: Gekommen, um zu bleiben?

"Ich sehe nicht, warum wir das nicht schaffen sollen. Selbst wenn wir dem nur nahe kommen, werden wir die meisten Spiele gewinnen. Das ist es, was wir wollen. Fünf Yards sind ein tolles Ziel", erklärte Foster bei TribLive und DeCastro: "Ich weiß nicht genau, wer diese Idee in den Raum geworfen hat, aber mir gefällt sie. Das ist eine gute Zahl, ein gutes Ziel. Wir haben eine Chance, das zu erreichen."

Kontext: Komplett ohne Pouncey sowie ohne Bell und den inzwischen abgegebenen Left Tackle Kelvin Beachum standen die Steelers in der vergangenen Saison bei insgesamt 4,4 Yards pro Run. Fünf Yards allerdings haben über die letzten drei Jahre nur die Seahawks (2014: 5,3 Yards) und die Eagles (2013: 5,1 Yards) erreicht.

Vollversion statt Beta-Test

Erreicht Pittsburgh dieses ambitionierte aber keineswegs unmögliche Ziel, werden Defenses den Run stärker beachten müssen. Dann würde womöglich tatsächlich die Vollversion und nicht die Videospiel-Beta-Ausgabe der Steelers-Offense zu sehen sein. Dazu passt, dass im Training Camp intensiv an Two-Point-Conversions gearbeitet wurde, Pittsburgh will selbige wohl noch deutlich häufiger ausspielen als 2015, als acht von elf Versuchen erfolgreich waren.

Das Schlusswort gehört Le'Veon Bell: "Nach oben gibt es für uns keine Grenze. Ich glaube, wir haben überall Playmaker und unsere Coaches leisten tolle Arbeit. Ben ist Ben und er war schon zwei Mal im Super Bowl. Und die O-Line? Das ist die beste O-Line der Liga. Ich empfinde es als Privileg, hinter dieser Line zu laufen. Für diese Offense gibt es nach oben keine Grenze."

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